22. Isogai

Hey!

Es geht weiter :D.
Nach dem letzten Kapitel wurde mir bewusst, dass einige hier meine andere Geschichte nicht verfolgen sowie viele mir nicht auf Instagram folgen, which lead to a lot of messages. Daher war die Anmerkung des Krankenbetts für einige sehr confusing (im Vorwort der anderen Geschichte hatte ich dies u. a. erwähnt). Thank you for your concerns, you guys were really cute❤️. I'm alright and well. Diejenigen, die mir auf Instagram folgen, wissen, was los war und immer, was der Stand der Dinge ist (sowie kennen viele Funfacts, die Erklärung der Psyche einiger Charaktere, Q&As und da gibt es auch Fanarts, so it's definitely worth a follow @su.yu.san).

Anyways...

Viel Spaß beim Lesen!
.

Ich betrachtete stumm die dampfende Tasse vor mir, während es draußen mittlerweile in Strömen regnete. Wir hatten wirklich Glück gehabt, das Wetter war fürchterlich. Isogai hatte mich zu einem Café geführt, wo er sehr freundlich von der Bedienung begrüßt worden war. Daher konnte ich nur ahnen, dass er entweder ein Stammgast hier war oder zumindest die Angestellten kannte. Ohne mich vorher zu fragen, hatte er Tee für uns beide bestellt und mir ein Taschentuch, das ungewöhnlich ordentlich gefaltet war, gereicht. Dankend hatte ich es angenommen und innerlich gehofft, dass ich nicht allzu verheult aussah. Doch das gute war, dass es Isogai war. Nicht meine Familie und schon gar nicht mein Vater, der mich für diese Schwäche absolut bestraft hätte. Und für die Idee überhaupt zu ihrem Grab zu gehen. Obwohl unser Tee gekommen war, schwiegen wir beide. Ich wusste, dass er mir Zeit geben wollte, damit ich mich fing und etwas erholte. Emotional gesehen jedenfalls. So rücksichtsvoll schätzte ich ihn ein. Dennoch wusste ich nicht genau, ob das eine gute Idee war. Vielleicht hätte ich woanders hingehen sollen. Nicht nach Hause, auf keinen Fall, dort würde mich nur die Hölle in Form von zwei unperfekten, komplett fehlerhaften Menschen erwarten, deren größter Fehler es war, sich für perfekt zu halten, aber irgendwo anders hin, wo ich niemanden belastete und für mich sein konnte, um mich zu beruhigen.

Auch wenn dies jetzt sowieso zu spät war. Ich hatte mich von ihm einfach hier hin führen lassen und ich war mir sicher, dass ich nicht so agiert hätte, wenn ich nicht so einsam wäre. Ich sehnte mich nach körperlicher Nähe, Fürsorge und Liebe defintiv mehr als ich gedacht hatte. Seine beruhigende Hand an meiner Schulter an sich, hatte dafür gesorgt, dass ich mich wieder halbwegs fassen konnte. Ich traute mich dennoch nicht aufzusehen. Was sollte ich schon sagen? Wie sollte ich ihm mein komisches Verhalten heute erklären? Erst war ich in der Schule so anders und jetzt fand er mich in dieser Situation, gerade an diesem Ort. Zwar hatte ich nicht das Gefühl, dass Isogai mich verurteilen würde, wie gesagt, dafür war er einfach viel zu lieb, herzensgut und in Ordnung, aber es war mir trotzdem unangenehm. Also wartete ich einfach darauf, dass er das Schweigen brach und den Anfang machte. So konnte ich mich ihm im Gespräch komplett anpassen und gab nicht zu viele Informationen unnötig preis.

»Geht es wieder?«, unterbrach Isogai zu meinem Glück schließlich sanft unser Schweigen.

Genau wie ich es mir erhofft hatte.

