39. Einsamkeit und Bezugspersonen

Hola!

Tbh, die Überarbeitung dieses Kapitels, das auch noch das längste bis jetzt ist, war so anstrengend. Ich glaube, ich habe noch nie so viel geändert. But I was faster this time, see? I'm getting better.

Ich entschuldige mich schon einmal im Voraus.

Viel Spaß beim Lesen! :3
.

Wir schwiegen auf dem ganzen Weg, obwohl ich Karma nur zu gern fragen wollte, wieso er genau mitkam. War er wirklich so besorgt um die Katze, dass er meine Anwesenheit über sich ergehen ließ? Doch ich entschied mich, ihn nicht zu fragen. Ich war viel zu müde und würde eine seiner nicht so netten Antworten vermutlich gerade nicht so schlau kontern können. In diesem Zustand wirkte sogar der Gehweg gerade gemütlich. Erst kurz bevor wir in meine Straße abbogen, unterbrach Karma die Stille zwischen uns.

»Ich hätte dich für schlauer gehalten«, sagte er.

»Schlauer?«, wiederholte ich und fuhr mir über das Gesicht. Ich konnte mir gerade wirklich keinen Reim auf seine Aussage machen.

»Du siehst so aus, als würdest du jeden Moment umkippen. Warum gehst du in so einem Zustand überhaupt raus?«

Weil mein zu Hause schuld an diesem Zustand war...

Ich schüttelte den Kopf. Das war keine gute Idee, wie ich bemerkte, als schwarze Punkte in meinem Blickfeld erschienen und nur langsam wieder verschwanden.

»Ich hab es doch schon erklärt. Der Katze ging es wirklich schlecht.«

»Genauso wie dir«, merkte er selbstgefällig an.

»Zumindest hat sie jemanden, der sich um sie kümmert«, sagte ich und gähnte. »Ich kann mich danach ausruhen.«

Mittlerweile waren wir am Tor meines zu Hauses angekommen und ich machte mich bereit Karma den Korb mit dem kleinen Tier abzunehmen, jedoch wurde ich von einem erfreuten Kreischen aufgehalten. Genervt und gequält zugleich schloss ich die Augen, als Ai, die scheinbar wie so oft im Garten gespielt hatte, mit eiligen Schritten auf uns zu gerannt kam. Die Illusion, die sie so glücklich machte, enthüllte sie gleich darauf genauso unangenehm laut.

»IST DAS KUCHEN?!«, schrie sie aufgeregt und krallte sich praktisch am Korb fest, den sie versuchte Karma aus der Hand zu entreißen. Jetzt war ich froh, dass er mitgekommen war. So müde wie ich war, hätte sie es bei mir geschafft. »GIB HER! ICH WILL MAMPFEN!«

Mehrere Schweißtropfen bildeten sich auf meinem Gesicht. So wie sie ihr ganzes Gewicht benutzte, um den Korb zu bekommen, könnte man glatt denken, dass ihr Leben davon abhing. Erstaunlich war, dass Karma keine Miene verzog. Im Gegensatz zu Raiko, die zu uns eilte und genervt versuchte ihre Schwester zurück zu ziehen.

»Hör auf damit!«, sagte sie. Ihre Ohren färbten sich leicht rot. Das passierte immer, wenn ihr etwas peinlich war und die Situation war ihr definitiv peinlich. Vermutlich jedoch eher, weil Karma anwesend war und dies mitbekam.

Meine Reaktion kam vermutlich spät, doch mein Gehirn hatte etwas gebraucht, um diese unangenehme Szene erst einmal zu erfassen.

»Das ist kein Kuchen, Ai«, sagte ich so laut und klar wie möglich.

»DU LÜGST! DU BIST NICHT BRAV!«

Unglaublich, aber heute hatte ich wirklich gar keine Geduld mit ihr.

»Ich lüge nicht. Es ist die Katze, mit der du immer spielst«, sagte ich und beugte mich leicht nach unten.

Sie hielt überrascht inne und ich nutzte die Chance, um Karma zu bedeuten den Korb etwas sinken zu lassen, sodass ich sie ihr zeigen konnte. Wie ich sie kannte, hätte sie nämlich gleich darauf wieder losgeschrien, also musste ich sie ihr zeigen, daher hob ich den Deckel leicht an.

»Siehst du«, sagte Raiko etwas erleichtert, da ihre Schwester sich nicht mehr wehrte oder einen Aufstand machte.

Aber komischerweise schien Ai nicht erfreut darüber zu sein, die Katze zu sehen. Normalerweise wollte sie immer sofort mit ihr spielen, doch jetzt sah sie das Tier einfach nur an. Für einen Moment kam mir der Gedanke, ob sie nun plante einfach die Katze zu essen, aber das war meiner Müdigkeit zu verschulden. Ihr Blick war jedoch unergründlich, während sich in ihrem Gesicht rote Flecken bildeten.

Und dann hörte ich ein wütendes Fauchen. Die Katze presste sich im Korb ganz zurück, wenn auch deutlich geschwächt. Aber ihr Fauchen war immer noch sehr deutlich. Da freute sich jemand definitiv nicht, Ai wieder zu sehen. Da waren wir ja schon zwei...

»Ganz ruhig«, sagte Karma behutsam und fuhr der Katze mit der Hand beruhigend über den Körper.

Sie ließ es zu, was einerseits ein süßer Anblick war und mich andererseits stutzen ließ. Ob meine Tante und Ai sie wirklich mit dem Besen vor einigen Wochen erwischt hatten?

»Na, komm schon, Ai. Wir können ihr Milch holen, dann beruhigt sie sich bestimmt und du wirst mit ihr spielen können«, sagte Raiko und fügte leise hinzu: »Und ich kann mich endlich verziehen.«

»Ich will nicht mit ihr spielen!«, sagte Ai wütend und stampfte auf. »Ich will sie tot machen! Mama hat gesagt, Waschmilch macht einen tot. Warum ist sie dann nicht tot?«

Bis zu diesem Moment hatte ich geglaubt, dass die Situation, der Tag, nein, sogar Ais Verhalten generell, nicht schlimmer werden konnten. Ich irrte mich. Wie immer. Mein Leben schien eine Grube zu sein, die immer tiefer wurde und aus der ich nicht mehr herauskam. Und dennoch hatte ich mit so etwas... Bizarrem... nicht gerechnet. Raiko schien genauso sprachlos, ja sogar entsetzt zu sein. Und Karmas Hand hatte kurz gezuckt, während er die schläfrige Katze immer noch festhielt und beruhigte. Ich war fast schon froh, als er das Wort ergriff und dabei auch noch ruhig wirkte.

»Hast du der Katze Waschmittel zum Trinken gegeben?«, fragte er.

Ai nickte und baute sich auf, die Hände in die Hüften gestemmt. »Sie ist nicht brav!«

Raiko regte sich nicht und meine Welt schien sich für mehrere Sekunden zu drehen. Immer weiter zu drehen. Gerade so schaffte ich es noch, mich am Tor festzuhalten, um nicht umzukippen.

Diese Familie war krank. Und es wurde immer schlimmer. Doch was hatte ich auch erwartet? Ihre Mutter hatte sogar mir offen den Tod gewünscht. Aber das ein Kind solche Gedanken... ausführte...

Ein Klatschen ließ mich aufsehen. Doch in mir regte sich nichts, als ich erkannte, dass Raiko Ai eine Ohrfeige gegeben hatte. Auch nicht, als Ai sie fassungslos ansah und dann brüllend anfing zu weinen. Und definitiv nicht, als sie von ihrer großen, wütenden Schwester weggezerrt wurde, wobei ich mir sicher war, dass diese Karma einen entschuldigenden Blick zuwarf. Die Schreie des kleinen Mädchens waren zumindest auch noch zu hören, als sie wieder im Garten verschwunden waren.

Ich bewegte mich jedoch nicht. Ich wollte da nicht rein. Ich wollte mir das nicht antun. Ich wollte es mir nicht anhören. Ich wollte nicht...

