Teil 2 - Made Men by the Blood







Shidaq hatte eine der grausameren Waffen getragen, die man zur Jagd hatte nutzen können. Die metallenen Zähne des Jägerspeers hatten im Licht des silbernen Mondes in dieser Nacht geglänzt und das Werkzeug hatte fast so hungrig gewirkt wie ihr Träger.

Damals war Alt-Yharnam kein brennendes, verlorenes Loch voller Biester gewesen, sondern ein stattliches, ansehnliches Örtchen. Sein neuer Gefährte war eindeutig überwältigt vom Anblick gewesen, sein Mund hatte ganz leicht offen gestanden und seine Augen waren aufgerissen gewesen, als hätte er alles in sich aufnehmen wollen und wäre doch unfähig dazu. Shidaq war wie mesmerisiert an die die Brüstung vor ihnen getreten und hatte sich dagegen gelehnt, hatte zum Himmel geblickt, zu den archaischen Bauwerken unter ihm, zu den verworrenen Straßen, kleinen Hinterhöfen und weiten Parkanlagen. Djura hatte der Anblick des anderen Jägers mehr interessiert, als die erhabene Atmosphäre des Dorfes.

„Wart Ihr etwa noch nie in Alt-Yharnam?", hatte er dann belustigt gefragt und Shidaq war zurückgewichen und hatte sich darum bemüht seine Gefühle zu beherrschen.

„Ich war schon so lange nicht mehr hier."

Djura hatte genickt und bedeutet ihm zu folgen. Damals waren die Pflastersteine noch nicht durch die Hitze der Feuer gesprungen gewesen, die Straßen noch nicht zugestellt von Särgen, doppelt und dreifach gesichert durch Ketten und Schlösser, um den Tod dort zu lassen, wo er hingehörte. Nein, damals waren die Wege noch frei gewesen, alle Bewohner bei Verstand hatten sich in ihren Häusern verschanzt gehabt, zitternd und betend und sie hatten gejagt.

Shidaqs Jägerspeer hatte sich in wilden Blutregen durch die Bestien gefressen, die ihnen in dunklen Gassen und Türfluchten aufgelauert hatten und das laute Knallen von Djuras Donnerbüchse hatte durch die Nacht gehallt. Fellige Monster hatten getroffen geknurrt und sein Gefährte war mit ein paar Sprüngen hinter ihnen gewesen und hatte sie zur Strecke gebracht. Gebadet in Blut, berauscht von der Läuterung war jeder Jäger wunderschön und gefährlich.

„Sagt mir, Aschenjäger", hatte sein Gefährte ihn irgendwann aufgefordert, „Was macht das Spielzeug an Eurem Handgelenk?"

Djura hatte hinabgesehen auf seine Waffe. „Dies ist ein Pfahltreiber."

„Und was kann sie? Zeigt es mir! Wir sollten uns später auf einen Kampf treffen, wenn Ihr Euch traut!" Trickwaffen, hergestellt von den Pulverfässern, mussten Feuer und Kraft haben, um einen Wert zu besitzen. Die meisten seiner Kameraden hatten die Werkzeuge der Werkstatt-Jäger als Spielzeug bezeichnet, den Sägespeer als Zahnstocher verunglimpft, aber Djura war dafür zu nett gewesen.

Also hatte er Shidaq nur in die Augen gesehen und ihm gesagt: „Ihr seid trunken vom Blut, so wie es die besten Jäger sind. Trotzdem solltet Ihr Euch das nicht zu Kopf steigen lassen." Dann war er weitergegangen und er hatte diesen jugendlichen Ärger in seinem Rücken lodern fühlen, fast stärker als der Blutdurst der Bestien vor ihm.

Sie waren hinabgestiegen durch die Straße von Alt-Yharnam, über Brücken, Treppen hinab und schließlich hinein in halbzerfallene Gebäude, angefüllt mit Knurren und Schluchzen und Finsternis.

„Ich bin nicht ‚trunken'!", hatte er sich gerechtfertigt. „Die Jäger der Werkstatt messen sich ständig untereinander! Warum lehnt Ihr das ab? Der Traum..."

Djura hatte ihn mit einer Handgeste zum Schweigen gebracht. Im kläglichen Licht der Handlaterne an seinem Gürtel hatte er kaum etwas erkennen können, fast war es schon so, als würde der Schein ihnen das Sehen noch erschweren, aber er wusste, dass etwas vor ihnen war. Shidaq hatte sich ungeduldig neben ihn gedrängt und versucht etwas auszumachen.

„Dort kauert jemand!" Die Erregung der Jagd hatte ihn seinen Sägespeer ausfahren lassen und Djura hatte seinen Arm gepackt.