Ich nickte langsam, immer noch meinen Tee betrachtend. »Ja. Danke, dass du... Danke.«

Danke, dass du für mich da warst. Danke, dass du mich nicht allein gelassen hast. Danke, dass du mich von dort weggeholt hast. Danke, dass du mir eine Stütze warst. Danke, dass du mich hier hin gebracht hast. Danke, dass du mich vor dem Regen bewahrt hast. Danke, für den Tee.

Ich wollte mich für so vieles bedanken, doch ich brachte nur diesen jämmerlichen Satz heraus. Das wäre zu viel. Ich wusste nicht, wie viel okay und nicht komisch wäre. Es war defintiv doch leichter, als ich mich so knapp wie möglich mitteilen wollte. Obwohl Isogai so viel Dankbarkeit definitiv verdient hatte, jedenfalls nach meinem persönlichen Ermessen, so wollte ich nicht sofort wieder übertreiben und aufdringlich sein. Ich hoffte jedoch auch, dass dieser Satz nicht allzu komisch und knapp ausgefallen war.

»Dafür brauchst du dich nicht bedanken«, sagte Isogai. »Ich bin froh, dass ich gerade heute das Grab meines Vaters besucht habe. Ich weiß, wie schwierig sowas sein kann.«

»Sehr schwierig«, murmelte ich unbeholfen.

»Trink deinen Tee. Danach wird es dir etwas besser gehen, glaub mir«, meinte er.

Ich öffnete meinen Mund, bemerkte jedoch, dass ich nichts zu sagen hatte, beziehungsweise absolut nicht wusste, was ich sagen sollte und ergriff deshalb die heiße Tasse. Die Flüssigkeit lief in meinen Mund und über meine Zunge, ohne, dass ich etwas schmeckte. Die bittere Wahrheit, der ich heute begegnet war, würde meine Sinne praktisch heute den ganzen Tag begleiten. Aber vielleicht würde gerade dieser Realitätscheck mir gut tun und mich im Hier und Jetzt halten, statt mich in meine sehr subjektive Wirklichkeit zurückzuzerren.

»Wie war deine Mutter so?«

Verwirrt über Isogais Frage sah ich auf und begegnete seinem kleinen, vorsichtigen Lächeln. Das hatte mich noch nie jemand gefragt. Die meisten sprachen nicht mehr über sie und wenn, dann so, als wüssten sie alles über sie.

»Wie sie... war?«, wiederholte ich daher langsam und schniefte leicht. Ich griff wieder nach dem Taschentuch, um mir damit die Nase zu putzen.

»Ja. Weißt du, wenn ich meinen Dad vermisse, dann rede ich über ihn. Ich mag es, mich an die schönen Zeiten mit ihm zu erinnern und es hilft mir«, erklärte er.

»Verstehe«, murmelte ich.

Das tat ich wirklich, auch, wenn ich noch nie von sowas gehört hatte. Seufzend schloss ich die Augen und dachte nach. Würde es mir wirklich helfen? Ich hatte niemanden, mit dem ich über sie sprechen konnte und wenn ich mal Erinnerungen an sie zuließ, dann war ich glücklich. Daher könnte es nicht schaden, wenn ich es zumindest versuchte... Vielleicht half es mir wirklich und gleichzeitig wäre die ganze Situation hier nicht mehr so unangenehm.

»Sie war...« Ich stoppte, da ich überlegen musste. Mein Gehirn war darauf trainiert, alles an sie zu verdrängen. Daher fiel es mir doch schwer, die Erinnerungen zuzulassen. »... wunderschön«, versuchte ich es weiter. »Und lebensfroh. Sie war sehr liebevoll und fürsorglich. Sie hat gern mit mir Zeit verbracht und... sie war sehr abenteuerlustig und aufgedreht. Dauernd hat sie mit mir etwas unternommen oder wir sind verreist. Und... sie war eine Tänzerin. Sie hat in Musicals mitgespielt... Das war ihre Leidenschaft...«

Ich stoppte erneut, dieses Mal, weil mein Herz sich viel zu schmerzhaft zusammenzog und ich ein sehr deutliches Stechen in meinen Augen spürte. Es machte Spaß über sie zu sprechen. Aber es tat auch verdammt weh.