»Deine Familie ist ja noch schlimmer als ich dachte«, sagte Karma. Wieso genau klang er amüsiert? Ich warf ihm einen Blick zu, doch stellte fest, dass er scheinbar nach der Katze sah. Was wiederum süß war. Dieser Anblick hätte mich dementsprechend freuen und definitiv keine Übelkeit auslösen sollen. Was genau machte ich nun mit dem kleinen Wesen? Sie war in diesem Haus nicht sicher und ich wollte ihr den Stress auch nicht antun. Oder sie der Gefahr aussetzen, möglicherweise nochmal von einem widerlichen Kind vergiftet zu werden.

»Kannst du... sie für ein paar Tage nehmen?«, fragte ich Karma hoffnungsvoll. »Bitte? Nur bis ich ein zu Hause für sie gefunden habe?«

»Meinetwegen«, sagte er, schloss den Korb und richtete sich auf. »Nach dieser Shitshow, hätte ich sie dir sowieso nicht überlassen.«

Er hatte wirklich ein Herz für Katzen... Das war überraschend. Normalerweise hatte er ja kein Herz für irgendjemandem.

»Danke, Karma«, sagte ich.

Und was jetzt? Ich schloss kurz die Augen, um nachzudenken. Heute würde ich ganz sicher keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen. Nur wo sollte ich hin? Sollte ich es einfach meinem Dad sagen? Wie sollte ich es ihm überhaupt sagen?

Hey, deine Nichte scheint eine Psychopathin zu sein, dein Bruder ein Perversling und die Fehler seiner ebenso gestörten Frau hast du ja selbst bereits mitbekommen.

Dann wäre ich wahrscheinlich genauso tot wie sie. Nein, das konnte ich nicht. Und die Frage war auch, ob er mir... überhaupt glauben würde... Beim letzten Mal hatte ich auch erst Beweise gebraucht... und die hatte ich jetzt noch nicht.

Angestrengt rieb ich mir die Schläfen. In diesem Zustand konnte ich nicht nachdenken. Ich musste erst mal schlafen, um überhaupt die weiteren Schritte zu planen. Ein Kapselhotel wäre da vorerst die beste Lösung. Dort war ich sicher. Ich konnte meine Kapsel einfach schließen und schlafen.

»Du denkst ziemlich lange nach«, sagte Karma und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Es klang wie eine normale Aussage, also nickte ich einfach nur und wandte mich zum Gehen. Am Bahnhof gab es ausreichend Kapselhotels. Ich würde also keine Schwierigkeiten haben eins zu finden.

»Danke nochmal«, sagte ich. »Ich hole sie ab, wenn ich... wenn ich einen sicheren Ort für sie finde.«

Dieser Ort war selbst für mich nicht sicher...

»Warte«, sagte Karma und trat ein paar Schritte nach vorn, sodass er neben mir stand. »Wohin willst du? Du bist krank, schon vergessen?«

»Ich werde keinen Schritt in dieses Haus machen«, sagte ich klar und setzte mich in Bewegung.

»Naoko, du kippst jeden Moment um.«

Er klang genervt, und tatsächlich hörte ich, dass er mir folgte, wobei wir sowieso in dieselbe Richtung mussten. Das war wohl wieder mein Wunschdenken.

»Ich werde mich da aber sowieso nicht ausruhen können...«, sagte ich.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und Karma drehte mich mit einem kräftigen Ruck um. Viel zu kräftig, da ich ohne seinen Griff definitiv die Balance verloren hätte. Jetzt dauerte es etwas länger bis meine Sicht sich stabilisierte. Das schien er ebenfalls zu bemerken.

»Es geht mich zwar nichts an, aber ich werde es auch nicht zulassen, dass du auf offener Straße umkippst«, meinte er schroff. »Zu wem willst du überhaupt?«

Ich zögerte. Irgendwie peinlich, aber eigentlich kannte er die Wahrheit bereits. Er wusste, dass ich niemanden hatte. »Z... zu niemandem. Ich gehe einfach in ein Kapselhotel oder sowas.«

Karma sah mich für einige Sekunden an und seufzte dann. Ich hätte nur zu gern gewusst, was er gerade dachte, aber das war etwas, was ich mich immer wieder fragte. Er dachte sich zu jeder Situation seinen Teil und oftmals sprach er es auch ganz offen aus. Nur leider nicht jetzt.

»Ich kann auch zwei Tiere aufnehmen, also komm mit«, sagte er und setzte sich in Bewegung.

Ich blinzelte und bewegte mich nicht von der Stelle. Dies bemerkte er nach zwei Schritten ebenfalls.

»Du kannst bei mir bleiben«, sagte er nun nachdrücklicher.

Ich schüttelte den Kopf und beeilte mich ihm zu folgen. »Verzeihung, mein Gehirn brauchte etwas, um dich zu verstehen. Hast du mich gerade als Tier bezeichnet?«

Unter normalen Umständen würde ich mich darüber freuen, dass ich bei ihm bleiben durfte. Es war schließlich Karma. Also wieso tat ich es nicht? Irgendwie fühlte ich dieses Mal nichts dabei.

»Das hab ich«, meinte er und sah sturr in die Richtung, in die wir liefen.

»Muss ich dir erklären, warum man Frauen nicht so bezeichnen darf?«, fragte ich.

Jetzt sah er mich seitlich an. Er wirkte tatsächlich amüsiert.

»Du bist zu erschöpft, um vernünftig zu laufen, aber kannst dich trotzdem noch für Frauenrechte einsetzen?«, sagte Karma. »Für mich bist du eher ein Mädchen...«

»Mäd...«, fing ich an, doch er fuhr fort.

»... und wärst du ein Tier, würde ich dich tatsächlich als Fuchs bezeichnen«, sagte er. »Ich meinte es also nicht einmal negativ.«

Die Unterhaltung entwickelte sich in eine überraschende und komische Richtung. Aber mir gefiel es sogar. Es war tatsächlich nicht gemein, hielt mich wach und lenkte mich ab.

Ich musste nicht mehr daran denken.

»Wieso Fuchs?«, wollte ich wissen.

»Ich glaube, das ist selbsterklärend«, meinte er gelassen.

Vielleicht konnte ich darüber nachdenken, wenn ich wieder fit und arbeitsfähig war. Ein ausgiebiges Gähnen entkam mir, bevor ich Karma überhaupt antworten konnte.

»Du wärst ein Löwe«, sagte ich schließlich. »Ich glaube, das ist auch selbsterklärend.«

»Erklär es mir trotzdem.«

»Nope.«

Er sah mich für einige Sekunden an. Ein unheilvolles Lächeln bildete sich in seinem Gesicht, das ich misstrauisch quittierte.

»Das heißt dann wohl, dass du dich praktisch in die Höhle des Löwens begibst«, sagte er, als hätte er soeben einen bösen Plan entwickelt.

Dies würde ich ihm sogar zutrauen. Aber er war dennoch meine beste Option und momentan wollte ich schlicht und ergreifend nicht allein sein. Um ehrlich zu sein, war eben diese Höhle, wie er es nannte, mein sicherster Zufluchtsort.

»Ich habe nie gesagt, dass ich gute Entscheidungen treffe.«
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Karma hatte die Katze im Wohnzimmer auf ein Kissen gelegt. Die vom Arzt verschriebenen Medikamente hatten sie direkt wieder schlafen lassen. Während ich ihr entspanntes Gesicht betrachtete, musste ich wieder daran denken, wer dafür verantwortlich war. Ich konnte immer noch nicht fassen, wie sehr alles eskalierte. Es schien jeden Tag schlimmer zu werden... und auch jede Nacht... Ich presste meine Lippen zusammen. Nein, darüber brauchte ich jetzt nicht nachdenken. Ich war hier und niemand wusste davon. Mir würde es nach etwas Schlaf sehr viel besser gehen.

»Was fehlt dir eigentlich?«, fragte Karma, als er wieder aufgestanden war, nachdem er eher zu sich selbst gemurmelt hatte, dass er noch einige Sachen für die Katze besorgen müsse.

