31. Gala

Hey!

I don't wanna say much. Momentan bin ich nicht nur in Arbeit eingedeckt, sondern auch in Verpflichtungen, Prüfungen und zwischenmenschlichen Dramen. Ich sitze sogar gerade vor meinen Notizen für die Pädagogische Psychologie Prüfung (funny enough, einige der Inhalte treffen viel zu sehr zu) and my head hurts.

Anyways, sobald die Prüfungsphase zu Ende ist, wird es wie gewohnt und so gut wie möglich weiter gehen (weil ich dann als Lehrkraft in einer Schule tätig bin und gleichzeitig meine Hausarbeiten habe. Would anyone like to switch with me?).

Viel Spaß beim Lesen!
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Seufzend lehnte ich mich an das Geländer, während ich auf die bunten Lichter Tokyos blickte und der Wind über meine nackten Arme wehte. Es war kalt, doch eine Jacke hätte ich unmöglich mitnehmen dürfen. Schließlich würde sowas nicht zu meinem schwarzen Kleid passen. Das wiederum würde keinen guten Eindruck bei den gehobenen Gästen auf dieser Gala machen. Mein Vater wäre dann sehr enttäuscht und das wollte ich absolut vermeiden. Genauso wie ich eigentlich Rey am liebsten meiden wollte, der jedoch lässig neben mir stand, wobei sein Rücken am Geländer lehnte, sodass er die Menschen, die hinter mir in der Halle waren, beobachten konnte.

Er hatte mich relativ am Anfang entdeckt und klebte seitdem an mir. Leider hatte ich Raiko irgendwann verloren und so musste ich es mit ihm allein aushalten. Das wäre nicht allzu schlimm, wenn ich bloß wüsste, was ich ihn auf seinen Aussagen hin antworten sollte...

Oder, was genau er wollte...

Bei Karma fiel es mir seltsamerweise nicht einmal halb so schwer wie bei ihm.

»Ich frag mich ernsthaft, wieso diese Personen dauernd ihre kleinen Monster mitbringen müssen«, meinte Rey irgendwann und brach damit das eigentlich angenehme Schweigen.

Angenehm, weil es mich nicht überforderte.

»Monster?«, wiederholte ich und sah über meine Schulter, nur um zu sehen, dass er gerade eine Gruppe Kinder, unter ihnen auch Ai, beobachtete, die sich lachend gegenseitig jagten.

»Sag bloß, du magst Kinder?«, sagte er und sah mich an.

»Nicht wirklich.«

»Sehr gut.«

Ich nickte, weil ich nicht wusste, was ich sonst darauf erwidern konnte und sah wieder nach vorn. Die Aussicht war wirklich schön, sodass ich mich maßgeblich entspannte.

»Woher haben diese Typen bloß ihre Anzüge?«, sagte Rey. »Die schmeicheln ihnen ja gar nicht.«

Ein Schweißtropfen bildete sich auf meiner Stirn. Ich hatte nicht darauf geachtet, deshalb wusste ich wieder nicht, was ich dazu sagen sollte. Nur sein Anzug war mir aufgefallen, da er schon fast perfekt erschien. Der war definitiv maßgeschneidert angefertigt worden und teuer gewesen.

»Solange sie sich wohl fühlen, ist es doch egal«, erwiderte ich mit gesenkter Stimme.

Rey seufzte lang. »Und der Kerl da? Hast du seine Frisur gesehen? Damit kann man sich kaum wohlfühlen.«

Ich sah nicht einmal hin. »Es ist doch egal, was die anderen über einen denken, Ichiba. Wichtig ist, dass du glücklich und zufrieden bist. Ob es um Kleidung oder einer Frisur geht oder um dich selbst... und dementsprechend sollte es dir auch egal sein, was die anderen machen. Leben und leben lassen. Ihm gefällt seine Frisur, also müssen wir es nicht kommentieren.«

Eine Stille trat ein. Ich traute mich nicht, ihn anzuschauen. Tatsächlich wusste ich nicht, ob meine Aussage so klug gewesen war. Ich hatte nicht bedacht, ob er vielleicht darüber sauer werden könnte und ich wollte meinem Vater keine Probleme mit einem Geschäftspartner machen.

