43. Nicht vergessen

Hola!

Absolut passender Kapitelname, am I right? Ich habe meine Storys nicht vergessen. Es war nur viel los. Ein Problem nach dem anderen, but everything is good so far.

Ich werde Anfang August meine erste Augen-OP von vier haben. It will be fun, der Arzt sagte mehrmals, dass ich einige Tage lang starke Schmerzen haben werde, aber es "unbedingt aushalten" müsse. Danach wird sich mein Auge für einige Jahre stabil halten, sprich, meine Sehkraft wird nicht schlechter werden. Die Sicht könnte sich auch verbessern, but we gotta wait and see. Da ich ein schwieriger Fall bin, übernimmt die Krankenkasse zumindest schon mal die erste OP.
Dies ist nur eine kleine Vorwarnung und Information, dass es noch nicht sofort schnell weiter gehen wird. Ich hoffe, dass sich danach die doppelte Sicht aber damit verbessert, sodass ich wieder länger auf elektronischen Geräten arbeiten und darauf leichter schreiben kann.

Weitere Informationen werde ich, sobald es soweit ist, dann auf Instagram (@su.yu.san) schreiben.

Anyways, I love my cats. Das war es erst einmal von mir, es geht endlich weiter.

Viel Spaß beim Lesen!
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Von allen Menschen, die noch vor vier Jahren in meinem Leben gewesen waren, hatte Raiko am längsten gebraucht, um mich loszulassen. Von allen Menschen, die ich kannte, wollte ich am meisten, dass gerade sie mich los ließ. Und das war absolut nicht einfach gewesen. Ich hatte es mit Distanz und Worten versucht, ich hatte sie ignoriert und mich in meinem Zimmer eingeschlossen, nein, ich hatte sie sogar angeschrien, damit sie mich vergaß.

Und es hatte dennoch Wochen gedauert, bis sie mich endlich losgelassen hatte.

Natürlich, selbst ich hatte öfter nachts geweint, weil auch sie mir gefehlt hatte, bis ich mich an den Umstand, dass die Freundin, mit der ich aufgewachsen war und fast jede Minute verbracht hatte, nicht mehr in meiner Nähe sein durfte.

In meinen Augen war es besser gewesen, wenn sie mich sofort losließ und am besten auch hasste, da sie genauso sehr an mir gehangen hatte, wie ich an meiner Mutter. Ich hatte ihr das alles ersparen wollen. Sogar jetzt, während sie völlig verheult vor mir stand, wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sogar jetzt schien sie aufgelöster, als ich es erwartet hatte. Für einige Sekunden konnte ich nichts tun, außer sie anstarren, obwohl ich bemerkte, dass es sie nur wütender machte.

»Mom und Dad haben gestern gestritten«, sagte sie verächtlich. »Und mitten drin, während sie sich darüber stritten, dass Mom ihn scheinbar nicht mehr ran lässt, weil wir das auch alle wissen wollten, haben sie deine Mom und dich erwähnt. Und Ai hat praktisch einen Todestanz aufgeführt. Also sag mir, Naomi, sag mir, dass die drei einfach nur gestört sind und du nicht stirbst.«

Ich schwieg. In ihren Augen konnte ich klar eine stille Bitte ablesen, doch ich konnte ihr nicht antworten, einfach, weil es nicht die Antwort war, die sie sich erhoffte. Für eine Sekunde fühlte es sich so an, als würde ich die kleine unschuldige Raiko vor mir haben. Die Erinnerungen, die ich mit ihr teilte, gehörten zu meinen schönen Erinnerungen. Selbst meine Mom war in ihnen. Ich erinnerte mich noch, wie sie Raiko immer getröstet und wie sie diese schreckliche Mutter immer zurecht gerückt hatte, wenn diese Druck auf ihre Tochter ausgeübt hatte. Der Grund, wieso Raiko nicht so wie Ai geworden war, war meine Mom, da war ich mir sicher. Sie hatte Tage und sogar Wochen bei uns verbracht, wir hatten so viele Übernachtungspartys zusammen gehabt...