Schlaf. Ganz viel Schlaf. Doch das konnte ich ihm nicht sagen, denn dann würde er nach dem Grund fragen. Außerdem hatte ich ihnen bereits gesagt, dass ich krank sei. Wenn ich die Geschichte jetzt änderte, würde er erst recht bemerken, dass ich etwas verschwieg. Was dachte ich eigentlich da? Meine Gedanken kamen mir so wirr vor.

»Ich weiß es nicht. Ich bin einfach sehr erschöpft«, sagte ich und mied seinen Blick. »Es würde mir allein helfen, wenn ich mich etwas hinlegen könnte.«

»Dann mach das. Du kannst wieder das Sofa in meinem Zimmer nehmen«, sagte er.

Auch jetzt fühlte ich nicht die Aufregung, die ich sonst immer fühlen würde. Aber ich war ihm wirklich unfassbar dankbar. Das würde er jedoch niemals erfahren, obwohl er es verdient hätte. Es war komisch. Trotz seiner Abneigung, half er mir. Ich verstand ihn daher nicht, doch ich würde ihn so gern verstehen.

»Dein Gehirn... scheint wirklich nicht zu funktionieren«, sagte Karma plötzlich mit einem Schweißtropfen auf der Wange.

Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich ihn nur anstarrte, bis er mir einen Schubs mit der Hand gab, damit ich mich bewegte. Meine Abwesenheit hatte er schon längst bemerkt und obwohl ich daran arbeiten sollte, dass es nicht noch deutlicher wurde, konnte ich es gerade nicht. Ich ließ mich von ihm in sein Zimmer führen, wo er auf das Sofa deutete und zu seinem Schrank lief.

Ich setzte mich.

»Wenn du ein Kissen w...«

Mehr bekam ich nicht mehr mit. Meine Augen fielen einfach zu.
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Ich war irgendwann am späten Nachmittag eingeschlafen und wachte erst am nächsten Tag ebenfalls nachmittags auf. Es entsetzte mich selbst etwas, wie lange ich geschlafen hatte und wie erschöpft ich dementsprechend scheinbar gewesen war. Und dennoch hatte ich wirklich sehr gut geschlafen. So gut, dass ich nun noch mehr Angst hatte, zurück zu gehen. Seltsamerweise hatte ich vergessen, wie gut sich Schlaf anfühlen konnte.

Schnell stand ich auf und reckte mich ausgiebig, um die negativen Gedanken los zu werden. In diesem Moment fiel mir auf, dass ich zugedeckt gewesen war. Und nicht nur das, mein Kopf hatte auch auf einem weichen Kissen gelegen. Meine Augen weiteten sich. Hatte Karma etwa...? Das war so süß von ihm, dass ich mich ziemlich zusammenreißen musste, um mein Fangirlanfall in den Griff zu bekommen. Ganz ruhig, Naomi. Er hatte dich zwar zugedeckt wie in den ganzen Liebesfilmen, aber das hieß noch nichts. Das würden einige machen. Also mach dir keine Hoffnungen.

Und doch schlug mein Herz bei dem Gedanken schneller.

Bis ich auf mein Handy sah.

[19:46] Koko: Hab Mom gesagt, dass du bei einer Freundin bist. Sie hat mit Ai aber gerade genug zu tun

[19:47] Koko: Was läuft da zwischen dir und Akabane?

Ich hatte sie immer noch so eingespeichert...? Das hatte ich glatt vergessen. Damals hatte ich es gemacht, weil ich sie vermisst hatte, bevor ich entschied, dass es besser so war. Ich hatte gerade sie nie verletzen wollen.

Ihre Nachricht erinnerte mich jedoch schlichtweg daran, was mich erwartete, sobald ich wieder zu Hause war.

[12:03] Ich: Danke, ich bin dir etwas schuldig

[12:04] Ich: Nichts. Wir sind nur Klassenkameraden und er wollte mir mit der Katze helfen

Irgendwie hoffte ich, dass sie nicht weiter nachfragte, obwohl ich gleichzeitig das Bedürfnis hatte, mit ihr darüber zu sprechen. Aber ich könnte ihr niemals von meinen Gefühlen für Karma erzählen. Sie kannte selbst nicht einmal die ganze Geschichte und würde meine Gründe auch nicht verstehen.

Ich seufzte und verließ mit meinem Handy in der Hand das Zimmer. Ob Karma mir wohl wenigstens ein T-Shirt leihen würde? Leider hatte ich in meinen Sachen geschlafen, sodass ich mich etwas unwohl in ihnen fühlte.

»Hey, Kar...« Ich stoppte, als ich das Wohnzimmer betrat und die beiden Klassensprecher gemeinsam mit Karma vorfand.

Damit hatte ich absolut nicht gerechnet, doch ich wusste sofort, was los war. Karma hatte sie über meinen Zustand informiert.

»Guten Morgen oder eher Nachmittag«, sagte Isogai freundlich und lächelte mich an.

»H... Hey«, sagte ich, rührte mich jedoch nicht vom Fleck.

Ich sah zu Karma, der einfach gelangweilt die Decke anstarrte. Er sah erst wieder nach unten, als die kleine Katze auf seinen Schoß sprang. Sie war definitiv fitter als gestern, schien jedoch trotzdem noch erschöpft zu sein, da sie es sich auf seinen Beinen gemütlich machte und er anfing sie zu streicheln. Die Glückliche... Ich wurde tatsächlich etwas eifersüchtig.

»Karma hat uns gesagt, dass du hier bist, weshalb wir nach dir sehen wollten«, sagte Kataoka.

Also doch... Er wollte mich los werden. Das war irgendwie klar gewesen. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, doch er sah nicht einmal auf, spürte es aber scheinbar trotzdem.

»Schau mich nicht so an«, sagte er. »Du willst nicht sagen, was los ist, also dachte ich, dass du eher mit den beiden reden würdest.«

»Wir haben uns Sorgen gemacht, weil wir so lange nichts von dir gehört haben«, gestand Isogai etwas nervös. »Du bist weder zum Schulgebäude gekommen, noch hast du auf irgendetwas reagiert, obwohl du in den letzten Wochen mehr Zeit mit uns verbracht hast...«

»Ich war nur wieder krank. Aber jetzt geht es mir schon viel besser«, sagte ich.

»Lüge«, sagte Karma, immer noch mit der Katze spielend. »Ich will nicht wissen, wie lange du nicht geschlafen hast. Du bist gestern innerhalb einer Sekunde eingeschlafen. Erst dachte ich, du wärst tot umgefallen, doch leider habe ich mich zu früh gefreut.«

Ich presste meine Lippen zusammen. Er sagte es in seinem typischen, sarkastischen Ton, doch allein die Thematik... Scheinbar hatte ich mir dieses Mal etwas anmerken lassen, denn Isogai erhob sich, nachdem er Karma wie immer ermahnt hatte.

»Naoko, wir wollen dir nur helfen«, sagte er. »Wenn du irgendwelche Probleme hast, oder dich etwas belastet, dann kannst du uns das sagen. Wir können dir helfen.«

Er hob seine Hand, um sie scheinbar auf meine Schulter zu platzieren, doch ich wich zurück. Es lag nicht an ihn. Ich wollte nur gerade ungern angefasst werden, um nicht daran zu denken. Mein Körper bewegte sich praktisch von allein, bevor ich auch nur den Befehl gab. Schnell versuchte ich es zu überspielen, indem ich mich halb umdrehte, als hätte ich einfach nur gehen wollen, doch so wie Kataoka und Isogai einen Blick miteinander wechselten, hatten sie es bemerkt. Und wahrscheinlich auch falsch interpretiert... Sie dachten, dass ich wieder auf Distanz gehen wollte.