Doch zu meinem Glück drehte sich Rey entspannt um und lehnte sich ebenfalls so an das Geländer, dass er ebenfalls über Tokyo schauen konnte. Er wirkte nicht verärgert, sondern musterte mich kurz nachdenklich.

»Dafür, dass du so hübsch bist, scheinst du trotzdem was im Kopf zu haben«, meinte er.

Gerade so schaffte ich es, nicht die Augen zu verdrehen. Tolle Aussage. Das machte ihn ja glatt noch sympathischer. »Seit wann schließt das eine das andere aus?«

»Hast du dich mal mit den anderen hier unterhalten?«, fragte er spöttisch. »Die haben nichts im Kopf und die meisten sind verdammt oberflächlich.«

»Du doch auch«, rutschte es mir raus, bevor ich es verhindern konnte.

Doch überraschenderweise war er wieder nicht sauer. »Nicht in jedem Punkt. Aber das wirst du noch bemerken.«

»Wie genau darf ich das verstehen?«

»Sag bloß dein Vater hat dir noch nicht gesagt, dass er und mein Vater wollen, dass wir Zeit miteinander verbringen? Das steht schon lange fest. Dies wird von uns erwartet.«

Ich presste meine Lippen kurz zusammen. »Das weiß ich.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Rey lächelte. Er beugte sich leicht zu mir herunter.

»Du kannst dich glücklich schätzen. Normalerweise verschwende ich meine Zeit nicht mit anderen.«

»Ist das so?«

»Ja. Ich bin sehr beschäftigt. Bald gründe ich mein eigenes Unternehmen. Self-made ist immer noch besser als alles von seinen Eltern zu erben.«

»Stimmt schon«, murmelte ich. Ich wusste nicht mal, ob ich im Erbe meines Vaters erwähnt wurde. Aber ich bezweiflte es stark. Das bekümmerte mich nur auf einer emotionalen und nicht auf einer materiellen Ebene...

»Ich kann es nicht ab, wenn man mit dem Geld seiner Eltern protzt. Die da drin haben doch keine Ahnung, was richtige Arbeit ist. Mein Studium ist sehr hart und doch würde ich mich niemals beschweren. Zwar habe ich dadurch keine Zeit für Hobbies und Freunde und so weiter, aber das ist auch gut so. Es ist besser, wenn man sich nicht von seinen Emotionen und Bedürfnissen ablenken lässt. Nur so kann man wirklich erfolgreich werden.«

»Wenn du sie ganz unterdrückst, ist es auch nicht richtig«, erwiderte ich, obwohl ich eigentlich die letzte war, die in diesem Punkt Ratschläge geben durfte. Aber ich wollte einfach nicht, dass jemand meine Denkweise verinnerlichte. Meine Situation war anders. Ich war es meinem Vater schuldig.

»Nicht, wenn sie von vornherein einfach falsch sind. Sie würden mir nur mehr Probleme bringen«, sagte Rey.

Ich öffnete den Mund, um ihn zu antworten, doch stoppte, als mein Blick nach unten fiel. Von hier aus konnte man den Parkplatz sehen und wie es aussah, liefen dort meine Tante, mein Onkel und Raiko. Das war mir besonders aufgrund von Raikos glitzerndem Paillettenkleid aufgefallen. Mein Onkel schien etwas zu tragen, das heftig strampelte. Ich konnte mir schon denken, was es war, doch ich hörte keinen Ton und kein Kreischen, weshalb ich mir sicher war, dass er Ai den Mund zu hielt.

Oh, nein... Ich drehte mich entsetzt um. Die Gala schien normal ihren Gang zu nehmen. Nichts deutete daraufhin, dass sie irgendwie unterbrochen worden war... Das war gut... Oder? Was zur Hölle war passiert? Ich hatte kein Kreischen gehört, aber freiwillig würde meine Tante nicht einfach verschwinden. Ais Bewegungen deuteten auch daraufhin, dass sie einen ihrer Wutanfälle hatte.

»Ich glaube, deine Familie ist gerade ohne dich losgefahren«, meinte Rey amüsiert. »Wenn du älter bist und ein Auto hast, wird dir sowas nicht mehr passieren. Siehst du den weißen Jeep da? Der gehört mir. Ist eigentlich nicht der Rede wert. Irgendwann hol ich mir ein Lamborghini.«

Ich erwiderte nichts auf seine Aussage, besonders, weil ich feststellen musste, dass die vier wirklich ohne mich weggefahren waren. Na, super... Ich würde mir defintiv ein Taxi rufen müssen...

