23. Arcade-Halle und Erwartungen

Hola!

Es geht weiter. As some of you know, ich hatte Prüfungen, weshalb ich nicht updaten konnte. Es waren tolle schlaflose Nächte voller Literatur, Poetik, Kunst und komplizierten Fachbegriffen of the conventional art.

I will never need that again, but it was still kinda interesting.

Da mich in letzter Zeit vermehrt einige Fragen erreichen, wird bald das nächste Q&A auf Instagram starten. So if you are interested, and you have some questions, and you wanna read some psychological facts as well as see some art of Naomi, make sure to follow me there (@su.yu.san). Achtet bitte dann auch auf eure "Nachrichtenanfragen", da ich manchmal nachfrage, ob die Person, die folgen möchte, auch meine Geschichten liest, um Fakeaccounts zu vermeiden.

Das wars erst einmal von mir.

Viel Spaß beim Lesen!

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»... ich weiß nicht, wo ich genau bin und...«

~

In der Arcade-Halle tummelten sich mehr Besucher als beim letzten Mal. Die meisten, die sich gerade hier befanden, waren Schüler in ihren jeweiligen Schuluniformen, weshalb ich vermutete, dass es ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche war. Sie schienen gern nach der Schule hier hin zu kommen, um etwas zu entspannen und Spaß zu haben.

Das hätte ich vermutlich mitbekommen und gewusst, wenn ich gleichaltrige Freunde hätte. Selbst meine Klassenkameraden, unter anderen Kanzaki, von der man es absolut nicht erwartet hätte und Karma schienen dies gern zu tun. Ob er generell gern Videospiele spielte? Vielleicht sollte ich mehr über ihn herausfinden, um mögliche Gemeinsamkeiten aufzudecken oder mich mit seinen Interessen näher auseinanderzusetzen...

Seufzend lehnte ich mich an die Wand neben der Theke. Ich wartete gerade auf Karma, der gegangen war um sein Geschäft zu erledigen. Eigentlich hatte er gemeint, dass ich bereits spielen könnte, doch ich war, zugegebenermaßen, wegen ihm hier und wollte daher lieber warten, bevor ich mein Geld gegen ein paar Münzen zum Spielen eintauschte. Karma würde mich in vermutlich jedem Spiel besiegen, aber das okay. Ich musste mich einfach innerlich auf seine Sprüche vorbereiten. Doch gerade, als ich dabei war, riss mich ein Knall aus meinen Gedanken. Verdutzt sah ich nach rechts, wo Kurai Akuma stand, der schwarzhaarige, wirklich süße Angestellte, den ich schon bei meinem ersten Besuch hier getroffen hatte. Er war gerade noch bei irgendwelchen Jugendlichen gewesen und hatte ihnen bei etwas geholfen. Das hatte ich beobachtet. Ich hatte bis jetzt nicht einmal bemerkt, dass er wieder an der Kasse stand, bis er sein Handy, die Quelle des Geräuschs, auf die Theke geschlagen hatte. Seine vorherige, positive Energie und sein strahlendes Auftreten waren weg, stattdessen sah er überaus frustriert aus. Dennoch lächelte er mich entschuldigend, wenn auch ziemlich traurig, an, als er bemerkte, dass ich mich erschrocken hatte.

»Tut mir leid«, sagte er peinlich berührt.

»Kein... Problem«, sagte ich langsam. Sollte ich nachfragen? Was, wenn es mich nichts anging? Innerlich fluchend entschied ich mich dazu, mich wenigstens nach seinem Befinden zu vergewissern. »Ist alles in Ordnung?«

Kurai seufzte und fuhr sich kurz durch die Haare. »Frauenprobleme, nichts weiter. Mach dir keinen Kopf drum.«

Frauenprobleme... Das kam mir bekannt vor. Er hatte auch vor Karma, als dieser ihn überaus unhöflich angefahren hatte, erwähnt, dass er eine Freundin hätte.

