Astero
Bevor ich einen konkreten Verdacht fassen konnte, fing der Kommandant an zu sprechen. «Was wollt ihr Narren so spät abends noch da draussen», fing er an, bevor er plötzlich entsetzt nach Luft schnappte und einen Schritt zurücktrat.
«Was wollen die hier?», sagte er völlig entgeistert und zeigte dabei anklagend auf Hedor, Glann und Arka, welche ein wenig unsicher um sich herumschauten. «Ergreift sie», schrie der Kommandant auf einmal, und ich wollte schon etwas sagen, als Lydia sich neben mir bewegte.
«Ich bin die Tochter des Stadthalters und Prinzessin dieses Reiches, und ich befehle euch sofort eure Waffen fallen zu lassen, wenn ihr nicht den Zorn der ganzen königlichen Wache spüren wollt». Kurz war es still und es schien so als bekäme der Kommandant keine Luft mehr, denn er wurde ganz blass.
«Es tut... tut uns fürchterlich leid Euer Ehren. Uns war nicht bewusst, eine Adlige vor uns zu haben». Er senkte beschämt seinen Kopf und erinnerte mich dabei an einen kleinen Jungen, der seine Eltern enttäuscht hatte. Wenn wir schon von Eltern sprachen...
«Wo ist Kommandant Steris?», fragte ich. Ich musste wissen, wessen Schuld es war. War das, was ich spürte, wirklich geschehen?
Zuerst sah es so aus als wollte der neue Kommandant mir den Mund verbieten, doch als er sah, wie dicht ich neben Lydia stand, schien er zu realisieren, dass das wohl keine gute Idee wäre.
«Kommandant Steris kam bei einem Überfall auf die Stadt, durch ein Luftmonster, ums Leben. Ich bin Kommandant Oran und bin an seine Stelle getreten».
«Es gibt noch mehr von diesen Biestern?», wunderte sich Glann leise im Hintergrund. Oran hörte ihn und antwortete uninteressiert. « Sie können in jedem der vier Elemente Form annehmen. In letzter Zeit haben sich die Anzahl ihrer Angriffe vermehrt».
Ich und Lydia wechselten einen kurzen Blick aus. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Hatten diese Attacken vielleicht etwas mit unserer Mission zu tun?
«Ich und meine Begleiter werden uns nun für die Nacht niederlassen. Jedoch erwarten wir, dass morgen, sobald die Sonne über den Horizont scheint, ein Adler für uns bereitsteht», sagte Lydia in einem bestimmten Ton.
«Euer Ehren, es tut uns leid, aber seit Jahrtausenden sind keine Wesen, wie diese dort»- er zeigte abwertend auf unsere drei Freunde- «nach Asmea gekommen. Wir können sie nicht einfach eintreten lassen. Sie werden hier schlafen müssen».
Ich spürte wie sich Lydia anspannte und plötzlich wurde sie laut: «sie sind unsere Begleiter und sie sind hier, weil sie geschworen haben diese Welt zu retten. Einer von ihnen rettete mein Leben, etwas zu dem du wohl nicht in der Lage warst. Also sag mir nicht, dass sie hier nicht hineinkommen können». Schnell verstummten die Proteste des Kommandanten, welcher sogar noch etwas bleicher geworden war. «Natürlich, Euer Ehren. Sollen wir eine Schlafstätte für Euch vorbereiten?»
Ich sah das Zögern in den Augen von Lydia, welche sicherlich keine Lust mehr hatte, weiterhin in der Nähe von diesem äusserst dümmlichen Kommandanten zu bleiben, weshalb ich das Wort ergriff. «Wir werden in meinem Heim unterkommen, und werden morgen am Ladeplatz erscheinen», sagte ich nur knapp, bevor ich mich umdrehte und den anderen gebot mir zu folgen. Doch bevor ich ging, drehte ich mich noch kurz um und konzentrierte mich. Sofort kamen zwei dünne Steinplatten aus den Händen zweier Soldaten, welche immer noch um uns herumstanden, geflogen. Lydia nahm sich eine und dann gingen wir los.
Ein kurzer Blick zurück verriet mir, dass die anderen äussert erstaunt über die fliegenden Platten waren, was mich ein wenig belustigte. Weder ich noch Lydia hatten unsere Kräfte seit unserem Treffen benutzt, daher musste das, was sie jetzt sahen ein Schock für sie sein, auch wenn wir ihnen eigentlich schon von ihnen erzählt hatten.
Mein Lächeln verschwand jedoch sehr schnell als ich den Blick des Kommandanten sah. Er fing an grausam zu lächeln, so als spürte er meine Befürchtungen.
Ich schluckte schwer, denn jetzt gab es nur noch etwas, was ich tun konnte, nämlich hoffen.