»Was ist deine Lieblingserinnerung an sie?«, fragte Isogai leise.

Ich lachte leicht. »Ich habe viele. Aber eine ist, als sie mir schwimmen beigebracht hat. Ich war viel zu ängstlich gewesen und sie hat mich ins Wasser geworfen. Danach konnte ich es zwar, aber sie hat Ärger bekommen und sich dann mit einem... sehr schönen Wochenende in Kyoto bei mir entschuldigt. Wir waren da zu dritt und... dort habe ich einige schöne Erinnerungen gesammelt.«

Wenn ich so überlegte, wäre es wahrscheinlich damals besser gewesen, wenn ich einfach ertrunken wäre. Dann müsste ich das alles wenigstens nicht mehr mitbekommen und hätte so vieles nicht miterlebt. Ich hätte sie zumindest nicht verloren und würde nicht dieses unerfüllte, unechte Leben führen.

»Das ergibt Sinn«, rutschte es Isogai leise heraus.

Fragend sah ich ihn an, doch fast schon ertappt schüttelte er schnell den Kopf.

»Verzeihung, ich...«

Er suchte nach einer Ausrede. Das bemerkte ich sofort. Doch ich wollte nicht, dass er diesen Moment zerstörte, in dem er unehrlich war. Also unterbrach ich ihn.

»Was ist deine Lieblingserinnerung an deinem Vater?«, fragte ich so sanft wie möglich.

Augenblicklich bildete sich ein Lächeln in seinem Gesicht. »Als er mit mir Angeln gegangen ist. Am Abend haben wir die gefangenen Fische zusammen zubereitet... Das war sehr schön.«

Ich nickte verstehend. Wahrscheinlich waren für uns beide alle positiven Erinnerungen an ihnen schön... Ich hätte damals niemals geglaubt, dass ich sie so schnell und so früh verlieren würde. Vor allem nicht, weil sie immer so unbezwingbar erschien. Die Erinnerungen an die letzten Wochen ihres Lebens wollte ich nicht einmal zulassen und so trank ich schnell mehr von meinem Tee, um mich irgendwie abzulenken.

»Wie... ist sie gestorben?«, stellte Isogai ausgerechnet diese Frage.

Ich schluckte die Flüssigkeit schwer herunter und legte die Tasse mit leicht bebender Hand wieder auf den Tisch ab.

»Sie wurde... krank. Sehr krank«, flüsterte ich. Nicht weinen. Nicht daran denken. »Und dein Vater...?«

»Auch«, sagte er. »Sowas kommt... immer ziemlich überraschend. Wir waren alle nicht darauf vorbereitet gewesen.«

Ich bezweifelte, dass man jemals darauf vorbereitet war...

»Glaubst du, dass wir sie wiedersehen würden, wenn wir...?« Ich stoppte. Meine Augen weiteten sich. Wie kam ich auf die Idee, diese Frage zu stellen? Ich hatte nicht nachgedacht. Verdammt, ich hatte nicht nur nicht nachgedacht, sondern komplett jegliche Vorsicht über Bord geworfen. Ich Idiotin! Wie konnte mir dieser Fehler passieren? Was war nur los mit mir?

»Wenn wir... sterben?«, fragte Isogai und klang dabei absolut verdutzt.

Genau, wie ich es mir gedacht hatte. Ich musste es irgendwie erklären... Es gab sowieso kein Zurück mehr. »Glaubst du, dass wir sie wiedersehen würden, wenn Koro-Sensei wirklich die Erde zerstören sollte?«

Er schwieg. Ich wusste nicht, ob er darüber nachdachte oder schwieg, weil er die Frage komisch fand. Tatsächlich hatte ich sogar jetzt bei ihm nicht das Gefühl, dass er mich verurteilte. Ich war mir sicher, dass er dennoch versuchte die Frage einzuordnen. Schließlich seufzte er leise und beugte sich leicht nach vorn, wobei er seine Arme auf den Tisch abstützte. Seine Augen mit denen er mich ansah, strahlten ziemlich viel Wärme aus und so zuckte ich nicht zurück, als er seine Hand tröstend auf meine platzierte.

