21. Bennet

„El Chapo, warte mal", ruft eine Stimme hinter mir und ich drehe mich um. Ashleys Bruder kommt auf mich zu gejoggt und bleibt vor mir stehen. „Was geht, El Chapo?"

„Ich bin Mexikaner, aber noch lange kein Drogenboss", stelle ich klar.
Er grinst mich an. „Jaaa", sagt er gedehnt und haut mir gegen die Schulter. „Ich wollt' mit dir reden."

Ich wende mich von ihm ab und drehe die passende Zahlenkombi an meinem Fahrradschloss. „Worüber?"

Scheiße, welcher von den beiden ist das nochmal? Er trägt eine schwarze Lederjacke, die seine Arme bedecken. Aurelio oder Manuel?

„Über die Sache neulich, ich wollte dich da eigentlich nicht runterreißen. Das war so voll deine Show und sowas." Okay, Aurelio steht dann wohl vor mir.

„Das war ganz gut so."
Überrasch schaut er mich an. „Echt?"

„Klar." Ich zucke mi den Schultern, ziehe an meinem Schloss und klappe es zusammen. „Ich hätte nicht viel mehr geschafft."
„Da hab' ich dann wohl mehr Muskeln", sagt er stolz und ich schaue seine Arme an. Hat er, definitiv.

Ich lächle ihn gepresst an. „Noch was? Sonst würde ich gerne nach Hause fahren", lüge ich ihn an. Ich will auf keinen Fall nach Hause, weil dort mein Vater auf mich warten würde. Er würde in seinem Sessel sitzen, sich
wahrscheinlich das fünfte Nachmittagsbier reinkippen und nur darauf warten, dass ich etwas falsch mache. Außerdem muss ich Daya noch aus der Grundschule abholen.

„Ja, also hör mal...", fängt er an und schaut sich um. „Also Ash hat ja jetzt bald Geburtstag und ich weiß, dass sie dich eigentlich nicht einladen wollte, aber sie feiert und komm doch trotzdem."

Überrascht mustere ich den Jungen vor mir. Seine dunklen Augen schauen mich an und er grinst breit. „Aurelio, das ist nett, aber solche Partys sind nichts für mich und außerdem... wenn sie mich nicht einladen will."

Aurelio zieht die Augenbrauen zusammen. „Du warst doch auch auf der Party von Cody."
„Ja, keine Ahnung, das war was Anderes."
„Wieso war das was Anderes?"
Genervt seufze ich. „Ashley hat mich da eingeladen."

Plötzlich lacht Aurelio. „Dann war das doch die gleiche Situation. Du wurdest von ihr eingeladen, aber nicht von ihm. Dann kannst du doch auch meine Einladung annehmen."
Verblüfft und etwas beschämt schaue ich weg und ziehe mein Fahrrad an mich heran.

„Verteilt sie Einladungen?", frage ich.
„Natürlich", antwortet er mir und holt sein Handy heraus. „Willst eine haben?"
„Wenn ich eine Einladung bekomme, komme ich vielleicht."

Aurelio nickt, holt sein Handy heraus und tippt irgendwas ein. „Cool, ist notiert. Bist ganz cool."
„Uhm...", mache ich. „Danke? Du auch?"
„Danke, Mann." Er haut mir mit der flachen Hand auf die Schulter und kichert. „Man sieht sich."

***

„Und Dave hat dann mit einem Stein gegen das Fenster geworfen", erzählt Dayanara mir.

Meine Mutter hat ihr braunes Haar zu zwei hohen Zöpfen gebunden und sie trägt ein blaues Kleid. Meine Schwester schaut zu mir auf.

„Aber Frau Hohe ist total sauer geworden und hat mit ihm geschimpft." Ihr Rucksack hängt ihr tief auf dem Rücken und sie hüpft über den Asphalt. „Was ist bei dir in der Schule passiert, Ben?"

Ich schaue in ihre hellen Augen und schiebe mein Fahrrad langsamer. „Nichts, was so spannend wie bei dir war, Daya."
„Schade", murmelt sie. „Mamá dijo que cocina Quesedillas hoy." Daya kickt ein Steinchen über den Gehweg und kichert.

