3. Kyoto
Sooo,
Mit einer kleinen Verspätung geht es nun weiter. Leider kam mir heute unglaublich viel dazwischen, and it's all the fault of the person who decided to smash his car into mine. Ich mag Papierkram nicht... T_T.
An dieser Stelle möchte ich mich auch für das hohe Interesse an der Geschichte bedanken <3. I mentioned it once, but I will do it again and again and again and now I will go eat cause with all the work going on, I forgot to do that...
Viel Spaß beim Lesen! :'D
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Es gab zwei Dinge in meinem Leben, vor denen ich Angst hatte und obwohl es zwei unterschiedliche Dinge waren, waren sie doch miteinander verbunden.
Die erste Sache war die Dunkelheit.
Die zweite war die Enttäuschung meines Vaters.
Wie sie miteinander verbunden waren?
Indem die erste Sache als Konsequenz für die zweite genutzt wurde. Ich wusste nicht, ob er sich noch an die endlosen Nächte erinnerte, in denen ich zu ihm und meiner Mutter ins Bett gekrochen war, weil ich mich vor der Dunkelheit gefürchtet hatte. Es wäre logisch, denn irgendwann hatte er angefangen diese Schwäche gegen mich zu verwenden. Und sie war sehr effektiv. Manchmal hockte ich in dem kleinen, dunklen Raum für einige Stunden, bis er das Haus wieder verlassen hatte und mein Onkel meine zitternde Gestalt raus ließ. Mittlerweile hatte es sich fast schon als Begrüßungsritual etabliert, dass ich relativ schnell dort drin landete. Doch ich war selbst schuld, da ich diejenige war, die fehlerhaft war. So war es absolut verständlich, dass ich aufgrund der Prüfungsergebnisse nach einer schellenden Ohrfeige wieder an diesen Umerziehungsort landete.
Mein Vater, ein großgewachsener, schlanker Mann mit einem unglaublich autoritären Blick, trug stets ganz geschäftsmäßig einen Anzug und sorgte dafür, dass absolut jeder vor ihm Respekt hatte, auch seine Angestellten und die Mitglieder in unserem Dojo, den er bei seinen Besuchen mit benutzte. Ich war mir sicher, dass sogar mein Onkel Angst vor ihm hatte, denn er widersprach ihm kaum. Oder aber, es lag daran, dass mein Vater alles allein geerbt hatte, und sein Bruder deshalb mitsamt seiner Familie abhängig von ihm war. Ich wusste es nicht. Was ich aber wusste, war, dass man keine Angst vor meinem Vater haben musste, auch wenn er streng war. Man hatte schlichtweg selbst Schuld und sollte deshalb Fehler vermeiden. Damit enttäuschte man ihn nur. Deshalb sollte man nicht überrascht sein, wenn man für seine eigenen Unzulänglichkeiten bestraft wurde.
Im Grunde sollten wir ihm alle dankbar sein. Er finanzierte und tat so vieles für uns alle.
Also durfte ich ihn nicht enttäuschen.
Unbewusst ballte ich meine Hände zu Fäusten und starrte auf meinen Tisch. Die Tatsache, dass ich meinen Dad definitiv enttäuscht hatte, lag mir immer noch schwer im Magen und seine Enttäuschung war absolut berechtigt gewesen. Das durfte nicht nochmal geschehen.
»Hey, Naoko!«
Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken, aber nur, weil eine dazugehörige Hand vor meinem Gesicht herumgewedelt wurde. Blinzelnd sah ich auf und entdeckte unsere braunhaarige Klassensprecherin vor mir, Kataoka Megu. Sie sah mich leicht ungeduldig an, weshalb ich erst einmal den Kopf schüttelte, um meine Gedanken zu ordnen.
»Verzeihung, hast du etwas gesagt?«, fragte ich und versuchte dabei desinteressiert zu klingen. Ich sollte mich auf etwas anderes konzentrieren, aber irgendwie war ich doch neugierig, da die meisten mich eigentlich in Ruhe ließen.
»Deine Gruppe«, sagte Kataoka. »Hast du schon eine Gruppe für unsere Klassenfahrt nach Kyoto?«
Die Klassenfahrt hatte ich komplett vergessen. Ich hatte defintiv keinen Kopf für sowas, aber leider musste ich mit. Es war mir etwas unangenehm, da ich nicht einmal wusste mit wem ich eine Gruppe bilden sollte. Wer war halbwegs erträglich dafür?
»Nein«, antwortete ich ehrlich.