»Wir wollen dir wirklich nichts böses, Naoko«, sagte Kataoka, als sie sich ebenfalls erhob. »Es wäre nur schön... wenn du dich auch als Teil der Klasse sehen würdest.«

Das tat ich. Halbwegs. Etwas. Ich hatte es getan, doch gerade... gerade ging es nicht. Nur konnte ich es ihnen nicht erklären.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich wollte niemandem irgendwelche Umstände oder Sorgen bereiten. Es war die letzten Tage nur einfach sehr stressig.«

Isogai musterte mich kurz, bevor er nickte. »Wenn du reden möchtest und bereit dafür bist, kannst du uns jederzeit kontaktieren.«

Ich nickte, da ich wusste, dass sie sonst nicht gehen würden und kurz darauf verabschiedeten sich die beiden sichtlich enttäuscht. Es war einfach besser so. Dieses Problem war keins, das man einfach teilen konnte. Noch dazu schämte ich mich dafür zu sehr. Meine Familie war zwar zerrüttet und definitiv nicht normal, doch... Ich war mir sogar sicher, dass es nach hinten los gehen würde. Irgendwie würde man mir die Schuld geben. Mein Vater würde mich in der Hinsicht auch nicht verschonen. Ob er sowas überhaupt über seinen eigenen Bruder hören wollte? Nein. Egal, wie ich es drehte und wendete, ich hatte keine Optionen. Ich musste es irgendwie selbst lösen. Wenn ich irgendwie an den Schlüssel kam, könnte ich nachts abschließen... Dann könnte er mir nichts mehr tun und das Problem wäre gelöst.

Ein Schlag gegen meinen Kopf riss mich aus meinen Gedanken. Düster sah ich Karma hinterher, der einfach an mir vorbei und in die Küche lief.

»Umsonst war die Nacht nicht«, sagte er. »An den Herd, Hausmädchen.«

Irgendwie musste ich lächeln. Langsam machte ich mir wirklich Sorgen um seine Wirkung auf mich.

Ich folgte ihm. »Du scheinst meine Kochkünste zu sehr zu mögen.«

»Das kann ich nicht leugnen«, sagte er seufzend und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Wobei ich mich wirklich frage, warum du eigentlich so gut darin bist. Du könntest glatt Karriere darin machen.«

Ich war froh, dass ich ihm den Rücken zugekehrt hatte, um die Zutaten in seinem Kühlschrank zu inspizieren. So konnte er nicht sehen, wie ich mein Gesicht verzog.

»Viel Übung«, sagte ich.

Übung mit sehr klaren Konsequenzen. Aber zumindest wurde ich dadurch wirklich besser. So gut, dass selbst Karma es zugeben musste. Da lohnte sich wirklich jede Bestrafung. Ich wandte mich wieder zu ihm um, nur um zu bemerken, dass er mich ausdruckslos ansah.

»Ehm... was soll ich für dich kochen?«, fragte ich etwas unsicher. Ich konnte seinen Blick absolut nicht deuten.

Er brauchte genau drei Sekunden, um zu reagieren. »Ich darf mir etwas wünschen?«

»Jep. Ich koche alles, was du willst... solange du die Zutaten auch hier hast.«

»Und was ist, wenn ich ein Gericht will, von dem die Zutaten nicht hier sind?«

Wieso hörte sich diese Frage gepaart mit seinem typischen Lächeln wie eine Herausforderung an?

»Dann gehe ich los und besorge sie«, sagte ich.

Karmas Lächeln wurde auf einmal normaler - es hatte zumindest nicht mehr diese freche, herausfordernde Note. Er schloss die Augen und seufzte.

»Mach einfach dein Curry«, sagte er und stand auf. Er trat neben mich und öffnete einen Schrank. »Hier. Benutz das hier.«

Verwirrt nahm ich den Glasbehälter entgegen. Es war ein Gewürz, und der Farbe und dem Kontext der Unterhaltung nach zu urteilen, musste es Currypulver sein. Ich öffnete den Behälter, um das Aroma besser zu erfassen.

»Das ist... nicht das Gewürz vom letzten Mal. Kommt es aus dem Ausland?«, fragte ich.

»Du hast es bemerkt, nicht schlecht«, sagte Karma tatsächlich anerkennend. »Das kommt aus Indien und ist ziemlich gut. Ich benutze es selbst gern.«

Damit setzte er sich wieder, hatte jedoch jetzt mein Interesse geweckt. Das war das perfekte Gesprächsthema.

»Heißt das, du kochst auch?«, wollte ich wissen, während ich anfing die Zutaten herauszuholen. Er hatte sich ein zeitaufwendiges Gericht ausgesucht, aber das war gut. Das hieß, dass ich mich beschäftigen konnte und länger Zeit hatte, um nach einer Lösung zu suchen.

»Ich bevorzuge selbstgekochte Mahlzeiten«, antwortete er. Okay... das war doch sehr überraschend. »Aber das ist viel zu viel Arbeit, deshalb bestelle ich lieber oder mach etwas schnelles.«

»Ja, das sieht dir ähnlich. Genau das habe ich erwartet«, sagte ich mit einem Schweißtropfen auf der Stirn.

»Kochst du denn oft?«, wollte er wissen.

Es interessierte ihn... Naomi, reiß dich zusammen. Es ist nur eine ganz normale Frage, die eigentlich negative Gefühle in dir auslösen sollte. Aber das tat sie nicht. Und ich wusste, dass ich es Karma zu verdanken hatte, auch wenn er es selbst nicht wusste. Ohne ihn, wäre ich jetzt ein emotionales Wrack.
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Die Frage, vor der ich mich am meisten fürchtete, kam schneller als ich befürchtet hatte. Es war direkt nach dem Essen, als ich gerade dabei war den Tisch abzuräumen, um das schmutzige Geschirr zu spülen.

»Und, wann haust du ab?«

Ich erstarrte praktisch in der Bewegung, die schmutzigen Teller immer noch in den Händen haltend. Karma hatte sich zurückgelehnt und schien zufrieden. Er hatte sich tatsächlich auch eine zweite Portion genommen. Ob er überhaupt gefrühstückt hatte? Ich schüttelte den Kopf und versuchte meine Gedanken etwas zu ordnen. Bis jetzt hatte ich den Gedanken, was mein weiterer Plan sein würde, vermieden. Ich hatte keinen. Ich wusste einfach nicht, wie ich das Problem lösen sollte. Das einzige, das ich wusste, war, dass wenn ich nach Hause ging, es wirklich schlimm für mich enden würde. Er wurde immer selbstbewusster, seine Berührungen dauerten immer länger an und er wurde immer grober. Ich wusste einfach nicht...

»Naoko?«, riss mich Karma ungeduldig aus meinen Gedanken. »Ernsthaft, worüber denkst du schon wieder so lange nach?«

»Über gar nichts«, sagte ich schnell und wandte mich um. Ohne ein Wort zu sagen, fing ich an alles zu spülen. Wie ich Karma kannte, würde er dies selbst nicht tun. Also konnte ich es auch gleich übernehmen.

»Du ha...«

Erschrocken drehte ich mich um, als Karmas Stimme direkt hinter mir ertönte und ich seine Präsenz spürte. Dabei erschrak ich fast zum zweiten Mal, als ich bemerkte, dass er mir ziemlich nah war und zu allem Überfluss rutschte mir dabei der Teller, den ich gerade noch gespült hatte, aus der Hand. Er zerbrach krachend neben uns und die Scherben verteilten sich in der ganzen Küche. Zugegeben, ich traute mich erst nicht, mich zu rühren. Ich blickte nur auf das Disaster, das ich verursacht hatte. Aber auch Karma sagte zunächst nichts, als wäre er selbst sprachlos. Es verging fast eine ganze Minute, bevor er die Stille unterbrach.

»Was zur Hölle ist los mit dir?«, fuhr er mich wütend an.

Ich sah immer noch nicht auf. Vielleicht wäre es besser einfach zu gehen. Ich machte ihm nicht nur Umstände, sondern beschädigte jetzt auch noch sein Eigentum. Aber ich wusste um ehrlich zu sein sonst nichts mit mir anzufangen, oder wohin ich sollte. In diesem Moment bereute ich es irgendwie, dass ich nicht wenigstens eine Freundin oder einen Freund hatte, zu dem ich gehen konnte. Eine Person, die mir hier weiterhelfen konnte. Ich war wirklich unfassbar überfordert, doch versuchte alles, um mich irgendwie von diesen Gefühlen abzulenken. Gleichzeitig wollte ich niemanden mit diesem Problem irgendwie... belasten. Sie würden mir sowieso nicht helfen können. Wenn meine Familie und noch schlimmer, wenn mein Vater davon erfuhr, wäre mein Leben so gut wie zu Ende. Dabei wollte ich die letzten...

