8 : Draco Dormiens Nunquam Titillandus

Die Zeit verging schnell. Das Malen hatte mir wirklich sehr gefehlt und es machte wirklich großen Spaß. In meinem weißen Hemd saß ich da und ließ den Pinsel mit der dunklen Farbe über die Leinwand gleiten. Vorsichtig fuhr ich Konturen nach. In meinem Zimmer lagen mittlerweile überall Pinsel und Farbtuben. Ich würde Professor McGonagall einmal fragen müssen wo ich Leinwände, Farben und Pinsel kaufen konnte.

Erst ein Blick auf eine Uhr ließ mich im Abendrot der Sonne aufschrecken. Ich hatte keine Zeit mehr, mich ordentlich sauber zu machen, also schlüpfte ich schnell in meine Uniform und machte noch mein Gesicht sauber, bevor ich in aller Eile das Zimmer verließ. Celeritas versteckte sich im Ärmel meines Umhanges und gab keinen Mucks von sich.

In der Großen Halle herrschte reges Treiben und ich wollte mich gerade zum Tisch der Slytherins begeben, als ich Thomas direkt neben Chloé entdeckte. Die aufkeimende Panik in mir unterdrückend, wandte ich mich dem Tisch der Gryffindors zu, wo ich nach kurzer Zeit auch eine der beiden Zwillinge entdeckte. Emily winkte mir freudig zu und klopfte auf den freien Platz neben sich.

"Setz dich.", sagte sie und streckte ihrer rothaarigen Schwester, am Tisch der Slytherins, die Zunge entgegen. Die Erklärung war, dass sie und Amelie eine Wette am Laufen hatten und sie diese gewonnen habe. "Sag mal, wie sind die in Durmstrang eigentlich so?", fragte sie. "Naja, viele Mädchen gibt es nicht und die Kerle sind vom Wesen her eher körperlich und reden nicht viel."

Emily stellte mir noch einige Fragen, die ich Zähne knirschend beantwortete. Durmstrang war nicht mein liebstes Thema, denn das Einzige, was ich wirklich dort lernte war, dass Mädchen keinen höheren Wert hatten. Beschwerte man sich über einen Jungen wurde man sofort der Lüge bezichtigt. Damit hatte ich so einige Erfahrungen gemacht.

Das unruhige Gerede in der Halle hatte sofort ein Ende, als die beiden, schweren Eichentüren sich öffneten und Dumbledore die Halle betrat. Ich war ihm dankbar, denn alleine bei dem Gedanken an weitere Fragen würde mir übel. Ich spürte wieder den Blick von Snape auf mir. Eine Gänsehaut breitete sich qualvoll langsam über meinen gesamten Körper aus. Unauffällig versuchte ich, an Dumbledore vorbei zu Snape zu schauen. Ich wusste wirklich nicht wieso, aber dieser Mann war so interessant für mich. Er wirkte so unnahbar und so kalt, als hätte er noch nie so etwas wie Emotionen in seinem Leben verspürt. Er war anders, gänzlich anders.

"Heute ist ein großer Tag...", begann Dumbledore und riss mich aus meinen Tagträumen, "..., denn sogleich werden die Schüler aus Durmstrang und Beauxbatons hier eintreffen. Ich hoffe, ich muss euch nicht sagen, was für eine Ehre es ist, das Trimagische Turnier ausführen zu dürfen.", er machte eine kurze Pause und ließ seinen Blick durch den Saal wandern. "Nehmt sie freundlich in eure Mitte auf, zeigt euch von eurer besten Seite und nun begrüßt mit mir die Schülerinnen aus Beauxbatons und ihre Schulleiterin Madame Maxime." Erneut war das schleifende Geräusch der schweren Flügeltüren zu hören und Mädchen in himmelblauen Uniformen betraten die Halle, gefolgt von einer riesigen Frau. Madame Maxime musste wohl eine Halbriesin sein, denn anders könnte ich mir ihre Größe nicht erklären. Die Darbietung der, zum Großteil blonden Mädchen in meinem Alter, war wohl eher etwas für die Herren der Schöpfung. Wenige Mädchen zeigten sich beeindruckt von ihrem "Getue". Zwei stachen allerdings besonders hervor. Sie hatten beide lange blonde Haare, aber jeweils eine Strähne schwarzen Haares. Diese beiden Schritten vor ihrer Schulleiterin her und hatten den Kopf so hoch gehalten, dass sie damit locker die Wolken, an der verzauberten Decke hätten beiseite schieben können. Dumbledore begrüßte Maxime höflich, wobei er allerdings neben ihr ziemlich verloren wirkte. Die Beauxbatons nahmen an unserem Tisch Platz.

