Kapitel 2

Der Schmerz in meiner Handfläche ließ nicht nach. Die ganze Nacht über wurde ich durch das Brennen aus meinem traumlosen Schlaf gerissen. Die Dunkelheit, die sonst von dem Glitzern der Sterne erhellt wurde, wirkte so viel düsterer, so viel gefährlicher. Es war als würde sie mich erdrücken und zugleich ertrinken lassen. Jeglicher Versuch mich dagegen zu wehren war aussichtslos. Mehr denn je sehnte ich mich danach mich vor diesem Gefühl zu verstecken, doch jedes Mal, wenn meine Augen zufielen, zischte der Schmerz durch meine Muskeln hindurch bis in mein Herz.

Der Morgen kam wie ein Faustschlag ins Gesicht. Viel zu früh und viel zu brutal. Alles, was ich tun wollte, war meinen Kopf unter dem platten Kissen zu verstecken und die Stunden an mir vorbeiziehen zu lassen. Mit aufeinander gepressten Zähnen, ein qualvolles Stöhnen unterdrückend, setzte ich mich dennoch auf. Ein Blick auf die Innenseite meiner Hand ließ jegliche Hoffnung darauf, dass ich mir die Wunde nur durch den Elfenwein eingebildet hatte, erlöschen. Die Schnitten hatten sich zwar nicht tiefer in die Haut gegraben, aber sie waren auch nicht im Geringsten verheilt. Noch immer bildeten sich winzige Tröpfchen Blut zwischen den Furchen und auch auf dem Bettlaken erkannte ich dunkelrote Flecken. Ich würde etwas brauchen, um die Wunde zu verbinden, denn so wäre es mir unmöglich heute zu arbeiten. Ein erleichtertes Seufzen entfloh über meine Lippen bei dem Gedanken daran, dass wir gestern wenigstens hatten genug Essen kaufen können. Ich würde mir, zumindest fürs Erste, keine allzu großen Sorgen darum machen müssen.

Fest biss ich mir auf die Unterlippe, um die aufkeimende Angst in mir zu unterdrücken. In den letzten Jahren hatte ich mir viele Arten von Wunden zugezogen. Die meisten von ihnen waren nicht einmal nennenswert, verschwanden binnen Minuten aus meiner Erinnerung. Einige hatten Narben hinterlassen, bluteten noch immer in meinem Herzen. Keine von ihnen war mit der Zeit schlimmer geworden. Keine von ihnen hatte die unverkennbare Form einer Welle getragen. Und die Tatsache, dass ich nicht den blassesten Schimmer davon hatte, was dies bedeuteten, jagte einen Schauer über meinen Rücken. Kälter, als jegliches Eis.

Stumm wandte ich meinen Blick zur Seite. Etwas stimmte nicht. Für gewöhnlich zwang der Markt mich dazu, früh aufzustehen und Lymara mit ihrem leisen Schnarchen zwischen den Decken zurückzulassen. Heute war ihre Bettseite leer. Schwer schluckte ich den flammenden Gedanken daran, dass ihr etwas passiert sein könnte, herunter. Ein Luftschwall sauste zwischen meinen Zähnen hindurch. Es gab nicht den geringsten Grund dafür, sich Sorgen zu machen. Sie war mit Sicherheit einfach nur früh aufgewacht.

Den unaufhörlichen Schmerz in meiner Hand ignorierend, schwang ich meine Beine aus dem Bett. Die Müdigkeit ruhte noch immer schwer auf meinen Augenlidern, doch war bereits aus meinen Knochen gewichen. Die vielen Jahre, in denen der Sonnenaufgang mich geweckt hatte, hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich wusste schon lange nicht mehr, wie es sich anfühlte, wenn man kaum aus dem Bett kam, weil die Träume einem noch hinterher jagten, bittend, verlangend. ich wusste schon lange nicht mehr, wie es sich anfühlte zu träumen.

Als ich durch die Tür hindurch in unsere kleine Küche trat, stand Lymara stand bereits mit dem Rücken zu mir am winzigen Herd und kochte etwas, das verdächtig nach Spiegeleiern aussah. Der Geruch drang angenehm warm und vertraut an meine Nase. Erleichterung ließ einen schweren Stein von meinem Herzen fallen. Es ging ihr gut.

