Kapitel 2

Der Albtraum begann in der nächsten Stunde.

Biologie mit Kocho-sensei.

Jeder wusste, dass unser Chemie- und Englischlehrer, Iguro-sensei, eine unerbittliche Autoritätsperson war. Doch Kocho-sensei... sie war ein ganz anderes Kaliber. Nicht, weil sie streng war – oh nein, ganz im Gegenteil. Sie lächelte immer. Immer. Sogar dann, wenn sie die schlimmsten Dinge sagte.

Und ihre ungesunde Obsession mit Insekten machte den Unterricht zur reinsten Folter.

Doch dieses Jahr... dieses Jahr sollte es anders werden.

„Wir werden uns ausschließlich mit der Fortpflanzung beschäftigen!" verkündete sie strahlend.

Ein kollektives Aufatmen ging durch die Klasse. Endlich! Endlich mal ein Jahr ohne Skorpione, Kakerlaken und andere ekelhafte Krabbeltiere!

Doch dann, nach einer kurzen Pause, fügte sie hinzu:

„Selbstverständlich beginnen wir mit der Fortpflanzung von Insekten!"

Das Aufatmen verwandelte sich in ein kollektives innerliches Schreien.

„Warum überrascht mich das nicht...?" murmelte Senjuro neben mir und ließ seinen Kopf auf den Tisch fallen.

Ich sah tatenlos zu, wie das Leben aus seinen Augen wich.

Kocho-sensei ignorierte das Drama und lächelte weiter. „Aber bevor wir starten, habe ich eine Frage an euch. Gibt es jemanden in der Klasse, der homosexuell ist?"

...Was?

Die Klasse verstummte. Jeder wusste, dass ich mit Genya zusammen war. Seit drei Jahren. Das war kein Geheimnis. Trotzdem hatte niemand erwartet, dass so eine Frage plötzlich in den Raum geworfen wurde.

Ich spürte die Blicke meiner Mitschüler auf mir brennen. Ich zögerte einen Moment, dann hob ich langsam die Hand.

„Ah, Tokito-kun!" Kocho-sensei sah mich mit einem Lächeln an, das mich aus irgendeinem Grund frösteln ließ. „Dann wirst du beim ersten Thema besonders gut aufpassen müssen!"

Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus.

Senjuro flüsterte: „...Ich weiß nicht, warum, aber ich habe Angst."

„Ich auch."

Kocho-sensei klatschte in die Hände. „Nun denn! Fangen wir an mit einem meiner Lieblingsinsekten: der Stabheuschrecke!"

Ich unterdrückte ein Seufzen. Natürlich.

Sie drehte sich zur Tafel und begann, mit eleganter Handschrift zu schreiben:

„Sexuelle Fortpflanzung bei Insekten: Die männliche Stabheuschrecke produziert eine gigantische Spermienmasse, die bis zu 20 % seines Körpergewichts ausmacht..."

Ein entsetztes Raunen ging durch die Klasse.

„Warum müssen wir das wissen?!" rief jemand aus der hinteren Reihe.

„Nun, es ist wichtig zu verstehen, wie sich Fortpflanzung in der Natur entwickelt hat!" erklärte Kocho-sensei begeistert. „Zum Beispiel gibt es bei manchen Arten Männchen, die ihren gesamten Genitalapparat abbrechen und—"

„SENSEI, BITTE NICHT!" schrie Senjuro verzweifelt.

„Oh, du bist so empfindlich, Shinjuro-kun."

„Senjuro."

„Ja, genau. Also, zurück zum Thema!"

Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, während sie enthusiastisch über die wundersame Welt der Insektenliebe dozierte. Mein Gehirn hatte sich bereits abgeschaltet, um mich vor dem Wahnsinn zu schützen.

Doch dann... dann kam das Unvermeidliche.

„Aber natürlich müssen wir uns nicht nur mit Insekten beschäftigen." Kocho-sensei drehte sich wieder zu uns um und lächelte – dieses Mal noch breiter als zuvor. „Wir werden uns auch mit der menschlichen Fortpflanzung beschäftigen. Und da Tokito-kun homosexuell ist, werden wir ihn in manchen Bereichen als Referenz nehmen!"

...Was zum Teufel?!

Die Klasse erstarrte. Ich konnte praktisch hören, wie Senjuro neben mir erstickte.

„Sensei..." begann ich langsam. „Ich bin mir nicht sicher, ob das notwendig ist."

„Aber natürlich!" Sie strahlte. „Wissenschaft ist für alle da, nicht wahr? Und wir sollten die Vielfalt der Natur ehren!"