"Und nun die Schüler aus Durmstrang und ihr Schulleiter Igor Karkaroff.", kündigte Dumbledore an und deutete auf die Tore. Die Darbietung der Kerle aus Durmstrang war wirklich beeindruckend. Mit Fackeln und Akrobatik verschafften sie sich unsere Aufmerksamkeit. Man kam nicht umhin Anastasia Smirnow zu bemerken, die nicht nur das einzige Mädchen war, sondern auch eine einzigartige akrobatische Leistung vollführte. Zusammen mit ihrem großen Bruder Alexej verbeugten sie sich vor den Lehrern unserer Schule und erhoben sich erst wieder, als Karkaroff an ihnen vorbeigegangen war. Anastasia und ich waren in einer Klasse gewesen, wir hatten uns aber nie verstanden. Sie sah mich als Rivalin, wobei ich sagen muss, dass ich sie oft genug besiegt habe. Igor nahm neben Snape Platz, der sich darüber wenig zu freuen schien und sofort verachtend wegsah. Die Durmstrangs nahmen am Tisch der Slytherins Platz.

"Zu guter Letzt... ", begann Dumbledore und ich wurde nervös. Noch am gestrigen Abend hatte er mich gebeten, die Darbietung von Hogwarts auszuführen. Draco Dormiens Nunquam Titillandus, das Motto von Hogwarts, sollte dabei zum Ausdruck gebracht werden. Kitzle niemals einen schlafenden Drachen, wiederholte ich in meinem Kopf. Ja, wie wahr, sollte es eine Sache geben, was man nicht tun sollte, dann einen Drachen beim Schlafen stören  "... werden wir uns eine Darbietung unserer Schule ansehen. Miss Sullivan, wenn ich bitten darf?"

Ich erhob mich. Alle Blicke waren sofort auf mich gerichtet. Mein Weg begann, wie bei den anderen auch, bei den Flügeltüren. Während ich die Halle durchmaß, hüllte ich mich in einen dunklen Nebel. Als ich jenen wieder verließ, hatte ich meine Kleidung verändert. Celeritas hatte darauf bestanden. Eine weiße, lange Robe mit einem ausladenden Umhang zierte meinen kleinen Körper. Um den Hals trug ich eine silberne Kette, sie hatte die Form eines Drachen, welcher sich um meinen Hals gelegt hatte.

Ich war sehr froh, zuvor noch ein Schmerzmittel getrunken zu haben, denn ich merkte bereits wieder die Schmerzen in meinem Brustkorb. Sie erfüllten meinen ganzen Körper und wollten ihn zu Boden ringen, doch das ließ ich nicht zu.

Dumbledore hatte mir verraten, dass außer mir und ihm keiner wusste, was die Darbietung von Hogwarts war. Ob dies eine gute Entscheidung gewesen war, überließ ich ganz seiner Erfahrung.