"Guten Morgen", grüßte sie und schenkte mir ein ehrliches Lächeln.

"Guten Morgen", entgegnete ich. Ein Gähnen drängte sich über meine Lippen, während ich mich auf einen der Stühle fallen ließ. "So früh schon wach?"

"Es ist gar nicht so früh", blitzschnell drehte sie sich zu mir um und ich erkannte ein seltenes, schelmisches Funkeln in ihren Augen. "Es ist kurz nach zwölf, Schlafmütze."

"Warum hast du mich nicht geweckt?" Seufzend bettete ich meinen Kopf auf meinen Armen, die ihren Platz auf dem knarzenden Holztisch gefunden hatten. Es musste der Elfenwein gewesen sein, der mich so spät und sie so früh geweckt hatte.

Das Sonnenlicht fand einen Weg durch die mit Efeu und Gänseblümchen geschmückten Fenster zu meiner Nasenspitze. Eine angenehme Wärme streifte durch mich hindurch, erfüllte mich mit dem süßen Geruch eines frischen Tages. Lymara hatte kurz nach dem Tod unseres Vaters damit angefangen das gesamte Haus mit Blumen zu schmücken. Erst waren es Callas, die die Trauer in unseren Herzen nach außen trugen. Sich mit den Pflanzen zu beschäftigen hatte sie von dem Verlust und der Leere abgelenkt, die plötzlich Hand in Hand in unser Leben spaziert waren. Dann, irgendwann, kam jedoch immer mehr Farbe in ihre Gestecke hinein. Rosen, Tulpen, Dahlien und Veilchen schlangen sich bald um Fensterrahmen, Türgriffe und Tischbeine. Sie waren zum Teil ihres Lebens geworden, zu ihren Freunden, die ihr ein Lächeln schenkten, wenn sie es am meisten brauchte. Ich hatte nie den Mut gefunden, ihr zu sagen, dass ich den viel zu süßen Geruch, der sich durch den kleinen Garten in unserem Haus ausbreitete, unausstehlich fand.

"Ich dachte, ich überrasche dich", geschickt ließ Lymara eines der Spiegeleier aus der Pfanne auf einen Teller gleiten, den sie mir kurz darauf vor die Nase stellte. "Auch du hast mal eine gute Portion Schlaf verdient."

"Danke", murmelte ich leise.

"Wie geht es deiner Hand?"

"Gut", log ich rasch, ballte meine Hand jedoch zu einer Faust in der Hoffnung, dass Lymara nicht sah, dass die Wunde nicht im geringsten verheilt war. Für gewöhnlich kamen Lügen mir mit einer gefährlichen Leichtigkeit über die Lippen, waren mein ständiger Begleiter. Ohne sie wäre ich auf dem Markt von Terondya aufgeschmissen. Ein hoffnungsloser Fall, den sowohl Elfen als auch Menschen nur mit mitleidigen Blicken strafen würden. Lymara aber besaß die Fähigkeit sie alle zu durchschauen, weshalb ich meist jeglichen Versuch mied. Dieses Mal war es anders. Dieses Mal wollte ich nicht sehen, wie sich ihre Augenbrauen voller Sorge zusammenzogen, wie sie begann an ihrer Unterlippe zu nagen und den Kopf zu schütteln.

"Es ist nicht verheilt", stellte sie fassungslos fest. Angespannt schloss ich meine Augen und schenkte ihr ein vorsichtiges Nicken als einzige Antwort. Was konnte ich ihr sagen? Sie würde nur die Wahrheit akzeptieren und mir fehlte jegliche Erklärung. Jegliche Möglichkeit, sie zu besänftigen.

"Tut es sehr weh?"

"Dein Ei brät an", warnte ich sie auf der Suche nach einer Ablenkung, nach einer Möglichkeit das Thema zu wechseln. Sie schnaubte leise durch die Nase, wandte sich dann jedoch stumm wieder dem Herd zu. Langsam öffnete ich die Faust und warf einen erneuten Blick auf die Schnitte. Sie trugen die dunkle, rote Farbe des Krieges, des Mordes. Die Haut um sie herum jedoch schien nicht im geringsten verletzt, nicht einmal eine Schwellung konnte ich erkennen.