»Deine.. Freundin?«, sagte ich langsam. »Verzeihung, ich weiß von einem... Bekannten, wie belastend sowas sein kann. Deshalb...«

Kenta war dann oft sehr niedergeschlagen, auch wenn er ziemlich gut darin war, so zu tun, als wäre nichts. Andere Patienten würden wahrscheinlich nicht einmal bemerken, dass etwas mit seinem Lächeln nicht stimmte. Aber ich bemerkte es. Jedes Mal sogar. Dafür kannte ich ihn zu gut.

Kurai lachte leise. »Verstehe. Ja, es ist sehr belastend. Und sie ist übrigens jetzt meine Ex-Freundin.«

Gerade so schaffte ich es, nicht das Gesicht zu verziehen. Liebeskummer konnte schlimm sein. Ich hatte zwar noch keinen richtigen Liebeskummer aufgrund einer Beziehung gehabt, doch Karma hatte mir bereits genug von der Kummertorte serviert.

»Was ist passiert?«, fragte ich mitfühlend.

»Wenn ich das wüsste«, sagte er niedergeschlagen. »Sie will, dass ich selbst herausfinde, wieso sie schon wieder sauer auf mich ist. Dabei bin ich bereits alle Möglichkeiten durchgegangen. Mir fällt nicht ein, wie ich sie wieder verärgert habe.«

Das klang ganz nach dem Verhalten der Mädchen in den ganzen Memes... Irgendwie belastend...

»Geburtstag vergessen? Jahrestag? Eine Verabredung? Ihr versehentlich nicht geantwortet?«

Jetzt schüttelte er den Kopf. »Ich bin wirklich alles durchgegangen. Alles. Aber mir fällt beim besten Willen nichts ein. Mittlerweile muss ich mich selbst fragen, ob es die Beziehung ist, die ich möchte. Sie macht sowas leider oft und blockiert mich, statt mir einfach direkt zu sagen, was los ist. Das zerrt irgendwann ziemlich an deinen Kräften.«

»Das kann ich verstehen«, sagte ich mit einem kurzen Nicken. »Vielleicht beruhigt sie sich ja, wenn du ihr etwas Zeit gibst.«

»Ja, vielleicht«, sagte er, eher weniger überzeugt. »Obwohl sie mich tatsächlich mal eine Woche lang ignoriert hat, weil ich ihr zu überfürsoglich war. Sie beruhigt sich eher selten von allein.«

»Ernsthaft...?«

Ich wäre froh, wenn jemand sich aufrichtig um mich sorgen würde... und wenn es gerade der eigene Freund war, stellte ich es mir sogar sehr süß vor. Das zeigte doch eher, dass er richtige und echte Gefühle für sie hatte.

»Ernsthaft«, lachte Kurai. »Ich hab ihr lediglich gesagt, dass es besser wäre, wenn ich sie nach der Party, auf die sie wollte, abhole, damit sie nicht im Dunkeln nach Hause muss und wurde blockiert.«

Ich würde niemals jemandem sagen, dass eine geliebte Person vielleicht nicht die passende für sie war. Auch, wenn ich es denken würde, aber ich würde es nicht aussprechen. Genau wie jetzt. Stattdessen sah ich ihn mitfühlend an, was er mit einem leicht amüsierten Lächeln zur Kenntnis nahm. Am liebsten hätte ich ihn irgendwie aufgemuntert, doch eine Hand legte sich auf meine Schulter und drückte mich leicht nach vorn. Ich sah nach hinten, und begegnete Karmas ausdruckslose Miene. Gerade, als ich etwas sagen wollte, lachte Kurai auf und ich blickte wieder zu ihm.

»Hey, siehst du? Dein Freund ist auch fürsorglich. Wie bereits gesagt, in meinen Augen sollte man sein Mädchen immer beschützen«, sagte er.

»Nein, er ist ni...«

»Beweg dich«, sagte Karma und drückte mich weiter, sodass ich mitten im Satz aufhören musste.