Kataoka seufzte. »Soll ich dich einfach einer zuteilen?«
Ich wusste nicht, ob sie mein Dilemma erkannte oder einfach wusste, dass ich zu unfähig sein würde eine eigene Gruppe zu finden. Auf jeden Fall war ich ihr insgeheim dankbar, als ich nickte. Sie lächelte mich leicht an, bevor sie sich umdrehte und zu den nächsten Personen ging. Dass sie sich um alles kümmern und es organisieren musste, hatte ich nicht gewusst... Aber das musste wahrscheinlich ziemlich nervig sein...
Kopfschüttelnd griff ich nach meiner Bentobox und holte sie heraus. Vor dem Sportunterricht wollte ich unbedingt noch etwas essen...
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»Ihr freut euch wahrscheinlich auf die Klassenfahrt, aber ihr dürft nicht vergessen, dass ihr gleichzeitig auf einer äußerst wichtigen Mission seid«, meinte Karasuma-Sensei zu uns, während wir alle nach dem Sportunterricht in unserer Sportkleidung vor ihm hockten.
Einige sahen ein wenig enttäuscht aus. Für sie war der Ausflug wahrscheinlich sowas wie ein verdienter Urlaub nach den Prüfungen. Dabei hatten sie nicht einmal sonderlich gute Ergebnisse gehabt, weshalb ich innerlich schnaubte. Wenn sie Urlaub wollten, sollten sie sich mehr anstrengen. Verdient hatten sie es bis jetzt noch nicht.
»Sollen wir dort auch weitere Anschläge auf ihn verüben?«, fragte Okano.
»Ganz genau. Kyoto ist deutlich größer, komplexer und komplizierter. Ihr werdet also mehr Möglichkeiten haben. Die Zielperson wird sich nach euch richten, also sucht eine Position aus, wo man einen Scharfschützen gut platzieren kann. Dafür hat die Regierung einen Profi engagiert, der bei erfolgreicher Durchführung einen Anteil vom Kopfgeld bekommen wird«, erklärte unser Sportlehrer. »Also wählt bitte eine gute Route, die für einen Anschlag geeignet ist. Durch diese Zusammenarbeit, könntet ihr es schaffen.«
»Okay«, sagten meine Klassenkameraden synchron und lustlos.
Ich lächelte leicht und richtete meinen Kopf gen Boden. Dachten sie wirklich, dass Koro-Sensei sich so einfach von einem Scharfschützen erledigen lassen würde? Scheinbar waren sie einfach sehr verzweifelt... Anders könnte ich mir so einen schlechten Plan nicht erklären. Er hatte bereits mehrmals bewiesen, zu was er fähig war... Er hatte ernsthaft Mal eine Rakete der Luftwaffe mit zum Unterricht gebracht...
Es klingelte und wir erhoben uns alle. Am liebsten würde ich direkt duschen, aber sowas gab es für uns E-Klässler leider nicht... Selbst die Umkleide war in meinen Augen eher ein hölzerner Besenschrank, den ich jetzt ansteuerte.
»Naoko!«, rief Kataoka, weshalb ich überrascht stehen blieb. Sie beeilte sich, um aufzuholen und blieb neben mir stehen.
»Was gibt's?«, fragte ich, obwohl ich mir denken konnte, was sie wollte. Ansonsten würde sie nicht mit mir sprechen.
»Wir haben dich jetzt in Terasakas Gruppe eingeteilt«, sagte sie. Obwohl ich innerlich gerade heftig zusammenzuckte, ließ ich mir äußerlich nichts anmerken. Dennoch lächelte sie mich entschuldigend an. »Entschuldige, es war die einzige, die noch einen freien Platz hatte.«
»Kein Problem. Danke für deine Bemühungen.«
Ihr war deutlich anzusehen, dass meine Reaktion sie überraschte. Für mich war das Thema damit aber zu Ende. Terasaka und seine Holzköpfe waren absolut nicht angenehm. Schlimmer hätte es mich nicht treffen können, aber sie konnte nichts dafür. Ich war diejenige, die sonst keine Gruppe hätte...
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Am Tag des Ausflugs ging alles drunter und drüber. Erst einmal warteten wir darauf bis alle - eigentlich nur unsere blonde Lehrerin - endlich da waren, dann stellten wir fest, dass wir die einzige Klasse waren, die nicht in der 1. Klasse mitfuhr, womit ich defintiv gerechnet hatte und dann musste ich auch noch Terasakas genervten Blicke ertragen. Er wollte mich genauso wenig in seiner Gruppe haben wie ich. Ansonsten waren noch Yoshida, Muramatsu, Takebayashi und Hazama in der Gruppe. Ich wusste nicht, wie sie zu der Einteilung standen, aber ich hatte sowieso die meiste Zeit meine Augen im Zug geschlossen. Zugegeben, es wäre schön gewesen in Karmas Gruppe zu kommen. Das wäre für mich am erträglichsten gewesen, auch wenn es gegen meine Prinzipien verstieß. Er würde zwar wahrscheinlich nur Unsinn machen und ich war mir sicher, dass sie in Schwierigkeiten geraten würden, aber so hatte der Ausflug wenigstens etwas gutes. Ich hätte - natürlich gezwungenermaßen - Zeit mit ihm verbringen müssen.