"Du solltest zu Melione. Sie kann dir mit Sicherheit helfen", Lymara sah mir erneut flehentlich entgegen, als würde sie meinen Schmerz selbst spüren. Ich konnte es ihr nicht übelnehmen, denn ich hätte an ihrer Stelle nicht anders gehandelt. Wir waren alles, was uns geblieben war. Sie war nicht nur meine Schwester, sie war mein Halt und meine Hoffnung. Ohne nachzudenken würde ich für sie unbewaffnet in einen Kampf ziehen. Und ich wusste, ich fühlte, dass sie das Gleiche für mich tuen würde.

"Ich weiß", murmelte ich.

"Rae", sie nahm den zweiten Teller, auf dem nun ebenfalls ein Ei ruhte, und ließ sich schließlich neben mir auf einem Stuhl nieder. Dem Essen widmete sie jedoch nicht den geringsten Blick. "Ich weiß, es ist das Letzte, was du hören möchtest. Aber Melione kann dir bestimmt helfen. Das hier - ", sie deutete mit einem Kopfnicken hin zu meinen Händen. "- ist nicht normal."

"Ich weiß", wiederholte ich nur.

"Bitte", Lymara legte ihre Hand auf meine. Sie war heiß, feucht von Schweiß. Sie hatte Angst. "Tu' es für mich. Ich kann dich nicht auch noch verlieren."

Ihre Worte waren Dolche, die sich in mein Herz hineinbohrten und es in tausend Teile zersplittern ließen. Für einen Augenblick war ich wieder das kleine Mädchen, das ihre Mutter gehen sah. Das kleine Mädchen, das die Hand ihres Vaters sterbenden Vaters hielt. Das kleine Mädchen, das ihre Schwester in den Arm nahm und schwor, alles würde gut werden, obwohl sie es selbst nicht einmal glaubte. Und ich konnte Lymaras Tränen wie zersprungene Diamanten funkeln sehen, ich konnte ihr Gewicht in meinen Armen spüren, als ihre Beine nachgaben, konnte hören wie sich ihr Schluchzen mit dem Wind vermischte.

"In Ordnung", gab ich schwer seufzend nach. "Nach dem Essen."

"Danke", dieses Mal war ihr Lächeln schwächer, wie eine bloße, fehlerhafte Kopie der Realität. Ich entschloss mich dazu zu schweigen. Ich wusste ohnehin nicht mehr, was ich sagen konnte. Erst recht nicht, was ich sagen wollte.

Nach einer Weile begann sie von einem kleinen Vogel zu erzählen, den sie am Morgen gefüttert hatte. Sie tat es, um die Stille zu überbrücken, die sie so wenig leiden konnte, und ich schmunzelte immer wieder leise, weil ich wusste, dass sie es mochte. Meine Gedanken waren allerdings nicht bei ihr, nicht bei dem Vogel und nicht bei dem Spiegelei. Sie waren bei dem Brennen in meiner Handfläche und der Angst davor, was mich erwartete, wenn ich herausfand, was es war, das mich so quälte.

Wir wuschen das Geschirr gemeinsam, begleitet von dem leisen Singen der Vögel draußen, ab, dann widmete Lymara sich dem Jackett, das sie dem Elfen - Robin - gestern versprochen hatte. Ich tauschte meinen Schlafgewand gegen eine Lederhose, eine Bluse und einen Mantel, dessen grüne Farbe mich an ein tief im Wald verstecktes Moor erinnerte. Nahezu jede Faser meines Körpers weigerte sich dagegen, das Haus zu verlassen. Ich hatte noch so viel zu tuen, was mich nicht nur Zeit, sondern auch Geld kosten würde. Aber die Flammen in meiner Handfläche und die Erinnerung an Lymaras Worte warnten mich davor, meine Entscheidung rückgängig zu machen.

"Ich bin weg", mit einem sanften Kuss auf ihr Haar verabschiedete ich mich von ihr.

"Pass' auf dich auf", erwiderte sie, dann war ich aus der Tür verschwunden. Es gab kein Zurück mehr.

