12. Ein Deal

Hey!

Es geht weiter mit dem nächsten Kapitel. Nach dem letzten, kann ich sagen, dass die Story, bzw. die Thematik der Geschichte nun richtig beginnt. Ihr werdet sehen, worum es unter anderem geht. Bald kommen auf Instagram (@su.yu.san) immer wieder die wissenschaftlichen Theorien und Erklärungen, wieso sich gewisse Charaktere... aufführen, wie sie sich nun mal aufführen. Dort gibt es übrigens auch Fanarts und Q&As und das erwähne ich nochmal, weil viele das Vorwort überspringen oder nur ab und zu lesen :D.

Anyways, das wars von mir.

Viel Spaß beim Lesen!
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»Welches Angebot?«, fragte ich skeptisch.

Ich traute seinem Blick gerade absolut nicht, auch wenn er mich ein wenig nachdenklich ansah. Karma deutete auf etwas hinter mir und ich sah über meine Schulter. Auf dem Schreibtisch waren noch meine Mathesachen ausgebreitet, da ich am Sonntag, bevor mein Vater herein geplatzt war, gelernt hatte. Es war insgesamt also ein schlechter Tag gewesen, der verzweifelt angefangen und genauso schlimm geendet war. Meine Realität eben.

»Ich gebe dir Mathenachhilfe und als Gegenleistung machen wir ab und zu miteinander rum. Dann hab ich wenigstens meinen Spaß«, sagte Karma.

Verdattert sah ich ihn an, unsicher, ob er es ernst meinte oder es nur ein Trick war. Doch er lachte mich weder aus, noch wirkte er so, als würde er irgendetwas verheimlichen. Angenommen er meinte es wirklich ernst... ich brauchte Hilfe in Mathe... Doch, ich wollte ihn nicht so nah an mich heranlassen. Ich durfte keine Freundschaften aufbauen, nur... jetzt versuchte mein Dad sich in diesem Punkt auch noch einzumischen... und dann das...

Meine Gefühle für Karma waren wahrscheinlich der lauteste Grund, wieso mein Verstand schrie, dass ich ja sagen sollte. Damit wäre ich ihm nahe und würde immer wieder das spüren, was ich an jenem Tag gefühlt hatte. Ich erfuhr selten sowas wie wahres Glück oder sehr positive Emotionen... Mit ihm hatte ich noch sehr viel mehr gefühlt...

Vernünftig wäre es wohl Nein zu sagen, da für mich diese Küsse eine ganz andere Bedeutung haben würden als für ihn. Doch gerade das machte es so verlockend, ja zu sagen. Er würde nicht verletzt werden, was ich vermeiden wollte. Aber es war egal, wenn ich es wurde. Ich war quasi an nichts anderes gewöhnt und hier... konnte ich wenigstens auch einfach mal für einige Momente nur glücklich sein... Für ihn war es sicher, da er mich schließlich nicht einmal mochte...

Und es wäre wieder eine Entscheidung, die ich mal allein treffen könnte, während ich gleichzeitig etwas für die Schule und meine Noten machte...

»Einverstanden«, sagte ich, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Vielleicht fiel mir diese Entscheidung etwas zu leicht... aber ich konnte nichts dafür. Es lag an ihm.

Ein selbstgefälliges Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht, doch ich hob schnell den Finger, noch ehe er zu seiner frechen Antwort ansetzen konnte.

»Aber es bleibt unter uns. Ich will mir keine Sprüche oder Gerüchte anhören müssen, klar?«

»Ich hatte sowieso nicht vor, es irgendjemanden zu erzählen. Damit kann man nicht wirklich prallen«, sagte er schulterzuckend. Was für ein Idiot... »Also bleibt es wohl sozusagen, unser kleines Geheimnis.«

Ich nickte. Und während mein Herz zu rasen schien, fragte ich mich innerlich, ob es wirklich so eine gute Idee sein würde. Aber der Gedanke, ihn bald küssen zu können, ließ keine Vernunft zu...
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»Du bist mit Akabane befreundet?«, fragte Raiko sogleich, als ich die Treppe wieder hoch kam, nachdem ich Karma wie angeboten hinaus begleitet hatte.

Ich schüttelte den Kopf und blieb oben auf der letzten Stufe stehen. »Wir sind nur Klassenkameraden.«

»Und was wollte er dann hier?«, fragte sie misstrauisch.

