2. Ein Plan B
Hey! :D
Willkommen zum zweiten, längeren und damit ersten richtigen Kapitel :D.
An dieser Stelle, ein großes Dankeschön für die unterschiedlichen Rückmeldungen, die mich auf verschiedenen Wegen erreicht haben. <3 Ich war wirklich über das große Interesse überrascht, umso mehr freut es mich, dass es sofort weitergehen kann.
Viel Spaß beim Lesen!
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»... ich weiß nicht... wo ich bin... ich... Karma, bitte...«
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Koro-Senseis wechselnde Gestalt vor mir machte mich absolut schwindelig, sodass ich mich fragte, wie die anderen es hinbekamen trotzdem für die Zwischenprüfungen zu lernen. Schließlich hatte ich mich dazu entschieden, einfach auf den Tisch zu sehen, damit mir nicht schlimmstenfalls schlecht wurde und musste zufrieden feststellen, dass ich mich sogar sehr viel besser konzentrieren konnte. Er war dennoch einer der besten Lehrer, die ich jemals gehabt hatte, ohne Frage. Umso mehr wunderte ich mich, was das ganze sollte. Wieso um alles in der Welt war er unser Lehrer, obwohl er scheinbar die ganze Menschheit auslöschen wollte? Ob er daran glaubte, dass er uns damit allen einen Gefallen tat? Uns damit diese andere Form der Freiheit ermöglichte?
Ein quietschendes Geräusch ließ mich wieder aufsehen. Koro-Senseis zitternder Doppelgänger schien sowas wie... eine eingedrückte Stelle im Gesicht bekommen zu haben. Die Quelle, beziehungsweise den Grund dafür, verkündete er auch sogleich.
»Keine Angriffe, während ich euch unterrichte, Karma Akabane! Das ist die Regel!«, sagte er laut. »Ansonsten beeinflusst es meine Doppelgänger aus!«
Ein belustigtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich hätte mir direkt denken können, dass Karma wieder mal zugeschlagen hatte. Schnell brachte ich meine Mimik wieder unter Kontrolle. Genau deshalb musste ich mich von diesem süßen Idioten fernhalten. Er brachte mich komplett aus dem Konzept und sorgte dafür, dass ich meine Rolle fallen ließ. Das durfte nicht passieren, ich konnte es mir nicht leisten, nicht einmal für eine Sekunde.
So vergingen auch die nächsten Stunden in der Schule, bevor wir uns schließlich am Nachmittag verabschiedeten. Zumindest machten es die anderen, während ich still das Gebäude verließ und den Berg hinunter lief. Ob es eine Maßnahme war, um uns Disziplin beizubringen? Wer sonst errichtete eine Schule so weit oben? Als ob man die Schüler noch mehr entmutigen wollte, damit sie auch wirklich ungern zur Schule gingen und lernten. Überrascht blieb ich stehen. Konnte es sein? Nein... Was brachte das einer Schule?
Seufzend lief ich weiter und schlug den Weg nach Hause ein. Eigentlich sollte es mir egal sein. In einem Jahr würde meine Klasse ebenfalls ihren Abschluss machen und von dieser Schule weg sein. Oder wir waren alle tot. Je nachdem, ob es jemand schaffte unseren gelben Oktopuslehrer umzubringen. Also sollte ich nicht immer so viel darüber nachdenken.
Während ich durch die Straßen lief, beachtete ich nicht einmal meine Umgebung. Früher hatte ich die Reize meiner Umwelt nur so in mir eingesogen und mich für absolut alles begeistert. Heute wusste ich, dass es besser war an nichts zu hängen. An absolut nichts. Leider gab es nur ein Problem, und dieses wartete auf mich zu Hause.
Ich schloss die Tür zu meinem großen, umzäunten Anwesen auf. Von draußen sah es wahrscheinlich unglaublich aus, von innen empfand ich es als trostlos. Hier gab es wenig Dekoration und kaum persönliche Dinge. Ich mochte jedoch den Garten sehr, der in unser großes Dojo führte.
»Naomi, hallo, wie war die Schule?«, begrüßte mich eine freundliche Stimme sogleich.
