Kapitel 24
Senjuro strahlte mich an, als wir uns vor dem Schultor trafen. Seine Umarmung war warm und fest, und ich merkte, wie sehr er sich freute, mich wiederzusehen. Ich erwiderte die Umarmung, spürte seinen vertrauten Duft und musste lächeln. Es fühlte sich gut an, wieder bei meinen Freunden zu sein.
„Muichiro!" rief Senjuro begeistert, als er sich schließlich löste. „Es ist so schön, dass du wieder da bist! Wie war Amerika? War Genya nett zu dir? Hat er dir die Stadt gezeigt?"
Ich nickte, etwas überwältigt von seinem Enthusiasmus. „Ja, es war toll. Aber ich bin froh, wieder hier zu sein. Und was ist bei dir passiert? Ich hab gehört, dein Bruder hat dich die ganze Zeit lernen lassen."
Senjuros Gesicht verzog sich leicht zu einem gequälten Lächeln. „Oh, das kannst du laut sagen. Kyojuro-nii hat mich behandelt, als wäre ich in einem Bootcamp! Jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen, Vokabeln pauken, Mathematikaufgaben lösen... Ich dachte, ich wäre im Gefängnis."
Ich lachte leise. „Das klingt wirklich schlimm. Aber du hast es überlebt."
„Kaum." Senjuro seufzte dramatisch und fuhr sich durch das Haar. „Ich schwöre, er ist ein Monster beim Lernen. Er sagt, es sei gut für meine Disziplin. Aber ich glaube, er wollte einfach nur, dass ich keinen Spaß in den Ferien habe."
„Das klingt wie Rengoku-sensei", meinte ich trocken. „Er war doch immer schon... extrem."
Senjuro lachte, und ich konnte nicht anders, als mitzulachen. Er sah mich an, und für einen Moment schien sein Lächeln etwas weicher zu werden. Es war, als wollte er noch etwas sagen, doch dann schüttelte er leicht den Kopf und grinste wieder.
„Komm, wir müssen rein, bevor wir Ärger kriegen. Du weißt doch, wie Iguro-sensei drauf ist."
Ich nickte. „Ja, und darauf hab ich echt keine Lust."
Auf dem Weg zur Klasse fiel mir auf, dass Senjuro ungewöhnlich nah bei mir blieb. Unsere Arme streiften sich ab und zu, und er schien jedes Mal leicht zu erröten. Ich dachte mir nichts dabei – Senjuro war eben Senjuro, immer freundlich und ein wenig tollpatschig.
In der Klasse setzten wir uns wie immer nebeneinander. Während des Unterrichts warf Senjuro mir hin und wieder Blicke zu, die ich nicht ganz deuten konnte. Es war, als wollte er etwas sagen, sich aber nicht traute. Schließlich flüsterte er leise: „Ich bin froh, dass du wieder da bist."
Ich lächelte ihn an. „Ich auch. Es war nicht dasselbe ohne dich."
Senjuro wurde rot und schaute schnell wieder auf sein Heft. Ich bemerkte, dass seine Hand leicht zitterte, als er schrieb. Etwas an seinem Verhalten war anders als sonst, aber ich wollte ihn nicht darauf ansprechen. Vielleicht brauchte er einfach noch ein bisschen Zeit, um sich wieder an den Alltag zu gewöhnen.
Iguro-sensei war an diesem Morgen besonders schlecht gelaunt. Kaum hatte der Unterricht begonnen, knallte er seinen Stock auf den Tisch und blickte uns mit zusammengekniffenen Augen an. Sein strenger Blick ließ die gesamte Klasse verstummen.
„Alright, class!" begann er mit übertriebener Betonung. „Let's see how much you've forgotten over the holidays."
Ich seufzte leise. Das würde kein angenehmer Unterricht werden.
„Tokito!" rief er plötzlich, und ich zuckte zusammen. „Read the first sentence aloud!"
Ich stand auf, hielt mein Buch hoch und begann zu lesen. „The weather in New York was–"
Plötzlich spürte ich den scharfen Schlag seines Stocks gegen meinen Arm. „Wrong!" rief er streng. „That's not how you pronounce 'weather'! Repeat it correctly!"
Ich biss die Zähne zusammen und versuchte es noch einmal. „The weather in New York–"
Zack! Der Stock traf erneut meinen Arm.
„Stop!" brüllte Iguro-sensei. „Are you mocking me, Tokito? You sound like an American! This is British English, not some lazy Yankee slang! Do it again!"
Ich knirschte mit den Zähnen, unterdrückte den Impuls, etwas zu erwidern, und versuchte es erneut. Doch jedes Mal, wenn ich sprach, fand Iguro-sensei einen neuen Grund, mich mit seinem Stock zu schlagen.
Senjuro, der neben mir saß, wurde immer nervöser. Schließlich hob er vorsichtig die Hand. „Ähm, Iguro-sensei? Vielleicht könnten Sie Muichiro eine kurze Pause gönnen? Er hat ja gerade erst Englisch in Amerika gesprochen, das ist sicher ungewohnt für ihn–"
Iguro-sensei warf Senjuro einen eisigen Blick zu. „Are you questioning my methods, Rengoku?"
Senjuro schüttelte hastig den Kopf. „Nein, Sensei. Entschuldigung."
Ich setzte mich wieder hin, mein Arm schmerzte vom wiederholten Stockhieb. „Senjuro, lass es einfach", murmelte ich, während ich mein Buch zuklappte.
„Tokito!" rief Iguro-sensei erneut. „Did I say you could sit down? Stand up and recite the next sentence!"
Ich schnaubte leise und stand widerwillig auf. „The people in New York were very friendly," sagte ich, diesmal mit übertrieben britischem Akzent.
Iguro-sensei starrte mich einen Moment lang an, als würde er überlegen, ob er mich wieder schlagen sollte. Schließlich nickte er knapp. „Better. But you still sound ridiculous. Sit down, and work on that accent!"
Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und warf Senjuro einen gequälten Blick zu. „Das war die Hölle."
Senjuro beugte sich leicht zu mir. „Ich wette, er hat einfach schlechte Laune, weil er keine Ferien hatte."
Ich musste trotz allem grinsen. „Vielleicht sollte ihm jemand einen Urlaub in Amerika spendieren."
Senjuro kicherte leise, aber wir verstummten sofort wieder, als Iguro-sensei sich zu uns umdrehte.
„Rengoku, Tokito! Stop whispering!" rief er, und wir nickten schnell, um keinen weiteren Ärger zu riskieren.
Der Rest des Unterrichts zog sich wie Kaugummi, aber als die Glocke endlich klingelte, atmete ich erleichtert auf.
„Endlich frei", murmelte ich und sammelte meine Sachen zusammen. Senjuro klopfte mir auf die Schulter.
„Lass uns einfach schnell verschwinden, bevor er uns noch einen Aufsatz aufbrummt."
Ich nickte. „Gute Idee."
Wir eilten aus dem Klassenzimmer und ließen Iguro-sensei und seinen Stock hinter uns zurück.
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