Ich sah ihn verwirrt an, als er mich zu den Spielautomaten mit dem Kampfspiel führte, das wir bereits beim letzten Mal gespielt hatten. Doch er setzte sich nicht sofort hin, sondern sah mich mit leicht zusammen gebissenen Zähnen an. Was genau hatte ihn auf der Toilette die Laune verdorben? Ob er ins Klo gefallen war?

»Du stehst defintiv darauf mit älteren Typen zu flirten«, meinte er genervt und ließ sich dann nieder.

Ich brauchte einen Moment, um über seine Worte nachzudenken, bevor ich mich ebenfalls hinsetzte.

»Ich habe nicht geflirtet«, sagte ich.

»Klar. Natürlich. Was wird Koro-Sensei nur von seiner Musterschülerin denken, wenn er wüsste, wie notgeil sie eigentlich ist?«

Diese Bemerkung störte mich doch sehr. Vor allem, weil er es nicht in seinem neckenden, tadelnden Ton sagte, sondern fast schon beschuldigend. Und so machte ich das einzige, was mir in diesem Moment richtig erschien - ich schlug ihm auf den Hinterkopf.

»Ich bin im Gegensatz zu dir nicht notgeil, Akabane«, sagte ich. »Er hat mir von seiner Freundin erzählt. Also hör auf daraus eine große Sache zu machen. Wo bleibt deine Gelassenheit?«

Er hatte erst verdutzt dreingesehen. Dann jedoch musterte er mich für einige Sekunden schweigend, zuckte mit den Schultern und meinte: »Wie du meinst. Eigentlich können mir deine Vorlieben egal sein.«

Karma griff in seine Hosentasche und holte eine Münze heraus, die er gerade in die Maschine stecken wollte, als ich ihn jedoch aufhielt.

»Die Frage ist, wieso es dir nicht egal ist.«

Mitten in seiner Bewegung hielt er inne und ich konnte praktisch bemerken, wie sein Körper sich genervt anspannte.

»Es ist mir egal«, sagte er deutlich und ich glaubte ihm sogar. »Dieser dämliche Oktopus pflanzt uns nur dauernd diese bescheuerte Denkweise, dass wir auf unsere Klassenkameraden achten sollen, ein.«

»Das kotzt mich auch an.«

Ich zuckte bei der Stimme, die hinter uns ertönt war, zusammen. Terasaka stand dort gemeinsam mit seinen zwei Idioten, die Hände tief in seine Hosentaschen vergraben und seine volle Aufmerksamkeit nach unten blickend auf uns gerichtet. Wie lange standen sie schon da? Innerlich seufzte ich frustriert. Ich bezweifelte, dass ich jetzt allein Zeit mit Karma verbringen werden würde, besonders weil dieser nun ein halbes belustigtes Grinsen zustande brachte.

»Sieh mal einer an, solltet ihr Dummköpfe nicht wenigstens für die Prüfungen lernen?«, fragte er nun in seinem normalen spielerischen Tonfall. »Das habt gerade ihr doch dringend nötig.«

Terasaka schnaubte. »Das werden wir. Lass das mal unsere Sorge sein. Im Gegensatz zu dir machen wir lediglich eine Pause und amüsieren uns nicht mit einem Mädchen.«

»Akabane und Naoko, wer hätte das gedacht«, lachte Yoshida neben ihm viel zu interessiert.

Ich sah ganz deutlich, wie eine Ader an Karmas Stirn bei dieser Bemerkung hervortrat. Er wirkte gefährlich ruhig, sodass die Tatsache, dass ich erst peinlich berührt war und bei Yoshidas Annahme in absoluter Verlegenheit geriet, sofort verschwand. Dem Rothaarigen gefiel diese Bemerkung absolut nicht, auch wenn er gefasst wirkte.

»Eher würde ich mich freiwillig von diesem Oktopus töten lassen«, meinte er mit einer von Gift triefenden Stimmen.