Ich sah auf und sah in das lächelnde Gesicht meiner Tante. Zumindest war sie die Frau meines Onkels. Ihre kurzen weißen Haare umrahmten ihr rundes Gesicht perfekt und betonten ihr Lächeln noch mehr. Sie wirkte oft auf mich wie eine Sonne, trotz ihrer Augenringe. Wer konnte ihr das verübeln, schließlich musste sie sich um ein riesiges Haus, ihren faulen Mann, dem Dojo und drei Kindern kümmern.
Aber besonders musste sie den Schein wahren, der ihr wahrscheinlich am wichtigsten war. Gerade, weil ich dies bemerkt hatte, wirkte ihre strahlende Erscheinung auf mich aufgesetzt. Ich konnte nicht wirklich sagen, ob es vielleicht nur meine subjektive Wahrnehmung war, gleichzeitig hatte ich jedoch gelernt, immer vorsichtig zu sein.
Und eben an nichts zu hängen.
»Gut«, nuschtelte ich kurz. Ich bemerkte sofort, dass sie sich zusammenriss, um nicht nachzufragen oder eine klarere Antwort zu verlangen. Denn sie wusste genauso wie ich, dass ich abblocken würde.
Ein genervtes Stöhnen ließ mich nach oben schauen. Raiko kam fast schon stampfend die Treppe herunter, wobei ihre weißen Zöpfe auf und ab hüpfen. Die Quelle ihres Unmutes war mir nur allzu bewusst; ich. Denn sie konnte mich absolut nicht ausstehen. Diese Tatsache verübelte ich ihr nicht einmal und es machte es mir leichter, meinen Prinzipien treu zu bleiben.
»Spar es dir, Mom. Prinzesschen wird sowieso ihre Egoschiene fahren«, meinte Raiko schnippisch.
Ihre Mutter ermahnte sie sofort, jedoch war ich bereits auf den Weg nach oben zu meinem Zimmer. Auf dieser Welt schien es der einzige Ort zu sein, wo ich allein sein und absolute Ruhe haben konnte - meistens jedenfalls, solange Raiko und ihre Mom nicht stritten. Und vor allem... Ein breites, ehrliches Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit, als ich das Bild auf meinem Schreibtisch sah. Die Frau darauf erwiderte mein Lächeln genauso breit, ihre goldbraunen Haare waren ebenso lang wie meine und viele, ja, sehr viele sagten, dass ich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, besonders auch wegen unserer strahlenden grünen Augen. Es machte mich absolut glücklich, wenn ich dies hörte. Ich lief auf das Bild zu und wollte es gerade in die Hand nehmen, als sich mein Stuhl umdrehte. Erschrocken machte ich einen Satz zurück.
»Ich habe dich schon erwartet.«
Meine Züge wurden sofort ausdruckslos, während ich das kleine Mädchen vor mir einfach nur ansah. Das war ein weiteres Problem, das ich gemeint hatte. Meine kleine Cousine und Raikos kleine Schwester Ai. Sie war ein energiegeladenes Nervenbündel, das, egal, was man auch machte, egal, wie sehr man versuchte sie zu ignorieren, an einem klebte, als wäre man die geheime Keksdose ihrer Mutter, die sie ebenfalls regelmäßig fand. Sie brachte selbst ihre Mutter am Rande der Verzweiflung, die kaum eine freie Minute wegen ihr hatte, weil sie so viel Blödsinn anstellte und sehr viel Aufmerksamkeit benötigte. Deshalb gab sie ihr auch meist einfach sofort ihren Willen, um sich die Hartnäckigkeit zu ersparen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, hatte sie die dunkelblonden Haare ihres Vaters, die sie jedoch ebenfalls zu zwei Zöpfen trug. Das verstärkte ihre kindliche Ausstrahlung nur noch mehr und ich musste mir wohl oder übel eingestehen, dass ich manchmal viel zu sehr gegen das Bedürfnis ankämpfen musste, in ihre Wangen kneifen zu wollen. Das war wahrscheinlich auch der zweite Grund, wieso sie alles bekam, was sie wollte. Ihre Eltern betonten stets, wie entzückt sie von ihrer süßen Erscheinung waren.