»Mir die Unterlagen von heute bringen«, sagte ich

»Kannst du ihn mir vorstellen?«

Ich runzelte die Stirn und musterte sie fragend. »Was ist mit diesem Oberstufen-Typen?«

»Für Akabane würde ich ihn in den Wind schießen«, meinte sie abwinkend. »Also, was ist nun?«

Mir gefiel ihr Interesse leider ganz und gar nicht. Doch wie immer versuchte ich, meine richtigen Gefühle nicht durchsickern zu lassen. Außerdem durfte niemand von meinem Interesse an ihn erfahren und vor allem durfte niemand von unserem Deal wissen. Also entschied ich mich zu lügen. Raiko war nicht wirklich jemand, dem ich irgendetwas Sensibles anvertrauen konnte.

»Soweit ich weiß, ist er an jemanden interessiert. Wie ernst es ist, weiß ich leider nicht, aber er interagiert auch nicht sonderlich viel mit uns Mädchen«, sagte ich.

»Oh, Mann...« Sie seufzte. »Meine ganzen Freundinnen finden ihn toll. Was meint du, wie eifersüchtig die geworden wären, wenn ich etwas mit ihm hätte? Außerdem würde Mom ausflippen, weil er immer in Schwierigkeiten gerät und Probleme macht.«

Die letzte Aussage konnte ich tatsächlich sogar verstehen, nur ihren ersten Grund nicht...

Verwirrt legte ich den Kopf schief. »Wieso willst du deine Freundinnen eifersüchtig machen?«

»Das verstehst du nicht«, winkte Raiko ab. »Es geht ums Prinzip.«

»Welches Prinzip genau?«

»Na, um Anseh...« Sie hielt entsetzt inne. »Oh, verdammt, ich kling wie meine Mom... Vergiss es! Ich will Akabane doch nicht kennenlernen. Nein, ich werde nicht wie sie.«

Mit einem Schweißtropfen auf der Stirn, musterte ich sie besorgt. Sie sah so aus, als hätte sie wirklich Angst davor, wie ihre Mutter zu werden. Okay, verübeln konnte ich es ihr nicht. Aber ich hatte immer gern wie meine Mutter werden wollen. Sie war jedoch auch durch und durch absolut toll gewesen...

Das Geräusch einer sich bewegenden Türklinke riss mich aus meinen Gedanken, gefolgt von einem leisen Klopfen.

»Hallo?«, sagte Ai gegen die Tür. »Mama, darf ich jetzt raus?«

»Mama ist unten«, sagte Raiko.

»Sag ihr, ich muss dringend pullern.«

Raiko seufzte und lief die Treppe herunter. Am liebsten hätte ich die Tür selbst aufgemacht, doch wie bereits erwähnt, ging es mich eigentlich nichts an und vielleicht lernte sie aus den Veränderungen dazu. Ein zweistündiger Wutanfall war defintiv nicht normal... Ich wüsste wirklich nicht, was ich als Elternteil machen würde. Aber, ich hätte es auch nie soweit kommen lassen.

Kurz darauf kam meine Tante die Treppe hoch, die mir nur einen kurzen kalten Blick zuwarf. Warum auch immer sie dies für notwendig hielt. Raiko war wahrscheinlich unten geblieben, um das ganze nicht mitzubekommen. Ich blieb nach diesem Blick jedoch aus Prinzip. Wenn sie mich als Gefahr wahrnahm, nur, weil sie sich jetzt von meinem Vater bedroht fühlte, dann sollte sie dies ruhig machen. Sie hatte ihre Maske fallen gelassen, als sie zum Ziel der Unzufriedenheit meines Vaters geworden war. Die ganze Person, die sie vorgegeben hatte gewesen zu sein, hatte nie existiert und ich war so froh, dass ich ihrem Schauspiel nicht geglaubt hatte.

Dies war ihre Schuld und nicht meine. Aber sie würde das wohl nicht so schnell einsehen, und stattdessen mich weiterhin wie ein Sündenbock behandeln.

»Was ist, Ai?«, fragte sie, ohne die Tür zu öffnen.

»Ich muss dringend pullern«, antwortete Ai.