Ich starrte sie an. Sie starrte zurück.

„...Ich fühle mich nicht geehrt."

„Oh, keine Sorge, das wirst du noch!"

Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Horrorfilm gefangen.

„Also gut! Wer von euch weiß, wie die Fortpflanzung bei gleichgeschlechtlichen Paaren in der Natur funktioniert?"

Stille. Niemand rührte sich.

„Tokito-kun, möchtest du es erklären?"

Ich starrte sie an. „Sensei, ich kann nicht mal eine Pflanze am Leben halten. Erwarten Sie wirklich, dass ich etwas über biologische Fortpflanzung erklären kann?"

Die Klasse lachte, aber Kocho-sensei ließ sich nicht beirren.

„Keine Sorge! Dann erkläre ich es euch!"

Und damit begann sie eine hochdetaillierte, wissenschaftlich fundierte, aber zutiefst verstörende Erklärung darüber, wie gleichgeschlechtliches Verhalten in der Tierwelt funktioniert.

Sie sprach über Pinguine, über Bonobos, über Fische, die ihr Geschlecht wechseln konnten.

Irgendwann schaltete ich mein Gehirn einfach aus.

Neben mir sah Senjuro aus, als hätte er jede Hoffnung auf ein normales Leben aufgegeben.

„Muichiro..." murmelte er leise. „Ich glaube, ich werde mich für das nächste Jahr von der Schule abmelden."

„Ich komme mit."

„Ernsthaft?"

„Nein, aber es wäre eine schöne Vorstellung."

Als die Stunde endlich vorbei war, stolperten wir aus dem Raum, als wären wir gerade einem Krieg entkommen.

„Das war..." begann Senjuro.

„Ein Trauma fürs Leben?" schlug ich vor.

„Ja."

„Dachte ich mir."

Ich seufzte tief und rieb mir die Schläfen. Drei Jahre mit Genya zusammen, und plötzlich war ich die offizielle homosexuelle Referenz unserer Klasse.

Ich sollte ihn später anrufen. Nur um ihm mitzuteilen, dass sein Freund gerade unfreiwillig zum Vorzeige-Homosexuellen im Biologieunterricht gemacht wurde.

Er würde sich sicher kaputtlachen.

Die nächste Stunde war ein wahres Meisterwerk des Chaos. Kunstunterricht bei Uzui-sensei war immer eine wilde Fahrt, aber heute war es besonders... unberechenbar.

„Willkommen in der Kunst der Explosion, Leute!" Uzui-sensei grinste breit, als er die Tür aufriss und mit einem Riesenkoffer voll mit Spraydosen und Farbe hereinkam. „Heute wird's krachen, aber keine Sorge, es ist alles unter Kontrolle!"

Wie konnte es auch anders sein, dass gerade heute, der Tag, an dem wir uns alle mehr oder weniger auf dem dünnen Drahtseil zwischen Leben und Tod bewegten, Nezuko sofort zu mir rannte und sich neben mir versteckte. Ihre Augen blitzten panisch. Es war klar, dass sie die riesige Explosion von Farben schon kommen sah.

„Ich will nicht in einem Farbfeld-Massaker enden", flüsterte sie mir ins Ohr, während sie sich an mich klammerte.

Ich grinste. „Keine Sorge, es wird schon nicht so schlimm werden. Wahrscheinlich."

Zwei Minuten später explodierte der Raum förmlich.

Uzui-sensei, der immer zu neuen, „kreativen" Dingen neigte, hatte heute beschlossen, dass alles explodieren sollte. Und das in der wörtlichen Bedeutung des Wortes. Farben sprühten in alle Richtungen, und die Wände begannen, in allen erdenklichen Neonfarben zu leuchten. Ich konnte nicht mal genau sagen, ob das jetzt Kunst war oder ob er einfach nur versucht hatte, das gesamte Klassenzimmer in ein einziges Zirkusfeuerwerk zu verwandeln.

„Waaaaaah!" rief Nezuko, als eine riesige Farbsprühwolke direkt an uns vorbeizischte. Sie duckte sich noch tiefer hinter mir. Ich lachte. „Ich glaube, du solltest deinen Kopf etwas tiefer machen, damit er nicht noch lila wird!"

Gerade als Uzui-sensei den nächsten Schwung an Farben sprühte, öffnete sich die Tür mit einem lauten Knall. Es war Iguro-sensei.