»Wie oft hab ich dir gesagt, dass du nicht ungefragt in mein Zimmer kommen darfst, Ai?«, fragte ich und stellte meine Schultasche auf den Schreibtisch ab.
»Hundertzweiundzwanzig mal. Jetzt sind es hundertzweiunddreißig... Das war doch eine Frage, oder?«, wollte sie mit großen, unschuldigen Augen wissen. Ich nickte, während ich ihr unter die Arme griff und sie hochhob. Dass sie mitgezählt hatte, bezweifelte ich zu recht sehr stark. »Willst du gar nicht wissen, wieso ich dich erwartet habe? Heute darfst du mit mir spielen!«
Ich schüttelte den Kopf, trug sie zur Tür und stellte sie auf den Flur ab. Dann schloss ich meine Zimmertür wieder und sperrte ab.
»Okay, dann warte ich hier draußen! Beeil dich aber, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!«, rief sie laut.
Ich kniff die Augen zusammen. Lag es an ihrem Alter, oder wieso versuchte sie das immer, obwohl sie wusste, dass ich nicht rauskommen würde? Einige Male hatte ich sie sogar schlafend vor der Tür gefunden. Bei diesem Anblick zog sich zwar immer mein Herz zusammen, jedoch konnte ich nicht nachgeben. Ich durfte nicht nachgeben. Und so hatte ich sie schweigend in ihr Zimmer getragen, bevor ich mich wieder in meins zurück gezogen hatte.
Seufzend setzte ich mich an meinen Schreibtisch und sah wieder auf den Bilderrahmen mit dem Foto meiner Mutter. Ich vermisste sie. Mehr als alles andere auf der Welt, sodass die Aussicht, sie in einem Jahr vielleicht wiedersehen zu können, unglaublich tröstend war. Zielstrebig kramte ich meine Hausaufgaben heraus, um sie schnell zu erledigen. Mein Vater erwartete sehr gute Ergebnisse in der kommenden Zwischenprüfung und ich wollte ihn stolz machen. Dabei fiel mein Blick auf den Kalender und ich stockte kurz, bevor ich erleichtert ausatmete.
Ich hatte für einen Moment gedacht, dass der Termin heute war und ich ihn vergessen hatte... Kopfschüttelnd sah ich wieder auf meine Hausaufgaben. Oder wollte ich ihn vielleicht vergessen? Ich wusste es selbst nicht genau.
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Mit einem kurzen Nicken nahm ich das Bento, das mir meine Tante reichte, entgegen und verstaute es in meine Tasche. Mir waren die leicht nervösen Blicke von ihr und meinem Onkel, der am Küchentisch saß, nicht entgangen, jedoch hatte ich mich wie gewöhnlich dazu entschieden, es einfach zu ignorieren. Dadurch ersparte ich mir einige Kopfschmerzen und konnte mich in diesen freien Minuten mit wichtigeren Dingen beschäftigen. Mich selbst und meinen schirr endlosen Gedanken. Wenn es wichtig wäre, würden sie es mir sa...
»Dein Vater hat sich angekündigt, Naomi.«
Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Die Worte meines Onkels trafen mich wie ein verdammter Blitz. Gerade so schaffte ich es meine Wut darüber, dass sie es mir nicht früher mitgeteilt hatten, herunter zu schlucken. Stattdessen nickte ich nur wieder.
Mein Onkel räusperte sich. Angesichts der Tatsache, dass er zwei Kaffeetassen bereits verschüttet hatte und jetzt versuchte ernst auszusehen, konnte ich ihn nicht ernst nehmen. Ich wusste genauso wie er, dass egal wie sehr er mir jetzt seine Hilfe sowie Unterstützung zusicherte, er genauso machtlos und unfrei war wie ich.
»Ich komm zu spät«, log ich schnell, drehte mich um und verließ die Küche sowie anschließend das Haus.
Erst nach einigen Metern, schloss ich angestrengt die Augen und blieb stehen. Bis jetzt hatte ich noch nichts getan, um ihn irgendwie stolz zu machen. Er kam bestimmt, um die Ergebnisse der Zwischenprüfungen zu sehen und zu kommentieren. Das hieß, ich musste mich noch mehr anstrengen.