»Wie heißt das Zauberwort?«

Stille. »... Pullern?«

Genervt stieß ihre Mutter die Luft aus, öffnete die Tür und sah sie streng an. »Es ist Bitte, Ai. Außerdem, was ist Pullern für ein ekelhaftes Wort, das du da benutzt? Das gehört sich nicht für eine Lady. Also nochmal.«

Unsicher spielte Ai mit ihren Händen. »Ich muss dringend bitte pinkeln.«

»Das Wort sollst du auch nicht benutzen.«

»Ich... muss dringend bitte?«

»Es heißt "darf ich bitte die Toilette benutzen, Mama?". Also nochmal.«

Nun schien Ai keine Lust mehr darauf zu haben, brav zu sein. Genervt sah sie ihre Mutter an.

»Aber... Das musste ich doch noch nie sagen! Ich will einfach nur pullern!«, rief sie.

»Wenn du es nicht sagst, dann sperre ich dich wieder ein und du darfst nicht auf die Toilette.«

Wütend stampfte Ai auf. »Dann mach ich mir einfach in die Hosen!«

»Ai, musst du in der Schule um Erlaubnis fragen, wenn du auf die Toilette möchtest?«, mischte ich mich ein, da ich bemerkte, dass es nichts brachte.

Ich wollte ungern, dass die Situation eskalierte. Vor allem, weil ich erlebt hatte, welche Konsequenzen ihr mittlerweile blühten. Eigentlich dachte ich, dass ihre Mutter schon wieder alles aufgeben würde, sobald mein Vater weg, aber scheinbar hatte sie endlich begriffen, dass Ais Verhalten vor ihm sich sonst nicht ändern würde. Wer wusste schon, zu welchen verzweifelten Mitteln sie da greifen würde? Sie schien nicht einmal klar zu denken, denn es war mehr als zu erwarten, dass ein kleines Kind, das nicht auf die Toilette durfte, die Kontrolle über die Blase verlieren würde. Damit würde sie nichts erreichen.

Ai nickte auf meine Frage hin. »Ja, muss ich.«

»Siehst du? Das ist hier gerade nicht anders. Na, komm. Du bist doch ein braves Mädchen. Frag lieb nach«, sagte ich.

Etwas trotzig schob sie die Unterlippe hoch, bevor sie dann zu ihrer Mutter hoch sah.

»Darf ich bitte die Toilette benutzen?«, fragte sie endlich.

Ihre Mutter lächelte zufrieden und trat zur Seite. »Ja, darfst du.«

Ai lief los, jetzt, da ihr der Weg nicht mehr versperrt wurde, doch zu meiner Verwirrung steuerte sie schnell die Treppe an und ich meinte kurz sowas wie ein Grinsen gesehen zu haben. Ihre Mutter war jedoch schneller, packte sie am Arm und riss sie äußerst unsanft zurück, wobei Ai sich dieses Mal so heftig wehrte, dass sie sie mit beiden Händen festhalten musste.

»Lass mich los, du Blödie! Ich will nicht mehr in meinem blöden Zimmer sein!«, schrie das kleine Mädchen und fing an nach ihrer Mutter zu treten.

Ich war um ehrlich zu sein sprachlos. Dass sie trotzdem lügen würde, hatte ich nicht erwartet. Wieso hatte sie dann dieses ganze Theater mit der Frage gemacht? Was sollte dies bezwecken?

Meine Tante hielt sie nun mit beiden Armen fest und zwang sie, sich hinzuknien, damit sie auch nicht mehr nach ihr treten konnte, während Ai wütend schrie. Ab diesen Punkt konnte ich ihr nicht mehr helfen, ich war mir irgendwie sicher, dass alles nur schlimmer werden würde.

»DU HÖRST SOFORT AUF ZU SCHREIEN, ODER ICH WERDE DEIN IPAD KAPUTT MACHEN, HAST DU MICH VERSTANDEN?!«

Sie verstummte zwar, sah jedoch ihre Mutter wütend an und streckte ihr dann die Zunge heraus. Gleich darauf kassierte sie die erste Ohrfeige, womit sie scheinbar nicht gerechnet hatte, denn für einen Moment schien sie schockiert, bevor ihre Lippen heftig anfingen zu beben.

