Kapitel 20
Der Abend zog sich langsam hin, während ich meinen Koffer packte. Mein Zimmer war voller Kleidung, Büchern und anderen Sachen, die ich mitnehmen sollte. Die 2-wöchigen Ferien würden endlich meine Gelegenheit sein, Genya wiederzusehen, und die Aufregung in mir machte das Packen zu einer Herausforderung. Es war schwer, sich zu konzentrieren, wenn mein Herz vor Vorfreude schneller schlug.
Mitsuri war an meiner Seite und half mir beim Packen. Sie warf Sachen in den Koffer, als ob ich einen ganzen Monat verreisen würde. „Du musst auf alles vorbereitet sein", sagte sie und legte mir eine dicke Jacke in den Koffer, obwohl das Wetter in Amerika warm war. „Was, wenn du im Flugzeug frierst? Oder falls es plötzlich regnet?" Sie schob sogar einen Regenschirm hinein und grinste mich an. „Du kannst nie zu viele Sachen haben!"
Ich seufzte und versuchte, alles wieder herauszunehmen, was sie hineingelegt hatte. „Mitsuri, ich brauche keine Regenjacke, das ist doch nur für zwei Wochen! Und warum hast du mir drei Paar Stiefel eingepackt?"
„Na, du weißt nie, wann du sie brauchen könntest!", antwortete sie mit einem breiten Lächeln. „Es ist besser, du hast zu viel dabei als zu wenig."
„Armer Junge", hörte ich Obanai hinter mir murmeln, als er ins Zimmer trat. „Du hast nie gelernt, richtig zu packen. Sie wird dir am Ende alles einpacken, und du wirst den ganzen Koffer nie wieder zu bekommen."
„Das ist nicht wahr!", protestierte Mitsuri, als sie aufstand und mir eine von ihren üblichen Aufmunterungen schenkte. „Ich will nur sicherstellen, dass er alles hat, was er braucht!"
„Eben", stimmte Obanai widerwillig zu. Er lehnte sich an die Tür und verschränkte die Arme. „Du bist der perfekte Fall für das Sprichwort 'Zu viel des Guten'. Aber gut, wenn du schon mal da bist, Mitsuri... pack doch noch ein weiteres Paar Schuhe ein."
„Obanai!", sagte ich ungläubig, als ich den Koffer wieder öffnete. „Du willst nicht ernsthaft..."
„Natürlich nicht", grinste er und schüttelte den Kopf. „Ich wollte nur sehen, wie du reagierst."
Mitsuri kicherte und begann, einige der Sachen wieder in den Koffer zu stopfen, die ich schon wieder herausgenommen hatte. Ich stöhnte, als ich versuchte, den Koffer zu schließen, aber er war einfach viel zu voll. „Ich werde nie diesen Koffer zumachen", sagte ich schließlich und setzte mich erschöpft auf das Bett.
„Weißt du, was du wirklich brauchst?", sagte Obanai und sah mich mit einem nachdenklichen Blick an. „Ein bisschen mehr Disziplin."
„Glaub mir, Obanai, du willst mir nicht sagen, wie ich packen soll", entgegnete ich und versuchte, den Koffer noch einmal zu schließen. „Sonst wird das noch ein ewiges Abenteuer."
Mitsuri lachte und trat zurück, um das Chaos zu betrachten. „Wir sollten einen Rucksack statt eines Koffers nehmen! Vielleicht bekommst du dann mehr Platz für all die Sachen, die du wirklich brauchst!"
„Ich brauch' doch keinen Rucksack!", protestierte ich. „Es ist nur ein kurzer Aufenthalt!"
„Aber, Muichiro", sagte sie mit einem neckischen Grinsen. „Du bist nicht gerade berühmt dafür, mit wenig auszukommen. Also, was soll's! Wenn du meinst, dass du es brauchst, packe noch ein weiteres Paar Schuhe ein."
Obanai stöhnte auf und sah mich mit einem ungläubigen Blick an. „Wenigstens übertreibe ich nicht mit den Schuhen."
Ich schüttelte den Kopf und lachte schließlich. „Ehrlich, ich weiß nicht, wie ich den Koffer noch zuschließen soll."
„Das ist das Leben mit dir, Muichiro", sagte Obanai grinsend. „Ein riesiges Durcheinander."
Ich gab es schließlich auf und ließ Mitsuri den Koffer nach ihren Vorstellungen fertig packen. Sie packte weiter, als ob sie eine Expedition plante. Ich wollte es nicht weiter kommentieren, da sie mir wirklich helfen wollte, aber in meinem Kopf spielte ich schon mit dem Gedanken, was ich wohl in den kommenden zwei Wochen erleben würde, wenn ich endlich zu Genya konnte.
Als der Koffer schließlich geschlossen war, stand ich auf und strich über den Stoff. Es fühlte sich immer noch irgendwie chaotisch an, aber es war erledigt. Mitsuri drehte sich um und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Mach dir keine Sorgen, Muichiro. Es wird wundervoll werden. Du wirst Genya sehen, und alles andere wird sich regeln."
