Kapitel 4

Am nächsten Morgen standen beide Jungs um 6:23 Uhr auf. Auch wenn Louis diese Uhrzeit auch heute noch viel zu früh erschien, stand er, wenn er bei Harry übernachtete, immer gemeinsam mit ihm auf. Es war sozusagen zu ihrem Ritual geworden.

"Was hast du jetzt?", wollte Louis wissen, als sie gemeinsam das Zimmer verließen. "Kunstgeschichte, die Vorlesung fängt in einer halben Stunde an", antwortete Harry nach einem Blick auf seine Unterlagen. "Okay, dann sehen wir uns erst am Nachmittag wieder, meine Vorlesung beginnt erst in zwei Stunden."

*

Louis brachte Harry noch zum Vorlesungssaal, verabschiedete sich dann von ihm und entschied sich noch ein wenig in das kleine Café, was am Campus angrenzte, zu gehen. Als er es betrat, sah er sich kurz um. Ein paar Studenten saßen an den Tischen, schrieben etwas an ihrem Laptop oder gingen die Unterlagen für ihre anstehende Vorlesung durch. Louis Blick blieb bei einem ihm bekannten Gesicht hängen, welches gerade auf sein Telefon schaute. Lucas hob gerade seinen Blick und als er Louis erkannte, winkte er ihn zu sich.
"Hey, wo warst du denn die ganze Nacht?", begrüßte er Louis und packte sein Handy wieder in die Hosentasche. "Hab bei Harry übernachtet", antwortete Louis knapp und setzte sich gegenüber von Lucas.

"Heute 16 Uhr ist das Probetraining, du kommst doch noch oder?", fragte Lucas an Louis gewannt. "Natürlich, das lasse ich mir nicht entgehen", gab dieser zu wissen und bestellte sich einen Tee, als die Kellnerin an ihren Tisch kam. "Sehr gut. Ich bin gespannt was du drauf hast. Und am Samstag ist eine Party auf der großen Wiese hinter dem Campus. Es wird ein Lagerfeuer gemacht und ja, natürlich gibt es auch reichlich Alkohol. Diese Party wird jedes Jahr für die Neuankömmlinge veranstaltet. Du solltest kommen." Louis überlegte, er war schon ewig auf keiner Party mehr gewesen, weil er wusste, Harry mochte diese nicht. Und wenn er ehrlich war, hatte er es schon etwas vermisst. "Ich werde Harry fragen."

*

Harry saß mittlerweile in seinem Vorlesungssaal. Er hatte sich einen Platz ganz vorn gesucht, damit er alles mitbekam. Immer mehr Studenten betraten den Saal und suchten sich ihre Plätze. Harry war etwas aufgeregt und spielte nervös mit seinen Fingern. Es waren ihm eindeutig zu viele ihm unbekannte Menschen.

"Hey, Harry", grüßte ihn eine Stimme und Harry drehte sich in die Richtung aus der sie kam. "Hallo, Sam", begrüßte Harry den Blondhaarigen und richtete seinen Blick wieder nach vorn. "Ist neben dir noch frei?" Harry nickte, weswegen Sam sich setzte.

Es dauerte nicht lang und ein Dozent mit einer Brille und Halbglatze, der sicher bereits in den späten Fünfzigern war, betrat den Saal. Harry richtete sich in seinem Stuhl noch einmal auf und lauschte den Worten, die von vorn zu ihm drangen.

"Liebe Studenten, ich bin Professor Hampton und ihr Dozent in Kunstgeschichte für ihre gesamte Studienzeit. Ich verlange von ihnen stets pünktlich zu sein. Jeder, der zu spät kommt, kann meinen Unterricht vor der Tür weiterverfolgen." Sam, der neben Harry, saß musste kichern und beugte sich zu dem Lockenkopf. "Mein Bruder hat mir schon von ihm erzählt, er spielt sich gern auf, aber am Ende sind es nur leere Drohungen." Harry nickte und richtete seinen Blick wieder nach vorn.

"Wir werden dieses Semester damit beginnen, dass sie ein Kunstwerk meiner Wahl interpretieren. Dafür werden sie in zweier Gruppen miteinander arbeiten. Um das ganze kurz zu machen, wird ihr Sitznachbar, ihr Partner sein." Harry schaute zu Sam, der zufrieden grinste. "Das wird sicher witzig. Jetzt teilen wir uns nicht nur ein Zimmer, sondern arbeiten auch noch zusammen. Perfekt oder?" Schulterzuckend wendete Harry sich ab, er war von der Idee nicht wirklich begeistert, aber wenigstens kannte er Sam schon etwas.

"Ich werde ihnen jetzt die verschiedenen Werke zuteilen, mit denen sie sich in den nächsten Wochen beschäftigen werden." Professor Hampton ging durch die Reihen und gab jeder Gruppe einen Zettel auf dem ihr Werk stand.
Bei Harry und Sam angekommen, nahm der Blonde den Zettel entgegen und laß vor: "Der Schrei" von Edvard Munch." Harry kannte dieses Gemälde bereits, er hatte es einmal in einer Kunstaustellung gesehen in die Gemma mit ihm gegangen war. Er fand das Bild mit seinen vielen bunten Farben und wirren Pinselstrichen interessant, wenn auch verwirrend. "Das kriegen wir schon hin", sagte Sam und Harry lächelte zur Bestätigung.

*

"So, Harry, erzähl mir etwas von dir", bat Sam, der gerade von seinem Sandwich abbiss und mit vollem Mund sprach. Die Vorlesung war vor knapp zwanzig Minuten zu Ende und die beiden entschieden sich dazu noch ein wenig vor dem Gebäude auf den Sitzbänken, die überall verteilt waren, zu sprechen. Und da Louis sowieso noch in seiner Vorlesung saß, stimmte Harry zu. "Meinen Namen kennst du ja bereits, ich bin 19 und komme eigentlich aus Holmes Chapel. Ich habe eine Schwester, Gemma, die Psychologie studiert. Sie lebt auch hier in London. Und ich habe Asperger." Sam, der gerade noch einmal von seinem Essen abbeißen wollte, hielt inne. "Asperger? Ich wusste doch, das ich dich irgendwo her kenne. Du bist der, der unbedingt ins Fernsehen wollte, richtig? Die ganzen Medien haben von dir berichtet. Und ich hab die ganze Zeit überlegt, wo ich dein Gesicht schon einmal gesehen habe." Harry nickte. "Ja...Ja das war ich." Sam klatschte in die Hände. "Das ist genial. Du bist eine kleine Berühmtheit, Harry. Und dann auch noch mein Mitbewohner. Das ist aufregend." Harry schüttelte den Kopf und spielte mit seinen Fingern. "Nein, ich bin keine Berühmtheit. Ich habe das nur für Louis getan." Sams Augen wurden groß. "Also ist dein Louis von gestern, der Louis über den du gesprochen hast?" Harry nickte wieder und lächelte bei dem Gedanken an seinen Louis. "Das ist ja so aufregend. Man hat in den Nachrichten gesagt, dass du tagelang zu sämtlichen Nachrichtenstudios gegangen bist, um dort ins Fernsehen zu kommen. Stimmt das?" Sam schien wirklich fasziniert davon zu sein. "Ja ,das war ich", bestätigte Harry. "Das ist der Wahnsinn. Wie war es?" Stirnrunzelnd sah Harry zu Sam. "Beängstigend", war das Einzige was er sagte. "Oh...aber du hast es geschafft, du hast wirklich etwas Gutes getan." Erneut nickte Harry. "Danke."

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