Kapitel 6
Ich lag auf meinem Bett, völlig wach, obwohl es schon viel zu spät war. Natürlich konnte ich nicht schlafen – danke, Cola. Obanai hatte mich immerhin vor Koffein gewarnt, aber nein, ich musste ja seinem Rat ignorieren.
Genervt griff ich nach meinem Handy. Wenn ich sowieso nicht schlafen konnte, konnte ich wenigstens mit Genya reden. Also rief ich ihn per Videoanruf an.
Er nahm sofort ab.
„Oi, Muichiro, warum rufst du um diese Uhrzeit an?" fragte er, noch etwas verschlafen. Doch kaum hatte er mich gesehen, riss er die Augen auf. „Alter, was ist mit dir passiert?! Du siehst aus, als hätte dich ein LKW überfahren!"
Ich blinzelte. „Danke für das Kompliment, Schatz."
„Ernsthaft, Muichiro, du hast Blätter in den Haaren!" Er beugte sich näher an die Kamera. „Und... sind das Kratzer? Wer hat dich angefasst? Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist—"
„Beruhig dich!" Ich seufzte. „Ich war auf einer Party. Die Polizei kam, Senjuro und ich sind aus dem Fenster gesprungen. Ende der Geschichte."
Genya blinzelte. Dann schüttelte er den Kopf. „Natürlich bist du mit Senjuro auf eine Party gegangen. Natürlich bist du mit Senjuro geflohen."
Ich runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?"
Er verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. „Nichts, nichts. Ist ja nur dein bester Freund, mit dem du alles machst. Dein bester Freund, mit dem du auf Partys gehst. Dein bester Freund, mit dem du fast verhaftet wurdest."
Ich seufzte. „Wirst du jetzt eifersüchtig?"
„ICH?! Niemals!" Genya lachte, aber es klang nicht sehr überzeugend. „Ich meine, wieso sollte ich eifersüchtig sein? Nur weil dieser goldene Junge immer mit dir abhängt? Nur weil er dich ansieht, als wärst du sein persönlicher Sonnenschein? Nein, nein, ich bin ganz entspannt."
Ich starrte ihn an. „Du bist absolut nicht entspannt."
„Pff." Er winkte ab. Dann grinste er plötzlich. „Aber egal. Ich wollte eigentlich was anderes sagen. Weißt du, Muichiro... ich finde es echt süß, wie dein zerzaustes Haar so verführerisch wild aussieht."
Ich lief knallrot an. „GENYA!"
„Deine Augen leuchten heute besonders schön. Liegt das an der Cola oder an der verbotenen Party-Nacht?"
„HÖR AUF!"
Er grinste noch breiter. „Weißt du, wenn ich dort gewesen wäre, hätte ich dich natürlich vor allem beschützt. Aber vielleicht hätte ich dich auch mal in eine dunkle Ecke gezogen, nur um zu sehen, ob du in Partystimmung bist..."
Ich hielt mir die Hände vors Gesicht. „ICH KANN DICH NICHT MEHR ERTRAGEN!"
Genya lachte laut. „Komm schon, Muichiro! Ich bin in Amerika! Lass mich wenigstens ein bisschen Spaß haben!"
Ich seufzte. „Du bist unmöglich."
Er zwinkerte. „Und du bist wunderschön. Egal ob mit Blättern im Haar oder nicht."
Ich wusste nicht, ob ich ihn schlagen oder noch röter werden sollte.
Ich entspannte mich gerade ein wenig, nachdem Genya endlich aufgehört hatte, mich mit seinen dummen Flirts in den Wahnsinn zu treiben. Doch plötzlich hörte ich eine gedämpfte Mädchenstimme aus dem Hintergrund.
„Genyaaa, bist du immer noch am Telefon? Komm schon, wir wollten doch—"
Ich runzelte die Stirn. Wer zum Teufel war das?!
Genya seufzte genervt, stand auf und bewegte sich mit dem Handy durch den Raum. Dann hörte ich eine Tür zuknallen, und plötzlich war alles etwas leiser.
„Sorry, Muichiro...", murmelte er und drehte die Kamera so, dass ich ihn sehen konnte. Er saß jetzt auf dem geschlossenen Toilettendeckel im Badezimmer, rieb sich genervt über das Gesicht und seufzte erneut.
„Wer war das?" fragte ich mit schneidender Stimme, die ich selbst nicht wiedererkannte.
Genya blinzelte. „Äh... bist du sauer?"
„Wer. War. Das."
Er sah mich an, als würde er überlegen, ob ich ihn durch den Bildschirm erwürgen könnte. Dann hob er beschwichtigend die Hände. „Okay, okay. Kein Grund, mich umzubringen. Das ist nur ein Mädchen aus meiner Uni. Sie ist... na ja... in mich verknallt."
Ich spürte, wie sich meine Miene verhärtete. „Aha."
„Muichiro..." Genya sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und Besorgnis an. „Bist du etwa eifersüchtig?"