»Du bist ein unartiges Kind. Dein Onkel Tanako hat recht! Du bist eine widerliche Lügnerin und ein Tier!«

»Bin ich gar nicht! Ich bin kein Tier!«, rief Ai verletzt. »Ich hab nicht gelogen!«

»Also hast du bei den Keksen nicht gelogen und jetzt auch nicht, als du sagtest, dass du auf die Toilette willst?«

»Die Kekse hat Naomi gemampft, nicht ich! Und ich musste plötzlich nicht mehr auf die Toilette!«

Eine weitere Ohrfeige. Ai hielt sich die gerötete Wange, doch ihr trotziger Blick blieb, obwohl sich bereits Tränen in ihren Augen bildeten.

»Das bringt so nichts«, sagte ich nun, da ich weder gehen, noch es einfach zulassen wollte. »Sie sieht es nicht ein.«

»Weil ich es auch nicht war, sondern du! Du hast gelogen! Du bist nicht brav!«

Ihre Mutter hob wieder die Hand, doch dieses Mal hielt ich sie fest. Ich ging nun ebenfalls in die Hocke und sah Ai an. »Für jede Lüge, die du erzählst, schmeiße ich einen Keks aus der Packung weg. Und ich werde keine weiteren mehr kaufen. Es sei denn, du sagst jetzt die Wahrheit. Wer hat die Kekse gegessen?«

Sie sah mich absolut schockiert an und blickte tatsächlich hilfesuchend zu ihrer Mutter, deren Gesicht jedoch dieses Mal kalt war. Als sie bemerkte, dass sie keine Hilfe bekommen würde, fing ihre Unterlippe an zu beben und eine Träne lief ihr über die Wange.

»Ich hab sie... gegessen...«, murmelte sie schließlich kleinlaut. »A... Aber Mama... du hast es... erlaubt und ich...«

»Und musstest du auf die Toilette?«

Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich wollte nicht mehr... eingesperrt sein...«

»Geht doch«, sagte ich zufrieden. »Und für deine Ehrlichkeit, bekommst du heute nach dem Abendessen genau einen Keks.«

»Aber... Ich will mehr!«

»Nur einen.«

Wieder sah sie zu ihrer Mutter. »Mama, ich darf doch mehr, oder? Du hast doch gesagt, dass Naomi hier nichts zu sagen hat. Ich darf also bestimmt mehr, ja?«

Das erklärte, wieso sie kaum auf mich hörte... Selbst nicht, als es darum ging, dass sie unser Bad nicht verwüsten sollte... Meine Tante zuckte kurz ertappt zusammen und schüttelte schnell ihren Kopf.

»Nein, Ai. Darfst du nicht«, sagte sie genervt.

»DU HAST ABER GESAGT, DASS...«

»Wenn du schreist, dann bekommst du gar keinen Keks mehr«, sagte ihre Mutter sofort.

Ai presste die Lippen aufeinander und fing übertrieben an zu schmollen. Es war irgendwie unglaublich, dass sie trotzdem weitere Taktiken und Tricks auf Lager hatte und sie auch benutzte, denn gleich darauf sah sie ihre Mutter mit ihrem süßen Engelsblick an, der sonst immer funktionierte.

»Das bringt nichts. Du kannst schmollen so viel du willst. Es bleibt bei einen.« Fast schon angewidert sah meine Tante demonstrativ weg.

Meine Arbeit hier war getan, als ich bemerkte, dass Ai endlich aufgab und absolut niedergeschlagen zu Boden blickte. Bevor noch irgendetwas passieren konnte, verschwand ich in mein Zimmer und schloss erschöpft die Tür. In diesem Haus würde es wohl erst einmal keine Entspannung oder Ruhe geben. Es war zwar notwendig, doch die Herangehensweise war falsch, sodass sie auf noch mehr Widerstand und Stolz stieß und noch mehr Ärger sowie Lärm erzeugte.

Mit den Unterlagen, die mir Karma gebracht hatte, schwang ich mich aufs Bett. Ich brauchte defintiv mittlerweile eine Ablenkung und eine Pause von dem ganzen. Davor hatte ich mich mit dem Schrecken, das sich mein unperfektes Leben nannte, arrangiert, aber da konnte ich wenigstens in Ruhe für mich bleiben, lernen und an meinen Zielen arbeiten. Jetzt war das ganze fast schon ein Ding der Unmöglichkeit...