Trotz der heutigen Nachricht, machte ich genau das. Dabei war es unglaublich hilfreich, dass Koro-Sensei noch mehr Doppelgänger erschaffte, um uns noch effektiver einzelnd zu betreuen. Im Anschluss war er dementsprechend total fix und fertig, weshalb sich auch langsam die anderen fragten, wieso er sich überhaupt so viel Mühe gab, uns zu unterrichten. Vielleicht waren die anderen doch langsamer und nicht so schlau, wie ich es erwartet hatte, wenn sie sich die Frage erst jetzt stellten.
»Ich will eben, dass eure Noten sehr viel besser werden. Dann werdet ihr mich nur noch mehr bewundern und lieben sowie die Anschläge auf mich sein lassen«, schwärmte unser Lehrer, der total erschöpft auf den Boden lag, während wir ihn alle betrachteten.
»Im Grunde können unsere Noten doch bleiben wie sie sind«, meinte Mimura schulterzuckend.
»Das stimmt«, sagte Yada. »Schließlich bekommen wir Zehnmilliarden Yen, wenn wir es schaffen ihn zu töten.«
»Jap, mit dem Geld hätten wir selbst mit schlechten Noten ein tolles, schönes Leben«, sagte Nakamura und verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf.
Entsetzt zuckte Koro-Sensei zusammen. Ich verstand ihn nur allzu gut. Seufzend lehnte ich mich an die Fensterbank und überlegte, ob ich nicht auch etwas dazu sagen sollte. Wenn Geld ein schönes Leben bedeutete, dann war es fraglich, warum ich meins nicht genoss. Es bedeutete nicht alles, aber es war durchaus so, dass man es sich dann angenehmer gestalten konnte. Nur, musste ich hart arbeiten, um es mir zu verdienen...
»So denkt ihr also darüber?!«, fragte Koro-Sensei fassungslos.
»Koro-Sensei, wir sind die Versager dieser Schule, die E-Klasse«, sagte Okajima schon fast belustigt.
»So sieht es aus, wir haben schlichtweg bessere Chancen Sie zu töten, statt gute Noten zu schreiben«, sagte Mimura.
Ich schloss kurz angestrengt die Augen. Diese Einstellung...
»Wenn ihr euch selbst als Versager seht, dann bleibt ihr Versager«, sagte ich, ohne es aufhalten zu können.
Die Blicke meiner Klassenkameraden wanderten überrascht zu mir. Sie hatten defintiv nicht mit meiner Beteiligung an das Gespräch gerechnet. Rechts von mir hörte ich, wie niemand anderes als Karma missbilligend mit der Zunge schnalzte, und scheinbar gerade etwas sagen wollte, da lenkte jedoch Koro-Sensei die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
»Nun, in Ordnung, wenn ihr das ganze alle so seht, dann kann ich nichts dagegen machen«, sagte er und richtete sich düster dreinblickend auf. »Jedoch hat niemand von euch das Recht, sich einen Killer zu nennen. Raus auf den Schulhof. Sofort.«
Ich runzelte die Stirn. Er war ja wütender über ihre Einstellung als ich. Bei seiner Ausstrahlung traute sich niemand zu widersprechen und so leisteten wir seinen Anweisungen folge. Draußen lehnte ich mich an die Wand des Gebäudes und wartete geduldig ab, während Koro-Sensei sich demonstrativ unten vor uns hinstellte.
»Das System der E-Klasse hat defintiv einen Ausweg«, fing er an. »Wer in den regelmäßigen Klausuren unter die besten fünfzig Schüler kommt, kann mit dem Einverständnis des ehemaligen Klassenlehrers der Diskriminierung der E-Klasse entkommen und aufsteigen. Er kann somit wieder ins Hauptgebäude und in seine alte Klasse zurückkehren. Unter diesen Bedingungen ist es jedoch schwierig für die Schüler bessere Noten als zuvor zu erzielen. Daher haben sie kaum Chancen.«
»Was genau soll ich denn hier?«, fragte Irina-Sensei, als sie zusammen mit Kataoka nach draußen trat. »Ich war gerade wirklich beschäftigt.«
Irina war eine echte Killerin, die nun unsere Englischlehrerin war, um ebenfalls bei der Tötung von Koro-Sensei mitzuhelfen. Sie war wirklich sehr hübsch und noch ziemlich jung, sodass ich mich oft gefragt hatte, wie aus so einer schönen, jungen Frau eine Killerin geworden war.