„Nicht doch! Das ist ein kleiner Raum. Dort werdet Ihr doch wohl nicht mit einer großen Waffe kämpfen wollen!"

Der junge Jäger hatte seine Augen verdreht, das knackende Geräusch, als er den Speer wieder zusammen hatte fahren lassen, hatte alles andere im Raum übertönt, alles, nur das Schluchzen nicht.

„Das ist ein Kind!", hatte Shidaq ausgerufen und war in die Dunkelheit gestürmt, bevor Djura ihn erneut zur Raison hatte rufen können.

Der Holzboden hatte geknarzt unter seinen hastigen Schritten und den langen Klauen der Bestie, die hinter einer Wand hervorgeschossen waren und mit ihren Klauen nach ihm gegriffen hatten. Doch der junge Jäger war schnell und agil gewesen, hatte sich unter dem Überraschungsangriff weggerollt, direkt hinein in die Arme der spinnenbeinigen Kreaturen, die so getan hatten, als hätten sie geschlafen.

Alles war dunkel und schwarz gewesen, nur Shidaqs Blut hatte rot geleuchtet, als es über den Boden verteilt worden war. Hastig war er in einen Haufen Tonfässer gestolpert, um sich zu retten, die Monster waren ihm gefolgt, bereit ihn mit ihren Krallen aufzuspießen.

Djura war vorgeprescht die Klinge seines Pfahltreibers hatte sich durch die Bestie vor ihm gefressen. In nicht mal ein paar Sekunden waren die beiden Jäger in einem tödlichen Tanz gefangen gewesen. Blut war auf Djura hinab geregnet und hatte ihn mit Rausch erfüllt. Shidaq hatte gekeucht, als die Biester ihm das Leben aus dem Leib geprügelt hatten. Das Donnern seiner Jägerpistole hatte das Monster, was ihn hatte anfallen wollen ins Taumeln gebracht. Sofort war der junge Jäger über ihm gewesen, seine Hand war in die Eingeweide seines Gegners gefahren und in einem Regen aus Blut war es zu Boden gegangen. Kaum war das Biest gefallen, hatten weitere Kreaturen den Gang geflutet.

Shidaq war mit zwei Sprüngen wieder neben ihm gewesen, seine Augen gehetzt und gleichzeitig glänzend vor Blutrausch. Die Phiolen, die er sich in den Oberschenkel gejagt hatte, hatten ihm neue Kraft geschenkt.

„Erschießt sie mit Eurer Donnerbüchse!"

„Nein! Zurück in den Gang!"

Immer mehr Biester waren in den winzigen Raum geströmt, sie alle auf einmal angreifen zu wollen, wäre absolut aussichtslos gewesen.

„Djura! Erschießt sie!", hatte er ungeduldig wiederholt.

Der Jäger hatte die Überzahl an Bestien gesehen, ihr Knurren in seinen Rippen gespürt und die Vielzahl an Tonkrügen im Raum registriert.

„Zurück!" Er hatte zur Treppe weichen wollen, aber dieser Dummkopf hatte sich in eine Vorwärtsrolle fallenlassen. Sein schlecht gezielter Schuss war ein kompletter Volltreffer gewesen und die Fässer zersprengt. Noch in dem Moment war Djura vorgehechtet, er hatte Shidaqs Schulter gepackt und ihn hinter sich geschleudert, gerade rechtzeitig als die Welt vor ihm in einem Feuerregen zersprungen war. Die Explosion war so heftig gewesen, dass es ihn von den Füßen gerissen hatte, Flammen hatten sich durch die Monster gefressen und auch an Djuras Haut geleckt, sich in sein Fleisch gegraben. Verzweifelt hatte er versucht nach seinen Blutphiolen zu greifen, doch seine Gliedmaßen hatten ihm nicht mehr gehorcht. Das letzte was er gesehen hatte, war Shidaqs Gesicht in der neuentfachten Finsternis gewesen. Und dann war er gestorben.

Zu sterben war furchtbar. Jeder Tod zerrte an der unsterblichen Seele und ermüdete unglaublich, obwohl man sich immer wieder wie neu fühlte, wenn der Traum des Jägers einen wieder ausspukte.

So hatte Djura sich immer gefühlt, damals, als er noch Träume gehabt hatte.

Als er wieder an der Laterne vor den Toren von Alt-Yharnam erwacht war, war er überrascht gewesen. Er war schon so oft gestorben. Ärgerliche Tode. Traurige. Dumme. Und jedes Mal war er wieder aufgestanden und hatte es besser machen wollen. Aber er war noch nie beim Erwachen überrascht gewesen. In der Dunkelheit des unterirdischen Zugangsraumes hatte der junge Jäger, der seinen Tod verursacht hatte, gesessen und scheinbar auf ihn gewartet.