»Ich denke, dass sie traurig wären, wenn sie wüssten, dass wir sie so sehr vermissen und ohne sie nicht klar kommen«, sagte er sanft. »Sie würden wollen, dass wir alles versuchen und unser bestes geben. So ein Gedanke wäre doch so... als würden wir aufgeben, oder?«

Ich biss mir auf die Unterlippe. Nicht ganz, dachte ich, während ich seine Hand betrachtete. Es war eine wirklich süße Geste von ihm und gerade, weil es Isogai war, wusste ich, dass sie allein dazu diente, um mich zu trösten. Seine Worte passten dazu und es war mir leicht unangenehm, dass er meinen kleinen Hintergedanken erraten hatte. Aber komplett konnte ich ihm nicht zustimmen. Beim letzten Part jedenfalls nicht. Dennoch hatte er irgendwie recht... Meine Mom wäre sehr traurig, wenn sie wüsste, dass ich sie so sehr vermisste und eben, dass ich wirklich nicht ohne sie klar kam. Mir kam es so vor, als hätte sich seitdem die ganze Welt gegen mich gestellt. Ich hatte niemanden mehr und ich wollte bis zu diesem Punkt auch niemanden haben und jetzt... Jetzt wusste ich selbst nicht mehr, was ich wollte oder machen sollte... Ich fühlte mich gerade mehr als verloren...

Eigentlich wollte ich meine Situation nur ändern und war sogar damit heillos überfordert.

»Ist das der Grund, warum du uns nicht hilfst, Koro-Sensei umzubringen?«, fragte Isogai vorsichtig und mit gesenkter Stimme.

Ich schüttelte leicht den Kopf und entschied mich, ehrlich zu sein. Immerhin saß er hier mit mir und sorgte sich um mich. Vielleicht war es nur sein Pflichtbewusstsein, doch ich wusste es trotzdem sehr zu schätzen.

»Seit ihrem Tod bin ich... sehr sensibel, wenn es um dieses Thema geht...«, gestand ich. »Ich könnte... niemals jemanden... Du weißt schon... und außerdem ist Koro-Sensei der erste Erwachsene, wenn nicht sogar der erste Mensch, der sich wirklich aufrichtig um mich kümmert und sorgt, seitdem ich sie nicht mehr habe. Wie könnte ich ihn da... schaden wollen?«

»Verstehe«, sagte er. Wieder legte sich eine kleine Stille über uns, die er jedoch relativ schnell unterbrach. Überraschenderweise klang er nicht so selbstbewusst, als er seine nächste Aussage tätigte. Eher sehr vorsichtig und leicht unsicher. »Naoko, er... ist nicht der einzige Mensch, der sich um dich sorgt. Das solltest du wissen. Du hast... eine ganze Klasse, die dich in allem unterstützen würde. Du musst es nur zulassen.«

Deshalb war er also unsicher... Er hatte Angst, dass ich abwehrend reagieren könnte. So, wie ich es sonst früher getan hätte. Aber das wollte ich schließlich nicht mehr. Ich wusste seine Worte stattdessen wirklich zu schätzen.

»Das klingt wirklich schön... nur... Ich weiß nicht... wie...«

Zum Ende hin wurde ich immer leiser, während ich beschämt auf meine Tasse blickte. Dadurch sah ich Isogais leicht verdutztes Gesicht nicht.

»Was genau meinst du?«, fragte er.