Ich presste meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und sah zur Seite, um niemanden direkt anzusehen. Sie könnten sehen, wie schmerzhaft diese Bemerkung für mich war und wie gedemütigt ich mich fühlte. Eigentlich hätte ich nichts anderes erwarten sollen, wieso also machte ich mir immer so große Hoffnungen? Wieso konnte ich sie nicht kontrollieren? Dann wären seine Bemerkungen wenigstens nicht jedes Mal so schmerzhaft. Ich verstand wirklich nicht, wieso meine Gefühle in letzter Zeit so verrückt spielten. War es, weil ich die Distanz, die ich vorher aufgebaut hatte, nun ablegte und damit verloren hatte?

»Ich wollte nur etwas entspannen, bevor ich weiter lerne«, sagte ich und erhob mich, da ich wusste, was als nächstes folgen würde.

Ich wollte mir diese Situation ersparen, weshalb ich meine Tasche schulterte. Wie erwartet, würdigte er mir nicht einmal einen Blick, sondern fing nun an Terasaka herauszufordern. Keiner von ihnen schien zu bemerken, wie unschlüssig ich erst stehen blieb, bevor ich mich einfach umdrehte und ging. Wenn ich es nicht machte, würde er mich dazu auffordern, in diesem Punkt war ich mir sicher. Ich wollte wenigstens etwas Würde bewahren. Außerdem schien keiner irgendwelche Worte des Abschieds von mir zu erwarten.

Im Grunde gehörte ich weder zu ihrer Welt, noch wirklich zu ihren Kreisen. Momentan war ich einfach ein Anhängsel, das eher unliebsam akzeptiert wurde.

Die kühle Abendluft schlug mir entgegen, als ich nach draußen trat. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie verdammt warm und stickig es da drin gewesen war. Momentan war es ausschließlich heiß draußen, weshalb diese Temperatur doch recht angenehm war. Es war nicht zu heiß, aber auch nicht zu kalt. Nach einem letzten Blick über meine Schulter - natürlich auf Karma, der nun wieder sehr amüsiert wirkte, während Terasaka, der neben ihm Platz genommen hatte, hochkonzentriert aussah - drehte ich mich nach rechts und trat den Heimweg an. Die beiden schienen sich besser zu verstehen als noch vor einigen Wochen. Was wohl der Grund war? Ich verpasste immerhin einige Schultage, sodass mir solche Entwicklungen erst spät auffielen. Traurigerweise könnte auch das der Grund sein, wieso ich eher außerhalb stand und mich weder wie ein Teil der Klasse, noch wie ein Teil dieser Schule fühlte. Meine gesundheitlichen Gründe für meine Fehlzeiten waren der Schule schon immer egal gewesen, ansonsten hätten sie mich nie in die E-Klasse gesteckt. Doch irgendwie verstand ich es auch, schließlich wäre es unfair, wenn ich bevorzugt wurde, während viele Schüler Tag und Nacht gearbeitet hatten, um eben nicht in dieser Klasse zu enden.

Es schien mir unfair und gleichzeitig fair... Irgendwie seltsam, aber dieses Gefühl konnte ich nicht abschütteln. In meinen Augen hatte ich es schon irgendwie verdient.

Ein lauter Schrei ließ mich abrupt innehalten. Ich war noch nicht viele Schritte gelaufen, worüber ich rückblickend ziemlich froh war, denn sonst wäre ich nicht Zeugin davon geworden. In der Seitenstraße rechts von mir war eine Frau, die sehr grob zu Boden gestoßen worden war. Alles, was ich wahrnahm war, dass der Kerl ihre Handtasche gepackt hatte und nun genau auf mich zu lief.

Mein Körper bewegte sich automatisch; ich stellte mich ihm in den Weg, ohne darüber nachzudenken. Natürlich wollte er mich zur Seite stoßen, dies war wahrscheinlich bei ihm ein Instinkt, das er sich bei solchen Taten angeeignet hatte und so griff ich nach seiner Hand, während ich herumwirbelte, verdrehte sie leicht und benutzte meinen ganzen Körper, sowie seinen eigenen Schwung aufgrund seiner beabsichtigten Flucht und warf ihn über meine Schulter. Er krachte schmerzhaft mit dem Rücken auf den Boden. Bei so einem Manöver hatte ich erwartet, dass er liegen blieb und erst einmal etwas brauchen würde, bevor er sich wieder aufrappelte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er es sofort versuchen würde, weshalb ich in Alarmbereitschaft blieb...