»Naomi.«

Bei dem Klang der Stimme meines Vaters, drehte ich mich sofort um und sah ihn erwartungsvoll an. Er rieb sich gerade die Schläfe, bevor er seinen strengen Blick auf mich richtete.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich, um meine Bereitschaft zu signalisieren.

Er schnaubte. »Dieses widerliche, fette Tier wurde mit einem Haufen Desserts unter dem Tisch von einer Kellnerin erwischt. Der Anblick war wirklich widerwertig. Eine Erleichterung, dass es keiner bemerkt hat. Zumindest scheinst du jedoch deine Würde bewahrt zu haben.«

Ich nickte sofort, obwohl ich nicht wusste, was er damit meinte. Seine Augen wanderten zu Rey, den er kurz musterte.

»Sir, ich kann Ihre Tochter nach Hause fahren, wenn Sie mir die Erlaubnis geben würden. Es wäre mir eine Ehre«, sagte Rey ziemlich höflich und verbeugte sich.

Der Typ wurde defintiv auch von seinem Vater streng und richtig erzogen. Das bemerkte man sofort und auch mein Vater schien zufrieden, denn er nickte leider zu meinem Pech.

Dabei wäre es mir sehr viel lieber, wenn ich einfach ein Taxi nehmen könnte...
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»Ich bin Einzelkind, musst du wissen. Das heißt zwar, dass man alles bekommt, was man will, aber sich auch dauernd beweisen muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Meine Eltern waren immer sehr beschäftigt und hatten unfassbar hohe Ansprüche. Das war nicht leicht, doch ich habe sie auch niemals enttäuscht. Ich bewahre ihr Ansehen und erfülle meine Pflichten als Sohn. Mein Vater hat mir sogar mal gesagt, dass er froh ist mich zu haben, da ich kaum rebelliere. Es gibt in unseren Kreisen so viele Horrorstories dahingegen. Ihr Mädchen wiederum habt es leicht. Ihr müsst nur hübsch lächeln, heiratet reich und müsst euren sozialen Status kaum bewahren. Wahrscheinlich sind sie deshalb alle so oberflächlich. Gott, ich kann sie nicht ausstehen. Du zumindest scheinst in Ordnung zu sein, doch diese Tus...«

»Hast du jemals mit ihnen gesprochen?«, platzte es schließlich doch aus mir heraus, und ich richtete mich im Beifahrersitz seines Jeeps auf, um ihn besser anzuschauen.

Wir fuhren seit fast einer halben Stunde und in dieser hatte er mir praktisch einen Vortrag über sein Leben gehalten. Er hatte nicht einmal eine Pause gemacht oder mich zu Wort kommen lassen, geschweige denn gefragt, wie bei mir die Dinge liefen. Irgendetwas, das irgendwie Interesse an mir als Person signalisiert hätte. Das war zwar in Ordnung für mich, doch ich konnte es nicht leiden, wenn er so viele einfach vorverurteilte oder so über andere Mädchen sprach. Selbst, wenn ich sie nicht kannte und er mich im Vergleich zu ihnen zu loben schien. Ich konnte es wirklich nicht leiden.

»Das brauche ich nicht. Ich weiß, wie sie ticken«, erwiderte Rey etwas angespannt.

»Hast du dich bei mir nicht auch anscheinend getäuscht?«

»Ich sagte, du bist in Ordnung. Auch, weil es von mir erwartet wird.«

»Wow. Aber es stimmt schon. Du weißt im Grunde nichts über mich.«

»Ich weiß alles, glaub mir.«

Das nervte mich nun noch mehr. Düster sah ich ihn an, wählte jedoch meine Worte trotzdem mit Bedacht. Zwar wollte ich ihn am liebsten ziemlich unfreundlich darauf aufmerksam machen, dass er mich absolut nicht kannte oder einschätzen konnte, doch die Wünsche meines Vaters stoppten mich dabei.

»Und was genau weißt du?«, fragte ich.

Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu und sah dann wieder auf die Straße.

»Du bist unsicher, freundlich, unbeholfen und nicht oberflächlich.«

»War das alles?«

Rey zuckte mit den Schultern. »Und du hast hohe medizinische Kosten und benötigst eine Nierentransplantation.«

Ich schwieg.