Ich presste unsicher meine Lippen zusammen. »Wie... ich... sozusagen Anschluss finde... das heute... war ein Reinfall...«

Niemals hätte ich gedacht, dass ich es zugeben würde, aber es war wahr. Dadurch, dass ich all die Jahre keinen Kontakt zu meinen Mitmenschen aufgebaut hatte oder es zumindest versucht habe, hatte ich absolut keine Ahnung, wie genau man das machte. Ich war mehr als überfordert, das hatte ich bereits mehrmals festgestellt und gleichzeitig wirklich ungeschickt.

»Ich glaube, du musst dir da nicht so viele Sorgen drum machen«, sagte Isogai. Ich sah auf und begegnete seinem äußerst warmen Lächeln. »Du bekommst es hin und die anderen warten nur darauf, dass du endlich ein festes, aktives Mitglied unserer Klasse wirst. Sie würden sich sehr über deine Entscheidung freuen, da bin ich mir sicher.«

Ein zögerliches Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Einerseits machte es mich sehr glücklich, andererseits fühlte ich mich auch unglaublich schuldig... Er war wirklich verdammt lieb...

»Ich danke dir, Isogai...«
.

An diesem Abend fühlte ich mich zum ersten Mal seit langen unbekümmert und glücklich. Das Gespräch mit Isogai hatte mir überraschend gut getan, mehr als ich es jemals gedacht hätte. Das lag vor allem daran, dass er wirklich genau wusste, wie es war, ein Elternteil zu verlieren.

Durch dieses Gespräch hatte ich auch bemerkt, warum meine Klassenkameraden so komisch auf mein neues Verhalten reagiert hatten. Ich hatte mich einfach von dem einen auf den anderen Tag komplett anders verhalten. Neben der Tatsache, dass mir die Erfahrungen im sozialen Bereich gänzlich fehlten, hatte ich mich schlichtweg nicht wie Naoko Naomi, die sie eben kannten, benommen. Ich musste gleichzeitig selbst noch herausfinden, wie die eigentlich Naomi tickte und das konnte ich nur, wenn ich alles langsamer, ruhiger sowie vorsichtiger anging.

Und so blieb ich am nächsten Tag in der Mittagspause auf meinen Platz und aß allein. Wie gewöhnlich. Ich bemerkte trotzdem die sehr unschlüssigen Blicke meiner Mitschüler, die vermutlich bemerkt hatten, dass ich mich wieder zurück zog, auch wenn ich dies nicht intentional machte. Ich wollte nur nicht mehr überstürzt handeln. Genauso hatten sie auch geschaut, als ich am Morgen Isogai begrüßt hatte, der dies genauso freundlich und herzlich erwidert hatte.

Da wirklich sehr schönes Wetter war, hatte Koro-Sensei heute sein Unterricht draußen gemacht, wobei er wieder seine zahlreichen Doppelgänger erschaffen hatte. Die nächsten Prüfungen standen vor der Tür, daher bemühte er sich wieder besonders, um uns vorzubereiten. Als weiteren Anreiz verkündete er, dass er als Belohnung jedem, der den ersten Platz in einem Fach erringen würde, die Erlaubnis geben würde eine Tentakel zu zerstören, was seine motorischen Fähigkeiten jeweils um 10% einschränken würde. Also eine perfekte Möglichkeit, um einen Anschlag auf ihn zu verüben. Dementsprechend waren meine Klassenkameraden verständlicherweise Feuer und Flammen, um den ersten Platz in ihrem jeweiligen besten Fach zu erringen. Ich war froh, dass sie so beschäftigt damit waren darüber zu sprechen, dass keiner auf die Idee kam, mich darauf anzusprechen und mich somit in eine unschöne Situation zu bringen, in der ich mich wieder rechtfertigen musste. Fakt war, dass ich mich bemühen würde, um sehr gute Noten zu erhalten, aber nicht, weil ich unseren Lehrer erledigen wollte. Hätten sie dies von mir erwartet, hätte es vielleicht wieder Komplikationen gegeben. Sogar die ruhige und äußerst schüchterne Okuda wollte unbedingt deshalb den ersten Platz ergattern... Einerseits verstand ich die anderen, andererseits... auch irgendwie nicht. Vielleicht auch, weil ich es schlichtweg nicht wollte.