Ich brauchte und verdiente eine Ablenkung. Eine... die mich wenigstens glücklich machte und die ganzen Probleme ausglich. Da schien mir Karmas Angebot plötzlich deutlich geeigneter und attraktiver. Als hätte meine Schlussfolgerung irgendein übernatürliches Signal ausgelöst, vibrierte mein Handy. Ein Blick darauf verursachte ein breites Lächeln auf meinen Lippen. Wenn man vom Teufel sprach...

[16:57] Karma: Bist du morgen wieder da?

[16:57] Ich: Ja.

[16:58] Karma: Nach der Schule?

[16:58] Ich: Ja. Wo?

[16:59] Karma: Bei mir. Warte einfach am Fuß des Berges auf mich, aber nicht so auffällig. Ich hab keine Lust darauf, dass jemand Fragen stellt.

[17:00] Ich: Ich auch nicht. Wie peinlich wäre es, wenn jemand erfährt, dass GERADE DU mir Nachhilfe gibst? Mein Ruf wäre zerstört.

[17:01] Karma: Ich kann mein Angebot auch wieder zurück nehmen.
[17:01] Karma: Außerdem, welcher Ruf bitte? Ist dir bewusst, wie andere dich wahrnehmen?

[17:02] Ich: War nur ein Witz.
[17:02] Ich: Und ja. Das ist mir bewusst und es ist okay.

[17:03] Karma: Wenn du meinst. Also morgen.

[17:04] Ich: Bis morgen, wenn ich unauffällig am Fuß des Berges auf dich warte

Er antwortete auf diese Nachricht nicht mehr, aber das musste er auch nicht. Ob Karma mich mehr verstehen würde, wenn er meine Gründe erfuhr? Seufzend ließ ich meinen Kopf auf mein Kissen sinken. Sie interessierten ihn wahrscheinlich nicht einmal, doch es wäre ziemlich interessant seine Gedanken dann zu hören. Auch wenn es nie so weit kommen würde.
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Am nächsten Tag bemerkte ich selbst, dass ich ziemlich nervös war. Zwar lenkte es mich nicht vom Unterricht ab, defintiv nicht, sowas würde mir nicht passieren, in diesem Punkt hatte ich meine Gefühle bestens im Griff, aber es sorgte dafür, dass ich, jedes Mal, wenn ich eine Aufgabe fertig hatte, erst einmal an mein anstehendes Treffen mit Karma denken musste. Ich würde nicht nur Zeit mit meinem Schwarm verbringen können, sondern auch mit ihm lernen und ihn dann anschließend küssen können...

Irgendwie war es komisch. Er schien es defintiv ernst gemeint zu haben, aber es gab immer noch die Möglichkeit, dass es ein Trick war. Vielleicht wollte er mich hereinlegen... irgendwie... Vielleicht wollte er, sollte ich wirklich auftauchen, anderen davon erzählen, aber dann würde ich einfach behaupten, dass ich ihn selbst hereinlegen wollte, in dem ich Nachhilfe genommen hätte und dann abgehauen wäre. Dieses Spiel konnte ich auch spielen.

Wenn ich nicht mit ging, dann würde ich es nicht erfahren. Und um ehrlich zu sein... Ich wollte einfach Zeit mit ihm verbringen. Wenigstens einmal. Ich konnte ihm danach sagen, dass wir es vergessen sollten.

»Naoko-san, bist du mit deinen Gedanken woanders?«, sagte Koro-Sensei plötzlich.

Ich sah auf. »Nein, Sensei. Ganz und gar nicht.«

»Kannst du uns dann die Antwort geben?«, sagte er und hob eine Tentakel.

»Darwin geht in seiner Theorie davon aus, dass die Arten sich verändern, um sich ihrer Umwelt anzupassen und diejenigen, die es eben nicht schaffen, sterben nach dem Selektionsprinzip, sodass die Evolution stattfindet.«

»Ganz genau.« Er nickte zufrieden.

Sagte ich doch, vom Unterricht würde mich nichts ablenken. Er war zu wichtig für mich.
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»Du siehst nachdenklicher aus als sonst«, meinte Nakamura, als sie nach dem Unterricht an meinem Tisch vorbeilaufen wollte und blieb stehen.

Ich sah kurz auf, während ich meine Sachen in meine Tasche packte. Merkte man es mir wirklich an, dass ich mir den Kopf über das Treffen gleich zerbrach? Das war doch nicht möglich. Sonst hatte ich meine Mimik stets im Griff...