Ich schwieg, nicht, weil es mir nahe ging, dass er es so offen aussprach, sondern, weil ich entsetzt darüber war, dass er dies ernsthaft wusste. Kaum jemand wusste es. Es waren vielleicht eine handvoll Personen, die ich wirklich persönlich kannte und die Kenntnis darüber hatten. Unter anderen natürlich mein Vater und Kenta sowie mein Onkel und meine Tante.

Und jetzt wusste es Rey ebenfalls? Rey, ein für mich absolut Fremder? Wieso...? Woher?

»Woher weißt du das?«, fragte ich schließlich, nun nicht mehr so selbstbewusst.

»Es kam in den Verhandlungen unserer Väter zur Sprache. Ernsthaft, du solltest dich mehr über ihr Business informieren, falls du jemals in den Bereich einsteigen willst.«

Ich ging auf seine Bemerkung erneut nicht ein. »Welche Verhandlungen?«

»Unsere Zusammenführung?«, sagte Rey stirnrunzelnd. »Wieso glaubst du, wollen sie, dass wir Zeit miteinander verbringen?«

Ab diesen Punkt schien mein Blut in meinen Körper zu gefrieren. Ich wusste nicht, was ich sagen oder erwidern sollte, obwohl mir tausend Gedanken durch den Kopf schossen. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Diese Aufgabe, die mir erteilt wurde, war nicht freundschaftlicher Natur, wie ich es naiverweise angenommen hatte. Sie wollten eine Beziehung arrangieren. Das war in unseren Kreisen nicht mal so unüblich, da es zukünftige Kooperationen erleichterte...

Doch...

Mein Vater sollte wissen, dass diese Kooperation nicht einmal lange halten würde... Oder hatte er genau deshalb dieser Zusammenführung zugestimmt? Hatte er dies bedacht? Die kurzfristigen Vorteile, die er erhalten würde, ohne sich langfristig zu binden...?

Ein Stein lag mir im Magen, als hätte ich irgendetwas Schweres gegessen und plötzlich war mein Kopf wie leer gefegt.

Ich hatte keine Ahnung, was ich darüber denken oder fühlen sollte. Ich wusste nur, dass es mir in vielen Punkten nicht gefiel...

»Mein Dad fand dich schon immer ziemlich hübsch«, fuhr Rey fort. »Deshalb denkt er, dass wir gut zusammenpassen würden.«

Zumindest wusste ich, wie ich darüber dachte, dass sein Vater trotz meines jungen Alters scheinbar mein Aussehen bewertete... Doch ich wusste immer noch nicht, was ich zu der ganzen Situation sagen sollte... Ich wollte gerade am liebsten ganz woanders sein. Nicht hier, nicht zu Hause, nicht einmal in Japan. Einfach nur ganz weit weg von allen.

»Was... denkst du darüber?«, fragte ich, in der Hoffnung, dass er mir irgendeinen Richtwert gab. Eine Orientierung in diesem Labyrinth meiner aufgewühlten Gefühle.

»Ich kann es akzeptieren«, sagte er gleichgültig. »Mein Typ bist du zwar nicht, aber immerhin bist du hübsch. Du bist nicht fett, hast ein gepflegtes Äußeres und bist nicht nervtötend.«

Das half mir absolut nicht... Er wurde mir dadurch einfach nur unsympathischer.

Oh, shit... Moment... Mein Vater wollte ernsthaft, dass ich mit diesem Kerl ausging?!

Komischerweise war ich froh, dass mich nun das Gefühl der Wut überkam. Es wäre beunruhigend gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre. Zwar hatte ich mich damit abgefunden, dass aus Karma und mir nichts werden würde sowie konnte - nicht nur, weil er mich nicht leiden konnte - doch ich weigerte mich, mich in eine Beziehung mit einem Kerl, den ich nicht mal kannte, zwingen zu lassen.

Jedenfalls wollte ich mich weigern, aber bereits in der nächsten Sekunde realisierte ich, dass ich es nicht konnte...

Ich konnte mich wirklich nicht dagegen wehren. Was zur Hölle sollte ich jetzt machen?