Seufzend verließ ich hinter Karma das Schulgebäude. Er hatte heute nicht wirklich mit mir gesprochen. Um ehrlich zu sein, hatte er nur einen Satz zu mir gesagt.

»Bist du heute wieder normal, oder hast du immer noch einen Knall?«, hatte er mich gefragt.

Und ich hatte ihm nicht geantwortet. Einfach, weil ich keine Ahnung hatte, was ich antworten sollte. Ich würde mich verdammt gern normal mit ihm unterhalten... Keine meiner Antworten hätten dies ermöglicht. Sie hatten ihn vermutlich nur provoziert oder verärgert.

»Hey, wartet mal!«, hörte ich Isogais Stimme hinter uns sagen und blieb stehen, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich auch gemeint war. »Wollt ihr fünf vielleicht morgen nach der Schule mit in die Bibliothek?«

Karma, Nagisa, Kayano, Okuda... vier Personen... Ich ließ meinen Blick nochmal über sie wandern... hier waren aber wirklich nur vier Personen. Dann war ich... meine Augen weiteten sich... Ich war Nummer fünf. Er hatte mich also auch gemeint...

»Die E-Klasse wird ja immer auf der Warteliste nach unten geschoben, deshalb hab ich den Tisch für uns schon vor Wochen reserviert«, erklärte er mit einem Lächeln. »In einem klimatisierten Bereich zu lernen ist viel angenehmer und wir können uns so perfekt auf die Prüfungen vorbereiten. Also, was meint ihr?«

»Das klingt sehr gut«, strahlte Kayano fast sofort, während Nagisa und Okuda zustimmend nickten.

Isogais Blick wanderte weiter zu mir. »Wie sieht es bei dir aus, Naoko? Ich würde mich freuen, wenn du auch dabei wärst.«

Ich fragte mich, ob er mich absichtlich fragte, um mir die Möglichkeit zu geben mit meinen Mitschülern zu interagieren... Nervös presste ich meine Lippen zusammen. Das war jetzt etwas unangenehm. Ich würde gern "Ja" sagen, sehr gern sogar, doch ich musste morgen wieder ins Krankenhaus... Das Timing war einfach ungünstig.

»Ich würde sehr gern, aber ich kann nicht...«, sagte ich entschuldigend.

Isogais Lächeln schwankte nicht und sogar Kayano lächelte mich jetzt beschwichtigend an.

»Kein Problem. Dann vielleicht beim nächsten Mal«, sagte diese.

Sie wirkten wirklich verständnisvoll... So verständnisvoll, dass ich mich beruhigt verabschieden sowie weiter laufen konnte und mir keine Sorgen machen musste. Es war besser, wenn ich es dabei beließ und einfach ging. Für einen Moment hatte ich nämlich mit dem Gedanken gespielt, einfach zuzusagen, obwohl dies absolut nicht ging. Dabei bemerkte ich, dass Karma, ohne ab- oder zuzusagen seine Hände in die Hosentaschen vergrub und ebenfalls weiterlief. Mr Cool brauchte wohl nicht lernen... pff...

»Seit wann sind unser Klassensprecher und du so vertraut miteinander?«, fragte er plötzlich.

Er lief zwar mit mir auf einer Höhe, aber mir einem deutlichen Abstand zu mir. Ob das Absicht war...?

Ich zuckte mit den Schultern. »Isogai ist eben nett.«

»Das erklärt nicht, wieso ihr zwei euch plötzlich so benimmt, als wärt ihr seit Ewigkeiten Freunde.«

Kurz musterte ich Karma von der Seite, der jedoch in den Himmel sah und überaus gelangweilt aussah. Sein Ton wirkte ebenfalls teilnahmslos, doch wenn ich eins wusste, dann, dass er keine Fragen stellte, die ihn nicht interessierten. Fragen aus Höflichkeit stellte er sehr selten.