»Naoko!«

Ich zuckte leicht zusammen, als ich Karmas sehr verärgerte Stimme hörte. Okay, okay, ich musste die Situation irgendwie beschwichtigen, ansonsten hatte ich absolut keine Chance ihn davon zu überzeugen, mich eine weitere Nacht hier bleiben zu lassen. Auch wenn es falsch war, solange ich keine Lösung hatte, sollte ich nicht zurück gehen. Wenn ich zurück ging... irgendwie war ich mir sicher, dass es nicht lange dauern würde... Ich presste meine Lippen zusammen, als ich spürte, wie Tränen in meinen Augen aufstiegen. Okay, ich musste ruhig bleiben. Aufräumen würde mich bestimmt ablenken.

»Hast du deine Zunge verschluckt?«, fragte Karma. Er hatte nun endgültig die Geduld verloren und im nächsten Moment ergriff er mein Kinn ziemlich unsanft und zwang mich ihn anzusehen. Dann stoppte er und ließ mich fast sofort los, als hätte er sich verbrannt.

»Tut mir leid«, murmelte ich schuldbewusst. »Das wollte ich wirklich nicht.«

»Deshalb brauchst du doch nicht gleich flennen«, sagte er und schnaubte. Die Verärgerung war fast vollends aus seiner Stimme gewichen, doch sonderlich verständnisvoll klang er auch nicht.

»Ich... habe nicht geflennt«, sagte ich.

»Du siehst aber so aus, als würdest du es jeden Moment tun.«

Ich erwiderte nichts darauf, sondern bückte mich, um die großen Scherben erst einmal aufzusammeln. Doch kaum hatte ich dies getan, ergriff Karma mein Handgelenk und zog mich wieder hoch.

»Vergiss es, ich mach das«, sagte er klar.

»Aber ich habe doch...«

»Bei deiner Unachtsamkeit momentan, wirst du dich schneiden und das will ich nicht.«

Oh, das war doch irgendwie süß. Ich musste leicht lächeln. »Danke, Karma...«

»Bei meinem Glück blutest du mir hier alles voll und dann müsste ich noch viel mehr sauber machen. Also übernehme ich es lieber gleich selbst.«

... Wieso hatte ich auch nur ansatzweise etwas anderes angenommen? Ich seufzte und verzog mich aus der Küche, wohl darauf bedacht auf keine Scherbe zu treten. Im Wohnzimmer setzte ich mich erst einmal auf das Sofa und schloss die Augen. Diesen ruhigen Moment konnte ich nutzen, um mir einen Schlachtplan zu überlegen. Eine Lösung für diese Situation. Eine Lösung, die keine Nachteile mit sich brachte.

Und genau dann wurde mir wieder bewusst, dass ich wirklich niemanden hatte.

Der einzige, der sich wahrscheinlich wirklich um mich sorgen würde und mir vielleicht helfen könnte, war Koro-Sensei. Doch wie sollte ich es ihm sagen? Und vor allem was? Ich schämte mich tatsächlich viel zu sehr und gleichzeitig war da die Angst, dass er es doch meinem Vater erzählen könnte, um seiner Pflicht als Lehrer den Eltern gegenüber nachzukommen. Das wäre so typisch für ihn... Außerdem konnte er sich ja auch nicht zeigen... und der offizielle Klassenlehrer der 3E war Karasuma... und diesem wollte ich es erst recht nicht sagen. Er würde es meinem Vater sagen und konnte gleichzeitig nichts dagegen machen. Mein Vater würde mir entweder nicht glauben, oder er würde mir glauben, mir gleichzeitig die Schuld dafür geben und mich mitbestrafen. Wie oft war ich heute auf genau dieses Ergebnis gekommen?

Okay... ich war wirklich... es war wirklich hoffnungslos... Ich konnte da heute nicht zurück.

»Worüber denkst du die ganze Zeit so intensiv nach?« Karma kam aus der Küche und kratzte sich am Hinterkopf. Er war definitiv immer noch genervt von mir.

»Ehm... eh... wie ich es vermeiden kann nach Hause zu gehen?«, sagte ich und sah ihn hoffnungsvoll an.

Er runzelte die Stirn. »Falls du indirekt fragst, ob du hier bleiben kannst, kannst du es gleich vergessen.«

»Ach, komm schon! Du hast meine Familie doch erlebt. Sie sind privat sogar noch schlimmer«, sagte ich.

Doch er schüttelte nur den Kopf und wandte sich um. »Renn vor deinen Problemen nicht weg. Früher oder später musst du sowieso zurück.«

Er hatte keine Ahnung... Mir blieb bei diesem Problem wirklich nichts anderes übrig, als davon weg zu rennen.

»Bitte«, sagte ich, stand auf und folgte ihm. »Bitte, Karma. Nur noch ein Tag.«

»Du willst mir ja noch nicht einmal sagen, was mit dir los ist.«

»Ich bin verzweifelt.«

»Das merke ich.«

Ich hielt ihn an der Schulter fest, damit er stehen blieb und sich endlich zu mir umdrehte. Vielleicht hatte er doch ein Herz, wenn er meine Verzweiflung wirklich bemerkte.

»Ich mache wirklich alles was du willst«, sagte ich und sah ihn ernst an. Denn ich meinte es ernst. Alles war besser als nach Hause zu gehen, wo mich etwas Schreckliches erwarten könnte.

Ein unheilvolles Lächeln breitete sich auf Karmas Gesicht aus und er beugte sich leicht zu mir runter. »Wirklich alles? Bist du dir da sicher?«

Ich kannte ihn. Ich kannte seine Spielchen und ich hatte schon seine Forderungen kennengelernt. Aber ich war auch bereit darauf einzugehen. Also nickte ich entschlossen. Sein Lächeln wurde breiter und nahm schon fast teuflische Züge an. Ehe ich mich versah hatte er mich gegen die Wand gedrückt und sich unheilvoll grinsend über mich gebeugt. Seine Arme rechts und links von mir sollten mir wohl den Fluchtweg abschneiden, aber ich hatte keinen Grund vor ihm zu flüchten.

»Und was ist, wenn ich von dir verlange dich auszuziehen?«, flüsterte Karma anzüglich.

......

Er meinte es noch nicht einmal ernst. Das merkte ich ihm sofort an.

»Akabane, hast du die Nummer mit dem Badetuch bereits vergessen? Du solltest wissen, dass ich damit kein Problem habe«, antwortete ich unberührt.

Mir fiel es überraschend leicht ruhig zu bleiben. Natürlich war es etwas anderes, aber ich wollte ihn nur daran erinnern, dass ich dieses Spiel schon mal gewonnen hatte. Er konnte mich damit nicht in Verlegenheit bringen und sollte mich in diesem Punkt wirklich nicht herausfordern.

»Und wenn ich dieses Mal von dir verlange mit mir zu schlafen?«, fragte er in demselben Ton, ebenfalls komplett unberührt. »Würdest du wirklich alles tun?«

Er meinte auch das nicht ernst. Die Tatsache, dass er dies als zweites nannte, zeigte mir, dass er wirklich nur versuchte mich in Verlegenheit zu bringen. Wenn ich jedoch nein sagte, hatte ich bereits verloren. Karma würde mich nicht hier bleiben lassen. Er hätte dann gewonnen. Aber wenn ich es einfach bejahte, würde er es mir auch nicht abkaufen. Ich musste anders kontern. So beugte ich mich leicht nach vorn, um ihm ebenfalls etwas ins Ohr zu flüstern.

»Also, wenn du etwas zum Verhüten da hast...«

Er bewegte sich nicht, reagierte aber auch nicht auf meine Worte. Wir verharrten einfach nur in dieser Position. Ich wollte gern in sein Gesicht schauen, doch dann würde ich mich als erstes bewegen und er würde bemerken, dass ich bluffte. Schließlich entfernte Karma sich von mir, rieb sich kurz die Augen und lief weiter.

