4] blue

"Du hast wunderschöne Augen.

- Ach was, die sind doch... so normal, nichts Besonderes.

Nein, wirklich. Ich mag sie. Schau mal dort zur Autobahn und kneif deine Augen zusammen. Siehst du das?

- Ich sieh da nur unscharfe Punkte durch die Nacht hin und herwandern.

Kneif sie noch ein wenig mehr zusammen. Siehst du, da, dieses Funkeln. Diese Farben, wie sie auffunkeln, dich bis nach innen begleiten, einen Weg haben, dir das Ziel zeigen, dein Herz, deine ganze Sicht erhellen. Dieses Funkeln. Das sehe ich jedes Mal, wenn ich in deine Augen blicke."

* * *

Ein etwas heftigerer Ruck liess mich aufhorchen. Nach kurzer Orientierungslosigkeit war ich mir mein Umfeld wieder bewusst. Vor mir sah ich durch die Reihen schlafende Gestalten, allesamt Mitglieder meiner Klasse. Es war ruhig, nur das monotone Geräusch des Reisecars auf der Autobahn durchbracht die sonstige Stille. Friedlich, dieser Anblick. Diese Entspanntheit, wie sie in der Nacht durch den ganzen Car spürbar war.

Wieder nahm ich einen Ruck wahr. Diesmal, da ich bereits wach war, wurde mir auch bewusst, woher dieser stammte. Darya! Durch den tiefen Schlaf habe ich fast vergessen, dass sie ja neben mir sass. So baute sich innert kurzer Augenblicke die gesamten Geschehnisse der letzten paar Stunden wieder auf - - Ruckartig guckte ich runter zu unseren Händen. Darya nutzte ihre beiden Hände aktuell, um das Handy zu halten und ihren Kopfhörer aus dem Ohr zu ziehen. Was sie wohl von mir will, dass sie mich so anstupst?

Ich guckte weiterhoch, wo mich ihr Gesicht bereits erwartet. Mit einem kurzen, aber eher bedrückten Lächeln schien sie anzudeuten, dass sie kurz austreten mochte. Ich brauchte nur einige Momente, bis mein Gehirn verarbeitet hatte, was sie nun wirklich von mir wollte. Ich stand also auf und liess sie in den Gang. Während ich bereits stand, analysierte ich weiter das Businnere. Tatsächlich schienen praktisch ausnahmslos alle zu schlafen. Selbst unsere Lehrperson war nicht mehr wach. Nur ein kleines Displayleuchten liess sich in einer der vorderen Reihen erblicken.

Darya schritt währenddessen in richtig Klo. Was für eine Frau, dacht' ich mir. Ich versuchte mich, ein wenig an die bisherigen Kontaktpunkte mit ihr zu erinnern. Schnell fiel mir auf, dass ich mit ihr bereits öfters was zu tun hatte als gedacht. So gesehen war sie eigentlich das Mädchen, dass bei verschiedenen Aktivitäten und Lagern immer wieder dabei war und mit dem ich mich super verstand. Doch dabei von den extrovertierten Selbstzentrikern übertönt wurde. Nach und nach vielen mir immer wieder kleine Berührungspunkte ein. Kleine Konversationen, bei welchen man gemeinsam gelacht hat, Aktivitäten, welche im Kopf blieben, Gemeinsamkeiten, welche man ausgetauscht hat.

Das erklärt mir diese Verbundenheit, zu welcher ich mir vorher keinen Reim bilden konnte. Immer mehr wurde mir klar, wie ich wohl bisher den einen Baum vor lauter Wald nicht mehr sehen konnte. Gerade als ich weiter erforschen wollte, in welchen Momenten ich bereits mit ihr Zeit verbracht hatte, kam das Mädchen wieder zurück. In der Dunkelheit der Nacht und dem dazugehörigen diffusen Licht des Busses sah man ihre unglaublich schöne Silhouette. Ihr Körper war in perfekten Modelmassen geformt, ihr Schritt war charakterstark und doch auf eine liebenswerte Weise ein wenig tollpatschig. Tief in den Gedanken versunken bemerkte ich erst viel zu spät, dass sie bereits vor mir stand. Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich selbst realisierte, dass ich im Weg stand, guckte ich zeitgleich noch zu Darya runter und konnte mir bei ihrer Schönheit ein grinsendes Lächeln nicht verkneifen. In dieser Zeit musterte sie mich von oben bis unten und grinste mit leicht schrägem Kopf zurück. Mit einer eleganten Bewegung fand sie ihren Weg zurück auf ihren Sitzplatz.