„Danke, Mitsuri", sagte ich leise und legte meine Hand auf ihre. „Danke, Obanai, für alles."
Obanai nickte nur und sah mich mit einem ernsthaften Blick an. „Vergiss nicht, warum du wirklich nach Amerika gehst, Muichiro. Genya braucht dich. Und du hast dir das verdient."
Ich nickte und sah auf den Koffer, der so unordentlich und überladen war, dass ich wirklich keine Ahnung hatte, wie ich ihn sicher transportieren sollte. Aber egal. Es war nicht wichtig. Was zählte, war, dass ich bald wieder bei Genya sein würde.
Am nächsten Tag war es endlich so weit. Der Tag, auf den ich so lange gewartet hatte, war gekommen. Mitsuri und Obanai begleiteten mich zum Flughafen, und ich hatte das Gefühl, als ob die Welt sich langsamer drehte. Mein Herz raste vor Aufregung und Nervosität. Ich war endlich auf dem Weg, Genya nach so langer Zeit wiederzusehen.
Mitsuri sprang vor mir her, voller Energie und mit einem strahlenden Lächeln auf ihrem Gesicht. Aber als sie mich dann in eine Umarmung zog, drückte sie mich so fest, dass ich fast nicht mehr atmen konnte. „Ich werde dich so vermissen, Muichiro! Du darfst uns nicht vergessen!" Ihre Stimme war fast schon ein wenig übertrieben, aber ich konnte die Sorge in ihren Augen sehen. „Was, wenn du nie wieder kommst? Was, wenn du dich verirrst? Was, wenn..."
„Mitsuri, beruhige dich", sagte ich mit einem Lächeln, obwohl ich ein bisschen von ihrer Aufregung überwältigt war. „Ich komme wieder. Ich will doch noch nicht für immer weg sein."
„Ja, natürlich, aber es fühlt sich an, als würdest du uns für immer verlassen!", seufzte sie und ließ mich dann endlich los, aber nicht ohne mir noch einmal ein großes, fast schon zu festes Drücken zu verpassen. Sie packte dann meinen Koffer und drückte mir noch ein paar Snacks und kleine Geschenke in die Hand, als ob ich in den Urlaub fahre, nicht in die USA.
Obanai stand hinter uns und beobachtete das Ganze mit einer Mischung aus Amüsement und Geduld. Er reichte mir eine Tasche voller Englischbücher, als ob das das Wichtigste auf der ganzen Welt wäre. „Vergiss nicht, du musst während dem Flug lernen", sagte er mit einem ernsten Blick. „Du kannst nicht einfach deine Zeit verschwenden, Muichiro. Du hast noch viel nachzuholen, und du wirst dein Englisch noch brauchen, um dich zurechtzufinden."
Ich nahm die Bücher und nickte einfach, obwohl ich innerlich schnaubte. Ich hatte nicht vor, mich von den dicken, langweiligen Texten unterhalten zu lassen. Aber wenn Obanai mir schon so etwas aufzwingt, dann musste ich es wohl akzeptieren. „Ich werde lernen, keine Sorge", sagte ich ihm, um ihn zu beruhigen.
Doch dann kam der Teil, der mich wirklich aus der Bahn warf. Obanai drückte mir plötzlich eine Handvoll Tabletten in die Hand und sah mich dabei mit seinem typischen ernsten Blick an. „Die sind für deine aplastische Anämie. Du musst sie regelmäßig nehmen, auch während des Flugs. Wenn du dich schlecht fühlst, nimm sie sofort." Seine Worte klangen wie ein Befehl, aber ich wusste, dass er sich wirklich um mich sorgte.
„Ich weiß, Obanai. Ich werde an alles denken", versicherte ich ihm, als ich die Tabletten in meine Tasche legte. Die Vorstellung, den Flug mit den Pillen in meinem Magen zu verbringen, machte mich nicht wirklich glücklich, aber ich wusste, dass es notwendig war. Ich konnte es mir nicht leisten, wieder schwach zu werden.
„Vergiss nicht, was du gelernt hast, und pass auf dich auf", sagte Obanai mit einem letzten Blick, der sowohl besorgt als auch streng war. „Und lass Genya wissen, dass er sich nicht zu sehr freuen soll, dich zu sehen. Ihr zwei seid viel zu emotional."
Mitsuri lachte leise. „Aber Genya freut sich doch so sehr, Muichiro! Und du hast doch nichts gegen ein bisschen Emotion, oder?"
Ich nickte und versuchte, das Lächeln nicht zu verlieren. „Ich werde ihm alles sagen. Und ich freue mich auch sehr, ihn zu sehen."
Der Moment, in dem ich durch die Sicherheitskontrolle ging, fühlte sich surreal an. Es war schwer zu begreifen, dass ich tatsächlich auf dem Weg nach Amerika war. Die Aufregung stieg wieder in mir auf, und während ich durch den Terminal ging, konnte ich es kaum erwarten, wieder bei Genya zu sein.
Mitsuri und Obanai standen noch am Gate, winkten mir zu und riefen mir hinterher. „Viel Spaß, Muichiro! Wir sehen uns bald!"