„Ihr seid zurück!" Leichtfüßig hatte Shidaq sich erhoben. „Ich habe auf Euch gewartet, Djura!" Der alte Jäger hatte geseufzt und hatte in seinen angesammelten Sachen gekramt, um seine Handlaterne zu finden. „Ich schätze Ihr seid wütend auf mich", hatte er dann herumgedruckst. „Ich kann – mich nur entschuldigen. Es wird ni..."

„Ist das Eure erste Jagd?"

„Oh! Nein! Nein, natürlich nicht! I..."

„Und wie habt Ihr Eure anderen Nächte verbracht?"

„Was?"

„Habt Ihr gelernt von Euren Älteren? Oder habt Ihr gelernt indem Ihr gestorben seid?" Shidaq hatte geschwiegen. Djura hatte seine Handlaterne gefunden. „Denkt in Eurer nächsten Jagd, dummer Junge."

Er hatte ihn passiert und erneut war er ihm hinterhergesprungen.

„Ich bin kein Junge! Ich bin Erwachsen!"

Djura hatte geseufzt. „Und allein, das seid Ihr nun auch."





Allein war die Jagd in der Tat viel einfacher gewesen. Bestien waren unter seinen Schlägen gefallen, frisches Blut hatte seine Kleider benetzt, Phiolen seinen Willen zu Leben aufrechterhalten und Feuer sich durch seine Feinde gefressen. Ohne Ablenkung hatte er in Ruhe auf Tonfässer schießen und sich vor den hungrigen Flammenstürmen in Sicherheit bringen können, ehe sie ihn wieder hatten verschlingen können.

Er hatte andere Jäger getroffen gehabt, ebenfalls erfüllt von ihrer heiligen Aufgabe, die meisten von ihnen Pulverfässer. Sie tanzten im Feuer der Läuterung. Jäger der Werkstatt hatte er auch angetroffen, sie hatten ihm erzählt, dass die Anhänger der Heilenden Kirche eine Zuflucht für Überlebende und Infizierte ohne Symptome der Bestienkrankheit im unteren Bezirk von Alt-Yharnam errichtet hatten und ihn dann kichernd gefragt gehabt, ob er sein neues Anhängsel schon über gewesen wäre. Er hatte sie ignoriert.


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Die Kirche war schon verwittert gewesen, als er selbst noch ein kleiner Junge gewesen war, dem war er sich sicher gewesen, als er die Stufen hinabgestiegen war in den schwarzen Schlund unter ihm. Das Hecheln und Knurren aus den Tiefen des Gebäudes hatte ihm verraten, dass dort unten etwas sehr Großes auf ihn gewartet hatte. Andere Jäger, selbst wenn sie Einzelgänger waren, hätten wohl Hilfe beschworen, aber Djura war einfach weitergegangen. Der riesige Raum war leer gewesen. Am Rande hatte er die Schatten von betenden Statuen ausmachen können, jedenfalls hatte er das geglaubt. Vor ihm hatte der Altar gestanden, das einzige in der Kirche, was heilig genug war, um vom Licht der Kerzen berührt zu werden, alles andere um ihn herum war in dicke, widerliche Dunkelheit getaucht gewesen, die sich in seine Kleider hatte fressen wollen.

Nirgendwo war ein Feind zu sehen gewesen, aber Djura hatte lange genug gejagt, um zu wissen, dass etwas Furchtbares passieren würde. Das Klingen und Klirren direkt über ihm hatte ihn mit einer Gänsehaut realisieren lassen, dass er nicht schnell genug sein würde. Djura war zurückgesprungen, doch der Kronleuchter hatte ihn trotzdem verletzt, als er direkt vor ihm zu Boden gekracht war und Metall und Kerzenstummel durch die Luft geschleudert worden waren.

Der Schrei der Bestie hatte geklungen als hätte man Fingernägel über Schiefer gezogen und Djura war zurückgesprungen und hatte sich Phiolen in den Kreislauf gejagt, um sich auf den Kampf vorzubereiten. Seine Gegnerin war so mager, dass ihre Rippen die dünne Haut durchstochen hatten, Djura hatte es gut sehen können, als sie sich aufgerichtet und gekreischt hatte. Ihre Klauen waren grausam gebogen und lang genug gewesen, dass sie ihn ohne große Mühe einmal hätten durchstechen können und trotzdem immer noch kürzer gewesen, als die Fangzähne die sich aus ihrem abgemagerten, erschreckend menschlichen Gesicht gedreht hatten. Doch nichts war erschreckender gewesen, als die Haut, die sich von ihrer Wirbelsäule abgeschält und dann in zwei großen, fleischigen Lappen ihren Rücken hinabgehangen hatte.

