Kapitel 9
Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, hörte ich schon Sumires ohrenbetäubendes Schreien. Es klang, als würde sie ihre ganze winzige Lunge zum Einsatz bringen, um klarzumachen, dass sie unzufrieden war. Mitsuri lief hektisch im Wohnzimmer auf und ab und wiegte Sumire in ihren Armen, doch das Baby war untröstlich.
„Muichiro!" rief Mitsuri mit einem verzweifelten Blick, als sie mich sah. „Ich glaube, sie will zu dir!"
„Wirklich?" fragte ich skeptisch, während ich meine Schuhe auszog. „Oder hasst sie einfach jeden außer mir?"
„Ist mir egal, Hauptsache, sie schreit nicht mehr!" Mitsuri eilte auf mich zu und drückte mir das winzige, wütende Bündel Mensch in die Arme.
Sobald ich Sumire hielt, verstummte sie wie auf Knopfdruck. Ihre kleinen Hände packten sich in mein Hemd, und sie schaute mich mit ihren großen, glitzernden Augen an, als wäre ich ihre persönliche Rettung.
„Na super", murmelte Obanai, der gerade aus der Küche kam. „Wie hast du das geschafft, Muichiro? Ich habe gestern eine Stunde gebraucht, um sie zu beruhigen, und sie hat mich trotzdem angepinkelt."
„Vielleicht weiß sie einfach, dass ich cooler bin als du", gab ich trocken zurück und setzte mich mit Sumire auf das Sofa.
„Cooler? Du bist nur eine wandelnde Haarbürste", konterte Obanai, aber ich konnte sehen, dass er sich insgeheim über Sumires Vorliebe ärgerte.
Sumire quietschte vor Freude und drückte sich noch näher an mich. Ich legte eine Hand auf ihren winzigen Rücken und sah zu, wie Mitsuri sich erschöpft neben mich fallen ließ.
„Ich schwöre, Muichiro, du bist ein Lebensretter", sagte sie und schloss für einen Moment die Augen.
„Das höre ich gern."
„Aber ehrlich", fuhr Mitsuri fort, „sie scheint Obanai wirklich nicht zu mögen. Jedes Mal, wenn er sie hält, fängt sie an zu schreien, als würde jemand versuchen, sie zu fressen."
„Vielleicht spürt sie seine dunkle Aura", schlug ich vor und grinste zu Obanai hinüber.
„Was für eine dunkle Aura?" fauchte er zurück. „Ich bin ihr Vater, verdammt noch mal!"
„Vielleicht fühlt sie sich deshalb bedroht."
„Muichiro!" Mitsuri lachte und schlug mir leicht auf den Arm.
Obanai verschränkte die Arme und lehnte sich an die Wand. „Weißt du was? Halt du sie, wenn sie dich so liebt. Aber wehe, sie pinkelt auf dich. Dann wirst du nicht cooler sein, sondern nur noch eklig."
„Kein Problem", erwiderte ich und hob Sumire etwas an. „Nicht wahr, Kleine? Wir verstehen uns doch prächtig, oder?"
Sumire antwortete mit einem glucksenden Lachen und zog an meinen Haaren.
„Siehst du?" Ich grinste triumphierend.
Obanai verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich schwöre, dieses Kind hat einen seltsamen Geschmack."
„Sag das noch einmal, und sie wird es nächstes Mal noch lauter schreien, wenn du sie hältst", neckte ich ihn.
„Muichiro, ärgere Obanai nicht so", schaltete sich Mitsuri ein, doch ich konnte sehen, dass sie versuchte, ihr Lachen zu unterdrücken.
„Schon gut", sagte ich mit einem Schulterzucken. „Ich bin schließlich der Babyflüsterer."
„Der Babyflüsterer", wiederholte Obanai und zog eine Augenbraue hoch. „Ich geb dir eine Woche, bevor du das Gegenteil beweist."
„Deal", sagte ich. „Aber bis dahin bin ich der Favorit, und du kannst dich mit deiner dunklen Aura abfinden."
„Wir werden sehen."
Während Sumire glücklich in meinen Armen schlummerte, konnte ich nicht anders, als mich über meinen kleinen Triumph zu freuen. Auch wenn ich wusste, dass die nächste Herausforderung nicht lange auf sich warten lassen würde.
Am Abend, als das Zimmer in ein warmes, gedämpftes Licht gehüllt war, entschied ich mich, Genya anzurufen. Es war schon eine Weile her, dass wir uns gesehen oder gesprochen hatten. Seitdem er nach Amerika gegangen war, hatte sich unser Leben auf zwei Kontinenten ausgebreitet, aber wir hielten Kontakt – auch wenn der Abstand manchmal schwer zu ertragen war. Ich wählte seine Nummer und wartete, während der Anruf klingelte.