Langsam, elegant und anmutig schritt ich nach vorne in Richtung Lehrertisch. Meine Haare wehten bei jedem Schritt hinter mir auf. Dumbledore hatte Platz gemacht und auch sein Rednerpult war verschwunden. Die Feuerschalen an den Wänden erloschen, sobald ich sie passierte und auch die Decke verlor nach und nach ihre Leuchtkraft. Die Anspannung in der Halle war so stark, dass man sie hätte ergreifen können. Vorne angekommen blickte ich noch einmal zu Professor McGonagall und zu Professor Snape, bevor ich auf die Knie ging und das Licht nun vollkommen erlosch. In völliger Dunkelheit gehüllt erhob ich mich lautlos, als wäre ich ein Teil der Schatten, die mich umgaben. Nicht einmal die Sterne draußen wagten ihr zaghaftes Licht in diese, alles Licht verschlingende, Dunkelheit zu werfen. Keiner machte einen Laut, doch ich konnte die zitterten Atemzüge von Tisch der Hufflepuffs und Rawenclaws hören. Ich konnte die pure Angst am Tisch der Slytherins spüren und wie sie versuchten, dies zu verbergen, doch am besten war, was ich bei den Gryffindors spürte. Sie waren alle wie erstarrt und bewegten sich nicht mehr. Weder Angst noch schweres Atmen kam von ihrem Tisch, es war eher blanke Panik, die von ihnen ausging.

In der Dunkelheit hatte ich mich schon immer wohl gefühlt, hier sah keiner meine Wunden oder Tränen, hier war keiner in der Lage, mir weh zu tun, denn keiner konnte mich sehen. Würde ich einen im Schutze der unendlichen Nacht ansprechen, würde keiner wissen, dass es sich bei mir um Irene Sullivan handelt und keiner hätte Angst vor mir. Hier, in der endlosen, schwarzen Dunkelheit, konnte ich alles sein und keiner konnte mir hier etwas tun. Ich flüchtete mich öfters in die schützenden Arme der Dunkelheit, daraus resultierte, dass ich schemenhaft alles erkennen konnte.

Ich hatte den Schülern noch immer den Rücken zugedreht und ließ sie alle vor Angst zittern. Ich fühlte mich tatsächlich frei in dieser Dunkelheit. McGonagall verhielt sich, wie eigentlich alle Lehrer recht ruhig und gefasst, doch ich wusste, dass sie in Wirklichkeit genau so viel Angst hatten wie die Schüler hinter mir. Karkaroff schien panisch, hätte ich nicht von ihm gedacht. Es gab nur einen Lehrer, der weder Angst noch Panik zu haben schien. Snape. Es schien, als ob er die Dunkelheit genau so gut kannte wie ich. Er sah mich direkt an, als ob er wie ich in der Dunkelheit bestens sehen konnte. Er hatte beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt und die Hände ineinander gefaltet. Snape schien großes Interesse am weiteren Verlauf zu haben.

Nach wenigen Momenten der Stille, der Angst und der Panik drehte ich mich um. Celeritas kroch hervor und baute sich hinter mir auf. Mit meinem Zauberstab deutete ich auf ihn und sprach: "Expergiscimini, Draco tenebrarum!" Jeder konnte mich hören, doch es waren nicht meine Worte die, die Stille gänzlich zerrissen. Mit einem lauten und ohrenbetäubenden Schrei türmte Celeritas sich hinter mir auf und gab seine wahre Gestalt Preis. In seiner wahren Größe stand er hinter mir, seine blutroten Augen waren alles, was in der Halle zu sehen war.

Ein Schnipsen meinerseits erfüllte den Raum und kurz darauf erhellte das dunkle Feuer meines Drachen die Halle und entfachte zwei der riesigen Feuerschalen. Schreie, nicht nur Seitens der Schüler, erfüllten den Raum. Die Erschrockenheit stand ihnen ins Gesicht geschrieben, der schwarze Drache mit den blutroten Augen, der eben noch so klein gewesen war, zeigte seine wahre Gestalt. Sein Feuer so dunkel, als würde er selbst nichts als Dunkelheit spucken, das pechschwarze Feuer erhellte die Halle gerade genug, um die Umrisse von mir und Celeritas sichtbar zu machen. Keiner hatte wohl mit solch einer enormen Größe gerechnet. Celeritas breitete seine gigantischen Flügel hinter mir etwas aus und krallte seine Klauen in die Wände links und rechts von ihm. Immer wieder spuckte er Flammen der Finsternis und demonstrierte allen den Grund, warum er einer der gefährlichsten Drachen überhaupt war. So ziemlich alle in diesem Raum kannten einen Drachen seiner Gattung nur aus Büchern und hatten sich unter einer Höhe von knapp achtzehn Metern nichts vorstellen können und schon gar nicht unter einer Flügelspannweite von je fast fünfundzwanzig Metern. Ich hob meinen Arm leicht an und er stoppte damit, sein dunkles Feuer zu spucken und senkte seinem monströsen Kopf, bis er auf meiner Höhe war. Allein sein Kopf war fast doppelt so groß wie ich, wenn nicht sogar noch größer. Ich unterdrückte  ein Grinsen, als ich in das versteinerte Gesicht von Thomas Rutherford blickte. Es war eine solche Genugtuung.

