5] blue

"Du hast doch einmal gesagt, du magst meine Stimme. Was heisst einmal, immer wieder. Dabei spreche ich nicht einmal sonders viel. Weshalb ist dir das so wichtig?

Nun, das ist ganz einfach. Das Leben ist ein Duett. Und ein Duett singt man eben besser zu zweit. Sonst fehlt eine Stimme"

* * *

Manchmal, da versteh ich mich selbst nicht. Rückblickend ist es, wie wenn man ein Ziel sucht, auf welches ein Dutzend Leuchtreklamen scheinen. Je tiefer ich in meinen Gedanken wühlte, desto offensichtlicher wurde es. Ich fand sie, diese gemeinsamen Momente. Jene, die nicht nur besonders waren, weil wir gemeinsam gelacht hatten oder und damals gut verstanden. Nein, es waren auch kleine Sticheleien, kleine Anmerkungen, welche doch so offensichtlich waren. Zeichen, wie man sie oftmals auch Flirten nennt. Wie könnte ich nur so dämlich sein. Solch ein hübsches Mädchen, wie sie mit mir geflirtet hat - und ich mit ihr!

Aber so gesehen war es gerade gar nicht einmal so wichtig. Darya kuschelte sich noch immer in meinen Armen und schlief tief und fest. Ohne es zu bemerken nutze ich zudem meine freie Hand mittlerweile dazu, sie sanft zu streicheln. Ihr weiches Haar fand seinen Weg über verschiedenste Wege zu Rücken und Gesicht. Vielleicht war es diese erst jetzt entdeckte gemeinsame Vergangenheit, die die zuvor stattgefundenen Peinlichkeiten relativierten. So oder so, zurzeit schien es für beide zu stimmen. Und ich genoss es.

Doch meine Freude war nicht von unbegrenzter Dauer. Während der Refrain von Someone Singing Along von James Blunt einsetzte, realisierte ich, dass diese Busfahrt nicht ewig weitergehen würde. Was dann? Wie würde es dann weitergehen? Wie sollte ich auf sie reagieren und wie würde sie auf mich reagieren? Würde sie mich überhaupt beachten? Vielleicht waren die damaligen Flirtversuche nur ein Spass und schon längst vergessen, während sie nun einfach nur müde war...

Stop! Tief durchatmen. Gott, du benimmst dich wie ein zwölfjähriges Kind, was ist den los.. So bemerkte ich erst jetzt, dass sich mein Puls ohne zu Fragen verselbstständigt hat. Mit einer zugegeben etwas zu hastigen Bewegung drückte ich meinen Zeige- und Mittelfinger leicht an die seitliche Halsader. Dem schnellen und heftigen Schlagen zufolge müssten sich all meine roten Blutkörperchen gerade wie Formel-1 Fahrer fühlen. Ob es da unter ihnen wohl auch so einen Schuhmacher und Vettel gab?

Auch dieser Gedankengang war nicht mit Dauer gesegnet, als ich unter mir was regen spürte. Etwas orientierungslos raffte sich Darya langsam hoch und guckte mir in die Augen. In ihrem Gesicht liessen sich leichte rote Abdrücke vom zu-lange-auf-einer-Stelle-liegen finden. Aber, um ehrlich zu sein, sie war immer noch genau so süss wie zu Beginn dieser Reise.

Während sie mich nun kurz musterte, blieben weitere Worte noch immer aus. Als ich, durch die etwas unerwartet Stille, gerade schon meinen Blick abwenden wollte, bückte sie sich zu ihrem Rucksack und kramte etwas Unerkennbares hervor. Vielleicht fast schon zu angestrengt blickte ich darunter, um zu sehen, was sie bei sich hatte.

Mit einer schwungvollen Geste klappte sie den Gegenstand, welcher sich mittlerweile auch als Handballen grosser Schreibblock entpuppte, auf und fing mit dem Stift in der anderen Hand an, was darin zu kritzeln.

Einige Sekunden später riss sie das Blatt raus, liess die hervorkramten Gegenstände wieder verschwinden und guckte mich kurz zögernd an. Nach einem flüchtigen abtasten meines Gesichtes mit ihren Augen streckte sie mir den kleinen Zettel entgegen, packte meinen linken Arm und drückte sich noch ein wenig fester als zuvor, fast schon leicht angestrengt, an meine Brust.

Etwas überrascht entspannte ich den linken Arm, während ich mit dem rechten das Stückchen Papier auffaltete. In der Dunkelheit nicht ganz so leicht zu lesen, aber dank ihrer klaren Schrift dennoch erkennbar las ich die fünf Worte, wobei zwei davon durchgestrichen waren:

Du bist ~ganz~ ~okay~ cool.

Etwas verwirrt lass ich die Nachricht noch einmal. "Du bist ganz okay", oder eben, "Du bist cool". Ganz ehrlich? Ich bin ratlos. Aber auf eine Art war das gerade ziemlich süss. Egal, was sie damit meinte. Also drückte ich mit meiner verbleibenden Hand den Zettel in die Hosentasche und guckte zu meiner Brust runter. "Weisst du was", flüsterte ich leiste vor mich hin. "Du bist auch ganz cool."

Langsam begann ich, durch ihre Haare zu streicheln. Teils aus Intuition, teils bewusst. Gleichzeitig merkte ich auch, dass sich der Puls und die Atmung beruhigte. Dabei nicht nur bei ihr, sondern auch bei mir. Ein Lächeln fand seinen Weg über meine Lippen. Ich war glücklich. Noch immer, umso mehr.

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