Nach einem halbstündigen Spaziergang durch meine Stadt, welche still dalag, da schon längst Nachtruhe galt, und einer langen Erklärung für Glann, Hedor und Arka, wer diese Leute in den silbernen Uniformen gewesen waren und was denn genau ein Kommandant war, kamen wir schliesslich am Fuss meines Turmes an, in dem die Wohnung meiner Familie lag.
Arka war die Einzige gewesen die nicht im Geringsten über die neue Information, dass Asmeanier Dinge mit ihren Gedanken bewegen könnten, überrascht schien. Meine Vermutung war, dass sie in Ustrar wahrscheinlich schon all diese Informationen von einem Geist meines Volkes bekommen hatte. Was weiss dieses Mädchen alles noch? Fragte ich mich und schaute kurz zu ihr.
Ich stockte kurz, denn sie schaute mir direkt in die Augen, und was ich in ihnen sah, beunruhigte mich nur noch mehr. Sie sah mich mitleidig an, aber mein Kopf sagte mir, dass sie es nicht wissen konnte. Vielleicht waren sie immer noch da oben, am Schlafen so wie sie es immer taten.
Lydia und ich flogen unsere Kameraden einzeln zur Wohnungstür. Ich nahm zuerst Hedor, dann Arka mit. Hedor sah ziemlich unglücklich aus in solch einer Höhe zu fliegen, denn er griff fest an meine Schultern und ich sah, wie er seine Augen zusammengekniffen hatte.
Ein anderes Mal hätte ich wahrscheinlich gelacht, hätte ihm versichert, dass alles gut war, doch nicht jetzt.
Die anderen waren schon drinnen, als ich und Arka, welche trotz des neuen Erlebnisses zu fliegen ziemlich gefasst wirkte, raufflogen. «Sie sind nicht mehr da», sagte sie plötzlich mit ruhiger monotoner Stimme. So als hätte sie gerade etwas über den wolkenlosen Himmel über uns gesagt.
Mein Herz sagte mir, dass sie recht hatte, doch mein Verstand wollte es nicht akzeptieren. Woher wüsste sie denn irgendetwas von seiner Vergangenheit. Das Volk Ustrars hat die Fähigkeit in Orte zu blicken, die für die anderen Völker nur im Kopf existieren. So hatte es im Buch gestanden, das ich über Ustrar gelesen hatte, kurz vor unserem Aufbruch.
Nein, nein, nein, schrien meine Gedanken als wir endlich ankamen und ich Arka eintreten liess, bevor ich den Gang herunterstürzte und die Türe zum Zimmer meiner Eltern öffnete.
Die Vorhänge waren zugezogen und es war dämmrig, doch ich konnte trotzdem sehen, dass sich meine grösste Befürchtung bewahrheitet hatte.
Das Bett war leer und ordentlich gemacht, so wie es nun seit Jahren nicht mehr gemacht gewesen war. Es war still, kein raues Atmen meines kranken Vaters, nichts.
Ich fühlte mich weit weg, so als hätte mich etwas aus meinem Körper gezogen, um mich vor dem Schmerz zu bewahren der mich dort erwartete. Alles fühlte sich so weit weg an. Es war fast so als hätte ich plötzlich jegliche Kontrolle über meinen Körper verloren.
Irgendwo in meinem Hinterkopf hörte ich das Flüstern der anderen die sich hinter mir versammelt hatten und neugierig in das Zimmer blickten.
Doch das war mir egal, denn im Moment sah ich nur das leere Bett vor mir.
Es war alles so kalt, so als wäre ich mit Eiswasser übergossen worden. Meine Hände fingen heftig an zu zittern, mein Körper wurde mit Schauern überzogen und dann kam das Schlimmste. Ich spürte, wie etwas mir die Kehle zudrückte.
Ich konnte Atmen, aber es war so schwer, und es wurde immer schwerer, so als würde jemand immer mehr Gewicht auf meine Lunge drücken.
Eine Ewigkeit, so schien es mir, stand ich nur so da, verzweifelt nach Luft ringend, obwohl doch so viel um mich herum war. Warum konnte ich nicht atmen? Was passierte mit mir?
Das war mir schon ein paar Male zuvor passiert. Das Erste Mal als meine Mutter endgültig als arbeitsunfähig erklärt wurde, und damit gedroht wurde meine Eltern zu verbannen, da sie dem Volk nun nichts mehr nützten.
Ich konnte nicht fassen, dass genau das jetzt passiert war. Meine Gedanken schwirrten und mir wurde schwindlig. Plötzlich wurde alles so laut, so unfassbar laut. Es rauschte und ich konnte nur zusehen.