Ich legte eine Hand auf den Kopf des Giganten und strich vorsichtig darüber. Die Stacheln, die ihn zierten, waren scharf wie Klingen, weshalb ich es vermied, sie zu berühren. Celeritas legte seinen Kopf neben mir auf den Boden und schlang seinen Schwanz schützend um mich. Seine Schuppen waren warm und rau. Mit einem erneuten Schnipsen richtete Celeritas sich erneut auf und ließ das letzte Mal ein ohrenbetäubendes Fauchen verlauten, bevor die schwarzen Flammen erloschen. Die Dunkelheit, wie einen Mantel um Celeritas geschlungen, schloss er seine roten Augen und ich ließ die Feuerschalen von hinten nach vorne angehen. Noch bevor man Celeritas aber hätte erblicken können, hatte ich schon längst "Parva Draco" geflüstert und der kleine Drache war im schützenden Schwarz meines Umhanges verschwunden.

Als nun auch die Decke sich wieder erhellte und auch die Sterne sich wieder getrauten, ihr Licht in die Halle fallen zu lassen, sahen alle nur mich und nicht einen riesigen, schwarzen Drache, der sie alle hätte töten können, wenn ich es gewollt hätte. Noch immer emotionslos blickte ich in die Halle voller verängstigter Zauberer und Hexen. Selbst die ach so taffen Kerle aus Durmstrang sahen aus, als hätten sie den Teufel in Person vor sich stehen.

Mit einer eleganten Verbeugung bedankte ich mich für die Aufmerksamkeit der Anderen und die Halle füllte sich, nach anfänglichem Zögern, mit tobenden Applaus. Mit einer geschmeidigen Drehung drehte ich mich auch noch einmal zu den Lehrern und verbeugte mich erneut. Die Überraschung und Begeisterung der Vorstellung war in ihren Gesichtern zu lesen und ich meinte auch, im Gesicht des Tränke-Meisters Ehrfurcht lesen zu können. Aber naja, wer hätte schon keinen Respekt vor einem solchen Prachtexemplar an Drache?

Meine Schritte lenken mich schließlich zurück zu meinem Platz am Tisch der Gryffindors. Ununterbrochen lagen die Blicke der Anderen auf mir, als hätte ich etwas verbrochen. Sie hatten deutlich Respekt vor mir und ich ließ es mir nicht nehmen, diesen kurzen Augenblick der Stärke zu genießen. Wie zu Beginn hüllte mich schwarzen Nebel ein und ich nahm in meiner Schuluniform neben Emily Platz, die vor Erstaunen kein Wort heraus brachte. Ein leises Grummeln in meinem Ärmel ließ mich lächeln. "Ja, du warst einsame Spitzenklasse Celeritas.", lobte ich meine kleinen Drachen, der darauf hin vergnügt Runden um meinen Arm drehte. Es schien ihm Spaß gemacht zu haben.

Kaum, dass ich mich niedergelassen hatte, spürte ich wieder den durchdringlichen Blick von Snape auf mir. Ich bemühte mich wirklich sehr, ihn zu ignorieren, was sich jedoch als erstaunlich schwer herausstellte. Seine Blicke waren anziehender als Magneten.