Das Biest hatte erneut geschrien und Djura hatte seine Waffe geladen, genau dann, als etwas in seinem Rücken geantwortet hatte. Er war herumgewirbelt und hatte seine Donnerbüchse in die Finsternis abgefeuert. Etwas hatte kehlig gegrunzt und Djura war zurückgesprungen, gerade rechtzeitig, um nicht von den Klauen des Monsters hinter ihm getroffen zu werden. Der folgende Kampf war weniger ein Tanz in der Dunkelheit, als ein atemloses Stolpern und Rollen gewesen. Er hatte sich nicht nur mit der verdammten Bluthungrigen Bestie, sondern auch mit ihren giftigen Anhängern herumschlagen müssen.

Er hatte auf sie eingeschlagen. Rotglühende Augen hatten ihn durchbohrt. Klauen hatten ihn angestarrt. Dann hatte er plötzlich mit dem Rücken zur Wand gestanden. Bevor er hatte fliehen können, hatten Zähne und Klauen und etwas furchtbar Lähmendes seinen Körper malträtiert.

Djura hatte mit Molotowcocktails um sich geworfen und Feuer hatte in der Länge eines Herzschlages die verschlingende Dunkelheit geläutert. Im Schein hatte er die Unmengen und Unmengen an Monstern ausmachen können. Bestien mit zottigem Fell, Bestien die an Menschen erinnerten, Bestien die an gar nichts erinnerten und nur Ausgeburten von Alpträumen sein konnten und im Hintergrund das Durstige Biest, dessen wilde Schreie sogar seine Knochen erschüttert hatten. Die Flammen hatten seine Gegner für ein paar Herzschläge zurückweichen lassen, aber er hatte gewusst, dass er keine Chance gehabt hatte. Er würde sterben, das war ihm klar gewesen.

Sterben scheint wahrscheinlich nicht so sehr wie eine Gefahr, wenn man nicht wirklich sterben konnte. Viele Menschen würden das annehmen und noch mehr würden ihn darum beneiden, dass es nach dem Ende nicht zu Ende war. Die Wahrheit war, dass diese geliehene Unsterblichkeit unglaublich frustrierend war. Jeder Tod trug immer noch den unbeschreiblichen, zerreißenden Schmerz; das brennende Verlangen zu leben in sich, welches dann kläglich erstickte, wenn der Körper aufgab und man zitternd wiedererwachte. Nicht umsonst war der Wahnsinn der größte Feind der Jäger.

Doch dann hatte er ihn gesehen. Seine Waffe hatte aufgeglüht wie ein Stern, als er sie mit aller Kraft in die Bluthungrige Bestie geschlagen hatte. Sie war getaumelt und sofort hatte sich seine Hand in ihren mageren Körper gegraben, um sie auszuweiden. Djura hatte seine Chance gesehen. Der Pfahltreiber hatte ein paar wilde Schläge verteilt und im Chaos hatte der Jäger aus der tödlichen Ecke fliehen können, um sich mit seinen verbliebenen Blutphiolen zu heilen.

Shidaqs Sägespeer hatte sich durch die Lakaien gefressen, in seiner anderen Hand hatte er eine Jäger-Fackel gehalten und einige der Bestien waren wirklich ängstlich zurückgewichen. Er war anscheinend doch nicht so unerfahren gewesen, wie Djura gedacht hatte.

Selbst ohne die anderen Kreaturen an ihrer Seite war die Bluthungrige Bestie ein ernstzunehmender Gegner gewesen. Immer wieder hatten sie auf sie eingedroschen, waren zurückgesprungen und hatten mühsam versucht ihren wirbelnden Klauen auszuweichen. Irgendetwas war an diesem Kampf nicht in Ordnung gewesen, aber beide Jäger waren zu sehr davon eingenommen gewesen nicht zu sterben, um zu bemerken, dass das Blut das auf sie herabregnete absolut farblos gewesen war. Während Shidaq das Monster von vorne abgelenkt hatte, hatte Djura genug Zeit seine Waffe zu laden. Der Mechanismus in seinem Pfahltreiber hatte geknackt, als die Räder die Federn zusammenzogen hatten und ohne zu zögern hatte er ausgeholte und die geladene Waffe in die abgelenkte Bestie getrieben. Die Explosion seines Werkzeuges war so heftig gewesen, dass der Rückstoß ihn selbst einige Meter zurückgeschleudert hatte. Die Bestie hatte sich aufgerichtet und vor Schmerz oder Bluthunger geschrien und unvermittelt hatte Djura sich schwach und müde gefühlt, als irgendetwas das Leben aus ihm gezerrt hatte. Er war zurückgewichen, hatte sich mit Blutphiolen versucht zu kurieren, aber das Gefühl war geblieben. Auch Shidaq hatte sich kurz zurückgezogen gehabt, nur um dann erneut mit aller Härte gegen die Bestie vorzugehen. Aschfarbenes Sekret und Jägerblut hatte sich in der ganzen Kirche verteilt und der Gestank von verbranntem Fleisch und Haar hatte in der Luft gehangen. Die beiden Männer waren erneut vorgestürmt, hatten die Bestie umkreist, die nur noch schneller geworden zu sein schien und hatten auf ihren vergifteten, mageren Leib eingeschlagen.