»Du kannst hier bleiben, aber morgen verschwindest du!«, rief er über seine Schulter. »Und verdammt, hab mehr Selbstachtung. Dein Verhalten ist besorgniserregend.«

Wusste ich es doch... Ein Schweißtropfen bildete sich auf meiner Stirn. Hoffentlich hatte er das nicht wirklich ernst genommen. Aber ich hatte damit zumindest mein Ziel erreicht. Ich durfte noch eine weitere Nacht bleiben. Ich war für eine weitere Nacht sicher.

An diesem Abend konnte ich nicht sofort einschlafen. Ich grübelte die ganze Zeit, wie ich es schaffen könnte, dass dieser Mann mich in Ruhe ließ. Doch als ich auch nach zwei Stunden keine Lösung gefunden hatte, beobachtete ich stattdessen Karma. Er saß in seinem Bett und spielte mit einer tragbaren Spielkonsole. Ob er das jeden Abend machte? Wie wohl sein Tagesablauf sonst so war...? Ich wusste immer noch nicht, wo seine Eltern waren. Es war, als lebte Karma allein. Er musste also sehr viel Freiheit haben. Wahrscheinlich war auch das der Grund dafür, wieso er das machte, was ihm gefiel. Ich beneidete ihn so sehr dafür.

Keine Ahnung wie lange ich ihn beobachtete, bis ich endlich eingeschlafen war. In der ganzen Zeit hatte er jedoch nicht einmal zu mir geschaut.
.

Ich öffnete leicht die Augen, als ich die Tür aufgehen hörte. Ein Gewicht drückte meine Matratze nach unten, doch ich konnte mich nicht regen. Ich konnte mich wirklich absolut gar nicht bewegen. Eine Hand strich mir über den Arm, bevor sich ein kalter Arm um mich schlang und mich nach hinten drückte.
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Erschrocken setzte ich mich auf und schlug meine Augen auf. Doch das war keine gute Idee. Denn während ich versuchte zu Atem zu kommen, fing meine Welt an sich zu drehen und meine Sicht verschwamm. Daher kniff ich meine Augen zusammen, aber leider half es nicht gegen die Übelkeit.

»Hattest du etwa einen Alb...« Karmas vergnügte Stimme stoppte, als ich aufsprang und aus dem Zimmer stürzte.

Ich schaffte es zum Glück noch ins Badezimmer, bevor ich mich über die Toilette beugte und mich erbrach. Zitternd blieb ich in dieser Position, da die Übelkeit trotzdem noch nicht verschwunden war. Wie erwartet musste ich mich erneut übergeben. Danach war ich mir jedoch sicher, dass mein Magen nun vollständig geleert war. Mit zittrigen Beinen stand ich auf, betätigte die Toilettenspülung und bemerkte erst dann, dass jemand meine Haare nach hinten hielt. Verdutzt sah ich über meine Schulter, nur um zu sehen, dass es Karma war, der mich mit einem ausdruckslosen Blick musterte. Wann genau war er mir gefolgt?

Hah, super. Ich hatte mich gerade vor meinem Schwarm übergeben. Er ließ meine Haare wieder los und wandte sich zum Waschbecken.

»Hier«, sagte er, öffnete eine Schublade und reichte mir eine Zahnbürste, die immer noch in ihrer Verpackung steckte. »Zahnpasta liegt da. Putz dir die Zähne, dann wirst du den Geschmack los.«

Er sagte es so, als wäre es ein ganz normaler Routineschritt. Als wäre die Tatsache, dass ich mich übergeben musste, das normalste auf der Welt. Ich würde wahrscheinlich nie erfahren, was eigentlich in seinem Kopf vor sich ging. Dennoch war ich ihm dankbar, als ich meine Zähne putzen konnte. Ich hasste es, mich zu übergeben. Leider passierte das nicht gerade selten, doch es war noch nie wegen eines Albtraums gewesen. Erleichtert wusch ich mir noch am Ende das Gesicht, um etwas wacher zu werden. Wie lange hatte ich überhaupt geschlafen? Wie spät war es? Draußen war es noch stockdunkel, aber Karma schien noch wach gewesen zu sein.

»Danke für... für deine Hilfe«, sagte ich an ihn gerichtet.

Er stand immer noch in der Tür und lehnte am Türrahmen, jedoch sah er gelangweilt an die Decke.

»Du wirst mir immer noch nicht sagen, was du hast, oder?«, meinte er desinteressiert.

Er gab sich ja nicht einmal Mühe, damit ich es ihm erzählte... Aber das war auch gut, denn ich wollte weder darüber sprechen, noch es irgendjemandem erzählen.

»Lass uns schlafen gehen. Es...« Eigentlich wollte ich an Karma vorbei, doch er versperrte mir mit seinem Arm den Weg.

Wenn er den Grund nicht einmal wirklich wissen wollte, wieso ließ er es dann nicht einfach sein? Stattdessen beugte er sich vor, sodass sein Gesicht wenige Zentimeter von meinem entfernt war und starrte mich für einige Sekunden schweigend an. Ich erwiderte seinen Blick ebenfalls, ohne etwas zu sagen. Er war mir so oder so ein Rätsel, also wusste ich nicht mal, was ich sagen sollte.

»Bist du schwanger?«, fragte er ernst.

Ich starrte ihn wahrscheinlich eine halbe Minute lang an. In der Zeit debattierte ich, ob ich ruhig bleiben, ihm eine Ohrfeige geben oder ihn direkt eine verpassen sollte. Der Kerl meinte es auch noch ernst. Als ob die einzigen Optionen, warum es mir schlecht gehen könnte, meine Familie oder eine mögliche Schwangerschaft waren.

»Das bin ich nicht, du Pfosten!«, fauchte ich ihn an, stieß ihn aus dem Weg und ging an ihn vorbei zurück in sein Zimmer.

Ich wusste selbst, dass dies nicht besonders nett war, doch ich konnte mich gerade wirklich nicht mit ihm auseinandersetzen. Bis jetzt hatte ich keine Lösung gefunden, ich versuchte durchgehend gleichzeitig nicht daran zu denken, was passiert war, dauernd musste ich anderen versichern, dass alles in Ordnung war, da ich sonst noch mehr Schwierigkeiten bekommen würde, jetzt hatte ich sogar einen Albtraum deshalb und hatte mich übergeben müssen. Es wurde scheinbar immer schlimmer. Da waren Karmas Kommentare wirklich nicht hilfreich.

»Es war eine berechtigte Frage«, meinte dieser und folgte mir entspannt. »Denn wenn du nicht schwanger bist, dann bist du einfach nur schwach.«

Vor dem Sofa blieb ich stehen. Eigentlich hatte ich mich sofort wieder hinlegen wollen, aber bei seinem blöden Kommentar konnte ich es nicht mehr. Ich drehte mich zu ihm um und funkelte ihn wütend an.

»Schwach?«, wiederholte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

Karma blieb vor der Tür stehen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Er sah sogar diese Unterhaltung als Spiel. Diese Provokation, obwohl er keine Ahnung hatte...

»Ja, schwach. Wenn du dich ernsthaft wegen ein paar Familienproblemen so gehen lässt, dann wirst du später in der richtigen Welt untergehen.«

»Wegen ein paar Familienproblemen?«, schnaubte ich. »Es sind nicht ein paar Probleme!«

»Also liegt es doch an deiner Familie«, sagte Karma und seufzte. »Ich wusste es. Und deshalb veranstaltest du so ein Drama?«

Ich presste meine Lippen zusammen. Okay, ruhig bleiben, Naomi. Er will dich nur provozieren und ärgern.

»Ich veranstalte kein...« Meine Stimme brach ab. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und versuchte mich kurz wieder zu sammeln.

»Doch machst du, Dramaqueen«, fuhr Karma einfach fort und lächelte genüsslich.

»Ich... ich...« Warum bekam ich kein Wort heraus? Warum fühlte es sich so an, als würde ich sofort die Fassung verlieren, wenn ich den Mund öffnete?

»Aww, hat es dir zum ersten Mal die Sprache verschlagen«, sagte er, kam zwei Schritte auf mich zu und tippte mir gegen die Stirn. »Mal was ganz neues. Unsere Eiskönigin scheint ihre Gefühle nicht im Griff zu haben.«

Ich schlug seine Hand weg, was ihn nur lachen ließ. Wütend schloss ich die Augen und ballte meine Hände zu Fäusten. Ruhig bleiben. Verlier jetzt nicht die Fassung. Sammel dich und antworte ganz ruhig.