»Ich überlege gerade die ganze Zeit, welches Kleid ich mir kaufen soll«, log ich, da es nichts brachte sie damit abzuwimmeln, dass nichts wäre. Es war immerhin die hartnäckige, freche Rio Nakamura, von der wir hier sprachen. »Ich bin mir bei der Farbe so unsicher.«

»Ein neues Kleid?!«, sagte sie und ergriff plötzlich aufgeregt meinen Arm. »Das ist leicht! Es kommt einfach auf den Anlass an. Wofür brauchst du es?«

»Äh...« Etwas überrumpelt brauchte ich einige Sekunden, bevor ich ihr antworten konnte. »Ein langweiliges Geschäftsessen.«

Ich schulterte meinen Rucksack und wollte gerade gehen, doch sie setzte erneut an.

»Ein Geschäftsessen«, sagte sie nachdenklich. »Na, da würde ich ganz klar schwarz tragen. Damit macht man nie etwas falsch.«

»Daran hab ich auch gedacht. Vielleicht nehme ich das ja wirklich. Na, dann, ich muss jetzt los, ich bin verabredet. Bis morgen!«

»Bis morgen!«, verabschiedete sie sich und wurde gleich darauf von Hayami angesprochen.

Ich bekam nicht mehr mit, was sie sagte, da ich mich beeilte, um einen kleinen Vorsprung zu haben. Sonst würden sie sehen, mit wem ich verabredet war. Während ich den Berg hinunterlief, vibrierte mein Handy. Karma war mittlerweile, neben der Klassengruppe, der einzige, der mir schrieb und so holte ich es heraus, in der Erwartung, dass die Nachricht von ihm war. Und ich sollte recht behalten, jedoch hatte er mir nur geschrieben, dass er beim Supermarkt an der Ecke auf mich wartete. Logisch, die anderen könnten uns zusammen weggehen sehen.

Das hieß wohl, dass er sich wirklich mit mir treffen wollte...

Die komplette Bestätigung bekam ich, als ich ihn an der Fensterscheibe des besagten Geschäfts lehnen sah. Er blickte teilnahmslos auf den Boden. Erst als ich direkt neben ihm war, hob er den Kopf.

»Es ist unhöflich andere warten zu lassen«, sagte er tadelnd.

»Du vermisst mich scheinbar ziemlich schnell«, erwiderte ich mit einem kurzen aufgesetzten Lächeln.

»Glaub mir, defintiv nicht. Ich will die Nachhilfe nur schnell hinter mir bringen.«

Karma stieß sich ab und sah mich kurz an, bevor er mir bedeutete ihm zu folgen. Wir schlugen einen ganz neuen Weg ein, den ich noch nie entlang gelaufen war, doch wenn ich mich nicht irrte, dann führte es zu einer Wohnsiedlung mit Familien der mittleren Oberschicht. Ich hatte mir oft endlos lange Gespräche über die Topographie unserer Stadt anhören müssen. Da merkte man sich oft Dinge, die man sich eigentlich nicht merken wollte.

»Sind deine Eltern zu Hause?«, fragte ich, einerseits um die Stille zu unterbrechen, andererseits, weil ich es wirklich wissen wollte.

Mir wurde nahe gelegt, dass ich, wenn ich jemanden zum ersten Mal besuchte, ein Geschenk mitbringen sollte. Eine ziemlich unnötige Information bis jetzt, da ich noch nie jemanden besucht hatte, doch vielleicht konnte ich dieser Pflicht heute zum ersten Mal nachgehen. Außerdem wollte ich nicht einfach so, ohne mich darauf innerlich vorzubereiten, auf seine Eltern treffen.

»Nein, wir werden allein sein«, sagte er ohne mich anzuschauen.

Ich nickte, obwohl er es nicht sehen konnte. Leider fiel mir keine weitere Frage mehr ein, sodass wir den Rest des Weges schweigend gingen. Irgendwann blieb Karma vor einem Wohnblock mit vielen Apartments stehen, dass keineswegs heruntergekommen oder normal wirkte. Neugierig betrachtete ich ihn von der Seite, als er die Tür öffnete und den Fahrstuhl ansteuerte. Also doch... er kam aus guten Verhältnissen. Das wurde mir noch einmal bestätigt, als wir in der Wohnung ankamen, die für japanische Verhältnisse sehr groß und geräumig schien. Allein das Wohnzimmer war wirklich riesig, von dem ein Flur mit mehreren Türen ausging, während eine Tür neben dem Eingang direkt zur Küche führte, die mit einem schwarzen, glänzenden Marmormuster versehen war.

