Lea (13.12.2019)

Etwas Reibung, ein kleiner Funke, das Gas entfacht.

Hitze steigt auf, wärmt die Luft, die Spitze einer Zigarette.

Es raucht. Lea raucht. Genuss.

❄❄❄

Es sollte die letzte Kippe des Abends sein, der letzte Anti-Atemzug für eine ganze Weile, das letzte Mal für einige Stunden, dass sie 12mg geteertes Nikotin mit seinen meist ebenso tödlichen Kollegen bekam. Die Kälte nagte an ihren zunehmend blassen Fingern, der Wind rann in beissenden Schritten, ließ die letzten Blätter langsam bewegen, etwas lustlos.

Tip tip.

Asche abgeschüttelt, kurz warten. Ein weiterer Zug.

Ihr Blick streifte um die Umgebung, die Schultern angehoben, um den Mund im wärmenden Schal zu vergraben. Zwischen den Baumstämmen des kleinen Wäldchens liessen sich schon die tausenden kleinen Lichttupfer erblicken, welche mit jedem Jahr etwas früher auf- und im neuen Jahr noch später abgebaut wurden. Weihnachtsdekoration. Was faszinierte all die Menschen nur so sehr? Sie seufzte.

«Wären wir bessere Menschen, so würden wir keine verdammten Weihnachtsketten brauchen, um andere Menschen zu erhellen. Wie ein schwarzes Loch fressen wir das Licht. Gottlos.»

Lea fluchte leise. Für wen sagte sie das überhaupt?

Sie liess sich auf die Bank hinter sich fallen. Ein kleines Relikt aus der Zeit, als hier noch ein Spielplatz gestanden hatte, ein Stück ihrer Kindheit. Vergessen gegangen und dennoch standhaft. Der leuchtende Stängel zwischen ihren Fingern wurde kürzer.

Ein letzter Zug. Ausatmen.

Schnips.

Der Filter flog in hohem Bogen auf den gefrorenen Waldboden. Die Augen geschlossen. Zeit zu atmen, Luft holen, den Dreck wieder nach draussen zu befördern, den man nur wenige Augenblicke zuvor mit Sehnsucht in sich gezogen hat.

«Ich habe mich schon immer gefragt, wer es wagt meinen Platz fürs heimliche Rauchen zu missbrauchen», raunte eine etwas aufgespielt tiefe Stimme von hinten. Es war eine raue Männerstimme, bestimmt und doch nicht unfreundlich. Auf alle Fälle jung, wahrscheinlich etwa so alt wie sie.

Lea öffnete die Augen und blickte auf eine einzelne Zigarette, die vor ihrem Gesicht hin und her gewedelt wurde. Gleiche Marke wie ihre, aber eine neue. Noch nicht ausgebrannt, nicht so wie sie oder der verkümmerte Rest am Boden. Wortlos nimmt sie den «Tabakinhalator», wie ihre Eltern ihn früher nannten, entgegen.

Der Junge setzte sich neben sie und hantiert an einem viel zu kleinen Feuerzeug für solch einen grossen Menschen herum. Es wollte nicht, war wohl kaputt oder zu kalt. Der schwarze Hoodie mit zwei kleinen Brandlöchern am Ärmel, die Trainerhose und nur zur Hälfte angezogene Kapuze ergaben ein stimmiges Bild. In seinem Mund ebenfalls eine Zigarette, was die vorherige undeutliche Aussprache erklärte.

Lea steckte sich indes ihr neu errungenes weisses Ding in den Mund, kramte kurz in der Tasche und brachte ihre eigene Zigarette mit geübter Bewegung zum Glühen. Ein Zug. Etwas weniger Genuss.

Wohl doch nicht die letzte. Was solls.

Das wiederholte Klicken des offenbar kaputten Feuerzeugs des Gegenübers durchbrach die Ruhe, die an dem sonst so Heiligen Abend draussen herrschte.

Der Junge schaute sie an.

«Darf ich», murmelte er.

«Nö», erwiderte sie. Nicht trotzig, aber gleichgültig. Ein weiterer Zug.

Auf eine kurze Lache folgte wieder sein ernster Ton. «Also, kleines Mädchen», brummte er, diesmal etwas deutlicherer, «hat die Prinzessin denn ein Problem?»

Lea schaute ihm in die Augen, musterte sein Gesicht. Es war zu dunkel, um die Farbe zu erkennen, doch hell schienen sie zu sein, seine nervös blickenden Augen. Sie beobachtete ihr gegenüber, die blonden Haare, etwas zerzaust. Die leicht roten Backen deuteten auf Bewegung in der Kälte hin, seine schweinchenpinken Lippen liessen ihn unschuldig wirken.

«Ich mag keine rauchenden Menschen.»

Er schwieg für einen Moment. Sie stimmte ein.

«Dann musst du dich ja lieben», stiess er etwas gedrückt heraus. Er war sich nicht sicher, ob dies ein guter Konter darstellen sollte oder er sich lächerlich machte. Wahrscheinlich etwas von beidem. Vor allem aber letzterem.

«Mich muss man nicht lieben», entgegnete sie, noch immer mit einer emotionslosen Gleichgültigkeit.

Der Typ nahm das weisse Stäbchen wieder aus seinem Mund, atmete tief aus. Es sah aus wie Rauch, war es aber nicht. Der Kontrast zwischen Wärme und Kälte liess es so aussehen. Wie hätte es auch Rauch sein können? Ein weiterer Zug, Lea rümpfte die Nase. Sie griff nach dem Stäbchen des jungen Mannes. Klick. Kleine Explosion. Der Tabak brannte, kleine tanzende Teilchen bewegten sich durcheinander nach oben, es rauchte und sie reichte sie ihm, das Glühende etwas.