»Versuch dich doch zur Abwechslung mal zu verteidigen. Morgen gehst du zurück nach Hause und stellst dich deinen Problemen«, sagte Karma zufrieden, als würde er einem kleinen Kind einen Ratschlag geben.

Doch ich schüttelte den Kopf. Wenn ich mich ihnen stellte... »Das... das... geht nicht.«

Sehr gut. Ein halbwegs normaler Satz. Aber als ich meine Augen leicht öffnete, bemerkte ich, dass die Tränen in ihnen aufstiegen. Ich wusste nicht, wer mir das Gefühl gab, ob es Karma oder die Situation war, doch ich fühlte mich so machtlos. Und er tat so, als ob die Lösung eigentlich absolut leicht wäre.

»Das geht. Hier bleibst du nämlich nicht mehr«, sagte Karma und seufzte erneut. »Versuch deine Familie mal zu ignorieren. Wenn sie was von dir wollen, dann tu es einfach nicht.«

»Das geht nicht...«

»Doch das geht.«

»Karma, du verstehst es nicht«, fing ich an, doch er unterbrach mich, während er an mir vorbei lief.

»Du willst es mir ja nicht mal erklären«, sagte er. »Also warum sollte ich es verstehen? In meinen Augen übertreibst du und verhälst dich genauso verschlossen wie vorher auch.«

Ich drehte mich nicht sofort zu ihm um. Stattdessen versuchte ich mich noch einmal zu sammeln. Seine Worte nervten mich und mittlerweile wusste ich nicht einmal, ob er mich wirklich nur provozieren wollte oder ob er sie wirklich so meinte.

»H... hör zu...«, setzte ich wieder an und versuchte meine Worte mit Bedacht zu wählen, nur damit er mich direkt erneut unterbrach.

»Keine Lust«, sagte er, schnappte sich seine Spielkonsole wieder und ließ sich auf sein Bett nieder. »Verschwinde einfach morgen. Dann habe ich zumindest Ruhe. Vielleicht nimmt dich ja jemand anderes auf. Frag doch mal Terasaka.«

»Was soll jetzt schon wieder dieser Spruch?!« Okay, ich konnte wirklich nicht mehr ruhig bleiben, was ihn sichtlich zu amüsieren schien.

»Ich meine es ernst«, meinte Karma abwinkend. »Er scheint dich zumindest als einziger zu mögen, Eiskönigin.«

»Hör auf mich so zu nennen«, sagte ich säuerlich. »Ich... Mir ist bewusst, dass... ich nicht...«

Ich brach ab. Mir war bewusst, dass ich wirklich keine einzige Bezugsperson hatte. Terasaka mochte mich ja nicht einmal, das hatte er jetzt schon ein paar Mal gezeigt. Verdammt, warum versuchte Karma mich meine Hilflosigkeit in jedem Punkt spüren zu lassen?

»Dann solltest du vielleicht auftauen«, meinte er und grinste mich an. »Wenn dich Leute fragen, was mit dir los ist, dann kannst du zur Abwechslung mal ehrlich sein. Aber du bist so oder so widersprüchlich.«

Mittlerweile hatte ich das Gefühl, dass es wirklich nicht mehr nur bloße Provokation war. Er war genervt, wahrscheinlich auch sauer, weil ich ihn mit meiner Anwesenheit so nervte, ohne überhaupt einen Grund dafür zu nennen. Ich versaute ihm wahrscheinlich die Sommerferien, doch... wieso konnte und wollte ich trotzdem nicht gehen? Meine Angst war deutlich größer. Gestresst fuhr ich mir durch die Haare.

»Ich weiß... nicht...«, murmelte ich schließlich. »Es ist nicht leicht...«

»Doch ist es.«

»Nein, ist es nicht...«

»So wirst du dich Personen nie annähern«, meinte er und seufzte. »Wenn du es mir also nicht sagen möchtest, dann lass mich jetzt in Ruhe. Ich bin gerade wirklich beschäftigt.«

Er wandte sich wieder ganz seinem Spiel zu, während ich immer noch mitten im Raum stehen blieb. So würde ich mich Personen nie annähern? Was genau meinte er damit? Was hatte das damit zu tun? An sich hatte ich mich niemandem annähern wollen, was ich jetzt etwas bereute...

Es war das erste Mal, dass ich aus einer Situation raus wollte und es nicht schaffte.

Nein... Nein, das konnte nicht sein. Ich brauchte einfach mehr Zeit. Mir würde schon eine Lösung einfallen, wenn ich etwas mehr Zeit hatte.

»Karma, könnte ich nicht doch einen Tag...?«, fing ich an, doch er unterbrach mich fast sofort mit einem scharfen Ton.

»Ich habe Nein gesagt. Wenn du mich weiterhin so nervst, kannst du jetzt direkt gehen.«

Ich sah ihn düster an. »Du würdest mich also mitten in der Nacht rausschmeißen?«

»Ja. Also sei still.«

»Kriegst du das überhaupt hin?«, fragte ich. Meine Aussage war nicht besonders schlau, doch ich wollte mir auch nicht alles einfach so gefallen lassen.

Karma schien zu erstarren. Jedenfalls bewegten sich seine Daumen nicht mehr und nach einigen Sekunden drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Er legte die Spielkonsole zur Seite, stand auf und kam auf mich zu. Direkt vor mir blieb er stehen und beugte sich leicht herunter, sodass er mir direkt ins Gesicht schauen konnte.

»Willst du mich wirklich herausfordern, Naoko?«, fragte er langsam.

Ich biss mir auf die Unterlippe, die leicht anfing zu beben. Das wollte ich tatsächlich nicht. Es fehlte mir noch, dass er mich sogar vorher rausschmiss. Ich hatte jedoch keine Ahnung, wie ich ihn davon überzeugen sollte, dass ich hier bleiben durfte. Nein, dass ich hier bleiben musste. Doch bevor ich etwas sagen konnte, stieß er mich grob zurück.

»Na, komm schon«, sagte er, wobei er nicht einmal lächelte. »Wenn du mich besiegst, überlege ich es mir vielleicht.«

»Ich... habe gerade nicht...«, wollte ich sagen, doch wurde im nächsten Moment wieder geschubst.

»Na, los, Naoko. Du wolltest mich doch provozieren.«

Das sagte der richtige... Ich konnte es nicht fassen. Wieso war er nur so.... so... nervig...? Er war doch derjenige, der die ganze Zeit provozierte, während ich versuchte nicht die Fassung zu verlieren. Es fiel mir immer schwerer.

»Du lässt dich viel zu schnell provozieren«, sagte ich, nur um wieder nach hinten gestoßen zu werden.

»War das nicht dein Ziel?«, fragte er herausfordernd. »Na, komm schon, Naoko. Du hast doch etwas drauf. Was würdest du machen, wenn ich versuche dich jetzt rauszuwerfen? Würdest du dich überhaupt wehren?«

»Ich... nein, es ist ja...« Ein weiterer Stoß sorgte dafür, dass ich meinen Satz erneut nicht beenden konnte. Ich konnte es echt nicht glauben. Dieser Typ war so... frustrierend...

»Wieso nicht?«, sagte er. »Sag mir, Naoko, wieso wehrst du dich nicht? Wieso akzeptierst du es einfach?«

Und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass er nicht über den möglichen Rauswurf sprach. Er wollte mir die Augen über meine Situation öffnen, aber dabei kannte er sie nicht einmal und das machte mich so wütend. So stieß ich seine Hand weg, als er mich erneut schubsen wollte.