Ja, er kam aus wirklich guten Verhältnissen.

»Setzt dich auf die Couch und hol deine Sachen schon mal heraus«, meinte Karma, während er den Flur ansteuerte und in eines der Zimmer verschwand.

Ich ließ meine Tasche zögerlich auf die schwarze Couch fallen und sah mich um. Reiche Haushalte schienen wirklich selten persönliche Dinge als Dekoration zu verwenden... Bei ihm sah es nicht anders aus als bei uns, obwohl es fast noch unbelebter wirkte.

»Was ist mit Mittagessen? Hast du keinen Hunger?«, fragte ich ehrlich verwundert, als er wieder zurück kam. Er hatte seine Jacke ausgezogen und seine Tasche abgelegt.

»Sag mir nicht, dass du jetzt auch noch erwartest, dass ich dich durchfüttere«, meinte er mit einem Schweißtropfen auf der Stirn.

»Ich frage wegen dir. Jungs haben doch immer Hunger«, sagte ich.

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich zur Küche. »Ich mach uns ein paar Instant-Nudeln, Vielfraß, wenn du so darauf bestehst.«

Ich seufzte und folgte ihm kurzerhand, sehr zu seinem Leid. Karma versteckte es nicht mal, dass er teilweise ziemlich genervt von mir war. Was... absolut von ihm zu erwarten war. Etwas anderes hätte mich bei ihm überrascht.

»Isst du immer Fertigzeug?«, fragte ich.

»Manchmal bestelle ich«, antwortete er abwimmelnd, während er einen der Schränke öffnete.

»Wo sind deine Eltern? Kochen sie nicht für dich?«

»Was geht dich das überhaupt an?«, sagte er nun wirklich genervt. »Wir sind hier aufgrund unseres Deals und nicht, um uns kennenzulernen. Wenn du so weiter machst, kannst du meine Hilfe vergessen.«

Ich seufzte. Keine Ahnung in welchen Hals er das bekommen hatte, aber defintiv in den falschen.

»Ich wollte nur fragen, ob ich kochen darf«, sagte ich schließlich.

»Indem du nach meinen Eltern fragst? Sicher.«

Ich biss mir kurz auf die Unterlippe. Das war wohl nicht der richtige Ansatz gewesen.

»Ich... bin nicht so gut im sozialen Bereich...«, gestand ich zögerlich.

»Was für eine Überraschung. Das hätte ich jetzt nicht erwartet.«

Er provozierte mich, doch ich werde mich defintiv nicht darauf einlassen.

»Weil ich die meiste Zeit selbst allein bin«, fuhr ich fort und sorgte dafür, dass Karma endlich innehielt. »Ich wollte damit nur wissen, ob sie etwas dagegen hätten, wenn ich koche. Meine Tante mag es nicht, wenn ich die Küche benutze, aber kann auch nichts dagegen sagen. Ich kann eigentlich sogar ziemlich... gut kochen. Also, wenn es ihnen und dir nichts ausmacht, dann koch ich für uns. Keine Sorge, ich erwarte keine Gegenleistung oder...«

»Hör auf zu labern«, unterbrach mich Karma frustrierenderweise und innerlich breitete ich mich schon auf seinen nächsten Spruch vor, jedoch seufzte er stattdessen hörbar. »Meinetwegen. Was brauchst du, Nervensäge?«
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Karma hatte nicht sonderlich viel Frisches zu Hause, dafür aber einen Vorrat an Nudeln, Gewürzen sowie Fertigzeug, und so entschied ich mich für ein klassisches Curry Udon, zumal es auch schnell gehen sollte. Ich erwischte mich beim Kochen dabei, wie ich überlegte, ob ich beim nächsten Mal einfach selbst Zutaten mitbringen sollte, bevor ich mich ermahnte, dass es kein nächstes Mal geben sollte. Ich würde versuchen heute so viel wie möglich zu verstehen, und damit die Treffen gering halten.

