Kerry | A good night story


Eine Geschichte, einst zu einem späteren Abend spontan in einem Zug geschrieben. Für eine besondere Person, welche mich bis heute geprägt hat. Merci, V.


«Ich erzähle dir heute einmal eine Geschichte», rief eine bestimmte und dennoch helle Stimme. «Jede Schule läuft nach den gleichen Mustern ab. Es gibt verschiedene Klassen und verschiedene Lehrer. So, wie es sein sollte, Anbetracht dessen, dass doch jeder Mensch einzigartig ist. Doch so verschieden sie sein mögen, so gleich sind sie auch.

Jede Klasse hat sie. Den Klassenclown, die coolen Jungs, die Anführerin mit ihren Mitläufern, ... und dann gibt es immer noch diesen einen Jungen oder dieses eine Mädchen. Sie sitzen meist in den hinteren Reihen, ganz still und alleine. Sie scheinen vielleicht stumm, sind jedoch lediglich schüchtern oder hören eben lieber zu. Es sind diejenigen Schülerinnen und Schüler, welche meist nicht viel sagen. Von den anderen kaum beachtet, zeichnen sie während den Stunden in ihr Heft oder kritzeln bunte Worte mit Bleistift zusammen.

Und wie immer sind es die, welche am wenigsten zu sagen haben auch die, welche am lautesten schreien. So hört man gar nicht die Stimme dieser einzelnen, kritzelnden Personen.

Vielleicht fragt ihr euch jetzt, weshalb ich so viel von genau diesen Menschen erzähle. Nun, das Problem ist, dass diese Ruhe, welche sie in der Klasse geniessen, meist nicht von ewiger Dauer ist. Irgendwann einmal beginnt es. Eine dumme Antwort, ein komisches Bild, ein falscher Blick. Und diese Personen sind im Visier.

Kerry war 13 Jahre alt. Bei ihr war es eine kleine Zeichnung. Ein Junge aus ihrer Klasse, sie fand ihn besonders süss. Nie im Leben würde sie sich trauen, ihn anzusprechen. Doch dieses Bild von ihm hatte sie gemalt. Das war auch alles in Ordnung, bis eben an diesem Tag dieses Mädchen doch einmal auffiel – und die anderen ihr Bild sahen. Es fing an mit kleinen Sticheleien. Verlegen wie Kerry nun einmal war, wehrte sie sich nicht – und wurde damit zum Opfer.

Den aus den Sticheleien wurden Beleidigungen, aus den Worten wurden Stösse und aus den Stössen wurden irgendwann einmal Schläge. Wenn sie jeweils nach Hause kam, versuchte sie ihre Wunden zu verdecken. Weder mit Mutter noch Vater hätte sie je über solche Themen diskutieren können. Nachträglich schien ihre Familiengeschichte wie aus einem zweitklassigen Drehbuch: Die Mutter war Alkoholikerin, der Vater schon längst über alle Berge. So wurden die T-Shirts zu Pullovern um ihre Wunden Flecken zu verdecken, in der Kabine schämte sie sich, sich umzuziehen.

Mittlerweile war Kerry gute fünfzehn Jahre alt und ihr sechszehnter Geburtstag stand vor der Tür. Ein diesem einen kalten Oktobertag lief sie, sie lief einfach planlos, einfach weg, weg, weg von ihren Tränen, weg von ihren Sorgen – weg von ihr.

Erst als der Tag entdunkelte, fand sie sich auf einer kleinen Aussichtplattform auf einem nahen Hügel wieder. Es war dieser, wie sie es später nannte «Friss oder Stirb» Moment. Sie wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Doch dann, als ihr Blick an einer grossen Werbetafel für das nächste Box-Spiel hängen blieb, erinnerte sie sich an einen Satz ihres Wirtschaftslehrers Mr. Manington: «Wisst ihr, wenn ihr durchs Leben stolpert und irgendwelche Ideale vertretet, dann ist das schön und gut. Wenn eure Träume allerdings nicht mehr weiterhelfen, dann gilt das erste Gesetz der Wirtschaft: Schein. Ist. Alles. »

Plötzlich rasten die Gedanken. Es machte Klick und Kerry spurtete los, nach Hause. Sie fing an zu trainieren. Jeden einzelnen Tag, Liegestützen, Sit-Ups, Squads. Mit dem Sport hörte sie eigentlich bereits auf als ihr alle Klassenkameraden einredeten, dass sie eh zu fett sei und nichts hinbekommen könnte. Doch jetzt gab sie nochmals Vollgas.

Kerry hängte sich an ihr Ziel und nur wenige Wochen später flachte es ab. Plötzlich wurde sie nicht mehr geschupst. Man hörte ihr zu, man nahm sie ernst. Niemals hätte Kerry nur einer Person einen Finger gekrümmt. Auch, um ehrlich zu sein, veränderte sich ihre Figur objektiv gesehen nicht wirklich. Doch dieses Selbstbewusstsein, diese innere Kraft, diese Stärke war es, was die anderen fühlten.

Sie gaben Kerry eine Chance, sich selbst zu sein. Und fanden heraus, was sie alles verpasst hatten. Auch wenn es einige Monate am Ende brauchte, bis sie ganz angekommen war, so war es für Kerry eine grosse Motivation.» Die Stimme hielt inne und fuhr wenige Augenblicke wieder fort «Wisst ihr, was aus Kerry geworden ist? Heute hat sie ihr eigenes Selbstverteidigungs-Studio und trainiert dort junge Kinder, damit sie auf sich selbst achten können und spüren, zu was sie fähig sind. Jetzt Fragt ihr euch sicherlich noch, weshalb ich das alles erzählt habe. Nun, es gibt drei grosse Lehren, welche Kerry dadurch gelernt hat.

Erstens: Scheiss auf die negative Meinung von anderen. Gib jedem eine faire Chance

Zweites: So langweilig Mr. Manigtons Wirtschaftssunden auch wahren, gute Schule und Ausbildung lohnt sich immer!

Und das Dritte war das, was Kerry persönlich mitgenommen hat. Es war ihre Inspiration für ihren heutigen Job: „Wenn ich daran denke, was mir eigentlich gefehlt hat, um bereits früher Glücklich zu sein, merkte ich, dass es nur ein kleiner Schubser war, jedoch von der richtigen Richtung. Also wurde mir bewusst, was mein Ziel sein sollte, vielleicht auch das vieler anderer.

Sei nicht die Person, welche du Bewundert hast. Sondern diejenige, welche du in deiner Kindheit gebraucht hättest"»

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