»Naoko!«

... die ich wie eine Idiotin vergaß, weil ich eine bescheuerte, liebeskranke Teenagerin war, sodass mein Kopf ohne Befehl sofort zu Karma schoss und sich von dem Dieb abwandte. Karma und einige andere - mir blieb nicht viel Zeit, um sie zu identifizieren - waren aus der Arcade-Halle gekommen. Bei dem vorherigen lauten Schrei der Frau, überraschte es mich nicht. In solchen Momenten war ich tatsächlich froh, dass mein Vater mich zur Stärke erzog, denn als ich etwas Metallisches in meinem Augenwinkel aufblitzen sah, blieb ich dennoch ruhig. Sofort galt meine Aufmerksamkeit wieder dem Kerl und ich verpasste ihm einen möglichst leichten, aber schnellen Schlag gegen die Kehle. Er ließ das Messer sofort fallen, hielt sich den Hals und vernachlässigte, verständlicherweise, seine Deckung, weshalb ich die Chance nutzte, um ihn komplett kampfunfähig zu machen. Also trat ich ihm zwischen die Beine, was keineswegs eine Genugtuung war. Seine Agressionsbereitschaft hatte nur dafür gesorgt, dass ich dementsprechend reagierte. Er tat mir tatsächlich etwas leid, als er unter Schmerzen zu Boden ging. So schnell würde er sich nicht wieder bewegen können.

Seufzend warf ich einen erneuten Blick zur Seite. Die drei männlichen Jugendlichen, die zusammen mit Karma, Terasaka, Yoshida und Muramatsu herausgekommen waren, kannte ich nicht. Selbst Kurai war herausgekommen, er stand jedoch an der Tür und schien den Leuten da drin zu bedeuten, dort zu bleiben und nicht herauszukommen. Ich beugte mich herunter und nahm die Handtasche der Frau in die Hand, zu der ich mich dann umdrehte.

»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte ich sie.

Sie zitterte, nickte jedoch, während ich ihr auf half. Ihr schien nichts passiert zu sein, jedenfalls konnte ich keine sichtbaren Verletzungen erkennen.

»Ist euch etwas passiert?«, fragte Kurai, der nun ebenfalls auf uns zugeeilt kam.

Wenigstens einer. Meine Klassenkameraden und die Jugendlichen schienen an Ort und Stelle eingefroren worden zu sein. Die Tatsache, dass sich der junge Mann in Bewegung gesetzt hatte, schien die anderen zumindest dazu zu bringen, ebenfalls tätig zu werden. Terasaka und seine Schatten widmeten sich dem Kerl, der am Boden lag. Scheinbar hatten sie eher weniger Mitleid mit ihm, da ihr Anführer schnaubend sowie verächtlich gegen seinen Arm trat.

»Fertig gemacht von einem Mädchen«, meinte er. »Erbärmlich.«

Ein Schweißtropfen bildete sich auf meiner Stirn. Was genau sollte das heißen? Dieses Mädchen konnte auch dich besiegen, Terasaka. Dementsprechend war dies kein guter Roast, wenn man es logisch betrachtete.

»Ich verständige die Polizei«, meinte einer der drei Jugendlichen und holte schnell sein Handy heraus.

»Es ist nichts passiert«, sagte ich zu Kurai, bevor ich zu der Frau sah, die knapp nickte.

Wahrscheinlich war sie doch etwas mitgenommen, da die Situation sie defintiv aufwühlte, beziehungsweise sie aufgewühlt hatte. Daher half ich ihr, sich auf eine Kante zu setzen, damit sie sich etwas fangen konnte. Ich wollte ungern, dass sie zusammenklappte. Eine Hand legte sich beschwichtigend auf meine Schulter und lenkte meine Aufmerksamkeit auf den jungen Mann neben mir.