Als ich endlich fertig war, reichte ich Karma, der mir die ganze Zeit skeptisch zugeschaut hatte, einen Teller und setzte mich ebenfalls an den Tisch. Er begutachtete das Gericht vorsichtig, als hätte er Angst, dass ich es vergiftet haben könnte. Demonstrativ fing ich einfach an zu essen, was er schließlich ebenfalls machte. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich seine Reaktion und nahm zufrieden seine überraschten Augen, die sich kurz weiteten, zur Kenntnis, bevor er sich scheinbar wieder im Griff hatte. Er hatte nicht damit gerechnet, ich jedoch schon, denn wenn man für meinen Vater kochte, lernte man dazu.

Ob man es wollte oder nicht... Man musste gut kochen können.

Doch Karma lobte mich nicht und versuchte sich ansonsten wohl nicht anmerken zu lassen, dass es ihn defintiv schmeckte - das bemerkte ich nicht zuletzt daran, da er nicht mehr zögerte, sondern auch tatsächlich etwas schneller aß.

»Beeil dich etwas«, sagte er, als er vor mir fertig wurde. »Ich will dich nicht den ganzen Tag am Hals haben.«

Ich verdrehte die Augen, leistete seiner Anweisung jedoch folge, da ich möglichst viel Zeit fürs Lernen investieren wollte, bevor er entschied, dass es genug war. Und so setzten wir uns keine fünf Minuten später auf seine Couch. Mit vollen Magen lernte man definitiv besser. Einerseits wünschte ich, dass er dies aussprach oder wenigstens dankbar war, andererseits wusste ich, dass er es niemals sagen würde. Aber das war okay.
Zu meinem Glück fingen wir zu erst mit den Mathehausaufgaben an, so konnte ich sicher sein, dass sie komplett richtig sein würden. Es war etwas überraschend, wie gut Karma es teilweise erklären konnte, auch wenn seine Ungeduld manchmal durchstrahlte. Zumindest blieb er sachlich und reagierte bei meinen Fragen nicht komplett genervt. Sprüche bekam ich selbstverständlich trotzdem ab.

Als wir damit fertig waren, zeigte ich ihm die Aufgaben, die ich gerechnet hatte, um zu üben. Und ab diesem Punkt verschwand seine geringe Sachlichkeit komplett...

»Wo genau war deine Konzentration da bitte?«, fragte er stirnrunzelnd. »Da sind so viele Flüchtigkeitsfehler drin, dass ich mich schon fast schäme mit dir in einer Klasse zu sein.«

»Zumindest heißt es nicht, dass du dich dauernd dafür beschämst«, grummelte ich und verbesserte eine Aufgabe nach seiner nicht allzu netten Erklärung.

Es vergang vielleicht eine Stunde, bevor Karma sich nach hinten ins Polster lehnte und sich lustlos streckte.

»Das reicht. Mehr Dummheit ertrag ich heute nicht mehr«, meinte er. »Schwer zu glauben, dass du angeblich gute Noten hast.«

»Glaub es lieber«, sagte ich und schloss mein Buch, das ich dann in meine Tasche verschwinden ließ.

»Ich hoffe, du hast nicht vor abzuhauen«, sagte er und piekste mir leicht in die Seite, sodass ich erschrocken zusammenfuhr. Er konnte es nicht lassen... Mittlerweile machte er es so oft. Ich war mir sicher, dass er wusste, wie sehr mich das nervte. »Jetzt kommt dein Teil des Deals.«

Irgendwie hatte ich es schon vergessen, obwohl ich mich teilweise auch darauf gefreut hatte. Wer würde es nicht, wenn er hilflos verknallt in die Person war? Aber nachdem wir erst zusammen gegessen und dann gelernt hatten, hatte ich es einfach nicht mehr auf den Schirm gehabt, weshalb mich jetzt erst die Nervosität packte. Vorher wirkte alles wie ein normales Treffen, das tatsächlich sogar etwas Spaß gemacht hatte. Dennoch wandte ich mich gespielt gelassen zu ihm und verschränkte meine Arme vor meiner Brust. Ich würde ihm niemals zeigen, wie nervös und aufgeregt ich wegen ihm werden konnte.

»Kein Sorge. Ich halte mich an Abmachungen«, sagte ich. »Also dann, bringen wir es schnell hinter uns.«

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