»Koro-Sensei wollte, dass wir sie rufen«, erklärte ihr die Schülerin und wurde sogleich von Koro-Sensei abgelöst.
»Irina-Sensei, ich habe eine Frage an Sie als Killerin«, sagte er.
Sie blinzelte mehrmals überrascht. »Fragen Sie.«
»Haben Sie als Killerin immer nur einen Plan, wenn Sie einen Auftragsmord verüben wollen?«
Irina-Sensei platzierte fachmännisch eine Hand an ihr Kinn.
»Nein«, sagte sie ohne Umschweife. »Es ist selten der Fall, dass Plan A reibungslos klappt. Daher ist es immer wichtig, einen Plan B für Notfälle zu haben.«
»Und was ist mit Ihnen, Karasuma-Sensei?«, wollte Koro-Sensei von dem Regierungsbeamten wissen, der sowas wie unser Ansprechpartner, Ausbilder und Sportlehrer war.
»In meinem Beruf muss man sich mehrere Optionen offen halten«, sagte dieser. »Der erste Angriff ist zwar der wichtigste, aber wenn man einen wirklich starken Gegner hat, wird dieser ihm ausreichen können. Daher sind der zweite und der dritte Schlag danach entscheidend. Man kann sich nicht nur auf einen Plan oder auf einen Schritt konzentrieren.«
»Ganz genau.« Ein fieses Grinsen bildete sich in dem gelben Gesicht unseres Lehrers und mit einem Mal fing er an sich zu drehen. »Ich bin eine hochentwickelte Lebensform. Ich könnte jederzeit von hier einfach verschwinden, wenn ihr denkt, dass ich eure einzige Option für die Zukunft bin und dann werdet ihr die Chance auf das Geld nicht mehr haben.«
Mit jedem Wort drehte er sich immer schneller und schneller, sodass ein Tornado entstand. Schützend hielten sich einige die Arme vor ihre Gesichter, während ich meinen Rock ergriff und ihn festhielt, damit er nicht nach oben geweht wurde. Der aufgewirbelte, umher wehende Staub sorgte schließlich dafür, dass ich meinen Kopf wegdrehen musste. Ich kannte Koro-Sensei mittlerweile gut genug. Mir war bewusst, dass er uns eine Lektion erteilen wollte. Doch ich hätte in diesem Moment nie gedacht, dass sie auch mich so sehr zum Nachdenken bringen würde. Denn irgendwann, als der Wind und der ganze Staub sich endlich gelegt hatten, wandte er sich wieder an uns, wobei er fast schon beiläufig den Sportplatz präsentierte, den er bei seiner Aktion erschaffen hatte. Das war auch sehr typisch für ihn...
»Hier war alles voller Unkraut und uneben. Ich war so frei und habe mich darum gekümmert«, erklärte er mit einem roten, glühenden Blick. »Ich könnte jederzeit meine Drohung wahr werden lassen und die Erde auslöschen. Wenn ihr mir nicht bald eure zweite Klinge präsentiert, entscheide ich, dass niemand von euch es ernsthaft würdig ist, mich zu töten. Sollte das zutreffen, zerstöre ich die gesamte Schule und verschwinde.«
Nagisa vorne war der erste, der seine Worte wieder fand. »Ich verstehe nicht... eine zweite Klinge... bis wann?«
»Bis Morgen«, sagte Koro-Sensei nun wieder gut gelaunt. »Ich erwarte von euch, dass ihr morgen bei der Zwischenprüfung alle unter die ersten fünfzig kommt. Denn ich habe euch immerhin bereits die Möglichkeit gegeben. Mein Unterricht ist hervorragend. Schwingt diese Klinge, erfüllt eure Mission mit einem Lächeln und seid stolz darauf Killer und E-Klässler zu sein.«
Seine Aussage schien viele einzuschüchtern, während ich nur nachdenklich zu Boden sah.