»Und dir ist wirklich nichts passiert?«, fragte Kurai prüfend und gleichzeitig verblüfft. Ich nickte bestätigend. »Das... war unglaublich! Wo hast du das gelernt...?«

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch ein Griff an meinem Arm zog mich nach hinten und stoppte mich in meinem Vorhaben. Es war Karma, der neben mir stand, den Blick jedoch immer noch auf den Angreifer gerichtet, als würde er über irgendetwas intensiv nachdenken, bevor er seine Augen zu mir wandern ließ.

»Wieso zur Hölle bist du einfach gegangen, du Vollidiotin?«, fragte er.

Meine heftige Reaktion auf seine Worte konnte ich gerade so noch unterdrücken. Ich ermahnte mich ausdrücklich meine Hoffnungen zu kontrollieren und mich nicht schon wieder hineinzusteigern.

»Ich dachte, ich solle keine hohen Erwartungen haben. Du würdest mich schließlich nicht begleiten«, sagte ich und spielte auf seine Worte vor einigen Wochen an, als ich spät von seiner Wohnung aus nach Hause gelaufen war.

Karma seufzte genervt. »Die scheinst du ja immer noch zu haben. Das meinte ich nicht. Du wolltest in die Arcade-Halle und verschwindest dann einfach ohne ein Wort zu sagen. Mann, ich werde dich nie verstehen.«

Ich hatte meine Hoffnungen kontrollieren wollen.

Und es war mir wieder misslungen.

Ich hatte seinen Worten schon wieder zu viel Bedeutung geschenkt. Und gerade begriff ich, dass er die Tatsache, dass ich gegangen war, wirklich nicht bemerkt hatte. Es war ihm also mehr als egal gewesen, ob ich da geblieben oder gegangen wäre. Es hätte für ihn keinen Unterschied gemacht.

»Ich musste nach Hause«, log ich schnell.

Er war nicht ganz überzeugt, sah wieder zu dem Angreifer und dann erneut zu mir.

»Jetzt hab ich wegen dir den ganzen Spaß verpasst«, meinte er tatsächlich enttäuscht und doch gespielt tadelnd.

Fast, als wäre die Situation komplett normal. Vielleicht war es dies ja auch. Für ihn. Schließlich war er Teil einer Klasse, die die Aufgabe hatte, ihren eigenen Lehrer zu töten. Da war so ein kleiner Überfall vergleichsweise nichts.

»Das ist alles andere als Spaß«, sagte Kurai fast schon entsetzt. »Deiner Freundin hätte alles mögliche passieren können! Der Kerl hatte ein Messer.«

»Sie kann auf sich selbst aufpassen«, meinte Karma schulterzuckend.

»Das scheint zwar so, aber du weißt nie...«

»Schon gut, Kurai«, sagte ich beschwichtigend und lächelte ihn dankbar an. »Es ist wirklich nichts passiert und Karma hat recht. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.«

Er sah immer noch nicht ganz überzeugt aus, widmete sich jedoch liebevoll der zitternden Frau. Ich beobachtete ihn dabei, wie er sie beruhigte und ihr behutsam seine Jacke um die Schulter legte. Sie war nicht einmal seine Freundin und doch breitete sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch aus, als ich sah, wie er sich um sie sorgte. Sowas hätte ich auch gern. Ob auf einer Beziehungsebene oder freundschaftlich, es war mir egal. Ich hätte es nur trotzdem gern.

Ein Schlag auf den Hinterkopf riss mich aus meinen Gedanken. Anklagend sah mich Karma an, der mich wortlos einfach zu Terasaka und den anderen drückte.

»Den hast du es schon wieder gezeigt, Naoko«, lachte Muramatsu schadenfroh.

»Schätze schon«, murmelte ich, mir immer noch den Kopf reibend.