"Jetzt, da wir alle eine kleine Unterhaltung geboten haben, gibt es eine kurze Erläuterung was das Turnier betrifft. Zusammen mit dem Minister für Zauberei haben wir beschlossen, dass ein Mindestalter von sechzehn Jahren vorliegen muss, um am Turnier teilnehmen zu können.", in der Halle wurde es unruhig. Alle, die jünger als sechzehn waren, regten sich sehr über diese Altersbeschränkung auf. Ich wusste jedoch, dass dieses Turnier gefährlich war und das man auch gut dabei sterben konnte. "Alle anderen, die bereit  sind das Risiko auf sich zu nehmen und im Falle eines Sieges nie endenden Ruhm davonzutragen, sollen ihren Namen in diesen Kelch werfen.", eine Art in die Länge gezogene Pyramide wurde hinein getragen. Sie war aus Gold und Silber mit aufwendigen Verzierungen. Mit einer sanften Handbewegung von Dumbledore, zerfloss die Pyramide wie tauendes Eis und gab einen steinernen Feuerkelch preis. Auch jener war reich verziert. Ein blaues Feuer entfachte. "Vergesst aber nicht, solltet ihr ausgewählt werden, gibt es kein Zurück mehr und lasst euch gesagt sein, dass dieses Turnier nicht ganz ungefährlich ist."

Während des Essens war ich noch stiller als sonst, denn aus einem mir nicht bekannten Grund wirkte der Trank nicht und ließ mich in Schmerzen allein zurück. Ich spürte, wie die obsidianschwarzen Augen, meines Professors mich immer wieder durchleuchteten. Ob er wusste, dass ich Schmerzen hatte?

Schlussendlich überkam mich wieder dieses Schwindelgefühl, dass ich auch schon gestern Abend hatte. Ich stützte meinen Kopf und gab mein Bestes nicht bewusstlos zu werden. Wieder verschwamm meine Sicht und wurde allmählich schwarz. Mein kleiner Körper zitterte unter den starken Schmerzen und mittlerweile war mir auch noch so warm, dass ich dachte, ich würde den Hitzetod sterben. Mir war übel und ich glaubte, mich übergeben zu müssen. Ich versuchte, mich aufzurichten, mich gerade hinzusetzen, doch die Schmerzen zogen mich nach unten. Es war grauenhaft gewesen. Still, in meinem Inneren, schrie ich vor Schmerzen. Ich musste nach Außen hin recht normal aussehen, denn keiner fragte mich, ob es mir gut ginge. Das für mich wahrscheinlichste aber war, dass ich allen egal und gleichgültig war. Wer sollte sich schon für mich interessieren? Ich war ein schwaches Mädchen, dass allen zur Last fiel und störte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit klarte meine Sicht wieder auf und ich erkannte die duftenden Speisen vor mir. Immer noch leicht benommen versuchte ich, mich aufzusetzen. Mein ganzer Körper schien sich gegen mich verschworen zu haben. Der Blick von Professor Snape ruhte auf mir. Als ich es merkte, blickte ich sofort in seine Richtung. Wie immer war in seinem Gesicht keinerlei Emotion zu lesen. Er sah einfach nur in meine Richtung und legte den Kopf leicht schief, als ich ihn bemerkte. Diesmal hatte er es bestimmt gesehen, aber ob er auch gesehen hatte, wie es mir ging?

Als das Fest beendet war meinte Dumbledore noch, dass in einer Woche die Namen der Champions gezogen werden würden. In aller Schnelle verabschiedete ich mich von Amelie und Emily und rannte durch die Gänge bis zu meiner Zimmer. Mit einem lauten Knarren öffnete sich die schwere Holztür und fiel direkt hinter mir wieder ins Schloss. Ohne Umschweife lief ich zu meinem Bett und ließ mich davor auf die Knie fallen. Schnell zog ich den Koffer mit Schmerz- und Schlafmitteln hervor, nahm ein kleines Fläschchen heraus und trank es ohne zu zögern. Der bittere Geschmack war widerlich, aber zumindest half der Trank sofort und Schmerzen wurden schwächer.