Eine weitere Ohrfeige riss mich aus meinen Erinnerungen. Langsam wurde ich doch sauer, aber ich konnte die brodelnde Lava in mir zurück halten. Raiko hatte es nicht verdient. Vor allem nicht, als ich sah, wie sich neue Tränen in ihren Augen sammelten.

»Es ist wahr«, sagte sie leise. »Und ihr habt es alle gewusst? Sogar Ai?«

»Eigentlich wusste es niemand«, sagte ich vorsichtig. »Nur mein Dad und deine Eltern. Sie hatten mir versprochen, es niemandem zu erzählen...«

»... weil du niemanden verletzen willst«, schnaubte Raiko und fuhr sich durch ihre Haare. »Natürlich. Klar. So bist du eben. Die aufopferungsvolle, perfekte Naomi, die entscheiden will, was besser für ihre Mitmenschen ist.«

»Raiko, das ist nicht der Punkt. Ich wollte nicht, dass es jemand weiß. Es ist einfach besser, wenn...«

»... wenn du all deine sozialen Kontakte kapst, deine beste Freundin aus deinem Leben entfernst, ein einsames, verbittertes Leben führst und die Nachricht, dass du gestorben bist, niemanden trifft. Alle sind glücklich. Denn du bist für uns alle schon damals gestorben. Richtig? Du bist einfach so widerlich.«

Ihre Worte passten nicht zu ihrem Gesichtsausdruck, und doch schien sie es ernst zu meinen.

»Du kannst davon halten, was du willst. Wenigstens verletze ich euch damit nicht, wie meine Mom es getan hat...«, sagte ich leise.

»Der Tod deiner Mom hat viele verletzt, ja, aber sie hat uns viele schöne Erinnerungen da gelassen und uns nicht im Stich gelassen. Dein Vater und du kommt aber scheinbar immer noch nicht darüber hinweg, weil ihr es nicht wollt.«

Okay, jetzt musste ich mich wirklich zusammenreißen. Natürlich verstand ich, dass sie verletzt war, aber sie schien das Problem in mir zu sehen. Sie ignorierte selbst die Tatsache, dass man nicht einfach so über den Tod der eigenen Mutter hinweg kam. Als wäre es so verdammt leicht. Als hätte ich es mir ausgesucht. Und wie sollte ich es vergessen, wenn mein Dad mich dauernd daran erinnern wollte? Selbst das ignorierte sie. Niemand schien zu verstehen, dass ich keine andere Wahl hatte.

»Meine Mom war im Gegensatz zu deiner Mom absolut perfekt. Das weißt du selbst. Du hast dich vor ihr sogar bei uns versteckt. Natürlich wäre es dir egal, wenn sie weg wäre. Aber meine Mom werde ich nicht so einfach vergessen. Selbst wenn ich darüber nicht hinweg kommen kann, ist das immer noch meine Sache«, sagte ich deutlich.

»Wieso willst du es nicht?«, sagte Raiko und fuhr sich abermals durch die Haare. Das machte sie immer, wenn sie gestresst war. »Weil du bei ihr warst, als sie gestorben ist? Weil dein Dad dich das nicht vergessen lässt? Stattdessen schmeißt du dein...«

In diesem Moment realisierte sie wohl, was sie gerade gesagt hatte und dass sie definitiv zu weit gegangen war... Vielleicht verstand sie auch jetzt, was sie von mir verlangte und mit was sie mich da konfrontierte. Sie hatte es aufgrund ihrer Wut gesagt, und die Tatsache, dass ihre Gesichtszüge entgleisten, zeigte, wie sehr sie es bereute. Doch es änderte nichts daran, dass meine Welt zusammenbrach. Für diesen Moment, zumindest.