Ihr Spanisch ist viel flüssiger und hört sich schöner an als das meine. Leider habe ich den deutschen Akzent übernommen, weil ich mich viel zu lange dagegen gewehrt habe. Ich wollte nicht sprechen, habe meiner Mutter nur auf Deutsch geantwortet, habe mir auch keine Mühe gemacht, die Sprache richtig zu lernen.
Daya dahingegen spricht Zuhause nur mit unserem Vater Deutsch. Sonst spricht sie durchgängig Spanisch, was ihr den Akzent verleiht, den ich leider nicht übernommen habe.

„Hat sie das gesagt?"
Meine kleine Schwester nickt. „Sí. Hat sie." Ihr Rucksack rutscht ihr etwas von der Schulter, aber es stört sie nicht wirklich.
Wir biegen in eine Straße und ich kann unser Haus von hier sehen. Ich will nicht nach Hause, ich will ihn einfach nicht sehen.

Dayanara lässt ihre Tasche lautstark auf das Laminat fallen und rennt durch den Flur. Meine Mutter erscheint im runden Türbogen und lächelt mich an. „Ben."

„Mamá", begrüße ich sie und hauche ihr ein flüchtiges Küsschen auf die Wange. „Das wievielte?", höre ich mich sagen. Der Satz kommt jeden Tag wie von selbst über meine Lippen.

Die Frau vor mir verzieht das Gesicht und runzelt die Stirn. „Seis? Siete?"

Scheiße, sechs oder sieben sind zu viele für halb fünf. Nervös fahre ich mir durchs Haare und lächle meine Mutter an.
„Quesedillas?", frage ich nach.

„Sí, Daya wollte welche", antwortet sie mir leise und ihr Spanischer Akzent verschlingt die deutschen Wörter beinahe.

„Tengo que hacer mis deberes", murmle ich und schiebe mich an ihr vorbei. Ich muss mich beeilen... wenn ich nicht pünktlich um halb sieben unten sitze, wird er sauer. Das kann ich mir nicht leisten.

***

Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße. Ich bin eingeschlafen. Meine Mutter steht auf der Türschwelle und schaut mich panisch an. „Ich habe dich gerufen", sagt sie leise.

Ängstlich suche ich unter all den Schulbüchern nach meinem Handy. Scheiße, zwei Minuten nach halb. „Date prisa!", zischt sie und kommt in mein Zimmer herein. Die braunhaarige Frau fasst mich am Arm und zieht mich von meinem Stuhl. „Oder willst du, dass er nochmal macht?"

Bei ihren Worten kommen mir die Schmerzen der letzten Striemen wieder in Erinnerung und ich wäre am liebsten gestorben.

Sie zieht mich aus meinem Zimmer und drückt mich Richtung Treppe. Als wir im Wohnzimmer ankommen, tuen wir beide so, als wäre nichts passiert.
Nichts anmerken lassen, Bennet.

Mein Vater und Dayanara sitzen bereits am Tisch und als wir in die Küche kommen, schaut er auf. Seine blauen Augen, die, die ich von ihm geerbt habe, schauen mich durchdringend an und mir stellt es den Magen um.

„Bennet", sagt er monoton und ich lasse mich ihm gegenüber nieder. In der Mitte des Tisches stehen die Quesedillas, die meine Mutter gemacht hat, und in der Luft hängt der leckere Geruch. Jedoch ist mein Appetit abgehauen.

„Vater", sage ich genauso monoton und bemerke, wie nass meine Handflächen plötzlich sind.

„Also wir haben hier einmal mit Ei, mit Fleisch, Käse, Gemüse und Ei", zählt meine Mutter auf, um die Stimmung zu lockern, aber ich weiß, dass es nicht gut ausgeht. Ich hab's verschissen.

„Sei leise", zischt das Monster und meine Mutter zuckt erschrocken zusammen. „Lass mich mal ein Gespräch mit meinem Sohn führen." Die Art und Weise, wie er das Wort betont, lässt mich fast erbrechen. Und dieses hässliche Grinsen auf seinen Lippen macht es nur noch schlimmer.

Ich spüre seinen eiskalten Blick auf mir, aber wage es nicht, ihm in die Augen zusehen.
„Schau mich gefälligst an, wenn ich mit die rede", sagt er scharf.