Kreischend war sie schließlich zu Boden gegangen und Djura war stolpernd zurückgewichen, bereit sich einem weiteren Angriff zu stellen, selbst wenn er immer mehr an Kraft verloren hatte. Die Blutphiolen, das Heilende Blut der Kirche, hatten keine Linderung gebracht.

Mit einem gutturalen Knurren hatte das Monster seinen letzten Atem durch seine grausam gewundenen Zähne gehaucht genau in dem Moment indem auch der Jäger zusammengesackt war. Die Kirche, die Finsternis, die Steine direkt vor seiner Nase, alles hatte sich gedreht. Shidaqs Finger waren ganz warm gewesen, als er ihn berührt hatte und verwirrt hatte er aufgesehen.

„Stimmt etwas nicht? Habt Ihr kein Blut mehr?"

Djuras zitternde Finger hatten sich um seine Phiolen geschlossen. „Dummer Junge", hatte er ihn belustigt angeknurrt. „Hört Ihr denn nie?" Sein Lachen war in einem unterdrückten Schmerzenslaut verendet und leidend hatte er sich zusammengekrümmt.

Mit einer Geduld, die er ihm gar nicht zugetraut hatte, hatte Shidaq sich zu ihm heruntergebeugt, sein Körper war noch immer so merkwürdig warm gewesen.

„Hier! Nehmt das!" Noch bevor Djura hatte realisieren können, was er ihm da hingehalten hatte, hatte Shidaq ihm kleine Tabletten in den Mund gedrückt und widerwillig hatte er sie geschluckt. „Das ist Gegengift. Es hilft gegen das Aschblut."

Sein angestrengtes Keuchen war schon bald abgeebbt und mit seinen restlichen Blutphiolen hatte er sich wieder so weit heilen können, um aufzustehen. Djura hatte sich den Staub von seiner grauen Kleidung geklopft.

„Danke. Ihr seid also zurückgekehrt."

Shidaq hatte den Anstand gehabt verlegen zu wirken. „Ich dachte, da ich schon einmal für Euren Tod verantwortlich gewesen bin ... Es tut mir wirklich leid, Djura! Deswegen bin ich gekommen, um Euch zu helfen!"

„Das habt Ihr auch getan."

Wenn Djura sich zurückerinnerte, meinte er, dass sich Shidaq in diesem Moment gefreut hatte. Danach hatte er sich erneut vor dem älteren Jäger verbeugt. „Nun? Darf ich mich wieder Eurer Jagd anschließen?"

„Warum wollt Ihr nur so dringend mit mir jagen? Haben die anderen Jäger keine Lust auf Euch?" Betroffen hatte der junge Mann zu Boden geblickt und Djura hatte sich augenblicklich schlecht gefühlt. „Gut, gut. Dann begleitet mich!"

Sein Gesicht hatte gestrahlt wie der Morgen, der in der Nacht der Jagd sonst nur eine ferne Erinnerung, ein verstaubtes Versprechen war und zum ersten Mal hatte sich auch Djura zu einem Lächeln hinreißen lassen.





Nachdem Shidaq nicht mehr auf leicht entflammbare Substanzen und explosive Tonkrüge geschossen hatte, hatte Djura sich eingestanden, dass die Jagd zu zweit auch seine Vorteile gehabt hatte.

Alles war anders gewesen, nachdem sie gegen die Bluthungrige Bestie angetreten waren. Shidaq hatte sich weitaus besser unter Kontrolle gehabt und Djura war immer öfter in seiner Nähe erzittert. Es war kein gerechter Ausgleich gewesen, aber das hatte man nicht mehr ändern können.

Mit Feuer und Gegengift hatten sie sich durch die Nacht und Alt-Yharnam gekämpft. Zwei Jäger, beide mit Schnelligkeit, Geschick und dem Blut der Kirche gesegnet, die im Mondlicht getanzt und ihre Gegner geläutert hatten.