»Wir sind da«, sagte Rey neben mir und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass wir mein Haus erreicht hatten, das er kritisch beäugte. »Ziemlich klein. Ich habe mehr erwartet.«

Ich schnaubte und löste den Anschnallgurt. »Mein Vater wohnt hier nicht. Sein Apartment ist wesentlich luxuriöser.«

Rey antwortete nicht, sondern musterte mich stattdessen, während ich das Auto in der Einfahrt betrachtete. Sie waren also wirklich ohne mich einfach nach Hause gefahren und defintiv noch wach, da das Licht brannte. Ob es ihnen aufgefallen war? Seufzend griff ich nach meiner Handtasche und wollte dann die Tür öffnen, um auszusteigen. Doch Reys Hand, die er auf meinem Oberarm platzierte, ließ mich innehalten. Fragend sah ich wieder in seine Richtung, was sich bereits im nächsten Moment als Fehler entpuppte, da er seine Lippen plötzlich auf meine presste.

Erst war ich schockiert und überrumpelt, doch ich fasste mich schneller wieder als erwartet. Ohne darüber nachzudenken holte ich mit der Hand aus und verpasste ihm eine, sodass er sofort von mir abließ.

Dieses Mal kontrollierte ich meine Mimik nicht. Im Gegenteil. Ich erwiderte seinen verdatterten Blick mit einem sehr wütenden. So wich auch sein Ausdruck und er sah mich schon fast empört an.

»Was zur Hölle sollte das?!«, fragte er.

»Genau das könnte ich dich fragen!«, rief ich laut. »Was fällt dir eigentlich ein?«

»Was denn?!«

»DU KANNST NIEMANDEN EINFACH SO KÜSSEN! NICHT... nicht so, verdammt! Wir kennen uns nicht und...«

»Falls du es immer noch nicht kapiert hast, Prinzessin, das wird von uns erwartet«, zischte Rey.

»Das heißt nicht, dass du mir ohne meine Erlaubnis näher kommen darfst! Hat dir eigentlich jemals jemand gesagt, dass du verdammt nochmal Rücksicht auf die andere Person nehmen musst?«

»Was für Rücksicht?!«

Ungläubig sah ich ihn an und hob belehrend meinen Finger. Er schien wirklich ehrlich unwissend zu sein... Das war... besorgniserregend...

»Du bist nicht der einzige mit Gefühlen, Wünschen und Erwartungen. Du musst auf die Emotionen der anderen Rücksicht nehmen«, erklärte ich ihn geladen. »Du bist so ich-bezogen, dass du es scheinbar nicht einmal kapierst! Fast den ganzen Tag hast du nur über dich gesprochen, dich über andere aufgeregt und nicht einmal irgendwie Interesse an irgendjemand anderen geäußert. Und jetzt zeigst du nochmal, wie absolut egal dir die Gefühle anderer sind, indem du so tust, als wäre es meine Pflicht dich zu küssen! Du hast nicht einmal auf Signale geachtet, wie unwohl ich mich bei dir eigentlich fühle. Merkst du eigentlich irgendetwas außerhalb deiner Bubble?«

Er sah mich weiterhin überrumpelt an und schien kurz um Worte zu ringen.

»Bubble?«, sagte er schließlich langsam und sorgte dafür, dass ich endgültig keine Lust mehr auf seine Gesellschaft hatte.

Ich öffnete die Autotür, stieg aus und schlug sie wütend hinter mir zu. Auf dem Weg zum Eingang meines Hauses, kramte ich meine Schlüssel heraus und schloss diesen dann anschließend auf, Reys Ruf komplett ignorierend. Die Haustür konnte ich leider nicht zuschlagen, weil ich keine Lust auf den Stress mit den anderen Hausbewohnern hatte, doch eine Welle der Erleichterung überkam mich, als ich auch diese Barriere zwischen mir und diesem Typen hatte.

Gefolgt von einem unglaublich schlechten Gewissen...

Oh, shit... Ich hatte nicht nachgedacht... Hoffentlich erfuhr mein Vater nichts davon...

Eine unglaubliche Niedergeschlagenheit legte sich über mir. Ich hatte gerade wahrscheinlich unglaublichen Mist gebaut und das nur, weil ich... dies nicht wollte. Das würde meinen Vater aber wenig interessieren... Ich war defintiv erledigt.