Als wir beide wieder sassen, nahm sie die Kopfhörer wieder raus und bot mir einen an. Ich drückte ihn in mein Ohr und guckte dabei aus dem Fenster. Moment, habe ich sie vorhin wirklich so dumm angegrinst? Oh Gott, ich Vollidiot! Irgendwie fast schon ein wunder, dass sie überhaupt nochmals hierhinkam, um abzusitzen.

Schon wieder wurden meine Gedanken unterbrochen, diesmal, als Darya beim Richten der Pullover-Decke an meinen Arm kam. Ich guckte ihr zu und wurde gleich mit einem warmen Schauder überrascht. Ein angenehmes Gefühl durchfloss mein Herz, breitete sich über alle Adern hinweg aus und erreichte den ganzen Körper. War das wegen Darya? Was macht dieses Mädchen nur mit mir? Habe ich mich jetzt ernsthaft in sie verguckt? Während ich mir diese Frage stellte, merkte ich, wie mir dieses Gefühl bekannt vorkam. Ich erinnerte mich wieder daran, wie vertraut sie mir vorkam, als wir zuvor die Hände gehalten haben.

Gleichzeitig kam Darya immer nicht zur Ruhe. Immer wieder wendete sie sich leicht, zog den Pullover zurecht und richtete den Körper neu aus. Sie schien immer noch kalt zu haben. Einen weiteren Pullover hatte ich nicht mehr, nur noch das, was ich anhatte. Und zugegeben, mir was es auch so bereits eher kühl als warm - abgesehen vom inneren Gefühl.

Kurz noch beobachtete ich ihre Bewegungen, bis ich plötzlich wie aus dem nichts meine eigenen Arme nahm und damit Darya umschloss. Es war wie eine Intuition, gegen die man sich nicht wehren kann. Wie ein Blinzeln, welches man zwar herauszögern kann, aber nicht verhindern. Mit einer ruhigen, aber bestimmten Bewegung zog ich ihren zarten Körper leicht näher an mich ran und streichelte ruhig über ihren Oberarm, um sie aufzuwärmen. Shit, was mach ich da?! Gott, was hör auch, dacht ich mir, was soll das? Sie wird sicher gleich losschreien oder mich beleidigen und morgen allen erzählen, was für ein komischer Typ ich bin.

Gleichzeitig stoppten bei Darya die nervösen Bewegungen und sie horchte kurz auf. Dann passiert was, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. Sie drückte sich noch näher an mich und kuschelte sich bei meiner Brust an meinen Pulli und umfasst einen meiner Arme.

Was macht sie da? Sie schaute mich nicht einmal an, würdigte mich keines Blickes, spielt aber mit. Gerade, als meine Verwunderung nicht grösser hätte werden können, fing sie sogar noch an, leicht zu grinsen. War das ihr ernst? War das mein ernst?

So löste sich plötzlich die zuvor angetragene Anspannung und ich liess mich darauf ein, streichelte ihren Oberarm weiter langsam im Takt und atmete durch. Gleichzeitig spürte man auch, wie bei ihr wieder ruhe eintrat. In unseren Ohren lief währenddessen "Final Warning" von Jon Sine.

Ein Teil von mir fragte sich noch immer, was das gerade war. Der andere wiederum freute sich einfach darüber, dass es sich richtig anfühlte. Ich blickte wieder runter, schaute von oben zu ihrem Gesicht. Scheisse, ich hab mich wohl gerade wirklich endgültig verliebt - und schloss meine Augen.

- Advent, Advent ein Gefühl entbrennt. Alles gute zum 2. Advent -

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