In der Unterkunft schließlich angekommen, waren alle ziemlich erschöpft, weshalb wir direkt schlafen gingen. Auch hier stellten wir fest, dass unsere Unterkunft sehr viel schlechter war als die der anderen Klassen. Doch das schien dieses Mal niemanden zu entmutigen. Mich wunderte es eher, warum sie nicht "versehentlich vergessen" hatten, uns überhaupt einen Platz zum Schlafen zu buchen. In der Nacht konnte ich dann blöderweise nicht wirklich gut schlafen. Ich rollte mich in meinem Futonbett unter der Decke ein und versuchte meinen Kopf so gut es ging freizubekommen. Aber es klappte kaum. Ich wusste nicht, wann genau ich endlich eingeschlafen war. Es schien Stunden zu dauern und die Portion an Schlaf war absolut nicht erholsam, was mich am nächsten Tag noch mehr demotivierte, als ich neben Terasaka und die anderen herlief.
»Wir können nach den nächsten beiden Sehenswürdigkeiten eine Pause einlegen«, meinte Takebayashi und richtete seine Brille zurecht.
Ich war so froh, dass er dabei war. Ansonsten würde niemand von uns das Denken übernehmen, zumal ich bezweifelte, dass drei von ihnen überhaupt dazu fähig waren. Auf mich würden sie kaum hören und ich war auch viel zu müde, um mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Takebayashi organisierte auch unsere Route, worauf ich einfach gar keine Lust hätte.
»Du bist zu langsam«, sagte Terasaka genervt, als wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten. Ich verdrehte die Augen. Man konnte auch gar nichts machen und er würde einen Grund finden, über den er sich aufregen konnte.
Ich erwiderte einfach nichts darauf, weshalb die anderen nervöse Blicke wechselten. Natürlich gefiel es unserem Grobian nicht, der mich im nächsten Moment am Kragen packte, sodass wir stehen bleiben mussten und mich drohend an sich zog.
»Ich sagte, du bist zu langsam«, wiederholte er.
Ich wusste, dass er mich einfach nur anfahren wollte. Wir waren weder miteinander befreundet, noch hatten wir etwas miteinander zu tun. Die anderen waren aber seine Freunde, die blind auf ihn hörten. Ich störte seine Gruppedynamik einfach schlichtweg.
»Natürlich bin ich zu langsam«, erwiderte ich ruhig.
Eine Ader an seiner Stirn poppte genervt auf. »Was soll das heißen?!«
»Dass ich defintiv zu langsam sein werde, wenn du mich festhälst«, sagte ich und nutzte seinen kurzen verwirrten Moment, um seine Hand von mir zu entfernen. »Dann kann ich auch nicht weiter laufen.«
Vermutlich hätte er mich noch wütender gepackt, wenn Takebayashi, Muramatsu und Yoshida ihn nicht aufgehalten hätten. Seufzend lief ich nun links neben Hazama, da ich irgendwie eine Wand zwischen mir und ihnen brauchte. Hazama würden sie nicht einfach grob zur Seite stoßen, das würden sie sich nicht trauen. Diese sah mich mit ihrem gewohnten, gelangweilten Blick an.
»Provoziere ihn nicht«, meinte sie schlicht.
Ich nickte. Das hatte ich nicht vor. Aber, ich hatte einfach gerade keine Lust auf eine Konfrontation. Am liebsten wollte ich einfach zurück ins Bett. Mein Körper war so erschöpft und schrie nach ein wenig Ruhe und einer Pause.
Vermutlich wäre es schade gewesen, wenn ich nicht vorher bereits in Kyoto gewesen war. Damals hatte ich diese Stadt mit Mom und Dad besucht. Die schönen Erinnerungen davon, konnten nicht übertroffen werden, gleichzeitig sorgten sie dafür, dass ich noch lieber woanders sein wollte. Nur nicht hier, wo wir gemeinsam als Familie gewesen waren.
Als wir endlich eine Pause einlegten, setzten wir uns in einen Fast-Food-Laden. Wer hätte das gesagt? Normalerweise hätte ich nichts dagegen, doch ich wusste bereits jetzt, dass es mich müder machen würde.