»Ist das so wichtig?«, fragte ich leicht verwirrt.

»Nein«, meinte er schlicht. »Eigentlich nicht.«

Und dann legte sich ein unangenehmes Schweigen über uns, das ich nicht wollte. Worüber sollte ich mit ihm sprechen, ohne, dass es auffällig, komisch oder gezwungen klang? Moment...

»Wieso lernst du eigentlich nicht mit den anderen in der Bibliothek?«, fragte ich. »Bei diesem Wetter wäre dies dort wesentlich angenehmer.«

»Ist das so wichtig?«, erwiderte er gelangweilt.

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Nein... eigentlich nicht.«

Das war sowas von ein Reinfall gewesen... Dabei erschien mir das Thema so gut und passend. Doch zu einer Unterhaltung gehörten schließlich zwei Personen und wenn er kein Interesse hatte, konnte ich noch so gute Themen einwerfen. Es würde nichts bringen und keine Unterhaltung zu stande kommen.

Karma seufzte plötzlich.

»Im Gegensatz zu euch, hab ich es eben nicht nötig. Den besten Sieg holt man sich im Vorbeigehen«, sagte er gelassen. »Ich muss nicht lernen.«

Mit Koro-Senseis Unterricht würde er wahrscheinlich wirklich kaum lernen müssen und doch in die Top Five kommen. Aber auch diesen schwänzte er sehr gern und in den letzten Tagen noch vermehrter. Das bereitete mir irgendwie Sorgen, auch wenn Karma wirklich sehr begabt und schlau war...

»Überschätzt du dich da nicht etwas?«, fragte ich daher skeptisch.

Amüsiert sah er mich aus dem Augenwinkel an. »Jemand mit deinen Fähigkeiten wird es nicht verstehen. Du brauchst ja sogar Nachhilfe.«

Tatsächlich war ich mir sogar selbst sicher, dass er mir überlegen war. In vielen Punkten war er einfach besser als ich...

Er war in vielen Punkten zu gut für mich.

»Das stimmt schon. Nicht jeder kann so ein geniales Genie sein wie du, Akabane«, sagte ich ehrlich. Und tatsächlich meinte ich es auch so. Es war einer der Gründe, warum ich ihn bewunderte. Einer der Gründe, wieso ich so für ihn schwärmte. Zu meiner Überraschung, stolperte Karma kurz, schaffte es jedoch sofort wieder sein Gleichgewicht zurück zu erlangen und lief weiter, als wäre nichts passiert. »Ich muss mich eben anstrengen und du bist talentiert. Dagegen kann man nichts machen. Ich hoffe nur für dich, dass du dein Ziel dadurch trotzdem erreichst.«

»Das werde ich«, sagte er schlicht.

Ich spürte seine Augen immer noch auf mir. Es machte mich nervös. Klar, wer wäre nicht nervös, wenn der eigene Schwarm einen ansah? Aber mir blieb nichts anderes übrig, als normal weiter zu laufen und zu hoffen, dass ich nichts peinliches machte.

»Brauchst du immer noch Nachhilfe?«, fragte Karma überraschend.

Ruhig bleiben. Ruhig bleiben. »Ja. Ich brauche sehr gute Ergebnisse.«

»Klar. Was denn sonst«, sagte er augenverdrehend. »Dann komm morgen vorbei.«

»Ich kann morgen nicht«, sagte ich.

Innerlich freute ich mich gerade unglaublich darüber, dass er ein Treffen ausmachen wollte...

»Huh? War das keine Ausrede?«

»Nein... Sonst hätte ich wirklich mit den anderen gelernt.«

Irgendwie war es klar gewesen, dass er mir nicht glaubte. Zum Glück machten es jedoch die anderen. Karmas Misstrauen war da weniger schlimm, da er mir fast dauernd misstraute.