Erschöpft stieg ich die Treppe hoch. Ich brauchte Ruhe, wusste aber bereits, dass ich sie nicht bekommen würde. Nicht zuletzt, weil ich Ais Heulen und Schreien bereits auf halbem Wege hörte. Sie bekam defintiv gerade ein Zwangsbad mit einigen nicht so netten Bemerkungen und Beschimpfungen. Ihr weißes Kleid lag vor der Tür. Jedenfalls war es ehemals weiß gewesen, denn es schien übersät mit dem Schokopudding, den es auf der Gala gegeben hatte, zu sein. Jetzt konnte ich mir jedenfalls halbwegs vorstellen, in welchem Zustand man sie erwischt hatte und wieso die vier so schnell abgehauen waren. Doch es war mir gerade egal. Auch, als meine Tante sie als "dreckiges, fettes Schwein" bezeichnete. Ich ging einfach in mein Zimmer und schloss die Tür.

Auch wenn es das Gestreite nur dämpfte.

Ohne mich umzuziehen, ließ ich mich auf mein Bett fallen. Mein Gesicht vergrub ich in mein Kissen und am liebsten hätte ich geschrien. Aus Frust, aus Niedergeschlagenheit, aus Wut... aus Trauer...

Ich fühlte gerade viel zu viele Emotionen.

War es normal, dass ich dies gerade fühlte? Ich wusste nicht, wieso mich der Kuss gerade so sehr kränkte. Es war dementsprechend nicht nur die Angst vor den möglichen Konsequenzen...

In solchen Momenten wünschte ich mir nicht allein zu sein. Hätte ich eine richtige Freundin, würde ich diese anrufen. Vielleicht würde sie mir helfen, oder mich aufmuntern, oder sich mit mir zumindest zusammen über Rey ärgern. Doch ich hatte niemanden.

Ich hatte wirklich niemanden...
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[15:21] Karma: Online-Schach?

[16:04] Karma: Na los, sei nicht so feige :P

[18:32] Karma: Hast du etwa die ganze Nacht auf dieser Gala verbracht und schläfst deshalb gerade? Oder hast du dich von irgendeinem verzweifelten Kerl abschleppen lassen? Nicht, dass unsere Koro-Sensei eifersüchtig wird.

Es war diese letzte Bemerkung, die am nächsten Tag dafür sorgte, dass ich mich aus meinem Selbstmitleid löste und mein Handy ergriff. Ich lag zusammengerollt in meinem Bett und hatte vor auch weiterhin in dieser Position zu verharren. Selbst die Bemerkung, dass das Essen fertig sei, hatte ich ignoriert, wobei ich mir sicher war, dass mich sowieso niemand vermisste.

Ich war niedergeschlagen und konnte mir nicht einmal genau erklären, was mit mir los war. Nicht einmal Karmas Nachrichten lösten in mir dieses gewöhnte, schöne, warme Gefühl sowie meine pubertierende Aufregung aus...

Aber zu meiner Erleichterung schaffte er es zumindest mich zu nerven...

[18:37] Ich: Im Gegensatz zu dir, habe ich meine Hormone im Griff, Akabane.

Zufrieden legte ich mein Handy auf meine Brust und starrte an die Decke. Eins musste ich Karma aber lassen, er hatte noch nie eine Grenze überschritten. Auch wenn er scheinbar nur an solchen Aktivitäten mit mir interessiert war... Er schien immer stumm nach Erlaubnis zu fragen, bevor er diese ausführte...

Wie konnte sogar jemand wie Karma rücksichtsvoller als dieser verdammte Kerl sein, den mein Vater scheinbar für mich ausgesucht hatte?!

[18:39] Karma: Sag bloß du bist wegen meiner Bemerkung am Freitag eifersüchtig :P

[18:40] Karma: Ich kann dich beruhigen, ich habe gestern den ganzen Tag allein Videospiele gespielt. Dafür bist du mir etwas schuldig

[18:41] Ich: Was für eine Erleichterung. Danke, Karma. Ich fühle mich jetzt so viel besser. Die Ungewissheit hat mir jeden Schlaf und jegliche Lebensfreude geraubt. Jetzt kann ich in Ruhe sterben. Würdest du mir dabei behilflich sein?

[18:42] Karma: Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?

[18:42] Ich: Keine Laus. Ein Typ. Ein verdammter Typ, der mich gestern einfach so geküsst hat. Einfach so. Ohne zu fragen. Falls du mich jetzt entschuldigen würdest, werde ich nun weiter allein vor Wut vor mir hin schäumen

Genervt legte ich mein Handy weg. Ich hatte keine Ahnung, warum ich es Karma erzählt hatte. Es war wahrscheinlich mein starkes Bedürfnis darüber zu sprechen, doch gerade vor ihm machte ich mich dadurch angreifbar...