»Dass wir gezwungen werden, uns diese ganzen Dinge anzuschauen, nervt«, klagte Muramatsu, während er in seinen Burger biss. »Können wir nicht einfach etwas anderes machen?«
»Ich befürchte, das wird nicht gehen«, sagte Takebayashi. »Wir müssen eine genaue Route abgeben.«
»Bei diesem Oktopus weiß man nie, ob er uns nicht abfragt oder gerade beobachtet«, sagte Yoshida fast schon jammernd.
Da musste ich ihm recht geben. Das wäre typisch für unseren Lehrer. Eher schwerfällig kauend sah ich durch das große Fenster nach draußen. Es war schönes Wetter und doch hob dies meine Laune nicht ein Bisschen.
»Außerdem wissen wir nicht, ob uns nicht eine gewisse Person verpetzt«, sagte Terasaka mit einem abfälligen Blick in meine Richtung.
Sah ich ernsthaft wie eine Petze aus? Gerade so konnte ich mir ein genervtes Stöhnen verkneifen. Wirklich jede andere Gruppe wäre besser als diese. Die anderen würden sich wenigstens bemühen, freundlich zu bleiben und mir nicht die ganze Zeit das Gefühl geben, dass meine Anwesenheit sie nervte.
»Ich glaube, du wärst die einzige Petze hier«, meinte ich gelangweilt.
»Was genau willst du eigentlich?!«
»Essen.«
Er knurrte wütend und ballte seine Hände zu Fäusten. Innerlich bereitete mich darauf vor, dass er mich gleich wieder packte, um mir zu drohen. Doch stattdessen schlug er seine Fäuste auf den Tisch und beugte sich untypischerweise näher zu mir herüber. Dass er Worte als Waffe wählte, war absolut nicht sein Stil, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich ein Mädchen war, er mich einschüchtern wollte oder aber er hatte keine Lust auf ernsthafte Konsequenzen.
»Merkst du nicht, dass du uns allen auf die Nerven gehst, du bescheuerte Kuh?«
Worte waren jedoch nicht wirklich wirkungsvoll bei mir. Zumindest nicht, wenn es Dinge waren, denen ich mir bewusst war und vor allem, wenn die Quelle jemand wie Terasaka war.
»Das ist mir bewusst«, erwiderte ich und kaute weiter.
Er schnaubte. »Defintiv nicht. Du bemerkst ja nicht einmal, dass dich niemand in der Klasse leiden kann.«
»Wenn es von dem beliebtesten Typen der Klasse kommt, um den sich alle reißen, muss es stimmen.«
Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Genau das wollte ich ja, Terasaka. Und es funktionierte. Danke.
»DU... DU...«
Vielleicht sollte ich ihn nicht allzu sehr provozieren. Seufzend stand ich auf und verbeugte mich kurz, was ihn zum Glück verstummen ließ. Hier war zwar nicht viel los, aber ich wollte auch keine Unruhe stiften.
»Ich muss mal. Wenn ihr mich entschuldigt«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
Es war zwar nicht die Wahrheit, jedoch brauchte ich wirklich einen kurzen Moment, um mich zu sammeln. Leider gefiel es mir nämlich, ihn aufzuziehen und das verstieß wieder gegen meine Prinzipien...
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Die Wucht des Schlags warf mich zu Boden. Meine Wange brannte ziemlich, doch ich gab keinen Ton von mir, ließ meine Gesichtszüge genauso wie sie waren, zuckte nicht. Das alles würde ihn nur noch mehr enttäuschen. Ihn wütender machen. Ich hatte ihm heute bereits genug Kummer bereitet.
»Tanako, bitte. Sie ist noch ein Kind«, sagte mein Onkel. Seine Stimme zitterte dabei jedoch ziemlich.
Und es war meine Schuld.
Bevor der kalte Blick meines Vaters ihn treffen konnte, erhob ich mich schnell. Ich ließ meinen Blick respektvoll gesenkt, damit er meine Handlung nicht als Aufmüpfigkeit deutete.
»Es tut mir leid, Vater«, sagte ich reuevoll. »Ich verspreche dir, dass ich beim nächsten Mal be...«
Meinen Satz konnte ich nicht einmal zu Ende führen, da hatte mich ein erneuter, schallender Schlag zu Boden geworfen. Für einen Moment hatte ich ein lautes Piepen im Ohr, weshalb ich nicht verstand, was er sagte. Ich bekam nur das Ende mit...