Melione wohnte nicht weit von uns entfernt. Als Kinder waren wir uns beim Spielen über den Weg gelaufen. Damals hatte unsere unterschiedliche Herkunft keine Rolle gespielt, ebenso wenig wie die Gesetze, die auf Faileas Straßen herrschten. Wir waren nicht ein Mensch und eine Elfe. Wir waren zwei rebellische Seelen auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer gewesen und gemeinsam hatten wir es gefunden. Erst die Zeit hatte langsam, aber sicher einen Keil zwischen uns getrieben. Sie hatte uns gelehrt, dass die Hierarchie des Landes allgegenwärtig war. Elfen waren nicht einfach mit Menschen befreundet. Elfen benutzten Menschen, um ihren eigenen Wohlstand zu sichern. Melione war keine von ihnen, ihr Herz war ehrlich und gerecht. Sie sah zwischen uns beiden keinen Unterschied und vielleicht hätten wir ewig so weitermachen können. Ich wusste, dass der abrupte Abbruch unserer Freundschaft meine Schuld war. Das grausame Gefühl der Unterlegenheit hatte mich verfolgt, wie ein Geist, wie mein eigener Schatten. Es hatte mir ins Ohr geflüstert, wenn Melione von ihrer Ausbildung zur Heilerin erzählt hatte. Es hatte meine Hand gehalten, wenn wir gemeinsam durch die Wälder hin zu den Seen, die sie so liebte, spaziert waren. Es hatte nachts neben mir gelegen, wenn ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als mich im Schlaf zu verlieren.

Irgendwann hörte ich auf sie zu besuchen und auf ihre Briefe zu antworten, die sie auf dem Weg in die Stadt unter dem schmalen Schlitz zwischen unserer Haustür und dem Boden schob. Nicht eine Träne vergoss ich. Nur das Brechen meiner Seele hallte in meinen Ohren nach, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack auf meiner Zunge, der niemals verschwand.

Manchmal schickte ich Lymara vorbei, um etwas Heilpulver zu besorgen. Ich selbst aber hatte seit Jahren keinen Fuß mehr in ihr Haus gesetzt, ihr melodisches Lachen nicht mehr gehört, das Wehen ihrer hübschen Kleider im Wind gesehen.

Die Nervosität jagte Adrenalin durch mein Blut hindurch, als ich ihr Haus in der Fern erkannte. Es sah noch immer genauso aus wie damals, als ich zum ersten Mal hierher gekommen war. Die Fenster glitzerten im kalten Blau des Meeres, ein plätschernder Wasserfall glitt vom Dach über die Hauswand in einen kleinen Bach und Schwäne tanzten zwischen den winzigen Wellen zu ihrem eigenen Lied.

Ich hatte fest damit gerechnet anklopfen zu müssen. Tausende Male war ich im Kopf durchgegangen, was ich sagen könnte. Aber nichts davon hörte sich auch nur annähernd richtig an. Sollte ich mich entschuldigen? Wollte ich es überhaupt? Es wäre nur eine weitere Lüge, die sich an mich anschmiegen würde wie eine zweite Haut. Ein Teil von mir werden würde. Ich vermisste unsere Freundschaft, aber ich bereute meine Entscheidung nicht im geringsten.

Ich musste nicht anklopfen.

"Raelia?", eine ungläubige Stimme riss mich aus meinen Gedanken heraus und bevor ich wusste, was ich tuen sollte, stand sie vor mir. Sie roch nach Kräutern und Blüten, nach Meerwasser und Erdbeeren. Auf ihrer Stirn glitzerten Schweißperlen. Und trotz der Erschöpfung in ihren Augen, schimmerten diese wie kristallklares Wasser im hellsten Sonnenlicht. "Du bist es wirklich."

"Ja", mein Mund öffnete sich, auf der Suche nach etwas. Irgendetwas. Doch da war nur Stille, Leere. Und das Pochen in meiner Hand, das plötzlich wieder stärker wurde.

"Wie geht es dir? Was machst du hier?", kurz streckte sie ihre Arme aus, als wollte sie mich umarmen, ließ diese dann aber wieder sinken. Ein unangenehmes, drückendes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. "Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen."

