Kapitel 19

Wir waren gerade auf dem Nachhauseweg, und ich konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken, was Uzui-sensei vorhin gesagt hatte. Ich kannte Obanai jetzt seit Jahren, aber dass er mal mit zwölf eine halbe Klasse in die Luft gejagt haben soll? Das klang so absurd, dass ich es nicht einfach ignorieren konnte.

„Obanai", begann ich und blickte zu ihm hinüber. Er hatte die Hände in den Taschen, sein Blick war stur geradeaus gerichtet.

„Hm?"

„Was meinte Uzui-sensei vorhin damit, dass du mit zwölf zehn Klassenkameraden hochgejagt hast?"

Stille.

Obanai sagte keinen Ton. Er zuckte nicht mal mit der Wimper.

Ich runzelte die Stirn. „Obanai."

Nichts.

„Obaaaanaiii~" Ich verlängerte seinen Namen absichtlich in einer nervigen Tonlage.

Er gab keinen Mucks von sich.

Ich seufzte und blieb demonstrativ stehen. „Ich geh keinen Schritt weiter, bis du's mir sagst."

Er seufzte gereizt. „Dann bleib halt stehen. Ist mir scheißegal."

Ich knirschte mit den Zähnen. „Willst du mir ernsthaft erzählen, dass du einfach so 10 Leute hochgejagt hast? Ohne Grund? Ich kenn dich, Obanai. Du würdest niemanden grundlos umbringen."

Er schwieg weiterhin.

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Also gut. Dann frag ich Uzui-sensei eben selbst."

Das brachte ihn schließlich dazu, stehen zu bleiben. Sein Blick schoss zu mir rüber, und ich konnte sehen, dass er sich innerlich wehrte, aber er wusste auch, dass er mich nicht einfach abspeisen konnte.

„...Du bist echt ein verdammter Nervensäge, Muichiro."

Ich grinste triumphierend. „Ich weiß."

Er schnaubte genervt, fuhr sich durch die Haare und murmelte dann leise: „Ich hab damals in Chemie nicht aufgepasst. Hab aus Versehen Nitroglyzerin in eine Säure gegeben."

Ich blinzelte. „...Das wars?"

Er warf mir einen scharfen Blick zu. „Lass mich ausreden."

Ich hob die Hände. „Okay, okay, erzähl weiter."

Obanai seufzte tief. „Das Gefäß ist umgefallen. Ich hab's noch versucht zu retten, aber... na ja. Boom."

Ich riss die Augen auf. „Heilige Scheiße."

„Ja. Richtig dumm gelaufen", murmelte er. „Aber das war nicht mal das Schlimmste. Mein Hasslehrer stand in der Nähe. Die Explosion hat ihm das halbe Gesicht zerfetzt."

„Oha", murmelte ich beeindruckt.

„Die Hälfte meiner Klasse war sofort tot. Die anderen wurden schwer verletzt. Und ich... tja, ich wurde von der Schule geflogen und bin in einem Heim gelandet."

Ich sah ihn eine Weile schweigend an. „Hast du das mit Absicht gemacht?"

Er sah mich irritiert an. „Was?"

„Also... deinen Hasslehrer. Hast du das bewusst gemacht?"

Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Ich hab vielleicht davon geträumt, ihn eine Klippe runterzustoßen, aber das war wirklich ein Unfall."

Ich grinste leicht. „Also gut. Ich hätte es dir eh nicht zugetraut."

„Freut mich zu hören", sagte er trocken.

Ich dachte einen Moment nach. „Aber... warum hat Uzui-sensei das so dargestellt, als hättest du es absichtlich getan?"

Obanai verzog das Gesicht. „Weil er ein verdammter Clown ist."

Ich lachte. „Stimmt."

Wir gingen schweigend weiter, bis ich nach einer Weile sagte: „Obanai?"

„Hm?"

„Ich bin froh, dass du mein Lehrer bist."

Er schnaubte. „Du bist ein unerträglicher Schüler."

Ich grinste. „Ich weiß."

Ich hatte gerade das Handy in der Hand, als es plötzlich vibrierte und der Name „Genya" auf dem Bildschirm aufleuchtete. Sofort breitete sich ein riesiges Grinsen auf meinem Gesicht aus. Es war Genya. Ich wollte sofort abnehmen, doch bevor ich den Knopf drücken konnte, zog Obanai mir das Handy aus der Hand.

„Hey! Was soll das?" fragte ich empört und versuchte, das Handy wieder zu bekommen.

„Du kannst dich später noch mit ihm unterhalten", antwortete Obanai schroff und lehnte das Gespräch ab. Er hatte seine übliche ernste Miene aufgesetzt, doch ich konnte sehen, dass er wirklich versuchte, mich zu erziehen. Ein kleiner, innerer Funken der Frustration blitzte in mir auf, aber ich biss die Zähne zusammen und blieb ruhig. Ich wusste, dass er es nur gut meinte.