»... Versagerin. Das Leben gibt keine zweiten Chancen. Deine Mutter kann dir dies bestätigen.«
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Das kalte Wasser, das ich mir ins Gesicht knallte, tat ziemlich gut und machte mich ein wenig wacher. Als ich meinen Kopf hob, sah ich unweigerlich in den Spiegel. Ich sah blasser aus als sonst... Ich hoffte, dass meine Erschöpfung nur am mangelnden Schlaf lag und nicht an irgendetwas anderen. Nein, daran konnte es nicht liegen. Lag es vielleicht am Ort an sich? An Kyoto?
Nachdem ich mein Gesicht getrocknet hatte, streckte ich mich ausgiebig und wandte mich dann zur Tür. Es war Zeit zu der Idiotentruppe zurückzukehren...
... die weg war.
Ein Schweißtropfen bildete sich auf meiner Stirn, als ich den leeren Tisch sah. Sie hatten zumindest aufgegessen... mein Blick fiel auf die Rechnung, die sie mir so liebevoll da gelassen hatten. Fast hätte ich gelacht. Es war zwar nicht witzig, aber irgendwie konnte ich es ihnen nicht einmal übel nehmen. Außerdem gaben sie mir damit endlich einen Grund, zurück zur Unterkunft gehen zu können und zu schlafen. Alleine durfte ich mich in Kyoto ja nicht bewegen - okay, das war eine Ausrede. Ich hätte es ansonsten getan, es wäre mir egal gewesen. Aber momentan, wollte ich mich wirklich einfach nur hinlegen.
Den Weg zurück fand ich dank meines Handys. Ich war dem Kerl, der auf die Idee gekommen war, ein Navigationssystem für das Smartphone zu erschaffen, so unendlich dankbar. Mein Orientierungssinn war nämlich absolut miserabel. Wenn ich nach Norden gehen wollte, ging ich nach Süden und wenn ich nach Süden wollte, drehte ich mich im Kreis.
Sogar die kleine Ai war in diesem Punkt sehr viel besser als ich. Wenn ich mal mit ihr einkaufen ging, weil ihre Mutter irgendetwas dringendes benötigte, gab sie mir Ai mit. Einerseits, damit ich auch wieder zurück fand, andererseits auch, damit sie etwas Ruhe von ihr hatten, denn ihre Schwester Raiko musste sie auch immer mitnehmen. Das kleine Mädchen hatte dabei sehr viel Spaß mir Anweisungen wie ein Navigationssystem zu geben, die meist zu einem Spielplatz führten, von dem man sie nicht so schnell wieder herunter bekam.
In der Unterkunft endlich angekommen, machte ich mir nicht einmal die Mühe mich umzuziehen, sondern kuschelte mich sofort in das Futonbett, das sich plötzlich so viel gemütlicher anfühlte als vorher.
Manchmal fragte ich mich, ob es später für mich genauso bequem sein würde, ob sich die Freiheit so schön gemütlich anfühlte... Ob ich mich an dieses Leben wieder zurück erinnern würde...? Oder würde ich allem den Rücken zukehren?
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»Naoko? Hey, Naoko, lebst du noch?«, hörte ich eine Stimme sagen.
Mühselig öffnete ich meine Augen und erblickte Nakamuras freches Lächeln über mir. Etwas verwirrt blinzelte ich. Was machte sie in meinem Zimmer? Moment, was machten die anderen in meinem Zimmer? Und seit wann sah mein Zimmer so aus?
Erst nach einigen Sekunden, erinnerte ich mich daran, dass wir auf Klassenfahrt in Kyoto waren und ich mich zum Schlafen hingelegt hatte. Mein Kopf wanderte zum Fenster. Es war schon dunkel. Wie lange hatte ich denn geschlafen?
»Gut geschlafen, Dornröschen?«, fragte das blonde Mädchen vor mir kichernd.
Ich nickte kurzangebunden. »Was hab ich verpasst?«
»Nur zwei Entführungen und eine Rettungsaktion.«
Ich nickte erneut. »Das übliche also.«
Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob sie es ernst meinte, entschied mich jedoch, nicht weiter nachzufragen. Ansonsten würde sie mein Interesse bemerken.
Eher widerstrebig schlug ich meine Decke zur Seite und stand unter den verwunderten Blicken der anderen Mädchen auf. Während ich mich streckte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass Hazama ebenfalls anwesend war und mich ausdruckslos beobachtete.
»Sag mal, wieso warst du hier? Warst du die ganze Zeit am schlafen?«, fragte Okano.