»Eine... zweite Klinge«, murmelte ich zu mir selbst. Irgendwie klang das fast, als würde er explizit mit mir sprechen, obwohl er zu uns allen sprach. Meine Empfindung war echt dämlich... aber irgendwie war ich mir sicher, dass das der gewünschte Effekt war und es den anderen nicht anders erging.
»Er meint wohl sowas wie einen Plan B«, sagte jemand neben mir.
Ich hatte die zweite Person an der Gebäudewand nicht bemerkt und wäre beinahe zusammengezuckt, als er sein Wort an mich wandte. Karma stand ein paar Schritte von mir entfernt und kratzte sich scheinbar nachdenklich am Hinterkopf. Ich stutzte und ignorierte das Kribbeln in meinem Bauch, als ich ihn ansah.
»Das ist mir bewusst«, sagte ich, vielleicht etwas harscher als gewollt.
Er stoppte in der Bewegung und drehte seinen Kopf leicht zu mir. Normalerweise hatte Karma oft ein provozierendes Grinsen im Gesicht, wenn er jemanden, besonders seine Mitschüler, aufzog. Doch gerade, sah er mich unergründlich an. Ich konnte nicht genau sagen, was es war. Seine Züge schienen fast ausdruckslos zu sein.
»Dann schau nicht so dümmlich«, sagte er schlicht, wandte sich um und ließ mich einfach stehen.
Dümmlich? Ich musste zugeben, diese Bemerkung triggerte mich, denn ich war lediglich genauso nachdenklich gewesen wie er. Aber gleichzeitig, machte ich ihm keinen Vorwurf... Ich hatte nicht so nett reagiert, so, wie ich es wollte, so, wie ich es sollte, obwohl er nur geantwortet hatte.
Ich ließ meinen Blick zu Koro-Sensei wandern, der hinter den anderen Schülern, die langsam alle wieder nach oben und zum Schulgebäude liefen, her lief. Eine zweite Klinge...
Was war, wenn man keine zweite hatte...? Wenn man wirklich... keine andere Wahl hatte...? Wie gern würde ich unserem Lehrer diese Frage stellen. Doch ich konnte nicht. Denn niemand durfte irgendetwas explizites über mich erfahren. Nicht einmal er.
Die Distanz war meine einzige Option für eine schmerzfreie Freiheit.
Koro-Sensei war weise, keine Frage. Doch zum ersten Mal, musste ich ihm widersprechen.
Es konnte nicht immer einen Plan B geben.
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Der Bücherberg neben mir wurde immer höher. Morgen bei den Zwischenprüfungen musste ich mein bestes geben. Für ihn. Damit er stolz auf mich sein konnte. Und so lernte ich, obwohl es bereits zehn Uhr war und ich bald ins Bett musste. Ich hatte wirklich Glück, dass es nicht der akademische Punkt war, der mich in die E-Klasse verfrachtet und verbannt hatte. Ich würde sogar sagen, dass es schlichtweg meine eigene Schwäche gewesen war. So tat ich mittlerweile alles, um ihm zu beweisen, dass ich nicht schwach war. Dass ich... nicht so fehlerhaft war... irgendwie nützlich sein könnte...
»Naomi?«
Die sanfte Stimme meiner Tante hinter mir, ließ mich kurz die Augen zukneifen. Sie hatte nicht geklopft und das, obwohl sie wusste, wie beschäftigt und wie wichtig das ganze gerade für mich war. Das zeigte mir wieder, dass diese Sänfte nicht echt sein konnte. Doch ich fuhr sie nicht an. Stattdessen hob ich meinen Kopf, um ihr zu signalisieren, dass ich ihr zu hörte, wandte mich jedoch nicht um. Ich hörte ihre leisen Schritte und das Quietschen meines Bettes. Sie wollte also ein längeres Gespräch führen, mein Talent war es aber, alles kurz zu halten.
»Warst du heute...?«
»Ja«, sagte ich sofort.
»Und wie...?«
»Gut. Alles ist in Ordnung.«
Sie schwieg. Daher nahm ich mein Geschichtsbuch und klappte es auf. Während sie nachdachte, konnte ich die Zeit nützlich verwenden.
»Hast du Angst?«, fragte sie schließlich.