Er zog.

Sie zog.

«Danke. Aber sag mal, ganz schön spät. Kein Tannenbaum mit Familie Zuhause oder weshalb der Wald?», fragte die nun etwas nettere, allerdings nach wie vor raue Stimme.

«Nö.»

Sie zog.

Er zog.

«Weihnachten ist mit meinen Eltern gestorben.» Sie war selbst über ihre eigene Ehrlichkeit erstaunt.

- «Sorry. Das tut mir leid», entgegnete er. Und das ehrlich, das wusste sie.

«Was machst du denn noch so spät da draussen?»

Lea nahm nochmal einen Zug. Er schmeckte nicht. Eigentlich tat er das nie so wirklich, wenn sie ehrlich war. Es war mehr die schleichende Betäubung, die Sucht, das Verlangen, sich für fünf Minuten nicht mit dem zu beschäftigen, was die sonstigen 23 Stunden und 55 Minuten des Tages bestimmten.

- «Meine Familie feiert heute Abend. Hab ihnen gesagt ich gehe spazieren. Krebse füttern eben. Also von letzterem wissen sie nichts. Daher auch die alten Klamotten hier.»

Er zog den schwarzen Hoodie etwas hoch und ein Interview-bei-der-Deutschen-Bank-perfektes, gebügeltes weisses Hemd schimmerte nach draussen.

Lea musste etwas kichern, nahm einen letzten Zug und warf den Stummel auf den Boden. «Na dann, aufs 'Krebse Füttern'.» Mit einer theatralisch überrissenen Geste stellte sie das Anstossen mit einem Champagner-Glass nach. Der Hoodie-über-Deutsche-Bank-Hemd-Typ spielte ein, warf seinen Stummel ebenfalls weg und stiess imaginär an. Ein kleiner Lachanfall überfiel die beiden.

Nach einigen Minuten wurde es wieder ruhig und die Windböen wurden allmählich etwas stärker. Lea vergrub ihr Gesicht wieder im Schal und rieb sich in knappen Bewegungen über die Oberarme. Mr. Deutsche Bank, wie Lea ihn nun für sich taufte, schaute ihr zu. Er hob seine linke Hand, wie wenn er sie umarmen wollte, hielt allerdings mitten in der Bewegung inne. «Darf ich?», stiess er kurz und knapp aus.

Mit einem schüchternen Nicken und fast schon unfreiwilligen Lächeln lehnte sie sich an Mr. Deutsche Bank und er schloss die Arme um sie. Er war sich nicht sicher, was er da gerade tat. Aber es schien wohl irgendwie zu stimmen. Er lauschte dem winterlichen Gedicht, welches der kleine Wald mit seinen Geräuschen von sich gab. Das Wehen des Windes durch die Baumkronen, das Rascheln in den Büschen, das Tapsen von versteckten Tieren.

Er blickte zu seiner Linken und guckte Lea von der Seite an. Eine unscheinbare Träne glänzte in dem wenigen Mondlicht, welches seinen Weg bis hierher fand. Er drückte sie noch etwas näher und atmete tief aus.

«S.. Sorry.. so bin ich eigentlich nicht, es ist einfach... mein erstes Weihnachten ohne Eltern und.. sorry noch-» Ihr Gegenüber unterbrach sie und schaute sie trotz den ausweichenden Blicken an.

«Ich sollte langsam zurückgehen, sonst wird mein Handy bald verrücktspielen. Aber ich bin mir sicher, dass wir bei uns noch einen Platz frei haben, am Tisch. Nur falls du willst, natürlich.»

Lea schluckte und eine weitere Träne fand ihren Weg über ihre Backe.

«D-Danke!», stiess sie mit der wenigen Luft, die sie noch fand, gepresst heraus. Sie lächelte. War es verrückt, zu einem Fremden zum Weihnachtsfest mitzugehen? Bestimmt, ja. Hatte sie aber was zu verlieren?

Mit einem Lächeln stand sie auf und grinste Mr. Deutsche Bank mit einem Ausdruck an, den sie schon lange nicht mehr hatte. Hoffnung.

❄❄❄

Fünf Gehminuten und einen löchrigen Hoodie später kamen Lea und James, wie sie mittlerweile erfahren hatte, bei ihm Zuhause an. Dort vor der Türe stehend wurden die beiden von einer etwas rundlichen und umso mehr herzlichen 'Ma' namens Enya und 'Pa' mit grauen Haaransätzen empfangen. Entgegen Leas Befürchtungen stellten diese keine dummen Fragen und haben sie sogar wirklich herzlich mit Keksen und guter Stimmung begrüsst. Nicht viel später sass sie in einem gemütlichen Wohnzimmer mit knisterndem Kamin, kitschig dekoriertem Tannenbaum und einem handgefertigten Krippenspiel wieder.

Enya lächelte Lea an. Mit einer flüssigen Bewegung schob die 'Ma' ihren Daumen beim Feuerzeugkopf runter.

Zack. Reibung, ein kleiner Funke, das Gas entfacht.

Hitze steigt auf, wärmt die Luft, eine kleine Flamme tanzt. Der Adventskranz wurde angezündet. Eins, zwei, drei.. vier. Die Kerzen brennen. Alle Kerzen.

Eine kleine Träne löst sich von Lea's rechtem Auge. Es ist Weihnachten.


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@WattpadKaffeehausDE.

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