Langsam begann ich jedoch diesen brutalen Schmerz in der Brust zu spüren, doch ich konnte immer noch nichts kontrollieren.
Da spürte ich etwas, jemand rief meinen Namen. Atemlos schaute ich auf, vor mir sah ich verschwommen das Gesicht von Hedor. Leise hörte ich auch seine Stimme. «Sieh mich an, Astero, sieh mich an». Wiederholte er immer wieder, und mit jeder Wiederholung schien seine Stimme lauter zu werden. Mein Atem beruhigte sich jedoch immer noch nichts sodass ich fast wieder wegsah, doch dann hörte ich eine neue Anweisung von meinem gegenüber.
«Welche Farbe haben meine Augen», fragte er langsam. Verwirrt sah ich in seine Augen. Sie sahen dunkel aus, doch ich konnte die Farbe nicht sehen, und selbst wenn. Ich hatte das Gefühl nicht sprechen zu können. Als Hedor seine Frage wiederholte beschloss ich mir mehr Mühe zu geben, «schwarz», krächzte ich. Tatsächlich merkte ich wie sich das Gewicht auf meiner Brust nur ein wenig entfernte. «Noch eine?». Ich schüttelte langsam meinen Kopf. «Nimm einmal tief Luft mit mir», sagte er mit einer festen Stimme. Ich schloss meine Augen, niemals könnte ich das schaffen, dafür war das Gewicht viel zu schwer, doch ich würde es probieren.
Er zählte von drei hinunter und ich holte so tief Luft wie ich konnte. Wir wiederholten diese Übung einige Male, bevor ich merkte, wie ich wieder einigermassen normal atmen konnte.
Langsam spürte ich wie ich wieder zurück in meinen Körper kam. Der Schmerz traf mich auf einmal ohne Erbarmen und Tränen fingen an über meine Wangen zu laufen. Da beugte sich Hedor vor und umarmte mich fest. Ich hatte nicht bemerkt, wie ich auf die Knie gefallen war, doch das spielte keine Rolle.
Ich zitterte immer noch wie Espenlaub, doch weniger Schauer überkamen mich, stattdessen umso mehr Tränen.
So knieten wir dort für einige Minuten bevor ich meine Augen öffnete und ich einen Brief auf dem Bett meiner Eltern sah. «E....ein Br..Brief», meinte ich zitternd, und sofort schaute sich Hedor um und erhob sich, um ihn mir zu bringen. Währenddessen erhob ich mich und setzte mich auf das Bett. Alles an mir schmerzte und es fühlte sich so an als hätte ich einen Marathon gerannt, so erschöpft fühlte ich mich.
Sofort öffnete ich das sorgfältig gefaltete Papier, als es mir gereicht wurde und las den Inhalt.
Mein Lieber Astero,
Ich konnte es nicht verhindern.
Der neue Kommandant, er ist einer von den Schlechten.
Grausam, so wie der damals vor Kommandant Steris. Wenn du das hier liest, bin ich schon auf den Weg nach Aringol, der Stadt beim Meer, da es auch für mich hier gefährlich wurde.
Ich hoffe wir sehen uns eines Tages wieder, es tut mir leid dich so enttäuscht zu haben.
Ich werde es mir niemals verzeihen
Deine Mertha
Langsam liefen mir wieder Tränen über die Wangen, und als ich den Brief fertig gelesen hatte liess ich ihn einfach auf den Boden fallen.
«Sie sind tot», flüsterte ich und schaute Hedor verzweifelt an. «Sie wurden rausgeworfen, in die Wildnis, diese Bastarde», schrie ich und ich wollte aufspringen und hinausstürmen. Ich wusste nicht wohin. Vielleicht zu der Stadtwache, um den Kommandanten aufzuspiessen, oder aus der Stadt hinaus, um Lebenszeichen zu suchen, doch irgendetwas musste ich tun.
Doch da waren die starken Arme von Hedor die mich auf dem Bett hielten. «Es gibt nichts, was du tun kannst», meinte dieser traurig, und in seinen Augen sah ich den gleichen Schmerz, den ich auch verspürte.
Er war auch ein Waise, erinnerte ich mich. «Sie würden wollen, dass du weiter machst, egal was», meinte er ruhig, und ich konnte sehen wie seine Augen feucht wurden. «Sie sind stolz auf dich», meinte er mit gebrochener Stimme. Das waren Worte die Hedor wohl nie gehört hatte, die er aber oft genug gesagt hatte, das wusste ich.
Jetzt lehnte ich mich zu ihm hinüber und umarmte ihn, und wir beide weinten. Zwei Jungen, immer noch Kinder, zwei Waisen, ohne jemanden. Auf der Mission die Welt zu retten, die sie so oft gebrochen hatte.
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