»Wir werden jetzt auf die Polizei warten müssen«, sagte Karma. »Wie nervig.«

»Eigentlich könnten wir gern«, sagte Terasaka. »Wir haben nichts damit zu tun.«

»Das stimmt«, sagte ich zu dem Rothaarigen. »Ihr könntet eigentlich gehen. Es reicht, wenn...«

»Und euch Schwächlinge zurück lassen?«, schnaubte Karma. »Ich bezweifle, dass du die Lage im Griff hättest.«

Du widersprichst dir selbst, dachte ich. Aber ich sprach es nicht aus. Einfach, weil ich auch nicht wollte, dass er ging.

Und zu meiner Überraschung blieben auch Terasaka und die anderen.
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»Ich stimme dem Kerl zu«, sagte Kenta düster dreinblickend. »Dieser Karma ist mir nicht ganz geheuer. Dir hätte etwas passieren können und er sieht es als Spaß an? Naoko, mir macht dein Männergeschmack wirklich Angst. Willst du das nicht nochmal überdenken?«

»So ist Karma eben«, sagte ich defensiv und wollte meinen Arm heben, erinnerte mich jedoch, dass ich noch an der Maschine angeschlossen war. »Außerdem hat er recht. Ich kann auf mich allein aufpassen und er ist nicht dazu verpflichtet es zu tun. Wir sind ja noch nicht einmal Freunde.«

»Man muss nicht mit einem Mädchen befreundet sein, um sicherzustellen, dass sie nicht in Gefahr ist«, meinte der junge Krankenpfleger. »Die Welt ist gerade für euch gefährlich. Leider. Also kann er dich wenigstens nach Hause begleiten.«

»Negativ.«

Kenta atmete hörbar aus und platzierte seine Hände auf meine Schultern, was mich etwas überraschte. Er berührte mich selten und wirklich nur, wenn es nötig war, vermutlich aus Respekt und weil ich seine Patientin war. Dementsprechend war ich eine solche Geste von ihm gar nicht gewöhnt.

»Naoko, ich verstehe, dass du dich selbstverteidigen kannst, aber überschätze dich nicht, okay?«, sagte er langsam und nun absolut ernst. Ich hatte ihn noch nie so erwachsen erlebt, wodurch er irgendwie auch älter wirkte. »Die Umstände können auch mal gegen dich sprechen. Mehr Angreifer vielleicht, KO-Tropfen oder sonst was. Was ist, wenn du wieder einen Schwächeanfall hast? Wenn deine Werte gegen dich sprechen? Was ist, wenn du eine deiner Panikattacken hast? Du brauchst dich nicht unnötig in Gefahr begeben.«

Er hatte recht und zugegeben, ich wollte dies nicht zugeben. Ich wollte nicht schwach sein. Ich wollte mir meine eigene Schwäche nicht eingestehen.

Schließlich gehörte sie nicht zu der perfekten Welt meines Vaters.

Also antwortete ich nicht, sondern sah einfach nur zu Boden. Es war bestimmt nicht schön für ihn, dass seine eigene Tochter so viele Makel hatte. Er war unfehlbar und ich wusste nicht mal, ob ich schon bei geringster Überforderung umkippen würde...

Kenta schien meine düstere Stimmung zu bemerken, da er kurz seufzte, bevor er mir beschwichtigend über den Arm strich. »Tut mir leid, ich wollte nicht zu hart klingen. Ich mache mir lediglich Sorgen um dich, weißt du?«

Überrascht sah ich ihn an. Er machte sich Sorgen. Er machte sich Sorgen um mich. Und er klang dabei unglaublich aufrichtig. Nein... das konnte nicht sein... Das gehörte... wahrscheinlich zu seinem Job...

»Hab ich etwas im Gesicht?«, fragte Kenta und verzog es gleich darauf zu einer lustigen Grimasse.

Ich konnte nicht anders. Leicht kichernd schüttelte ich den Kopf. »Nein... Ich war nur überrascht. Sag mal... als du mich gefragt hast, ob ich Zeit mit dir verbringen wolle... meintest du es ernst, oder war es nur ein Spruch?«

Seine Grimasse wich. Stattdessen sah er mich ausdruckslos an, bevor er sich kurz umsah und sich mir dann wieder ernst zu wandte. Fast schon verschwörerisch beugte er sich zu mir nach vorn.