Er könnte mich mit seiner Antwort verletzen... Oder mich damit verletzen, dass er nicht antwortete. Und genau das war der Fall...

Karma antwortete nicht mehr auf meine Nachricht...

Dass ich ihm eigentlich egal war, war mir bewusst gewesen. Dennoch schmerzte es, dass ich ihm wirklich so egal war. Oder übertrieb ich mit meiner Reaktion einfach nur und im Grunde war es wirklich nicht schlimm...?
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In der Schule hatte ich mich endlich halbwegs wieder eingekriegt. Zwar war ich immer noch betrübt, doch hauptsächlich, weil ich nun wusste, dass mein Vater mich praktisch vermarktet hatte. Er bestimmte bereits über jeden Aspekt meines Lebens und scheinbar nun auch über diesen. Der einzige Trost war, dass ich zumindest nicht lange dieser Situation ausgesetzt sein würde. Auch, wenn ich nicht wusste, wie lange...

Ich saß auf meinem Platz und wartete auf den Unterricht. Heute würden wir die Prüfungsergebnisse bekommen. Die Aufregung deshalb verdrängte zumindest mein Unbehagen über meine momentane Situation.

Ein Pieksen in meine Seite ließ mich entsetzt zusammenfahren und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Düster dreinblickend drehte ich mich zu Karma um, der mich süffisant angrinste. Ich wusste bereits, was er sagen würde, in dem Moment, als er seinen Mund öffnete.

»Upps. Mein Fehler. Ich hab nicht gesehen, wo ich hinpiekse.«

Ich verdrehte die Augen. Was genau ihn der Satz brachte, wusste ich nicht. Jedoch wusste ich, dass er mich zumindest damit ärgern wollte.

Ohne etwas darauf zu erwidern, drehte ich mich wieder nach vorn um. Dabei entdeckte ich Nakamura, die scheinbar gerade Terasaka auf die Nerven ging. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Irgendwie erinnerte sie mich in der Hinsicht an Karma. Sie liebte es ebenfalls Personen zu ärgern. Ob sie sich deshalb so gut verstanden? Ob Karma mich mehr mögen würde, wenn ich auch so wäre?

»Ach, komm«, sagte er spielerisch hinter mir. »Schäumst du etwa immer noch vor Wut?«

Mir gefiel es nicht. Mir gefiel es nicht, dass er damit umging, als wäre es etwas lustiges, worüber man Witze machen könnte. Also drehte ich mich um und sah ihn verständnislos an.

»Das findest du ernsthaft lustig?«, fragte ich ungläubig.

Sein Grinsen wurde breiter. »Der einzige, der mir hier leid tut, ist der Kerl.«

Kurz presste ich meine Lippen zusammen. Ich konnte es nicht fassen.

»Wirklich? Ist das dein Ernst, Akabane?«

Er zuckte mit den Schultern. »Klar. Ich bin mir sicher, dass du ihm danach eine gewaltige Lektion erteilt hast.«

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn jedoch wieder, als mir nichts einfiel. Daher sah ich ihn einfach nur fragend an. Seufzend lehnte sich Karma nach vorn, sodass er mir näher war.

»Du hast doch etwas drauf. Es muss leicht für dich gewesen sein, ihn zu verletzen und dich selbst zu verteidigen«, meinte er, nun eine Spur ernster.

Ich schnaubte. »Und das macht seine Handlung weniger schlimm?«, fragte ich zweifelnd. »Nur damit du es weißt, ich hab ihn nicht wirklich verletzt, sondern ihn nur zum Aufhören gebracht.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte ich mich wieder nach vorn und so sah ich nicht, dass er mich nun mit einem ungläubigen Blick betrachtete.

»Moment, wieso nicht?«, fragte er eine Spur lauter als notwendig, was uns ein paar fragende Blicke einbrachte.

Ich ließ mich davon nicht beirren.

»Gründe.«

Mehr sagte ich nicht. Und auch Karma erwiderte nichts darauf. Dennoch spürte ich ganz deutlich seinen bohrenden Blick in meinem Hinterkopf.

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