Langsam blicke ich auf und sehe, wie seine große Hand zu der dunklen Glasflasche wandert. Er setzt sie an die Lippen und nimmt einen Schluck.

„Wer hat ihm diese weiberhafte Frisur gegeben?", fragt er und lacht bitter auf.

Ich schlucke den Klos in meinem Hals herunter.

„Wer hat das erlaubt?", wiederholt er sich und knallt die Flasche auf den Tisch.

Dayanara greift nach einem der Tortillas und legt ihn auf ihren Teller. Mein Vater beobachtet ihre Geste und lächelt sie an, bevor er seinen Blick wieder auf mich richtet und sich seine Miene verhärtet.

„Also, wer von euch verrät mir, wer diese Scheiße angerichtet hat?"

Daya gluckst. „Ben war beim Friseur."

Ich starre sie an. Es stimmt, ich war beim Friseur gewesen. Vor genau drei Tagen, aber wieso fällt es ihm jetzt erst auf? Hat er nichts anderes, was er an mir aussetzten kann und sucht jetzt nach etwas?

„War Ben das, ja?", fragt er mich freundlich und sein Grinsen macht mir Angst.

Der Kloß in meinem Hals ist mittlerweile so groß, dass es weh tut und mir die Luft zum Atmen raubt.

„Vor drei Tagen", bringe ich mühsam hervor. Das werde ich sowas von bereuen.

„So ist das. Wann wirst du endlich ein richtiger Mann? So wie ich?"

Bevor ich irgendetwas machen kann, kommen die Worte ganz leise über meine Lippen. „Will ich vielleicht gar nicht."

Meine Mutter, die das Gespräch verfolgt hat, schnappt nach Luft. Obwohl ich bezweifle, dass sie alles verstanden hat.
Der Griff meines Vaters verhärtet sich um die Flasche.

„Was hast du gesagt?"

„Nichts", sage ich panisch und schaue zu Daya, die ihr Quesedilla isst.

Er haut laut mit der Faust auf den Tisch, sodass das Geschirr etwas hochspringt. „Sag das nochmal!", brüllt er mich wütend an.

Scheiße, ich habe eine Grenze überschritten. Gleich zwei.

„Will ich vielleicht gar nicht", sage ich kleinlaut und atme tief ein und aus. Jetzt ist es sowieso zu spät. Ich brauche es gar nicht mehr zu versuchen.

„Aufstehen", fordert er mich auf. Ich erhebe mich und er ext den Inhalt der Flasche.
Meine Mutter ergreift meine Hand, aber ich entziehe sie. Wenn er das sieht, ist sie auch noch dran.

Gerade als ich zu ihm hinschauen will, landet seine flache Hand schon in meinem Gesicht. Erschrocken fasse ich mir an meine glühende Wange, die jetzt höllisch brennt.

„Guck mich an!", schreit er und ich schaue zu ihm auf. „Hast du mich nicht verstanden? Du sollst mich verdammt nochmal anschauen."

Erneut backpfeift er mich und ich keuche auf, weil es dieses Mal noch stärker war.
Meine Mutter schluchzt, ist an meine Schwester herangerückt und hält sie im Arm, damit sie das nicht mit ansehen muss.

„Verfickte Scheiße, was bist du nur für eine Enttäuschung", flucht mein Vater. „Hol mir noch ein Bier." Meine Mutter zögert, aber erhebt sich dann doch. „Habe ich dir erlaubt, den Blick abzuwenden?"

Ich schaue wieder in die blauen Augen, die meinen so gleichen und hasse mich in diesem Moment selber dafür. Wieso müssen diese schönen Augen von so einem hässlichen Menschen kommen.

„Wohnzimmer", sagt er plötzlich. Fuck.

„Was?", frage ich und versuche unwissend zu klingen. Was ist jetzt passiert?

Er ist bereits mit seiner Gürtelschnalle beschäftigt und macht sich gar nicht erst die Mühe, mir zu Antworten.
„Hast du mich nicht gehört, Bennet?"

Mein Name aus seinem Mund jagte mir eine Gänsehaut über den Körper und ich musste Schlucken. Scheiße.

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