»Nein, ich schlafe erst seit einer Stunde oder so. Mir ging es gegen Ende nicht gut, weshalb mich Terasaka und die anderen freundlicherweise hier abgeliefert haben«, log ich. Sie glaubten mir sofort. Alle bis auf Hazama, die nun weg sah. »Wenn ihr mich entschuldigt, ich brauche dringend ein Bad.«
Sollte sie sich schlecht fühlen, war dies völlig unnötig. Sie hatten mir damit einen Gefallen getan. Schließlich wollten sie keine Zeit mit mir verbringen und ich konnte schlichtweg keine Zeit mit ihnen verbringen...
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Das heiße Bad tat unglaublich gut. Ich liebte es jedoch sowieso allein im Wasser zu liegen und noch mehr liebte ich es zu schwimmen. Dass wir einen Pool zu Hause hatten, war daher sehr vorteilhaft. Ich wartete meist einfach nur darauf, dass es warm wurde, nur um schwimmen zu können. Umso mehr freute ich mich auf den Sommer.
Ich ließ mir ziemlich viel Zeit im Bad, einfach, weil ich die Ruhe so sehr genoss, bevor ich heraus trat, mich abtrocknete und mir die vom Haus gestellte Robe anzog. Ich war an solchen traditionellen Sachen nicht gewöhnt, aber sie war gar nicht mal so ungemütlich, wie ich feststellte.
Fertig umgezogen, ging ich wieder in das Gemeinschaftszimmer der Mädchen. Wie ich die Kunugigaoka kannte, hatten die anderen Schüler nicht nur ein Tophotel, sondern auch Einzelzimmer. Es war irgendwie schade, dass ich in der E-Klasse bleiben musste. In den anderen Klassen wäre ich zumindest allein und hätte noch Luxus. Im Luxus allein zu sein, war sehr viel ansprechender. Aber hier konnte ich wenigstens Karma anschmachten.
Auch wenn ich wusste, dass aus meiner heimlichen Schwäche nie etwas werden würde, allein wegen der Umstände, so schwärmte ich gern von ihm.
Es machte mich seltsamerweise glücklich...
Die anderen Mädchen gingen vor dem Schlafengehen noch in den Gemeinschaftsraum, wo sich sogar Spielautomaten befanden, wie ich es mitbekam, als sie wieder da waren. Ich blieb jedoch im Schlafsaal und spielte mit meinem Handy. Es wäre zwar schön gewesen sich die Zeit anders zu vertreiben, doch ich konnte sie mir nicht mit ihnen vertreiben, auch wenn Okuda mich tatsächlich stotternd gefragt hatte, ob ich nicht mit wollte. Ich hatte dankend abgelehnt.
Lange blieben sie aber auch nicht weg. Sie kamen relativ rasch wieder und fingen lachend an sich über alle möglichen Themen zu unterhalten, wobei ich halb zuhört. Ich hatte noch nie so einen Mädchenabend erlebt, die ich dauernd in Filmen sah. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis sowas normales wenigstens einmal miterleben zu dürfen, wenn auch eher unbeteiligt.
»Also, sagt schon! Welchen Jungen in unserer Klasse mögt ihr?«, fragte Nakamura plötzlich.
Okay, jetzt wurde ich wirklich hellhörig. Das war mal ein wirklich interessantes und aufregendes Thema.
»Welche Jungs wir mögen?«, sagte Kataoka. »Aber wieso denn?«
»Na, darüber sprechen Mädchen eben, besonders, wenn sie auf Klassenfahrt sind!«, meinte Nakamura. »Also, spuckt es schon aus? Wer hat es euch angetan? Wen findet ihr attraktiv? Wir sind hier immerhin unter uns.«
Ich presste meine Lippen zusammen und sah auf mein Handybildschirm. Manchmal wünschte ich mir so etwas zu haben. Die Möglichkeit, eine Freundin zu haben mit der ich meine Interessen und Schwärmereien kichernd teilte, während wir unbeschwert über das Leben sprachen.
Doch das würde niemals passieren oder möglich sein.
»Dann möchte ich es zu erst sagen!«, rief Kurahashi und streckte ihren Arm nach oben aus, als würde sie sich melden, wobei ihre kurzen orangen Haare auf und ab wippten. »Ich schwärme für Karasuma-Sensei!«
Gerade so schaffte ich es, nicht zusammen zu zucken. Damit hatte ich nicht gerechnet.
»Schon klar, ich glaube, so ergeht es uns allen«, sagte Nakamura. »Aber hier geht es nur um die Jungs in unserer Klasse.«
Mir erging es nicht so... Mir wurde leicht warm ums Herz, als ich an Karma dachte. Am liebsten würde ich über ihn offen schwärmen, aber das ging nicht...