Nach wenigen Sekunden sprang der Bildschirm an, und Genya erschien in meinem Display. Sofort überkam mich ein wohliges Gefühl, als ich sein vertrautes Gesicht sah. „Muichiro!" rief er mit einem Lächeln, das meine Wangen erröten ließ. „Ich habe dich so vermisst."
„Ich dich auch", antwortete ich, obwohl meine Stimme etwas schwächer klang, als ich es mir gewünscht hätte. Ich versuchte, das Rot in meinem Gesicht zu unterdrücken, aber es war schwierig, wenn Genya mich so ansah.
„Was hast du heute so gemacht?", fragte Genya und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Es war klar, dass er sich in der neuen Umgebung schon ein wenig eingelebt hatte. „Ist alles in Ordnung bei dir?"
„Ja, alles gut", sagte ich und zwang mich, mich zu sammeln. „Ich... ähm... habe nur viel nachgedacht."
„Nachgedacht, hm?" Genya zog eine Augenbraue hoch und setzte einen fast schüchternen Blick auf, der mir das Herz schneller schlagen ließ. „Und über was genau, mein Herz?"
Ein Kribbeln lief mir über den Rücken. Diese Stimme... dieser Blick. Genya wusste genau, wie er mich aus der Reserve lockte.
„Über... uns", murmelte ich und sah dabei zur Seite, weil ich mich plötzlich von der Intensität seines Blicks überwältigt fühlte.
„Über uns?" Genya lächelte verschmitzt. „Du bist wirklich süß, wenn du errötest, weißt du das?"
Ich blickte wieder auf, um ihm zu antworten, aber mein Herz schlug in meiner Brust, als ich seine Augen sah. Er wusste es einfach, wie er mich zum Erröten brachte, jedes Mal.
„Du solltest mich nicht so ansehen", sagte ich halb lachend, halb genervt, obwohl es mir eigentlich gefiel.
„Warum nicht?" Genya lehnte sich noch weiter in den Bildschirm und sein Lächeln wurde verführerischer. „Du weißt doch, wie ich bin, Muichiro. Du bist alles, was ich will."
„Genya..." Ich versuchte, ernst zu klingen, aber es war schwer, wenn er mich so anstarrte. „Ich... ich kann nichts dagegen tun, wenn du mich so ansiehst."
„Was, wenn ich dir jetzt sage, dass ich dich vermisse?" fragte er plötzlich, und sein Tonfall hatte etwas Verführerisches an sich. „Dass ich mir manchmal wünsche, du wärst hier bei mir?"
„Dann würde ich am liebsten sofort zu dir kommen", antwortete ich, ohne nachzudenken. „Es ist schwer, dich so weit weg zu wissen."
„Ich weiß, mein Herz." Genya grinste und setzte sich etwas näher an die Kamera. „Aber weißt du was? Vielleicht mache ich es dir ein bisschen leichter..."
„Was meinst du?" fragte ich, meine Neugier und Besorgnis wuchsen gleichermaßen.
„Vielleicht..." Genya pausierte, als würde er es absichtlich spannend machen. „Vielleicht sende ich dir etwas, das dich immer an mich erinnert. Etwas, das du niemals vergessen kannst."
Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, als ich versuchte, herauszufinden, was er meinte. „Was hast du vor, Genya?" fragte ich, obwohl ich irgendwie ahnte, dass es nichts Gutes war.
„Wirst du es mir nicht einmal erlauben, dich zu überraschen?" Genya grinste schelmisch, und ich konnte das Funkeln in seinen Augen förmlich spüren. „Ich will einfach, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe, Muichiro."
„Du bist unmöglich", flüsterte ich und versuchte, mich nicht von der Intensität seiner Worte und Blicke überwältigen zu lassen. Doch es war schwer, als ich spürte, wie sehr ich ihn brauchte. „Aber ich liebe dich auch, Genya."
„Das freut mich zu hören", sagte er leise und legte seinen Kopf leicht zur Seite, als würde er noch etwas hinzufügen wollen. „Du bist alles für mich. Und egal wie weit wir entfernt sind, du wirst immer bei mir sein."
Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug, als er das sagte. Genya hatte eine Art, mich gleichzeitig zu beruhigen und in Aufregung zu versetzen, als ob er mich und gleichzeitig auch mein Verlangen nach ihm in den Bann zog.
„Ich vermisse dich", sagte ich leise, kaum hörbar.
„Ich auch, Muichiro. Aber du weißt, wir sind immer miteinander verbunden, egal was passiert." Genya schickte mir ein verführerisches Lächeln und seine Augen glitzerten, als er noch hinzufügte: „Du bist der Einzige, der für mich zählt."
„Ich hoffe, das weißt du auch", flüsterte ich, mein Herz überschlug sich beinahe vor Emotionen.
„Ich weiß es", antwortete er mit einer Spur von Wärme in seiner Stimme, und wir saßen einen Moment einfach nur da, während ich auf den Bildschirm starrte und versuchte, die Verbindung zu spüren, die wir auch über die Distanz hinweg hatten.
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