»Vor der Zwischenprüfung? Nein. Ich bin gut vorbereitet«, antwortete ich.
»Naomi...«
»Ich würde nur gern ein Bisschen wiederholen, bevor ich schlafen gehen. Wenn nichts wichtiges ist, wäre ich dir dankbar, wenn ich weiter machen könnte.«
Eine erneute Stille legte sich über uns und um ehrlich zu sein, fühlte ich mich etwas schlecht. Ich wusste, dass sie es wenigstens versuchte. Das Problem war nur..., dass es mir trotzdem nicht helfen würde.
»Natürlich. Gib dein bestes, ja?«, sagte meine Tante mit einem traurigen Lächeln, das ich nicht sehen konnte.
Ich nickte. »Das werde ich.«
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Die Prüfungen liefen perfekt. Sehr gut sogar. Nur die letzten Aufgaben waren sehr knifflig gewesen und ich befürchtete, dass mir einige Punkte dadurch entgangen waren.
Es war frustrierend.
Wie sich bald herausstellen sollte, wurde der Inhalt der Prüfungen abgeändert und wir, die E-Klasse, wurden verständlicherweise nicht darüber in Kenntnis gesetzt. So wie es zu erwarten war. Dementsprechend, waren unsere Ergebnisse alle absolut nicht zufriedenstellend.
»Es ist ganz allein meine Schuld«, sagte Koro-Sensei, als wir sie bekommen hatten und im Klassenraum saßen. »Ich habe die Machenschaften in dieser Schule sehr unterschätzt.«
Die ganze Stimmung war sehr bedrückt. Die anderen schienen unglaublich frustriert zu sein. Doch meine Augen waren fest auf meine Ergebnisse gerichtet...
»Ich kann euch... nicht einmal in die Augen sehen«, sagte Koro-Sensei bekümmert. Ein darauffolgendes Quieken und ein Geräusch, als wäre etwas nach ihm geworfen worden, ließen mich aufsehen.
Karma war aufgestanden. Natürlich... und er hatte sein Messer nach unserem Lehrer geworfen.
»Sicher?«, fragte er provokant. »Wenn Sie mich nicht ansehen, werden Sie meine Angriffe auch nicht sehen. Das wäre doch ein ziemlich unfairer Vorteil für mich.«
»Karma! Ich bin gerade deprimiert!«, rief Koro-Sensei wütend, stoppte jedoch, als dieser ihm seine Prüfungsergebnisse auf den Tisch legte.
»Mir macht es nichts aus, wenn sich die Prüfungsaufgaben verändern«, meinte er mit einem... wirklich sehr süßen Lächeln, das auch mich dazu veranlasste wie die anderen aufzustehen.
99, 98, 98, 99, 100
Der Typ...
... war wirklich unglaublich.
»Meine Leistung ist hoch, Sie haben mir eben unnötig viel beigebracht, deshalb kam ich trotzdem klar«, sagte Karma. »Ich will die E-Klasse trotzdem nicht verlassen. Das Töten macht mir eben viel mehr Spaß, als alles andere in meiner alten Klasse. Wollen Sie jetzt abhauen, weil wir es nicht alle unter die besten Fünfzig geschafft haben? Mir kommt es eher so vor, als hätten Sie einfach Angst davor, von uns erledigt zu werden.«
Was auch immer es war, es schien dafür zu sorgen, dass die anderen auftauten und die Stimmung sich hob. Lässig verschränkte Maehara seine Hände hinter seinem Kopf.
»So ist es also, Koro-Sensei. Sie hatten Angst vor uns«, sagte er frech, woraufhin auch die anderen zustimmten.
Oh ja, dachte ich mit einem Schweißtropfen auf der Stirn, während nun weitere Schüler anfingen unseren Lehrer aufzuziehen. Eine so hochentwickelte Lebensform, die alles binnen Sekunden dem Erdboden gleich machen konnte, hatte Angst vor uns zerbrechlichen Teenagern...
Dieser Gedanken hätte mich vielleicht amüsiert, würde mein Blick nicht sofort wieder zu meinen Ergebnissen wandern...
72, 84, 85, 82, 93...
Ich schluckte schwer... denn, wenn jemand Angst hatte, dann war ich es...
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