Kapitel 28

Ich setzte mich vor mein Handy und öffnete die Videocall-App. Während das Freizeichen erklang, betrachtete ich mich in der Frontkamera. Meine Haare lagen halbwegs okay, mein Gesicht war ausnahmsweise nicht total müde, und mein Pullover war nicht zerknittert – das musste reichen. Trotzdem fuhr ich mir nochmal durch die Haare und rückte mich ins richtige Licht. Ich wollte zwar nicht zugeben, dass ich mich für Genya hübsch machte, aber... na ja. Ein bisschen vielleicht.

Dann erschien Genyas Gesicht auf dem Bildschirm, und sofort fing er an zu grinsen. „Wow, Muichiro, du siehst heute wieder verdammt gut aus."

Ich wurde direkt rot. „Halt die Klappe", murmelte ich, während ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

„Nee, ehrlich jetzt", fuhr Genya fort und lehnte sich etwas näher an seine Kamera, sodass ich sein charmantes Lächeln ganz genau sehen konnte. „Jedes Mal, wenn ich dich sehe, wirst du noch hübscher. Hast du dich extra für mich so schön gemacht?"

Ich verdrehte die Augen und tat so, als würde ich genervt seufzen. „Natürlich nicht. Ich sitze doch einfach nur hier."

„Ach komm schon, du hast doch bestimmt extra deine Haare gerichtet, oder?", fragte er grinsend.

Ich schnaubte. „Und wenn schon? Darf man sich nicht mal für einen Call mit seinem Freund ordentlich machen?"

„Oh, also bin ich jetzt dein Freund?", fragte er gespielt überrascht. „Du hast es endlich zugegeben."

Ich merkte, wie meine Wangen noch heißer wurden. „Du weißt genau, dass ich das nicht so gemeint habe!"

„Schon gut, schon gut", sagte er lachend und zwinkerte mir zu. „Aber trotzdem – du bist echt der süßeste Typ, den ich kenne. Ich kann's gar nicht abwarten, dich wieder in echt zu sehen."

Ich spürte, wie mein Herz einen winzigen Hüpfer machte. Verdammt, warum war er immer so charmant? „Ja, ja", murmelte ich und versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. „Sag mal, wie laufen eigentlich deine Ferien?"

„Langweilig ohne dich", antwortete er sofort. „Aber genug von mir. Was gibt's Neues bei dir?"

Ich seufzte. „Obanai hat angefangen, mir Vorträge über die Pubertät zu halten."

Für eine Sekunde herrschte absolute Stille. Dann brach Genya in lautes Gelächter aus.

„Ey!", protestierte ich. „So lustig ist das jetzt auch nicht!"

Genya hielt sich den Bauch. „Oh doch, das ist es! Du tust mir ja echt leid. Stell mir das mal vor – Iguro-sensei, der kühle, unnahbare Lehrer, redet mit dir über die Pubertät! Das muss der Horror gewesen sein!"

Ich verdrehte die Augen. „Sag das nicht mir! Ich hätte fast aus dem Fenster springen müssen, um dem Vortrag zu entkommen!"

Genya wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Sei froh, dass es Iguro gemacht hat. Bei mir hat das mein großer Bruder übernommen."

Jetzt war ich neugierig. „Sanemi? Echt jetzt?"

„Ja, Mann", stöhnte Genya. „Und du kannst dir nicht vorstellen, wie unangenehm das war. Der hat sich vor mich gestellt wie ein verdammter Drill Sergeant und meinte so: ‚Hör zu, du kleiner Rotzlöffel, irgendwann wirst du dich für Leute interessieren und dann darfst du keinen Mist bauen, sonst gibt's aufs Maul!'"

Ich konnte mir das viel zu gut vorstellen und musste lachen. „Klingt nach Sanemi."

„Glaub mir, sein Vortrag war die reinste Folter", stöhnte Genya. „Der hat mir sogar eine Broschüre in die Hand gedrückt und gesagt: ‚Lies das und nerv mich nicht mit Fragen!'"

„Immerhin hat er sich Mühe gegeben", meinte ich grinsend.

„Ach, halt doch die Klappe", sagte Genya gespielt beleidigt. Dann sah er mich wieder mit diesem weichen Blick an. „Aber mal ehrlich, Muichiro... wenn du jemals Fragen hast, kannst du immer zu mir kommen, okay?"

Ich wurde wieder rot. „Ich glaub, ich überlebe das auch ohne deine Hilfe."

„Ja, ja", sagte er schmunzelnd. „Aber falls du mal was über Beziehungen wissen willst... ich kann dir gerne Nachhilfe geben."

Ich griff nach einem Kissen und drückte es mir gegen das Gesicht. „Genya! Hör auf, mich so zu ärgern!"

Er lachte. „Ich ärgere dich doch nicht. Ich flirte nur ein bisschen mit dir."

„Das macht's nicht besser!", rief ich, während ich das Kissen anstarrte.

„Doch, das macht es sogar viel besser", erwiderte er selbstbewusst. „Gib's doch zu – du magst es, wenn ich so mit dir rede."

Ich sagte nichts.

„Muichiro?", fragte Genya mit einem Grinsen.

„Ich hasse dich", murmelte ich schließlich.