Ich konnte die Emotionen, die ich in diesem Moment spürte, nicht kontrollieren. Ich konnte sie nicht einmal benennen. Ich wusste nur, dass sie aus mir herausbrachen, ohne, dass ich es kontrollieren konnte, während mich langsam ein Gefühl übermannte, das schon längst in der Vergangenheit lag.

»Naomi, ich wollte nicht...«, sagte sie und trat mit ausgestreckter Hand einen Schritt nach vorn.

Ich musste meinem Körper nicht einmal den Befehl geben. Er wich von allein zurück, zitternd, überfordert. Ich tat in diesem Moment alles, um nicht die Augen zu schließen, ich wusste, dass das Licht sehr viel besser für mich war, auch wenn es mich in diesem Moment zu blenden schien. Ich schüttelte den Kopf.

»Geh raus«, sagte ich mit belegter Stimme.

»Naomi...«, versuchte Raiko es nochmal.

»Geh raus!«, schrie ich, deutlich lauter als beabsichtigt.

Sie wusste, dass es besser war, einfach auf mich zu hören. Es war die Reue, die sie aufgehalten hatte. Jetzt verschwand sie jedoch schnell. Ich schloss die Tür mit etwas zu viel Kraft hinter ihr zu und ließ mich daran herunter gleiten. Die Tatsache, dass der Raum plötzlich kleiner erschien, versuchte ich auszublenden, während ich tief ein- und ausatmete.

»Was ist denn hier los? Naomi, was soll der Lärm?« Diese Frau konnte mich wirklich nicht einmal einfach in Ruhe lassen und als sie gleichzeitig auch noch so dreist war und tatsächlich versuchte die Tür zu öffnen, schloss ich sie sofort wieder mit meinem Oberkörper.

»Ich warne dich«, sagte ich so laut und klar, dass sie es auch hören konnte. »Wenn ihr mich nicht in Ruhe lässt, dann werde ich meinem Dad so viel mehr erzählen, als es euch lieb ist. Also verschwinde.«

Es half. Sie wussten, was passierte, wenn sie dieses Thema auch nur anschnitten.
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[13:32] Karma: Alles in Ordnung?
[14:23] Karma: Ich warte immer noch auf mein Hausmädchen
[15:18] Karma: Naomi, was ist los? Ich bin kurz davor bei dir zu Hause aufzutauchen, wenn du mir nicht antwortest

[15:37] Ich: Ich bin gleich fertig, sorry. Es gab Stress

[15:37] Karma: Wegen dem Arschloch

[15:38] Ich: Auch
[15:39] Ich: Du kennst meine Familie. Ich gehe aber gleich los

[15:40] Karma: Okay. Ich warte auf dich, Hausmädchen

Mit einem großen Rucksack auf dem Rücken lief ich die Treppe des Wohnkomplexs hoch und klingelte. Die Aufregung spürte ich leider nicht so deutlich, ich war sogar eher ziemlich erschöpft. Es hatte etwas gebraucht, bis ich mich beruhigt hatte, doch zu meiner Erleichterung hatten sie mich in Ruhe gelassen, was besser für sie war. Nur deshalb hatten sie es gemacht. Ich wusste jedoch, dass Raiko es nur versehentlich herausgerutscht war. Ihr Blick und die Tatsache, dass sie erst einmal geblieben war, hatten es mir gezeigt. Sie hatte mich damit nie verletzen wollen. Es änderte für mich jedoch nichts daran, dass ich wusste, wie wenig Verständnis die meisten bei dieser Thematik hatten. Oft kam es mir so vor, als ob es absichtlich als Waffe gegen mich verwendet wurde. So auch jetzt.

Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass ich es verdient hatte.

»Ich bin wieder da, hast du mich...?«, fing ich an, als Karma mir die Tür öffnete, doch ich stoppte, als ich sein blasses Gesicht sah. Allein bei dieser Gesichtsfarbe, wenn sie auch nur leicht war, zog sich mein Magen zusammen und ich trat schnell ein. »Du siehst nicht gut aus. Ist alles okay?«

»Sieht es für dich so aus?«, meinte Karma träge und lief zurück in sein Zimmer. Ich schloss die Tür und folgte ihm, als er sich gerade wieder in sein Bett legte. »Du hast echt lange gebraucht.«

»Und du bist direkt krank vor Sorge geworden?«

»Haha, der war schlecht.« Karma seufzte und schloss die Augen.