„Das ist nicht dein Handy, also darfst du nicht einfach entscheiden, wer ich anrufe", murrte ich, aber Obanai ließ sich nicht beirren. Er schob das Handy in seine Tasche und setzte seinen Weg fort, während ich neben ihm herging und mich darüber ärgerte.

„Du musst nicht immer sofort ans Telefon gehen", sagte er mit einem Blick, der mich ein bisschen ungeduldig machen sollte. „Du bist kein kleines Kind mehr, Muichiro. Du kannst auch mal warten."

Ich seufzte laut. „Ich weiß, dass du es gut meinst, aber das ist wirklich nicht deine Entscheidung, okay?"

Obanai grinste spöttisch, aber es war nicht wirklich böse. „Ich bin immerhin dein Lehrer, also kann ich entscheiden, wann du mit deinen Freunden sprichst", meinte er dann, aber seine Stimme klang jetzt irgendwie ein bisschen weicher, als würde er sich selbst einreden wollen, dass er richtig lag.

„Du bist nicht mein Vater, also hör auf, so zu tun, als ob du alles bestimmen kannst", sagte ich, ohne wirklich nachzudenken. Die Worte kamen einfach heraus. Aber als ich sah, wie Obanai darauf reagierte, spürte ich sofort, dass ich zu weit gegangen war.

Er blieb stehen und drehte sich zu mir. „Das hast du nicht wirklich gesagt", murmelte er, und ich konnte den Schmerz in seiner Stimme hören. Es war, als hätte ich ihm einen Schlag versetzt. „Ich bin nicht dein Vater, Muichiro, aber ich bin hier, um dir zu helfen, auch wenn du das nicht immer verstehst."

Ich wollte etwas sagen, aber es blieb mir im Hals stecken. Stattdessen nickte ich nur und versuchte, meine Emotionen zu unterdrücken. Obanai seufzte und fuhr fort zu gehen.

Es dauerte eine Weile, bis ich wieder in der Lage war, etwas zu sagen, aber als wir endlich wieder ins Gespräch kamen, erzählte er mir plötzlich etwas, das mich völlig unerwartet traf. Er setzte seine Hände in die Hüften und blickte nachdenklich in die Ferne.

„Weißt du, wie ich Mitsuri kennengelernt habe?"

Ich sah ihn skeptisch an. „Hä? Mitsuri? Was hat die jetzt damit zu tun?"

Obanai grinste schief. „Es war auf einer Party, die Sanemi mir aufgezwungen hat. Du kennst doch Sanemi, oder? Der Typ, der immer denkt, er kann alles besser." Ich nickte, noch immer verwirrt, aber neugierig. Obanai fuhr fort: „Er hat mich zum Wetttrinken gezwungen, und ich hatte keinen Plan, was auf mich zukam. Ich dachte, es wird wie jede andere Party, aber..." Er lachte bitter. „Mitsuri hat mich einfach vernichtet. Keine Chance, Mann. Die hat mich eiskalt plattgemacht."

Ich blinzelte, versuchte, mir das vorzustellen. „Moment, du hast doch keine Ahnung, wie du bei sowas..."

„Ja, ich weiß", sagte Obanai und lachte leise. „Auf jeden Fall wache ich irgendwann auf, und das erste, was ich sehe, ist Mitsuri. Und ich liege mit ihr im Bett. Ich dachte nur, was zur Hölle ist hier passiert?"

Ich starrte ihn mit offenem Mund an. „Was?"

„Ja. Und dann hat Sanemi mich auch noch angerufen und mir eine Nachricht hinterlassen. Er hat mich damit geneckt. Er meinte, ich hätte mir da ja eine hübsche Braut geschnappt", sagte Obanai und schüttelte den Kopf. „Das war... nun ja, eine interessante Nacht."

Ich wurde plötzlich rot wie eine Tomate. „W-Was?" stammelte ich. „Also... du und Mitsuri?"

„Du hast jetzt nicht etwa das Bild im Kopf, dass wir sofort ein Paar geworden sind, oder?" Obanai grinste schelmisch. „Nein. Es war eine Nacht und nichts weiter. Wir haben uns einfach ziemlich gut verstanden, aber das war's auch schon."

Ich hatte immer gewusst, dass Obanai und Mitsuri sich gut verstehen, aber diese Geschichte war irgendwie... eine Überraschung. „Okay, das ist jetzt echt ein bisschen viel für mich", sagte ich, immer noch rot im Gesicht.

„Ja, ich verstehe dich. Ich hätte mir das auch nie vorstellen können, als es passierte", sagte er und zuckte mit den Schultern. „Aber was soll's. War eine verrückte Zeit."

Ich wusste nicht genau, wie ich reagieren sollte. Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass er mir so etwas erzählen würde. Aber irgendwie war es auch... ganz cool. Ich wollte mehr wissen, doch da fiel mir wieder ein, dass ich immer noch mit Genya hätte sprechen sollen.

„Könnte ich jetzt mein Handy zurückhaben?", fragte ich, immer noch ein wenig peinlich berührt.

Obanai sah mich mit einem Grinsen an. „Später, Muichiro. Später."

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