"Ich brauche deine Hilfe", mir war bewusst, dass ich mir, anders als sie, nicht einmal die Mühe machte die Illusion unserer einstigen Freundschaft aufrecht zu erhalten. Es wäre ohnehin sinnlos, nach dem heutigen Tag würde ich sie wie zuvor meiden. Uns vergessen.

Mittlerweile war das durch die Schnitte entstandene Stechen in meiner Handfläche fast schon unerträglich geworden, es begann meine Sinne zu betäuben. Die Schwäche, die damit einherging, war mir vollkommen fremd. Und ich hasste sie. Ich hasste sie mehr als alles andere zuvor.

"Wobei?", ein stiller Schatten huschte über ihr Gesicht, doch ihr unsterbliches Lächeln verschwand nicht. Stattdessen legte sie ihre warme Hand auf meine Schulter, als wolle sie sagen, sie wäre immer für mich da. Sie musste diese Worte nicht aussprechen. Sie würden ohnehin nicht in mein Herz hinein dringen. Was auch immer uns einst verbunden hatte, war eine bloße Erinnerung. Nebelschwaden in meinem Kopf, die sich mit jedem Tag mehr und mehr auflösten. Bis ich mich irgendwann nicht einmal mehr daran erinnern können würde, wie wir uns gegenseitig Zöpfe ins Haar geflochten und diese anschließend mit den Lilien aus ihrem Teich geziert hatten.

Wortlos streckte ich ihr meine Hand entgegen. "Die Wunde", nuschelte ich, spürte wie die Taubheit mit meinen Fingerspitzen zu kämpfen begann. "Sie will nicht verheilen."

"Raelia", mit einem Mal verlor ihre Stimme jegliches Licht. Erschöpft hob ich meinen Kopf etwas, um sie besser sehen zu können. Ihre Stirn war in dunkle Falten gelegt, ihre Augen zusammengekniffen. In all' den Jahren, die ich mit ihr verbracht hatte, hatte sie nie so ernst ausgesehen. "Das ist keine Wunde. Das ist das Zeichen der Wellenlande."

Das Zeichen der Wellenlande. Ihre Worte waren so weit entfernt, als würde ich nur von ihnen träumen und sie gleich wieder vergessen. Verzweifelt versuchte ich mich daran festzuhalten, sie immer und immer wieder vor mich hin zu flüstern. Sie ergaben keinen Sinn, behielten keine feste Form.

"Ich-", der Boden unter meinen Füßen begann zu vibrieren, zwang mich dazu zu taumeln. "Ich muss mich hinsetzen", nur zu gerne hätte ich mich gleich hier auf dem strahlend grünem Gras niedergelassen. Mit jeder Sekunde, die verstrich, breitete sich der Schmerz in meinem Körper aus. Meine Arme konnte ich nicht mehr bewegen, meine Beine kaum noch spüren. Die Bewusstlosigkeit kitzelte bereits in meinen Augenwinkel.

Ich spürte wie Meliones Hände sich zärtlich um meine Hüfte schlangen, um mich zu stützen.

"Hey", ihr Atem war heiß auf meinen Wangen. Heiß wie die Wunde. Heiß wie die Angst. "Halt' dich an mir fest. Wir müssen ins Haus."

Mit dem letzten bisschen Stärke, das ich in meinen Muskeln finden konnte, schlang ich meinen Arm um ihren Nach und setzte einen Fuß vor den Anderen. Vor meinen Augen verschwamm die Welt. Blumen tanzten im Himmel, Wolken schwammen durch Bäche und die Erde pulsierte zum Takt meines eigenen Herzschlages. Oben und unten verloren sich in einem elendigen Spiel, ließen meinen Kopf pochen und den Weg endlos lang erscheinen. Nur Meliones Stimme, die in mir echote und nicht zu enden schien, erinnerte mich daran nicht loszulassen. Auch, wenn ich schon lange nicht mehr verstand, was genau sie sagte.

Irgendwann löste sie ihren Griff um meine Hüfte. Ich wusste, ich würde sie ebenfalls loslassen müssen, aber ich wollte nicht. Ohne sie fühlte ich mich hilflos, verzweifelt, einsam. Ich war nicht weiter als ein einfacher Mensch, das Leben selbst war mein größter Gegenspieler. Mein größter Feind. In den letzten Jahren hatte ich gelernt diesen Kampf auszutragen, jeden Tag, jeden Morgen aufs Neue. Alleine. Ich sollte sie nicht brauchen, sollte mich nicht an ihr festklammern, als würde ich ohne sie im Nichts verschwinden. Und doch fühlte es sich so richtig an jetzt, in diesem Moment, nicht alleine zu sein.