Vorsichtig näherte ich mich ihm. Er hatte sich definitiv etwas eingefangen. Ich streckte meine Hand aus, um seine Temperatur zu überprüfen, doch kurz bevor ich ihn berühren konnte, packte er schlagartig mein Handgelenk. Dabei riss er seine Augen auf, als würde er in Alarmbereitschaft sein. Verwirrt sah ich ihn an.

»Ich will nur deine Temperatur überprüfen«, sagte ich langsam.

»Bist du ein menschlicher Thermometer?«, fragte Karma verständnislos. »Schleich dich nicht so an andere an. Das hätte schief gehen können.«

Ich schüttelte den Kopf. Was für eine Dramaqueen... Ich befreite meine Hand und legte sie auf seine Stirn, mein inneres Fangirl ignorierend. Für Schwärmerein war jetzt nicht die richtige Zeit.

»Du hast Fieber«, sagte ich. »Hast du irgendwelche Beschwerden?«

»Mein Kopf dröhnt. Besonders bei deiner Stimme«, sagte er stöhnend. »Ich bin einfach nur müde, also wenn es dir nichts ausmacht...«

»Natürlich.« Ich griff nach der Decke auf dem Sofa und legte sie zusätzlich über ihn, seinen genervten Blick ignorierend.

»Was wird das?«, fragte er.

»Was wohl? Dein Hausmädchen wird gerade zu deiner Krankenschwester«, sagte ich, legte meine Tasche ab und kramte darin herum, sodass ich Karmas Grinsen nicht sehen konnte.

»Klingt heiß«, meinte er amüsiert.

»Das liegt an deinem Fieber«, sagte ich und hatte endlich meine Medikamententasche herausgeholt. Ich reichte ihm eine Tablette. »Hier. Das hilft gegen Fieber und Schmerzen. Du wirst so besser schlafen können, während ich dir etwas koche.«

Er seufzte, nahm sie jedoch protestlos ein und spülte sie mit einem großzügigen Schluck Wasser aus seiner Flasche, die auf seinem Nachtschränkchen stand, herunter. Ich hatte das Gefühl, dass er sich erst weigern wollte, bis ich erwähnt hatte, dass ich kochen würde. Irgendwie war das ein wirklich schönes Gefühl, dass er mein Essen scheinbar ziemlich mochte und auch zu schätzen wusste.

»Soll ich die Vorhänge zu ziehen, damit du besser schlafen kannst?«

»Geh einfach in die Küche«, sagte er und ließ sich auf sein Kissen fallen. »Ich kann auch so pennen. Oh und wenn du schon dabei bist, kannst du den Boden wischen. Das hatte ich vor einigen Tagen vor, doch ich hatte kein Bock.«

»Wird gemacht, Sir«, sagte ich, salutierte und machte mich direkt an die Arbeit. Ich bekam Karmas verdutzten Blick nicht einmal mehr mit.
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Tatsächlich hatte ich einkaufen gehen müssen, da ich ihm eine Kürbissuppe zubereiten wollte. Das half gegen fast allen Beschwerden und war gesund. Dazu bekam er noch eine Schüssel Okayu, sehr zu seinem Leid. Während die Suppe kochte, hatte ich mich daran gemacht die Hausarbeiten zu erledigen, denen Karma scheinbar nicht gern nachkam. Es war nicht unbedingt schmutzig oder unordentlich hier, jedoch auch nicht wirklich sauber. Außerdem hatte er auch einen Berg an Wäsche. Der Typ besaß überraschend viele Kleidungsstücke für einen Jungen. Oder er kaufte sich jedes Mal etwas neues, weil er zu faul war, um zu waschen. Das würde ich ihm auch zutrauen.