Ich dachte nicht eine Sekunde daran, Madame Pomfrey im Krankenflügel aufzusuchen. Sie würde sicherlich Fragen haben und ihr würde ich ganz bestimmt nicht von meinen Misshandlungen berichten. Sie würde mir nicht glauben, wie alle anderen zuvor. Argon Sullivan und Thomas Rutherford würden so etwas doch niemals tun.

Einmal hatte ich mich jemandem anvertraut. Sie hatte mich ausgelacht und meinte, ich habe eine wirklich blühende Fantasie. Sie meinte, dass mein Vater zu so etwas doch gar nicht fähig wäre, dafür würde er mich mich viel zu sehr lieben. Keiner kam auf den Gedanken, dass dieses Perfekte-Familien-Ding nur gespielt war. Keiner sah meine Tränen, nur mein Lachen und das ach so herzerwärmend Lächeln, dass ich jeden Tag zeigte, ohne es ernst zu meinen. Jeden Tag drohte ich, unter meinem Vater mehr zu zerbrechen. Seine Schläge und Tritte waren allerdings nichts gegen die Worte, die er mir manchmal an den Kopf warf. Die physischen Wunden würden irgendwann heilen, nicht aber die psychischen.

Die langen, dünnen Beine eng an meinen schmächtigen, dünnen Körper gezogen, saß ich auf meinem Hocker und starrte auf meine Leinwand vor mir. Neben mir auf einem kleinen Holztisch aus Eichenholz, lagen Pinsel und Farben durcheinander oder in Gläsern "ordentlich" aufgestellt. In machen Gläsern befand sich gräuliches Wasser. Meine Farbpalette, die einem Meer aus verschiedenen Farben glich, lag an meinen Hocker gelehnt auf dem Boden zusammen mit dem schneeweißen Tuch, mit dem ich immer meine Malerei abdeckte.

Nach einigen Minuten der Überlegung griff ich, ohne den Blick von der Leinwand abzuwenden, nach einem dünnen und äußerst feinem Pinsel. Ich ließ die Farbpalette zu mir hoch schweben und mischte meine schillernd goldene Farbe mit einem warmen Orange und ein wenig Rot. Ich hatte die Absicht, mit Gold gemalten Parts damit etwas zu schattieren. Seufzend legte ich den Pinsel in eines der Wassergläser. Bald würde die Malerei fertig sein und ich würde eine neue Leinwand benötigen. Leider hatte ich keinerlei Ahnung, wo ich eben jene er bekommen sollte. Als ich klein war, hatte Mutter sie mir immer mitgebracht. Morgen nach Pflege magischer Geschöpfe würde ich McGonagall einmal fragen, ob sie wusste, wo ich Leinwände kaufen konnte.

Ich erhob mich und lief mit Hilfe meiner knochrigen, kleinen, nackten Füße zu einem der bodentiefen Fenster und setzte mich vor ihm wieder hin. Die Nacht warf sich wie der edelste Schleier aus dunkler Seide um das anmutige Schloss. Die Kälte, die draußen herrschte, spürte man auch hier drinnen deutlich, doch ich merkte diese klirrende Kälte nicht. Sie war ein Teil von mir. Sie nährte meinen Panzer aus Eis und gab ihm noch mehr Kraft, um zu wachsen und stärker zu werden. Mein Zimmer wurde nur spärlich von Kerzen erhellt. Ich blickte hinauf zu den Sternen, zu dem Mond und der dunklen Nacht. Ich hoffte inständig irgendwann aus diesen Albtraum, der sich mein Leben nannte, zu erwachen und einfach nur frei zu sein. Im mitternachtsblauen Himmel entdeckte ich schließlich eine Eule, die ohne Umschweife auf mich zugeflogen kam. Ich öffnete eines der riesigen Fenster. Einer der weißen Vorhänge wurde hinausgezogen und mir schlug die eisige Kälte der Nacht entgegen. Der Wind zerrte an meinem weißen Hemd und schien mich hinausziehen zu wollen. Hinaus in die Freiheit. Wie gerne ich seinem Ruf doch gefolgt wäre.