»Die einzigen akzeptablen Kandidaten von den Jungs in unserer Klasse, wären ja wohl nur Isogai und Maehara«, fuhr die Blonde fort.
Isogai war unser anderer Klassensprecher und ziemlich nett. Von allen Schülern sprach er wohl am meisten mit mir. Aus Pflichtgefühl natürlich und eben, weil er so nett war, aber es war trotzdem süß. Zu ihm konnte ich auch nicht ganz so abweisend sein. Maehara wiederum war ein typischer Aufreißer und Perversling. Defintiv keine Option. Aber, was war mit Karma? Als ob sie nicht auch bemerkt haben, wie absolut toll er war...
»Findest du?«, sagte Kataoka leicht zweifelnd.
»Absolut. Wobei Maehara ein Aufreißer ist, also können wir ihn auch irgendwie vergessen. Aber Isogai ist sehr liebenswürdig und unser Klassensprecher.«
»Karma ist aber optisch auch sehr attraktiv und cool«, meinte Yada.
Ganz genau.
»Wenn er sich doch nur mehr benehmen würde«, seufzte Okano.
Die anderen nickten zustimmend, während ich mir auf die Zunge biss. Wie gesagt, ich hatte keine Ahnung, ob es einfach an meinem Wunsch nach Freiheit und wenigstens ein Bisschen Rebellion lag, aber ich mochte sein Charakter trotzdem. Das war bereits in der Grundschule so gewesen. Er war einfach so anders als die anderen und schien absolut alles zu können oder hinzubekommen, was er sich in den Kopf setzte. Gleichzeitig hatten alle Respekt, oder wahrscheinlich doch eher Angst, vor ihm. Ich bewunderte das ziemlich.
»So schlimm ist er eigentlich nicht«, sagte Okuda, von der ich das am wenigstens erwartet hatte. Sie war eben am bravsten und unauffälligsten.
»Meistens benimmt er sich ja«, meinte Kayano.
»Er ist eher ein Wildtier«, sagte Hayami.
Und blöderweise mochte ich genau das... Dabei passte dies nicht mal zu mir...
»Was ist mit dir, Kanzaki?«, fragte Kayano an dieser gerichtet. »Wen magst du?«
»Eigentlich finde ich keinen besonders toll«, antwortete diese.
Die anderen Mädchen kicherten ungläubig und stürzten sich auf sie, um sie durchzukitzeln, während ich die Augen schloss. Manchmal überlegte ich, ob es nicht irgendwie schön wäre zu daten und sowas wenigstens einmal so erleben. Da ich jedoch wusste, dass es nicht für immer halten und nur von kurzer Dauer sowie mit vielen Problemen verbunden sein würde, wollte ich niemanden in der Hinsicht verletzen. Liebeskummer schien sehr schmerzhaft zu sein. Raiko hatte mal welchen gehabt und sie hatte sich tagelang in ihrem Zimmer eingeschlossen. Dabei war sie sonst so stark und selbstbewusst... Wenn es sogar sie in die Knie zwang, wollte ich es niemals spüren oder jemanden spüren lassen...
»Hey, Mädels, ich wollte euch nur daran erinnern, dass bald Nachtruhe ist«, meinte Irina-Sensei plötzlich, die in der Tür stand mit etwas in der Hand, das verdächtig nach Alkohol aussah.
Unsere hübsche Lehrerin eben...
»Ihr werdet wahrscheinlich sowieso die ganze Nacht quatschen«, sagte sie. »Aber ich wollte es nur mal eben gesagt haben, weil es meine Pflicht ist.«
»Es ist wirklich unfair, dass nur Sie Alkohol trinken dürfen und wir nicht«, sagte Kurahashi, sich auf ihren Armen abstützend.
»Ist ja wohl klar. Ich bin immerhin erwachsen«, sagte unsere Lehrerin.
»Erzählen Sie uns dann doch einfach mehr von ihren Erwachsenengeschichten, Bitch-Sensei«, sagte Yada aufgeregt und stand auf.
»Das ist bestimmt interessanter als ihr Unterricht!«, stimmte ihr Kurahashi zu.
Yada drückte unsere Lehrerin, die sich über diese Aussage aufregte, in unser Zimmer. Ich fragte mich, ob ihnen überhaupt bewusst war, dass die meisten Geschichten absolut nicht jugendfrei sein würden...? Allein ihr Spitzname hatte durchaus seine Gründe... Seufzend stand ich auf. Das war das Signal für mich, mir die Füße zu vertreten und etwas aus dem Automaten zu holen. Es war nicht so, dass es mich nicht interessierte, aber ich wollte nicht, dass mein Wunsch nach solchen Abenden zur Gewohnheit wurde.