»Naomi, ich liege nicht im Sterben«, sagte Karma genervt, als ich abermals seine Temperatur prüfte.

»Ich will nur sichergehen, dass es nichts ernstes ist«, erklärte ich. »Manchmal kann eine Krankheit ganz plötzlich schlimmer werden.«

Er sah mich für einige Sekunden an und seufzte schließlich. »Du hast den Boden gewischt, die Wäsche gemacht, bist einkaufen gegangen, hast gekocht und gespült, mir zwei mal Tee gebracht und ich habe auch bemerkt, dass du das Bad komplett gereinigt hast. Was genau stimmt mit dir nicht?«

Es wirkte wirklich so, als würde er die Frage ernst meinen. Doch ich zuckte nur mit den Schultern.

»Ich wollte mich nur nützlich machen, wenn ich schon hier bleiben darf. Außerdem kannst du dir noch ein Gericht aussuchen«, sagte ich.

»Ich darf mir wieder etwas aussuchen?«, fragte er nicht minder überrascht.

»Jep. Du hast noch nicht zu Abend gegessen und Essen ist wichtig, damit du wieder zu Kräften kommst.«

Karma antwortete nicht. Er hatte sich aufgesetzt und schien mich eingehend zu mustern, was mich etwas irritierte. Daher schüttelte ich den Kopf und setzte mich neben ihn hin, um ihn wieder zurück in sein Kissen zu drücken. Auf Anweisungen würde er so oder so nicht hören. Doch er ergriff einfach mein Handgelenk und hielt mich auf.

»Du schaust mich nicht einmal richtig an«, sagte Karma.

Es war nicht überraschend, dass er es bemerkt hatte, doch es war überraschend, dass er es für wichtig genug hielt, um es anzusprechen. Dennoch wollte ich nicht auf seine Aussage eingehen.

»Akabane, du reißt dich ja förmlich um meine Aufmerksamkeit«, sagte ich scherzhaft. »Keine Sorge, mein Schatz, ich kümmere mich schon um dich.«

»Ist es wegen deiner Mutter?«, fragte er.

Er war definitiv nicht sensibel und ziemlich intelligent. Die perfekte Kombination, um einer Person diese Frage zu stellen. Ich antwortete nicht sofort, sondern betrachtete seine warme Hand an meinem Handgelenk. Wie sehr ich mir nur seine Nähe wünschte... Ich wollte so gern, dass er mich berührte... und dass ich die Möglichkeit hatte, ihn wann immer ich wollte zu berühren...

Diese verdammten Hormone und Gefühle... Karma würde mich absolut damit aufziehen, wenn er erfuhr, was ich gerade gedacht hatte.

»Wenn du so ungern kranke Menschen siehst, verstehe ich nicht, wieso du dir das selbst antust und dich um mich kümmerst«, fuhr er fort, als er keine Antwort bekam. »Ich komm klar, also kannst du verschwinden. Was für einen Termin hattest du überhaupt heute morgen?«

Ich schwieg erneut. Einerseits wollte ich ihm antworten, andererseits wusste ich nicht, was genau ich sagen sollte. Jetzt hatte er doch nach dem Termin gefragt. Ich konnte nicht direkt lügen, aber mir wollte auch keine passende Antwort so auf die Schnelle einfallen.

»Wie gesagt... eine Krankheit kann ganz plötzlich schlimmer werden«, sagte ich und lächelte ihn leicht an. »So war es bei meiner Mutter. Also ja, es ist wegen ihr. Und gleichzeitig möchte ich nicht, dass irgendjemand leidet.«

Karma sah mich stumm an und nickte dann verstehend. »Ja, das sieht dir ähnlich.«

Ein Schweigen legte sich über uns. Das gab mir zumindest genug Zeit, um mir eine Ausrede einfallen zu lassen, sollte er noch einmal nach dem Termin fragen. Es war bei Karma jedoch etwas schwieriger. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er bemerkte, wenn ich log. Sollte er es alao jetzt bemerken, würde er meinen Terminen noch mehr Aufmerksamkeit schenken und misstrauisch werden. Und ein misstrauischer Karma war einfach viel zu gefährlich.