»Du bist nicht verwanzt, oder?«

Ich verdrehte die Augen und lachte wieder. »Bin ich nicht. Ich nehme deine Geheimnisse und die Geheimnisse all deiner Ex-Freundinnen mit ins Grab. Versprochen.«

Er nickte kurz und richtete sich wieder auf. Kurz schien er nachzudenken.

»Ich meinte es ernst«, sagte er schließlich. »Ich würde tatsächlich gern mehr Zeit mit dir verbringen, aber das liegt vor allem an deinem Charakter, also könnte man es auch als freundschaftliches Interesse sehen, falls dir das angenehmer ist. Du hast einen sehr guten Charakter, wenn du mal aufhören würdest diese Wand um dich herum aufrechtzuerhalten.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Ist es so auffällig?«

»Nein«, antwortete Kenta. »Du machst das wirklich sehr gut. Aber wenn man mal sieht, wie die eigentliche Naoko Naomi drauf ist, dann bemerkt man es, schätze ich. Du bist nicht so kalt, wie du dich ausgibst. In Wahrheit bist du empathisch, lieb und unterhaltsam. Was glaubst du, warum ich dir meine Geschichten über meine Ex-Freundinnen überhaupt erzählt habe? Man kann sehr gut mit dir reden und fühlt sich wohl dabei.«

Seine Worte überraschten mich nochmal, weshalb ich kurz über sie nachdenken musste. Empathisch, lieb und unterhaltsam... so hatte mich noch niemand beschrieben... Es war deutlich angenehmer als Karmas Beschreibungen für mich... Aber war ich wirklich das, was Kenta da beschrieb? Wie gesagt, es war sein Beruf, der es leichter für mich machte mit ihm zu sprechen...

»Ich weiß leider nicht, wer die eigentliche Naoko Naomi ist«, murmelte ich.

»Ahhh, Identitätskrise, ich verstehe...«

»So ziemlich...«

»Dann versuch erst einmal herauszufinden, was die eigentliche Naoko Naomi mag und was sie nicht mag. Und ich meine damit wirklich, dass es um deine Vorlieben gehen soll und nicht, was von dir erwartet wird«, fügte er streng hinzu.

Ich nickte zögerlich. Das erschien mir logisch. Schließlich definierten mich meine Vorlieben und Interessen. »Danke, Kenta...«

»Kein Grund sich für einen einfachen Rat zu bedanken.«

Dafür galt mein Dank auch nicht, dachte ich, während ich den Krankenpfleger beobachtete, wie er wieder auf sein Klemmbrett sah und wahrscheinlich eine seiner gewöhnlichen komischen Zeichnungen zu Papier brachte. Er wusste, dass er mich damit zum Lachen bringen konnte und ich wusste, dass er dies wollte.

Ich war ihm gerade deshalb für so viel mehr dankbar, als er es sich vorstellte.

Innerlich seufzte ich. Wieso konnte ich mich nicht in ihn oder irgendeinen anderen, netten jungen Mann verlieben? Wieso musste es ausgerechnet jemand sein, der mich nicht ansatzweise zu mögen schien?

Wieso musste es ausgerechnet Karma Akabane sein?

Gerade Kenta äußerte Gefühle, die mir sonst nie entgegen gebracht wurden und trotz seiner Anwesenheit fühlte es sich nie so an, als würde ich auf jedes Worte, das ich aussprach, achten müssen. Vielleicht war auch dies der Schlüssel dafür, um mein wahres Ich kennenzulernen.

Ich wusste nicht genau, was genau das Problem mit und die ganze Thematik um Karma war. Das einzige, was ich wusste war, dass er mich trotzdem irgendwie glücklich machte und ich alles für ein paar Momente vergessen konnte, wenn wir unserem Deal nachgingen.

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