Immer dichtere Rauchschwaden und immer hellere Feuer hatten dem schwarzen Himmel entgegengeschlagen, als das Dorf durch die Jäger von der Krankheit geheilt wurde.

Sie waren beide erneut in einem Wohnhaus gewesen, erneut hatte die Dunkelheit sie verschlungen, aber Djura meinte sich erinnert zu haben, dass es ihm dieses Mal nicht so schlimm vorgekommen war. Wieder hatte ein Wimmern sie vorangetrieben, wieder hatte Shidaq vor Anspannung gezittert.

Aus Instinkt hatte Djura den Arm seines Gefährten gepackt und ihm dann aufmunternd zugenickt.

„Dieses Mal beherrsche ich mich und werde tun, was Ihr mir sagt!"

Dieser Satz verbunden mit seiner Wärme hatte Djura ganz kurz überwältigt. Dann war der Moment vorbei gewesen und er hatte genickt. „Wir sind dieses Mal beide vorsichtiger."

Rote Laternen hatten in jeder Ecke des Raumes gestanden und der entfernte Geruch von Myrrhe in der Luft gelegen. Zitternd und betend hatte eine kleine Familie dort gesessen und die Götter angefleht sie zu beschützen.

Sie waren alle in Tränen ausgebrochen, als sie die zwei Jäger gesehen hatten.

„Bitte. Oh. Bitte, nicht." Djura und Shidaq hatten sich aufmerksam umgesehen, aber es hatte keine Bestien im Raum gegeben. „Bitte. Oh, bitte."

Vorsichtig war Djura auf sie zugetreten und die beiden Eltern hatten ihre Tochter weiter hinter sich geschoben.

„Wir sind Jäger! Wir können euch helfen und zur Kirche bringen. Dort werdet ihr sicher sein!"

Sie hatten erneut aufgeschluchzt und ihm mit nichts anderem geantwortet als mit ihrem Weinen. Der alte Jäger war unschlüssig gewesen, also war Shidaq zu ihm getreten. Die beiden Eltern hatten aufgejammert, als sie ihn gesehen hatten, aber er hatte sich davon nicht verunsichern lassen. Behutsam hatte er sich zu ihnen hinabgekniet und mit der sanftesten Stimme, die er hatte hervorbringen können mit ihnen gesprochen.

„Seid gegrüßt. Ich heiße Shidaq. Und ihr?" Sie hatten gewimmert. „Ich weiß, dass ihr euch fürchtet. Die Nacht ist lang, aber wir werden euch beschützen. Wir wurden geschickt, um euch zu retten." Tränen waren noch immer ihre Wangen entlanggelaufen, aber sie hatten ihm scheinbar zugehört. „Ihr müsst nicht mehr vor Angst hier kauern. Wir geleiten euch an einen sicheren Ort, mein Gefährte und ich." Die Familie hatte das erste Mal die beiden genauer betrachtet. „Fürchtet euch nicht. Wir sagen die Wahrheit! Wir werden euch helfen!"

Djura hatte aufmunternd genickt und die Menschen hatten sich endlich beruhigt. Ihre hoffnungsvollen Augen waren auf Shidaq gerichtet gewesen, als sie sie durch Alt-Yharnam geführt hatten.

Sie hatten sie hinabgebracht in die Kirche des Guten Kelchs, dort, wo die Jäger der Kirche ihre Heilstätte errichtet hatten.

Schwarz gekleidete Doktoren waren dort ein- und ausgegangen, aber aufgehalten hatte sie ein Mann, dessen weiße Kluft ihn als hochrangiges Kirchenmitglied ausgewiesen hatte. Er hatte die sich bedankende Familie aufgenommen und als die Tür zur Kirche kurz aufgegangen war, hatten die beiden Jäger den penetranten Gestank von Weihrauch wahrgenommen. Die Neuankömmlinge waren mit Wasser und Decken in Empfang genommen wurden, dann war der Spalt wieder zugefallen und der weiße Mann hatte sich vor ihnen aufgebaut.

„Ihr solltet weiter jagen gehen! Die Nacht ist noch sehr lang."

Über ihnen hatte der silberne Vollmond langsam die Farbe von Blut angenommen.

Shidaq war jedoch noch neugierig gewesen. „Kommt Ihr voran? Habt Ihr eine Heilung gegen das Aschblut gefunden? Eine die länger wirkt, als die Tabletten?"

Die plötzliche Anspannung in den Schultern des Kirchenjägers hatte Djura alarmiert. Am liebsten hätte er Shidaq gepackt und mit sich gezerrt.

„Wir arbeiten daran."

„Und habt Ihr ..."