»Überraschend«, sagte er.

»Ich kann übermorgen«, sagte ich schnell, aus Angst, dass er die Idee wieder verwerfen würde.

Die Aussicht, Zeit mit ihm verbringen zu können, war unglaublich schön. Genauso wie das, was nach der Nachhilfe folgen würde. Es gefiel mir, das musste ich mir ehrlich eingestehen.

Karma überlegte. Ziemlich lange sogar, sodass ich mir sicher war, dass er es absichtlich machte, um mich zu ärgern.

»Meinetwegen«, seufzte er schließlich und blieb dann überraschend stehen.

Ich machte es ihm gleich und bemerkte erst dann, dass er ziemlich weit mit mir gelaufen war, obwohl er in einer ganz anderen Richtung wohnte. Verwirrt sah ich ihn an, als er sich nach links wandte. Er bemerkte meinen Blick und seufzte erneut.

»Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen, Naoko«, meinte er. »Ich geh in die Arcade-Halle und habe dich nicht begleitet, falls du das dachtest.«

Autsch.

Ich hatte wirklich für einen Moment Hoffnungen gehabt. Es war ziemlich peinlich, dass er sie bemerkt hatte... und dann war er auch noch unnötigerweise so erbarmungslos und direkt.

Wieso genau hatte ich mich noch mal gerade in ihn verliebt?

»Du gehst allein in die Arcade-Halle?«, fragte ich, einfach um diesen unangenehmen Moment zu kaschieren.

»Ja. Da ihr alle lernen werdet und ich meine Zeit lieber sinnvoll verbringen möchte«, sagte er gelassen.

Das war nicht sinnvoller als lernen... Außerdem hatte er sich auch darüber lustig gemacht, als ich allein in der Arcade-Halle gewesen war. Eigentlich könnte ich ihn damit aufziehen, doch ich wollte, dass er mich wenigstens etwas mochte... und auch, dass er die nächste Frage, die ich ihm stellen würde, bejahte. Deshalb entschied ich mich erneut dafür, ihn nicht zu provozieren.

»Darf ich vielleicht mitkommen?«, wollte ich wissen. Er blickte mich ausdruckslos an, weshalb ich schnell fortfuhr: »Ich hab keine Lust nach Hause zu gehen und außerdem hat es beim letzten Mal auch Spaß gemacht. Deshalb würde...«

»Du kannst mit, solange du mich nicht volllaberst.«

Ich würde sagen, das war schon mal ein Anfang. Ein glückliches Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht, als ich zufrieden nickte. Zumindest erlaubte er meine Anwesenheit. So konnte ich ebenfalls Zeit mit ihm verbringen.

»Und bist du oft dort?«, fragte ich, in der Hoffnung ein normales Gespräch mit ihm aufbauen zu können, als wir uns wieder in Bewegung setzten.

»Stell nicht so viele Fragen, Nervensäge.«

»Das war nur eine...«

»Nein, war es nicht. Kein Wunder, dass du Nachhilfe in Mathe brauchst.«

Ich seufzte. Es war zumindest eine, mit der ich ein Gespräch einleiten wollte. Irgendwie musste ich dies noch üben. Karma war sowieso in der Hinsicht schwierig, also sollte ich meine Kommunikationskompetenz bei jemand anderen trainieren. Dann würde es mir vielleicht bei ihm einfacher fallen.

Mit Kenta war es sogar leicht, eine Unterhaltung zu führen. Dies müsste jedoch an ihn sowie seiner Persönlichkeit liegen und an der Tatsache, dass ich mich vor ihm nicht wirklich verstellen musste. Und mit Isogai war die Kommunikation auch deutlich leichter gewesen als mit Karma...

War der Typ einfach komplizierter oder machten es meine Gefühle für ihn komplizierter...?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top