Ich bemerkte nicht, wie mir die anderen leicht bedrückt nachsahen. Hoffentlich fand ich den Weg zum Automaten überhaupt. Auf dem Flur entschied ich mich einfach nach links zu gehen... Dann nach rechts... Und ich hatte keine Ahnung, wo ich hinlief...
Ein Schweißtropfen bildete sich auf meiner Stirn. Ich war teilweise doch ziemlich hoffnungslos. Wieso gab es kein Navigationsystem für Gebäude? Seufzend lief ich um die nächste Ecke und stieß dabei geradewegs gegen einen rennenden Körper, sodass ich auf den Boden flog.
»Oh, verdammt, tut mir leid, Naoko«, entschuldigte sich eine mir bekannter Stimme vor mir.
Ich wollte aufsehen, auch wenn ich mir vorstellen konnte, wem die ganzen Beinpaare gehörten, vor allem, weil Isogai, in den ich hineingerannt war und der ebenfalls hingefallen war, immer noch vor mir saß. Doch mein Blick fiel auf einen Zettel, der direkt neben meiner Hand lag. Er hatte ihn fallen lassen... Ich erkannte ganz klar seine Schrift.
Ranking der Mädchen...
Mein Name fiel mir sofort ins Auge, bevor Isogai den Zettel schnell ergriff. Leider zu spät. Ich presste meine Lippen zusammen und sah weg, auch, als Sugino mir die Hand hielt, um mir aufzuhelfen.
Im Grunde war mir das Ergebnis egal. Es war mir nur unangenehm, dass sie wussten, dass ich es wusste. Ich hatte nämlich absolut keine Ahnung, wie ich reagieren sollte. Die entschuldigenden Blicke, die ich bekam, machten es nicht ansatzweise besser. Sie konnten nichts dafür, dass keiner von ihnen mich scheinbar ansprechend fand. Doch selbst wenn, es würde ja im Grunde nichts an meiner Zukunft ändern.
Also stand ich einfach von allein auf, ohne die helfende Hand zu ergreifen und klopfte mir den Staub von meiner Kleidung.
»Schon gut. Es ist ja nichts passiert«, meinte ich und wollte an ihnen vorbei laufen, aber Kimura stellte sich mir mit mehreren Schweißtropfen im Gesicht in den Weg.
»H... hör mal, Naoko...«, fing er stammelnd an.
»Ich werde niemanden von der Liste erzählen«, sagte ich. Es war klar, dass dies der Grund ihres Unbehagen war. Einzig Karma - ich versuchte verbissen nicht zu ihm zu schauen - schien entspannt zu sein. Für wen er wohl gestimmt hatte? Für mich ja eindeutig nicht...
Irgendwie sorgte dies für ein unangenehmes Ziehen in meiner Brust...
»Es tut uns leid«, meinte Isogai jedoch, der aufgestanden war. »Das ist nicht so...«
»Es ist egal«, unterbrach ich ihn. »Es ist eure Meinung. Zugegeben, ich empfinde so eine Liste als geschmacklos, aber im Grunde habt ihr damit nichts verbrochen.«
»Ja, schon«, meldete sich Nagisa zu Wort, der neben Karma stand, sodass ich jetzt doch in ihre Richtung sah. Irrte ich mich, oder sah der Rothaarige tatsächlich sogar zufrieden aus? »Aber es war trotzdem nicht in Ordnung von uns.«
»Also mir tut es nicht leid«, meinte Karma mit einem Grinsen.
»Karma!«, riefen einige unserer männlichen Klassenkameraden warnend.
»Was denn?«, sagte er unschuldig. »Wenn sie so ein Kotzbrocken ist, braucht sie sich nicht wundern, dass niemand Interesse an ihr hat.«
Kotzbrocken...
Okay..., das tat irgendwie doch weh..., weil es von ihm kam.
Jedenfalls im ersten Moment, danach bemerkte ich, dass es doch eigentlich das ist, was ich wollte. Also konnte es mir egal sein.
Genau. Es war mir absolut egal, was Karma Akabane von mir dachte. Warum zur Hölle sollte es mich verletzen?
»Wenn ihr mich entschuldigt, ich wollte zum Automaten«, sagte ich und versuchte wieder so gefasst und monoton wie vorher dreinzublicken. Es war mir egal. Es konnte mir egal sein.
»Moment, Naoko! Der Snackautomat ist in der anderen Richtung!«, rief mir Nagisa hinterher.
»Ich gehe zu einem anderen.«
Mein verdammter Orientierungssinn...
Kotzbrocken... pff...
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