»Kam ihre Krankheit wirklich so plötzlich?«, fragte er irgendwann. Mir kam es so vor, als wusste er nicht, was er sagen oder wie er mich aufmuntern sollte. Aber seine Frage zeigte auch, dass es ihm nicht egal war.

»Nicht ganz«, antwortete ich zögerlich und betrachtete meine Hände. »Sie war schon vorher krank gewesen, doch von einem auf dem anderen Tag hat es sich einfach... schlagartig verschlimmert.«

Ich sah auf und bemerkte, dass Karma mir ungewöhnlicherweise wirklich aufmerksam zuhörte. Warum genau interessierte er sich überhaupt dafür? Es war viel mehr als freundliches Interesse und gleichzeitig war das hier Karma, von dem wir sprachen. Er kannte sowas wie freundliches Interesse oder sozial angemessenes Verhalten nicht.

»Tut mir leid«, sagte er mit einem tiefen Seufzen. »Ich verstehe, wie schlimm das für dich gewesen sein muss.«

»Das ist es immer noch«, sagte ich und fuhr mir mit meiner Hand über den Arm.

»Wisst ihr denn, was sie genau hatte?«

Ja, Karma interessierte sich wirklich dafür. Er würde nicht nachgeben, dass wusste ich nun. Sein Interesse war bereits geweckt und dieses musste ich zumindest so weit befriedigen, dass er nicht versuchte mehr darüber herauszufinden. Ich musste ihm die Wahrheit sagen, oder zumindest einen Teil der Wahrheit.

»Schwaches Immunsystem«, antwortete ich daher und sah auf. Seine Augen ruhten zwar auf mir, doch seine Reaktion kam einige Sekunden verspätet. Sie weiteten sich, als er realisierte, was ich da genau gesagt hatte. Diesen Lösungsweg musste ich jetzt festigen. »Mein Termin heute morgen hatte auch etwas damit zu tun. Ich werde regelmäßig untersucht, damit sie bei möglichen Komplikationen direkt reagieren können.«

Es war perfekt. Ich konnte praktisch sehen, wie ich Karma damit von der eigentlichen, ganzen Wahrheit weggelenkt hatte. Dabei hatte ich nicht einmal lügen müssen. Mittlerweile lebte ich schon so lange mit diesem Geheimnis, dass ich mich nicht einmal schlecht fühlte. Mir war es egal, was Raiko oder sonst jemand davon hielt. Sie hatten ihre Eltern nicht am selben Tag verloren und mussten mit dieser Schuld leben. Selbst Kenta verstand dies nicht, also erwartete ich es von niemandem. Karma war in der Hinsicht die letzte Person, von der ich es erwartete.

»Naomi«, sagte er schließlich leise und lenkte damit meine Aufmerksamkeit auf sich. Seine Augen waren unergründlich. Ich erwiderte seinen Blick stumm und kurz fragte ich mich, ob meine Aussage ihn nicht vielleicht sogar besorgt hatte. Vielleicht sorgte er sich wirklich um mich. Wieso sollte er mich sonst so anschauen? »Wenn du dieselbe Krankheit wie deine Mutter und damit ein schwaches Immunsystem hast...«, fuhr er langsam fort und sah nun absolut verständnislos dreien, »... warum zum Teufel sitzt du dann genau neben mir?«

Ich runzelte die Stirn, da ich erst nicht verstand, was Karma meinte. Spätestens jedoch als er mir einen unsanften Stoß gab und ich mit dem Hintern auf dem Boden landete, erinnerte ich mich daran, dass er krank war. Grummelnd stand ich auf, während er genervt die Luft ausstieß.