»Ich akzeptiere es nicht einfach!«, fuhr ich ihn an. »Aber einige Sachen kann ich nicht ändern. Auch wenn ich es versuche. Nicht jeder hat die Freiheit und die Optionen, die du hast, Akabane! Du weißt nichts über mich.«

»Und was weißt du über mich?«, fragte er. »Ich weiß auf jeden Fall, dass du dich wie ein Feigling bei mir vor deinen Problemen versteckst und statt Hilfe anzunehmen, bereitest du allen mehr Arbeit und Sorgen.«

»Message angekommen. Und dann wunderst du dich, warum ich eure Hilfe nicht annehme!«

»Diese Message ist nur entstanden, weil du die Hilfe eben nicht annimmst!«, rief Karma nun wütend. »Du kapierst es einfach nicht, Naomi! Ich reagiere auf dein Verhalten! Ich habe sogar die anderen kontaktiert, weil ich dachte, dass du zumindest mit ihnen reden würdest.«

»ICH HABE DICH ABER NICHT DARUM GEBETEN!«

»DANN WUNDERE DICH NICHT, WENN WIR WIEDER KEINE LUST AUF DEIN VERHALTEN HABEN!«

Seine Aussage traf mich leider härter als erwartet. Ich wusste auch wieso. Diese Situation hatte mir bereits gezeigt, dass ich wenigstens einige Bezugspersonen brauchte. Aber eben deshalb schien ich sie sogar noch mehr zu vergraulen. Ich presste meine Lippen zusammen, während Karma mich einfach nur wütend anfunkelte. Mittlerweile hatte ich wirklich gar keine Kraft und Energie mehr. Angestrengt rieb ich mir die Augen. Und was jetzt? Hier bleiben konnte ich auch nicht mehr und gleichzeitig fühlte ich mich gerade so unfassbar dreckig.

»Ich geh schon«, murmelte ich leise. Ich konnte ihm nicht einmal in die Augen schauen, weshalb ich auf seine Brust starrte. Mir war das gerade plötzlich so unangenehm. Karma hatte mir schließlich bereits geholfen. Er hatte mir einfach gesagt, dass ich mitkommen dürfte und jetzt schrie ich ihn an, weil er schlicht wollte, dass ich ging, da er meine Situation auch nicht kannte? Ich kam mir so dämlich vor. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass mein Verhalten keine Lösung war.

Ich würde vermutlich auch keine richtige Lösung finden, wenn ich die Situation auch nicht zuließ. Vielleicht wusste ich dann, was zu tun war. Nur... Dieses Mal konnte ich es nicht unterdrücken. Die Tränen stiegen mir in die Augen und liefen mein Gesicht herunter. Doch ich blieb so gut es ging ruhig.

»Meinetwegen kannst du auch erst morgen gehen«, sagte Karma seufzend. Ich konnte seine Mimik nicht sehen, doch ich war mir sicher, dass er genervt dreinblickte. »Sonst werde ich mir vom Oktopus etwas anhören müssen und darauf habe ich gar keine Lust.«

»Okay... danke«, sagte ich leise und nickte einmal. Doch als er Anstalten machte sich wegzudrehen, ergriff ich sein T-Shirt, um ihn aufzuhalten. Etwas musste ich nämlich noch in Ordnung bringen. Ich wollte nicht, dass er glaubte, dass ich seine Hilfe nicht schätzte.

»Was ist?«, fragte er.

»Danke... Danke für deine Hilfe«, murmelte ich. Er erwiderte darauf nichts, aber er bewegte sich auch nicht. Ich konnte seinen Blick schon fast auf mir spüren, auch wenn ich immer noch seine Brust anstarrte. Ich würde die Situation schon irgendwie lösen, ohne ihm weiter zur Last zu fallen. Und doch wollte ich, dass er meine Dankbarkeit spürte und auch wie Leid mir mein Verhalten eigentlich tat. Wenn ich aber ehrlich war, so war das, was ich als nächstes machte, für mich selbst notwendig. Ich wollte mich damit auch selbst beruhigen. So schlang ich meine Arme um Karmas Mitte und umarmte ihn einfach. »Und... es tut mir wirklich leid.«

Okay, ich machte es hauptsächlich für mich selbst. Ich hatte schon so lange das Bedürfnis gehabt ihn zu umarmen und das war vielleicht meine einzige Chance, besonders, wenn er mich ab jetzt hassen sollte. Wie erwartet spannte sich Karma an, statt die Umarmung zu erwidern, doch das war okay. Wenigstens stieß er mich nicht zurück, auch nicht, als ich mein Gesicht in seiner Schulter vergrub. Damit wollte ich mich beruhigen und obwohl das Gefühl in meinem Bauch sehr angenehm war, funktionierte es nicht so gut wie erhofft. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich es gerade wirklich brauchte. Vielleicht lag es auch nicht nur an meinen Gefühlen für ihn, sondern auch einfach daran, dass ich nun wirklich verstanden hatte, wie einsam ich eigentlich war.

»Naomi, weinst du gerade?« Ich erschrak etwas, als ich seine Stimme direkt neben meinem Ohr spürte. Er hatte seinen Kopf herunter gebeugt, sodass er mir so angenehm nahe war.

»N... Nein...« Verflucht sei meine brüchige Stimme, die sogar mich überraschte. Ich hatte meine Gefühle selbst nicht bemerkt, doch als ich sie hörte, schienen sie plötzlich auf mich einzubrechen. Daher presste ich meine Lippen zusammen. Ich wollte keinen verräterischen Ton von mir geben. Wieso hatte ich vorher nicht diese Panik gespürt, die mich jetzt auf einmal ergriff? Wieso kam alles jetzt? War es, weil ich wusste, dass ich es nicht vermeiden konnte?

Meine Augen weiteten sich, als ich spürte, wie Karma zögerlich seine Arme um mich legte. Seine Umarmung war nicht besonders fest und wirkte tatsächlich etwas unbeholfen, als wäre er sich selbst nicht einmal sicher, was er machen sollte. Und doch war ich wirklich glücklich darüber, so glücklich, dass ich mich für einen Moment komplett entspannte und mir versehentlich ein lauter Schluchzer entglitt.

»Ich wollte dich eigentlich nicht zum Weinen bringen«, sagte Karma mit einem leisen Seufzen. »Du bist so nervig. Aber wir... mögen dich trotzdem... irgendwie. Was ich damit sagen will ist, dass du Hilfe annehmen kannst. Du musst nicht immer so stolz sein.«

Ein freudloses Lachen entkam mir. »Es... i... ist nicht mein Stolz, der m... mir im Weg steht, Karma«, brachte ich hervor, bevor ich mir notgedrungen die Tränen mit dem Ärmel abwischte. Dennoch ließ er mich nicht los und so vergrub ich mein Gesicht wieder in seiner Schulter.

Wieso genau fühlte ich mich eigentlich so sicher bei ihm? Er war nicht gerade nett gewesen. Seine Arme waren nicht einmal wirklich fest um mich geschlungen und mein Kopf war nicht so vernebelt, wie er sonst immer war, wenn ich Karma näher kam. Was genau war es also gerade für eine Wirkung, die er auf mich hatte?

»Was ist es dann?«, fragte er. Zu meiner Überraschung strich er mir über meinen Hinterkopf und gerade so konnte ich einen verräterischen Laut unterdrücken. Ob er das mit Absicht machte? Ob er wusste, dass diese Handlungen meine Defensive erheblich schwächten?

»Ich habe... Angst...«, gestand ich ohne darüber nachzudenken.

Vielleicht bemerkte er spätestens jetzt, dass sein jetziges Verhalten meine Hemmungen erheblich senkte sowie beeinflusste. Auf jeden Fall wiederholte er seine Geste nämlich nochmal.

»Warum?« Seine Stimme klang anders als sonst. Der neckende Ton in ihr war vollends verschwunden.

Gleichzeitig sorgte seine Nähe nochmal dafür, dass ich nicht klar denken konnte. Tatsächlich vergaß ich meine Bedenken sogar. Ich vergaß, dass Karma nicht gerade sehr warm und freundlich mit mir umging. Ich vergaß, dass ich eigentlich den Mund halten sollte. Aber es lag nicht nur an ihm. Meine Gefühle in diesem Moment waren mir fremd und gleichzeitig wirklich unerträglich, sodass der nächste Satz einfach über meine Lippen kam, bevor ich es aufhalten konnte.

»Er... er kommt jede Nacht in mein Zimmer, Karma.«

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