Die Eule flog hinein und ließ einen reinen, weißen Brief in meine Hände fallen. Die blaue Tinte und das schwarze Siegel auf dem Brief ließen mich schwer schlucken und zu Boden sinken. Mit zitternden Händen brach ich das Siegel und begann, die Zeilen still zu lesen. 

Liebste Tochter,

Dein Vater ist mehr als unzufrieden mit deiner Zuteilung. War es wirklich so schwer, einzig und allein dem Haus Slytherin zugeteilt zu werden? Wie konnte das passieren? Nun, wie dem auch sei. Ich hoffe, dass du uns dies erklären kannst, ohne dich in Ausreden zu flüchten. Aber legen wir dieses mehr als enttäuschende Thema beiseite. Uns ist zu Ohren gekommen, dass dieses Jahr das Trimagische Turnier an Hogwarts ausgetragen wird. Aus diesem Grund würde dein Vater gerne mit dir persönlich sprechen. Er wird am Freitag um 17 Uhr in Hogwarts eintreffen und alles Nötige mit dir besprechen.

In Liebe, deine Mutter                                                                                                                                                     
PS: Wir erwarten deine Eule

Tränen der Angst liefen meine Wagen entlang und wurden nur wenig später vom eisigen Nachtwind erfasst und davon getragen. Die kalten Tropfen der Verzweiflung fielen auf die Worte meiner Mutter und ließen die Tinte verlaufen. So etwas wie Gnade kannte Argon Sullivan nicht und schon gar nicht, wenn ihn jemand enttäuschte. Ich konnte bereits spüren, wie das warme Blut meine Gliedmaßen entlangrann und wie sein süßer Geschmack meinen Mund erfüllte, wie meine Knochen zu splittern begannen und wie seine Hände mich zu ersticken drohten. Mein Gesicht erlaubte sich keine emotionale  Anpassung zu den Tränen, die meine Wagen entlang liefen. Meine Gesichtszüge wirkten wie versteinert, als kannten sie so etwas wie Emotionen gar nicht. Mein Blick fiel zu dem offenen Fenster. Ich stand auf und lief so weit nach vorn, dass zwischen mir und dem sicheren Tod nur noch die Fensterbank war. Gedankenlos setzte ich einen Fuß auf eben jene Fensterbank. Sie gab nichts als ein lautes Knarzen von sich. Meine Hand an den kalten Scheiben gestützt, setzte ich nun auch den zweiten Fuß auf die Fensterbank. Der weiße Vorhang umschlang meinen gebrechlichen Körper. Mein leerer Blick war nach unten gerichtet. Nur einen winzigen Schritt weiter und ich wäre endlich frei. Was hielt mich schon auf dieser Welt? Nichts. Es gibt nichts, wofür es sich für mich zu leben lohnen würde.

Gerade, als ich mich nach vorn fallen lassen wollte, kam mir ein anderer Gedanke. Ich lief die Fensterband entlang und kletterte schließlich auf das Dach des Turms. Mein Blick war ständig in die endlos wirkende Tiefe gerichtet. Ich verbrachte eine Ewigkeit auf dem Dach. Ich stand auf der Spitze des Turms, die Arme ausgebreitet und auf den Fußspitzen stehend, ein Bein leicht angehoben stand ich dort. Ignorierte den Regen und die Kälte. Erst die von Sorge erfüllten Rufe meines Drachen ließen mich in mein Zimmer zurückkehren. Vielleicht gab es doch etwas, für das es sich lohnt zu leben. Ich wusste nicht, weshalb aber irgendetwas hatte mir am heutigen Abend davon abgeraten zu springen. 

Als ich im Bett lag und an die für mich gläserne Decke schaute, dachte ich daran, dass es eine Person gab, die ich mit meinem Tod nicht belasten wollte und das war Professor McGonagall. Sie hatte mir schon so viel geholfen und ich vermutete, dass sie sich dessen nicht einmal bewusst war, vielleicht würde ich ihr eines Tages meinen ehrlichen Dank aussprechen. Sie war einfach nur da und hatte versucht, mich zu trösten, dabei war sie für mich schon mehr Mutter gewesen als es meine Mutter jemals war und sein würde...

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