„Jeder Jäger hat in den Nächten der Bestienläuterung seine eigene Aufgabe. Ihr seid da, um die Geschwüre zu entfernen. Wir sind dafür da, um zu verhindern, dass die Geschwüre entstehen! Die Zahl der Infizierten geht bereits zurück."

Beide waren damals von seinen Worten beschwichtigt gewesen und sie waren gegangen. Einfach gegangen.

Djuras Gefährte hatte damals unglücklicher damit gewirkt, als er.

„Ihr habt gute Arbeit mit den Bewohnern geleistet. Ich hätte gar nicht gedacht, dass Ihr so sanftmütig sein könnt", hatte Djura ihn gelobt und sein Plan war aufgegangen. Shidaq hatte wieder gelächelt.

„Natürlich kann ich das. Aber wahrscheinlich – fiel es mir nur leichter. Einst wurde ich in Alt-Yharnam geboren, wisst Ihr?"

Djura hatte aufgesehen zum roten Mond. „Dann sollten wir wohl weiter unser Bestes geben, um diesen Ort zu retten."





Mit Shidaq zu jagen wurde mit jeder erlegten Bestie besser. Er war flink und anmutig gewesen, ein wirklich guter Jäger, auf den er schließlich nicht mehr verzichten wollte.

Wahrscheinlich hatte Shidaq eine Pause von der Jagd gebraucht oder er hatte einfach bei ihm bleiben wollen, jedenfalls war er auch dabei gewesen, als Djura auf den Glockenturm geschickt worden war. Seine Anwesenheit bei der Jagd hatte er ja akzeptiert gehabt, aber ihn hinter sich zu haben, während er ein Gatling-Gewehr installiert hatte, hatte ihn nervös gemacht. Nervöser als die Jagd.

Shidaq hatte nicht einmal etwas gemacht, um ihn abzulenken, er hatte nur am Rand des Turmes gestanden und in die Ferne gestarrt und trotzdem hatte Djura sich die ganze Zeit die Finger eingeklemmt.

„Störe ich Euch?", hatte Shidaq dann irgendwann gefragt.

„Nein." Er hatte gelogen und er hatte nicht gewusst wieso. „Ich muss nur kurz etwas anderes machen." Ohne ihn anzusehen, hatte Djura sich gestreckt. „Worüber denkt Ihr nach?"

„Der Kirchenjäger hat gesagt, dass die Infizierten weniger werden, aber es gibt trotzdem noch so viele Bestien. Die Feuer brennen immer noch. Wenn es so weitergeht wird bald alles nur noch Asche sein."

Djura hatte gezögert. Er hatte ihm sagen wollen, dass er vorsichtig sein musste, dass er nicht die Heilende Kirche anzweifeln durfte, aber er hatte ihn beruhigen wollen. „Ich habe schon unzählige Jagden gesehen. Sie enden immer alle. Die Bestien und die Krankheit werden sicher bald ausgemerzt sein und die Sonne wird wieder aufgehen." Missmutig hatte Shidaq genickt. „Wann seid Ihr ein Jäger geworden?"

„Weil ich so ein ‚dummer Junge' bin?", hatte Shidaq seine Worte wiederholt, dabei jedoch gelächelt. „Ich bin gar nicht so jung! Vor ein paar Jahren bekam ich meine erste Blutbehandlung und die Boten haben mich auserwählt, weil ich dem unendlichen Durst wiederstehen konnte." Nervös war er plötzlich von einem Bein auf das andere getreten. „Dürfte ich Euch etwas Persönliches fragen, Djura?"

Er hatte es gemocht wie er seinen Namen gesagt hatte.

„Natürlich."

„Die Blutbehandlung kuriert jede Krankheit und heilt alle Wunden – Warum ...? Warum habt Ihr dann? Ich meine – Warum fehlt Euch dann ein Auge? Also ..."

Seine Verlegenheit war niedlich gewesen.

„Ich habe es verloren bevor ich das erste Mal Blut genommen habe. Nach der ersten Blutbehandlung ist alles anders, wie Ihr vielleicht wisst."

Neugierig aber respektvoll war er nähergekommen und hatte dem grauen Jäger ins Gesicht geblickt. Wahrscheinlich hatte er es nicht einmal gemerkt, dass er schließlich die Hand gehoben und an Djuras Wange gelegt hatte. Vielleicht doch.

„Ja. Könnt Ihr Euch noch daran erinnern wie es war, bevor Ihr behandelt wurde?"

„Was?" Dem grauen Jäger war es schwer gefallen sich zu konzentrieren.

„Nun ja – alles. Euer Leben. Euer Körper. Euer – Ihr selbst?"

Shidaqs Berührung hatte ihn zu sehr verwirrt gehabt, um ihm antworten zu können. Schwerfällig war ihm wieder eingefallen was Worte waren.