»Du bist echt bescheuert«, sagte er und legte sich wieder hin.

»Und du undankbar«, sagte ich, mich auf das Sofa fallen lassend.

»Weil ich dich nicht anstecken will? Oh ja, wie undankbar von mir dich nicht bei deinem Freitod zu unterstützen.«

»Unsensibel.«

»Lieber unsensibel, als für deinen Tod verantwortlich zu sein.«

Das meinte ich damit nicht, Karma. Das meinte ich damit nicht. Doch ich sagte nichts mehr dazu. Ich hatte ihm genug Informationen gegeben. Verletzbarer brauchte ich mich nicht vor ihm machen.
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Nach dieser neuen Information hatte Karma nichts mehr gesagt. Es war komisch, doch er hatte das Thema einfach ruhen lassen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er gesundheitlich angeschlagen war, denn nach dem Abendessen war er relativ schnell eingeschlafen. Ich beneidete ihn etwas dafür, als es ihm schon am nächsten Tag wieder besser ging. Von so etwas konnte ich nur träumen. Bereits am nächsten Tag war er wieder bei bester Gesundheit und nahm seine Rolle als Sklaventreiber wieder auf... mit einer Sklavin, die sich gern von ihm benutzen ließ... Langsam verstand ich, wieso Kenta mir eine Therapie nahelegte. Mir war wirklich nicht mehr zu helfen. Ich gab mich Karma viel zu sehr hin, dass es doch schon besorgniserregend war. Während er sich entspannte und spielte, kochte ich wieder für ihn, ohne dazu aufgefordert zu werden. Danach lernte ich, da ich die Ferienzeit meist damit und mit meinen Naomi-Abenden füllte, wobei ich Karmas Fragen dazu in der Hinsicht ignorierte. Beziehungsweise, ich ignorierte seine Frage, ob ich denn keine Hobbys hätte.

Die Antwort wäre auch ein Nein gewesen... Dann hätte ich noch mehr Sprüche von ihm abbekommen. Doch trotz allem war ich unfassbar glücklich. Glücklich, dass ich sicher war und glücklich, dass ich Zeit mit ihm verbringen konnte.

Bis mein Handy vibrierte.

[18:32] Rey: Wir sollen heute Zeit miteinander verbringen
[18:33] Rey: Um 20 Uhr wieder im Café?

[18:33] Ich: Okay

»Du siehst aus, als hättest du ein Geist gesehen«, merkte Karma an.

Keine Ahnung woher er das wusste, da er nicht einmal aufgesehen hatte.

»Eher die Verpflichtungen meines Vaters«, sagte ich, während ich aufstand. »Ich muss los.«

»Wohin?«

»Interessiert es dich wirklich?«

»Nein.«

Das dachte ich mir. Amüsiert den Kopf schüttelnd, schnappte ich mir meinen Rucksack und verschwand im Bad. Ich hatte zwar Wechselsachen für einige Tage, doch nur ein einziges Kleid eingepackt. Das würde mich dennoch retten. Wenn mein Vater erfuhr, dass ich in nicht eindrucksvoller Garderobe bei einem erzwungenen Treffen erschienen war, konnte ich mir direkt ein Leichenhemd anziehen. Und so wie Rey drauf war, würde er definitiv nicht den Mund halten, wenn ihm meine Kleidung nicht gefiel.
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»Hast du dich extra für unser Treffen so ins Zeug gelegt?«, fragte Rey, als ich mich pünktlich auf der Bank im Café niederließ und mir durch die Haare fuhr.

Als hätte ich irgendeine andere Wahl. Doch wenn ich ihn so ansah, dann hatte er sich ebenfalls Gedanken um seine Kleidung gemacht. Das schwarze Hemd und die ebenso schwarze Hose waren schon fast peinlich ordentlich. Generell hatte er immer ein unfassbar gepflegtes Äußeres. Es war also mehr als deutlich, dass auch er keine andere Wahl hatte. Er musste den Ruf und die Fassade seines Vaters ebenfalls aufrechterhalten. Wieso also merkte er meine Verpflichtung an?