„Ich liebe dich auch", sagte er, bevor er mir noch ein Luftküsschen zuwarf.

Ich saß da, das Handy immer noch in der Hand, und starrte auf den Bildschirm, als Genya mit einem verschmitzten Grinsen wieder in den Fokus trat.

„Na, Muichiro", begann er, seine Stimme hatte einen leichten, neckischen Unterton, „jetzt erzähl mal: Was genau hat Obanai dir über die Pubertät erzählt?"

Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. „Ähm... Nichts wirklich Wichtiges", stammelte ich, während ich versuchte, die Situation zu entschärfen. „Er hat nur... so Zeug erzählt. Du weißt schon."

„Komm schon", lachte Genya, „du kannst mir ruhig alles erzählen. Ich will doch nur wissen, wie du dich dabei gefühlt hast. Musstest du dich etwa so richtig fremdschämen?"

„Nicht wirklich", murmelte ich, „aber er hat auf jeden Fall lange geredet."

Genya lachte und lehnte sich weiter nach vorne. „Ach, du bist echt ein ganz besonderer Typ, Muichiro. Aber es gibt schlimmere Sachen, als mit einem Lehrer über die Pubertät zu reden, oder?"

Ich war gespannt, was er meinte. „Wie schlimmer? Was hast du schon gehört?"

Genya grinste noch breiter. „Na ja, bei mir war es mein großer Bruder, Sanemi. Der hat mir immer wieder so Magazine in die Hand gedrückt. Und ich musste die dann durchblättern."

Ich starrte ihn entgeistert an. „Was? W-welche Magazine?"

„Junge, du willst das gar nicht wissen", sagte Genya und sah sich um, als wollte er sicherstellen, dass niemand mithörte. „Aber es waren definitiv keine Magazine, die für meine Augen gedacht waren. Die waren alles andere als jugendfrei. Ich hatte keinen Bock, die zu lesen, aber Sanemi meinte, das würde mir helfen, mich vorzubereiten."

Ich wurde sofort rot, meine Hände zitterten leicht. „Und... was genau stand da drin? Was hast du da gelesen?"

„Ach, du kannst dir sicher denken, was da so stand", antwortete Genya und grinste schief. „Aber weißt du, was das Schlimmste war? Sanemi hat mir immer wieder gesagt, dass ich ‚ganz genau aufpassen sollte, was die Frauen wollen'. Und dann kam er immer mit diesen Geschichten, dass das alles wichtig für das wahre Leben sei."

Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, wie unangenehm das für ihn gewesen sein musste. Aber das Letzte, was ich hören wollte, war, dass solche Dinge bei mir irgendwann auch passieren würden.

„Und was hast du gemacht?", fragte ich, obwohl ich schon wusste, dass die Antwort wahrscheinlich nicht angenehm wäre.

„Ich musste das alles lesen", seufzte Genya. „Glaub mir, es war kein Spaß. Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden."

Ich nickte wortlos, weil ich keinen Kommentar dazu abgeben konnte. Die Vorstellung, dass jemand – besonders ein Familienmitglied – mir solche Sachen aufzwingen würde, ließ mich unwohl fühlen. „Und, äh... hast du das alles verstanden?"

„Was? Das Zeug aus den Magazinen?", fragte Genya und lachte. „Natürlich nicht! Ich war noch viel zu jung dafür. Aber Sanemi hat immer wieder darauf gedrängt, dass ich diese Sachen in mein Gehirn brennen sollte."

„Du bist echt ein armes Schwein", murmelte ich, obwohl es mir beinahe leid tat, wie er behandelt wurde.

Genya grinste wieder und schüttelte den Kopf. „Ach, du kennst Sanemi doch. Der weiß, wie er seinen Kopf durchsetzt. Aber du, Muichiro – wenn du jemals echte Nachhilfe brauchst...", er setzte eine Pause und sah mich dann mit einem schelmischen Blick an, „kannst du immer zu mir kommen."

Ich erstarrte. „W-was?!"

„Ja, genau", sagte Genya, als wäre es das Normalste der Welt. „Wenn du mal wirklich nicht weiterkommst, dann kann ich dir helfen. Ich meine, du wirst das alles früher oder später lernen müssen, oder?"

Ich war so rot wie eine Tomate und starrte ungläubig auf den Bildschirm. „Ich... äh... Ich glaube, ich komme ganz gut klar."

„Komm schon", grinste Genya. „Du kannst mir wirklich vertrauen. Ich bin sehr geduldig, wenn es darum geht, Leuten zu helfen."

Ich konnte nicht mehr viel sagen, denn ich fühlte mich plötzlich so peinlich berührt, dass ich kaum atmen konnte. „Ich... äh... Ich schätze, danke", stammelte ich, während ich versuchte, das Gespräch zu beenden, ohne dass es noch schlimmer wurde.

„Kein Problem", sagte Genya mit einem Augenzwinkern. „Ich weiß, du bist ein bisschen schüchtern, aber du wirst schon noch bereit sein für all das. Und wenn du irgendwann Fragen hast... Ich bin für dich da."

Bevor ich noch weiter in diesem Thema ertrinken konnte, drückte ich schnell auf den roten Button, um den Videoanruf zu beenden. Ich atmete tief durch und ließ das Handy auf mein Bett sinken. Was zum Teufel war das gerade?

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