„NEIN!" fuhr ich sofort dazwischen, vielleicht etwas zu laut. „Warum sollte ich eifersüchtig sein?! Ich bin nur interessiert! Ja, genau! Ich möchte einfach nur wissen, warum da ein Mädchen in deinem Zimmer herumläuft, als würde sie dort wohnen!"
Genya lachte leise. „Okay, erstens: Sie wohnt nicht hier. Zweitens: Sie läuft mir einfach seit Wochen hinterher. Ich hab ihr hundertmal gesagt, dass ich vergeben bin. Dass ich meinen Freund liebe. Aber sie ist hartnäckig."
„Dann sag es ihr nochmal! Lauter!" fauchte ich.
Er grinste. „Oh wow. Ich glaub, ich hab dich noch nie so gesehen."
Ich verschränkte die Arme. „So wie du mich mit deinen Flirts nervst, darfst du jetzt auch mal sehen, wie das ist."
„Ich finds ja süß", meinte Genya und lehnte sich gegen die Wand. „Mein kleiner eifersüchtiger Muichiro."
„SAG DAS NOCH EINMAL UND ICH KOMME PERSÖNLICH NACH AMERIKA!"
Er lachte laut. „Du bist echt goldig, wenn du eifersüchtig bist."
Ich rollte mit den Augen. „Geh und wirf sie raus."
„Ja, ja, mach ich gleich. Aber vorher—" Er sah mich mit diesem typischen, frechen Genya-Blick an. „—musst du mir sagen, dass du mich liebst."
Ich starrte ihn an. „...Was."
„Los. Sag es mir."
„NEIN."
„Dann bleibt sie hier."
Ich kniff die Augen zusammen. „Das würdest du nicht tun."
Er grinste. „Willst du das wirklich herausfinden?"
Ich starrte ihn an. Er starrte zurück. Dann seufzte ich theatralisch. „Fein. Ich liebe dich, du riesiges Arschloch."
Genya strahlte. „Awww. Ich liebe dich auch, Muichiro."
Ich knallte das Handy auf mein Kissen. Warum musste ich mir diesen Kerl ausgesucht haben?!
Ich hatte kaum meine Augen geschlossen, da wurde ich wieder geweckt. Und zwar auf die brutalste Weise, die man sich vorstellen konnte.
„Aufstehen, du Party-Versager."
Ich knurrte verschlafen. „Obanai... es ist viel zu früh..."
„Genau deswegen sollst du aufstehen." Er zog die Decke weg. „Das ist die Strafe, wenn man sich auf Partys gehen lässt."
„Ich hab mich nicht gehen lassen! Ich hab nur Cola getrunken!" murrte ich und zog mir das Kissen über den Kopf.
Obanai verschränkte die Arme. „Und genau das ist das Problem. Wenn du auf einer Party warst und keinen Alkohol getrunken hast, hast du es nicht richtig gemacht."
Ich riss das Kissen runter. „Was?! Ich dachte, du willst, dass ich mich nicht abschieße?"
„Ja, aber wenigstens ein bisschen solltest du trinken. Sonst bist du nur ein Zuschauer und kein Teilnehmer."
„Das ist doch Bullshit!" Ich drehte mich um und zog die Decke wieder hoch. „Ich schlafe weiter."
Obanai seufzte theatralisch. „Na schön. Du hast es so gewollt."
Ich hörte, wie er aus dem Zimmer ging. Endlich... Ruhe. Ich konnte mich gerade wieder entspannen, als ich plötzlich ein seltsames Gewicht auf meiner Brust spürte.
„Guuuuh!" machte eine kleine Stimme.
Mein Auge zuckte. Nein.
Ich schielte nach unten und sah zwei große, neugierige Kinderaugen, die mich anstarrten.
„Sumire..."
„Haare!" rief sie fröhlich und packte meine Strähnen mit ihren kleinen, aber unglaublich starken Fäusten.
„Oh nein, nicht schon wieder—AHHH!"
Ich wurde brutal an den Haaren nach oben gezogen. Sumire lachte dabei wie ein kleiner Teufel.
„Obanai, nimm dein Monster zurück!" rief ich.
Obanai lehnte sich mit einem fiesen Grinsen an den Türrahmen. „Tja, vielleicht solltest du aufstehen, bevor Sumire beschließt, dass du eine Puppe bist."
„Sie hat mich schon zur Puppe gemacht!" fauchte ich, während ich versuchte, ihre winzigen, aber gnadenlosen Finger aus meinen Haaren zu lösen.
Sumire kicherte und schlug mir mit ihren kleinen Patschehändchen ins Gesicht.
„Awww, sie zeigt dir ihre Liebe", meinte Obanai.
„Sie zeigt mir, dass sie mich quälen will!"
Obanai zuckte mit den Schultern. „Liegt in der Familie."
„ICH BIN NICHT MAL VERWANDT MIT EUCH!"
Obanai grinste nur. „Doch, durch jahrelange Erziehung bist du quasi mein Kind."
Sumire zog wieder an meinen Haaren. Ich stöhnte ergeben.
Das war mein Leben jetzt.
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