„Die Erinnerungen sind schwach. Einmal vom Blut berauscht, kann man schnell alles vergessen." In Yharnam wurde mehr Blut hergestellt, als Alkohol, weil Ersteres berauschender war. „Deswegen ist es wichtig Leute zu finden, die ihm länger widerstehen können." Er hatte auch widerstehen können. Sein ganzes Leben schon hatte er widerstanden. Feuer und Kraft hatten ihm dabei geholfen, aber irgendetwas hatte jetzt an etwas in ihm gezerrt. Es war schwer Dinge zu bekämpfen, die man nicht benennen konnte, vor allem wenn sie Dinge attackierten, für die man ebenfalls keinen Namen hatte.

Unter seiner warmen Handfläche hatte Djura die Echos des Blutes gefühlt, die Shidaq in sich getragen hatte und das unbändige Verlangen sie zu schmecken, hatte ihn erschrocken. Endlich hatte der junge Jäger ihn losgelassen und wieder über Alt-Yharnam geblickt.

Anstand. Ehrgefühl. Eleganz. Das alles hatte sie von gemeinen Bestien unterschieden, von schwachen Menschen. Er hatte diese Dinge wahren müssen, das hatte er gewusst. Die plötzliche Lust auf Shidaqs Blut war eine Irrung gewesen. Eine weitere Prüfung, die es zu meistern galt.

„Es ist beeindruckend, dass Ihr so etwas könnt. Waffen aufbauen, meine ich!" Als wäre nichts gewesen, hatte Shidaq auf das Maschinengewehr gedeutet. „Ihr werdet Alt-Yharnam damit einen großen Dienst erweisen." Erneut hatte Neugier in seinen Augen geglüht und er war am Rand des Turmes entlanggegangen. „Von hier aus kann man fast alles sehen und ..." Unvermittelt hatte sich ein Stein unter seinem Fuß gelöst. Shidaq hatte in der Luft gehangen, Furcht und Unglaube hatten sich in seine Gesichtszüge gegraben und entsetzt hatte er zu Djura aufgeblickt. Im letzten Moment hatte der andere Jäger seinen Arm gepackt und ihn zurück auf die rettende Plattform gezogen. Djuras Herz hatte gerast und auch sein Gefährte hatte gezittert.

„Dummer Junge!", hatte er ihn angefahren, allein weil er solche Angst gehabt hatte. Es war nicht einmal nötig gewesen. Shidaq wäre in den Tod gestürzt und Djura hätte ihn an der Lampe vor Alt-Yharnam wieder abgeholt. Es wäre alles kein Problem gewesen und trotzdem hatte er ihn gehalten, sein Herzschlag hatte durch seine Kleidung gepocht und er war ihm plötzlich ganz nah gewesen. „Dummer Junge", hatte er atemlos wiederholt, versucht die aufkommende Spannung zu lösen. Shidaq hatte ihm tief in die Augen geblickt und dann hatten sie sich geküsst. „Dummer Junge." Shidaq hatte seine Arme um ihn geschlungen und auch Djura hatte ihn willig näher an sich gezogen. Dieses Mal hatte er sein Gesicht berührt, war durch seinen dunklen Bart gefahren und hatte dann erneut seine Lippen geschmeckt. Ihn an seinem Körper zu fühlen, war ein berauschendes Gefühl gewesen, besser als Alkohol, besser als Heilige Blutphiolen. „Dummer Junge."

Shidaq hatte sich noch enger an ihn geschmiegt, alles was noch zwischen ihnen gewesen war, war viel zu viel gewesen. Unbändiger Hunger hatte sich gegen Djuras Brust gedrückt und er hatte ihm nachgegeben.

Er hatte sich geirrt gehabt, hatte Djura eingesehen, als Shidaqs Finger ihn von seinem Aschenjäger-Gewand befreit und seine Haut berührt hatten. Djura hatte es nicht nach seinem Blut gedürstet gehabt. Mit wenigen Handgriffen hatte er auch Shidaqs Kleidung gelockert. Seine Körperwärme, sein Geruch, das Gefühl, wenn er seine Haut berührt hatte, danach hatte es ihn gelüstet gehabt.

Gierig hatte Djura seine Zunge über die weiche Haut am Hals seines Gefährten gezogen und der junge Mann hatte mühsam versucht sein Stöhnen zu unterdrücken.

Als sie zusammen gewesen waren, waren die Stadt und die Schrecken der Krankheit verblasst.

Als sie zusammen gewesen waren, war selbst die Jagd und die Kirche unwichtig geworden.

Als sie zusammen gewesen waren, war es egal gewesen ob die Nacht noch ewig währte.

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