Ich ließ los und kaum spürte ich ihre Haut nicht mehr unter meiner Hand, gab mein Körper endgültig nach und ich ließ mich rücklings nach hinten fallen.

Es war nicht der harte Boden, auf den ich aufprallte. Stattdessen hießen mich weiche Wolken willkommen, tauchten alles in ein gleißendes Licht und zauberten mir ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen. Der Schmerz hatte sich mit meinem Blut vermischt, mit meinem Atem, mit meinen Gedanken. Er war ein Teil von mir und ich konnte ihn kaum noch spüren. Ich spürte nur noch die Sterne in mir schimmern. Und die Müdigkeit, die meine Augenlieder zufallen, die Dunkelheit eindringen ließ. Ich war so müde.

Dann war da Kälte. Von meinem Gesicht aus tropfte sie meinen Hals hinab bis zu meiner Brust, zwang mich dazu die Augen wieder zu öffnen. Die Welt hatte sich normalisiert. Ich erkannte die Holzdielen an der Decke und hörte Melione leise vor sich hin summen. Der Rosenkutscher. Als wir kleiner waren, hatte und das Lied von dem alten Mann, der mit ihrer Kutsche durch ganz Failea reiste, um ewig währende Rosen zu verkaufen, auf all' unseren Spaziergängen begleitet.

Ich wischte mir übers Gesicht und realisierte, dass die Kälte von einem Schwall Wasser herrührte, den Melione über mir ausgekippt haben musste. Für die Elfen der Wellenlande war das Wasser heilig. Es stärkte sie, strahlte in ihrem Inneren wieder und half bei der Heilung kleinerer Wunden. Für Menschen war es nichts anderes, als etwas zu Trinken und zum Waschen.

"Was hast du gemacht?", flüsterte ich, noch immer zu schwach, um lauter zu sprechen. Melione hörte mich, fuhr sich durch das dunkle Haare und nahm dann auf dem Bettrand Platz. Es waren also keine Wolken, sondern ein einfaches Bett.

"Ich weiß es nicht. Eigentlich sollte es nicht so sein", sie schüttelte verständnisvoll ihren Kopf, blickte auf der Suche nach einer Antwort zur Decke auf. "Eigentlich dürftest du dieses Zeichen gar nicht tragen, weißt du das?"

"Warum nicht?", entgegnete ich. Ich hob meine schlaffe Hand gerade so hoch, dass ich sie sehen konnte. Die tiefroten Linien waren verschwunden, an ihre Stelle waren weiße Narben getreten und der Schmerz war mit ihnen verblasst. Vorsichtig streifte ich mit dem Daumen der anderen Hand darüber. Was bedeutete dieses Zeichen?

"Die Wellen werden wählen der Lande Spieler, ein Elf geboren mit der Kraft der Sieger", sie erhob sich wieder und begann im Raum auf und ab zu gehen. "Hast du schon einmal von den Königsspielen gehört?"

"Nein."

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AUTHOR'S NOTE
Es hat eine Weile gedauert, aber endlich geht es weiter.
Wieder einmal bin ich mir mit diesem Kapitel nicht sonderlich sicher - die zweite Hälfte habe ich auf Grund meiner eigenen Vorfreude noch nicht einmal Probegelesen - aber ich hoffe, es ist dennoch akzeptabel zu lesen.
Ich merke erst jetzt wieder, wie sehr ich das Schreiben, aber auch Raelia, Lymara und all' die anderen Charaktere, die bald kommen, vermisst habe.
Wie immer freue ich mich über konstruktive Kritik, aber auch über ein wenig Lob (damit ich mich darin suhlen kann wie ein kleines, glückliches Schweinchen und meiner Mama stolz davon berichten kann).
Spaß beiseite. Vielen Dank für's Lesen. Das bedeutet mir jede Menge - oder in anderen Worten, einfach alles.
Merci beaucoup!

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