Er starrte in den Raum und überlegte wohl kurz, ob er gerade in ein Schlachtfeld getreten war. Doch bevor er irgendetwas sagen konnte, hatte Uzui-sensei bereits eine riesige Sprühdose in der Hand und spritzte direkt auf ihn.

„Fick dich, Uzui! Was zur Hölle ist das?!" Iguro-sensei schrie, als er plötzlich von einer Regenbogenflut an Farbe getroffen wurde. Das größte Problem war nicht mal, dass er jetzt wie ein rosa Wolkenkörper aussah, sondern dass seine normalerweise so seriöse Schlange, die er immer mit sich trug, plötzlich in einem hellen Lilaton erstrahlte.

„Oh, das gefällt mir! Sieht sogar ziemlich schick aus, findest du nicht?" Uzui-sensei grinste, als er noch mehr Farbe in die Luft warf.

Wir alle standen einfach da, mit offenen Mündern und starrten Iguro-sensei an, der nun von oben bis unten in einem nicht weniger als einer neonfarbenen Katastrophe versunken war.

„Ich hab's dir doch gesagt, du Vollidiot! Wenn du in meinen Unterricht kommst, wird es bunt, aber das bedeutet nicht, dass du mich vollspritzen musst!" Iguro-sensei schimpfte laut. „Verdammter Mist, jetzt sehe ich aus wie ein verdammtes Pink Floyd Konzert!"

„Genau so wollte ich dich haben", rief Uzui-sensei fröhlich, während er einen weiteren Farbregen in die Luft sprühte, der diesmal Iguro-sensei direkt ins Gesicht traf. „Komm schon, du bist doch der wandelnde Regenbogen der Klassenleitung!"

Iguro-sensei blieb ruhig – zu ruhig. „Ich werde dich umbringen, Uzui. Mit eigenen Händen. Und ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder eine Sprühfarbe in die Hand bekommst."

Das brachte uns alle zum Lachen. Die Vorstellung, wie unser steifer, immer so ernster Iguro-sensei und der exzentrische Uzui-sensei miteinander versuchten, sich zu „bekämpfen" war einfach zu viel. Einige von uns zückten sofort ihre Handys und begannen, Fotos zu machen.

„Das wird das beste Bild des Jahres! Iguro-sensei, du siehst aus wie ein wandelnder Lolli!" rief Senjuro und konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

„Du hast es ja echt drauf, Senjuro", stimmte ich ein, während ich ebenfalls ein Bild schoss. „Genau den Moment einfrieren! Das Bild des Jahrhunderts!"

„Was zur Hölle, Muichiro?" Senjuro lachte. „Du bist echt der einzige, der auch nach einer Farbkatastrophe noch lachen kann. Aber das Bild geht klar in die Geschichte ein!"

Iguro-sensei fuhr sich durch seine jetzt rosa Haare und fauchte: „Genug! Ich will das nicht in meiner Klasse! Nächstes Mal, wenn du mir auch nur mit einem Tropfen Farbe zu nahe kommst, Uzui, werde ich dich in den nächsten See werfen!"

„Hah, du bist nur neidisch, weil du nicht so gut aussiehst wie ich!" Uzui-sensei grinste, als er ein weiteres Farbspray auf die Wand schoss.

„Fick dich, Uzui! Echt! Du wirst das noch bereuen!" Iguro-sensei ging grummelnd zur Tür, sein Gesicht und seine Kleidung immer noch in einer rosafarbenen Explosion gefangen.

„Vielleicht sollte ich den Frühjahrsputz übernehmen, Sensei", rief Tengen Uzui hinter ihm her. „Ich denke, du siehst jetzt viel hübscher aus. Du brauchst einfach mehr Farbe in deinem Leben!"

Ich konnte es kaum erwarten, wie viele dieser Fotos in den sozialen Netzwerken landen würden. Das Bild von Iguro-sensei in all seiner rosa Pracht würde definitiv in der Oberschulgeschichte verewigt werden.

Als die Stunde endlich zu Ende ging und wir alle noch immer lachend aus dem Raum stolperten, wusste ich, dass ich einen der verrücktesten Unterrichtstage aller Zeiten erlebt hatte.

„Kann jemand die Bilder an Genya schicken?" fragte ich Senjuro.

„Oh, das muss ich definitiv machen", sagte er mit einem Grinsen. „Genya wird sich königlich amüsieren, das verspreche ich dir!"

Und mit diesem Gedanken verließ ich den Kunstraum, immer noch mit einem Lächeln im Gesicht und einem Handy voller Beweisfotos.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top