»Ich habe keine andere Wahl, oder?«, erwiderte ich und griff nach der Karte, um mir etwas zu bestellen. Ich brauchte Nervennahrung.

Das einzig positive an diesem Treffen war, dass ich die Desserts hier genießen konnte. Doch kaum hatte ich sie ergriffen, wurde ein Tablet auf dem Tisch platziert und gleich darauf ein Erdbeermilchshake und ein Stück Kuchen.

»Ich habe bereits bestellt«, sagte Rey, als er meine Reaktion bemerkte. Er selbst hatte sich nur einen Café bestellt. So wie immer eigentlich. Dass er aber genau wusste, was ich wollte, war das Überraschende.

Ich nickte leicht und griff nach dem Shake. »Danke...«

»Wollen wir uns wieder anschweigen?«, fragte er.

»Wir können uns auch normal unterhalten«, sagte ich. »Wenn du kein Arschloch bist.«

»Du urteilst zu schnell«, meinte Rey und nahm einen Schluck von seinem Café.

»Sagt der Kerl, der sich mehr über die Kleidung von anderen Typen aufregt als jede Diva, die ich kenne.«

Rey schien in seiner Haltung zu erstarren, was ich jedoch ignorierte. Damit tat ich uns beiden einen Gefallen. Ich machte es leichter für ihn, mich ignorieren zu wollen. Diese Verbindung hatte sowieso keine Zukunft, weil ich keine Zukunft hatte. Ich nahm ihm damit die Last der Wahl ab.

»Du urteilst viel zu schnell«, wiederholte Rey nun deutlich bissiger und steifer. »Was weißt du schon über mich?«

»Genug, um dir zu sagen, dass du nicht deine eigene Person bist und viel zu viel Frust in dir trägst«, sagte ich. »Vielleicht solltest du aufhören die Fehler bei anderen zu suchen und an dir selbst arbeiten. Beschäftige dich doch mal mit anderen, statt dich über sie aufzuregen.«

»Irgendwie traurig.«

Verwirrt sah ich auf, doch Rey sah mich nicht an. Sein Blick war sturr auf den Tisch gerichtet. »Was meinst du?«

»Du. Du bist ziemlich traurig«, sagte er.

»Ich bin nicht besonders glücklich hier zu sein, a...«

»Du weißt, was ich meine, Naoko«, unterbrach er mich. »Du kannst einem wirklich nur leid tun. Du hast dich ernsthaft damit abgefunden, dass dein eigener Vater dich verkauft hat. Und dann wagst du es, mir Ratschläge zu geben? Wenigstens habe ich mich, im Gegensatz zu dir, nicht selbst aufgegeben.«

Bevor ich irgendetwas erwidern oder auch nur reagieren konnte, war Rey aufgestanden. Er warf etwas Geld auf den Tisch und ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ er das Café.

Er hatte sich im Gegensatz zu mir nicht aufgegeben? Ich schnaubte. Rey war genauso wie ich von seinem Vater verkauft worden. Die Tatsache, dass er hier erschien, zeigte doch, dass er es ebenfalls akzeptiert hatte. Oder traf er sich etwa freiwillig mit mir? Warum sollte er das tun? Und warum zur Hölle fühlte ich mich gerade so schlecht? Es fühlte sich so an, als hätte ich ihn verletzt. Als wäre ich viel zu ablehnend gewesen. Es fühlte sich so an, als hätte ich ihm Unrecht getan, obwohl ich nicht einmal wusste, was genau los war.

Ja..., das ergab Sinn. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was genau los war, weil ich mich auch mit ihm nicht auseinander gesetzt hatte. Denn eigentlich, und das wusste Rey selbst nicht, hatte ich mich nicht damit abgefunden.

Meine letzte Rebellion war es gewesen, mich so wenig wie möglich mit ihm zu unterhalten.

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