Ich winkte zurück und setzte meinen Weg fort. Die Gedanken an Genya und die kommende Zeit, die ich mit ihm verbringen würde, ließen mein Herz schneller schlagen. Ich konnte es kaum abwarten, ihn wieder zu sehen, ihn in die Arme zu schließen und all die Zeit, die wir verloren hatten, nachzuholen.
Im Flugzeug war es ruhig, bis auf das leise Rauschen der Triebwerke. Ich hatte meinen Platz am Fenster bekommen, was ich ganz angenehm fand, auch wenn die Aussicht nicht besonders spannend war. Die Wolken waren weich und weiß, und irgendwo unter mir musste sich der Ozean ausbreiten. Ich hatte mir meine Englischbücher und Notizen hingelegt, um die Zeit sinnvoll zu nutzen, wie Obanai es mir aufgetragen hatte.
Neben mir saß ein Junge, der ungefähr in Genyas Alter sein musste. Er wirkte wie der typische, ahnungslose Teenager, der nie die Bedeutung von harter Arbeit verstanden hatte. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starrte gelangweilt auf das In-Flight-Programm. Ich versuchte, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren und blätterte durch die Grammatikübungen, doch plötzlich hörte ich ihn lachen.
„Was machst du da?", fragte er mit einem höhnischen Grinsen, während er mich von der Seite musterte. „Lernst du wirklich während des Flugs? Bist du nicht ein bisschen zu alt für solche Schulaufgaben?"
Ich blinzelte, ohne ihm sofort zu antworten, aber sein Lachen und die schiefen Blicke störten mich mehr, als ich zugeben wollte. Normalerweise hätte ich ihm einfach meine Ruhe gegönnt, doch es war etwas an seiner spöttischen Haltung, das mich ungeduldig machte.
„Ja, ich lerne", sagte ich schließlich ruhig und ohne ihn anzusehen, während ich die nächste Übung durchging. „Es gibt Leute, die ihre Zeit nützen und nicht einfach verschwendet haben. Im Gegensatz zu dir."
Er stieß ein lautes Lachen aus. „Puh, was für ein Streber. Weißt du, du wirst trotzdem nicht viel aus diesen Aufgaben rausholen. Das Leben ist mehr als Grammatik, Kumpel. Du solltest entspannen. Glaub mir, die Schule wird dich irgendwann einholen."
„Ich verstehe schon, was du meinst", sagte ich, während ich versuchte, mich nicht von seiner belustigten Haltung beeinflussen zu lassen. „Aber das ist nicht mein Ziel. Ich hab' Ziele, die ich erreichen muss, also hör auf, dich über mich lustig zu machen."
Er machte eine zischelnde Bewegung mit seiner Hand, als ob er das Gespräch beenden wollte. „Ja, ja, Ziele, Ziele. Jeder hat Ziele. Aber du solltest dich nicht so sehr stressen. Irgendwann wird das alles nicht mehr wichtig sein, du wirst sehen."
Ich konnte seine Arroganz förmlich in der Luft spüren. Ein paar Sekunden lang ließ ich mich von seiner Worte nicht stören, doch dann konnte ich es nicht länger ertragen. Ich schloss das Buch, legte es zur Seite und sah ihm direkt in die Augen.
„Du redest viel, aber du weißt nicht, worüber du sprichst. Manche Menschen haben wirklich etwas zu tun, also sei einfach ruhig, okay?"
Er schnaubte, als hätte er sich nicht von einem kleinen Teenager so ansprechen lassen wollen. Aber anstatt sich weiter zu streiten, drehte er sich auf seinem Sitz weg und verschränkte die Arme. Vielleicht dachte er, er hätte gewonnen, aber ich wusste, dass er mich weder verstand noch je verstehen würde.
Wieder griff ich nach meinem Englischbuch, legte es in den Schoß und versuchte, mich zu konzentrieren. Aber meine Gedanken drifteten immer wieder zu Genya. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen. Die letzten Monate ohne ihn waren schrecklich gewesen. Er war mein Halt, und auch wenn dieser Typ neben mir mich jetzt noch nervte, wusste ich, dass ich bald bei meinem Freund sein würde. Und das machte all das hier erträglicher.
Der Rest des Fluges zog sich dahin, und die Stunden vergingen. Der Junge neben mir schien vergessen zu haben, dass er sich über mich lustig gemacht hatte, und konzentrierte sich wieder auf das In-Flight-Programm. Ich ging zurück zu meinen Aufgaben, als das Flugzeug endlich begann, sich dem Ziel zu nähern.
Als wir uns dem Zielort näherten, nahm die Spannung zu. Ich wusste, dass der Moment kurz bevorstand, in dem ich wieder in Genyas Arme sinken würde. Es gab so viel, was wir uns sagen mussten, so viel, was wir nachholen wollten.
Ich packte meine Sachen zusammen, drückte die restlichen Notizen in meine Tasche und blickte noch einmal aus dem Fenster. Bald würde ich den Boden unter meinen Füßen wieder fühlen, aber noch mehr freute ich mich darauf, Genya wiederzusehen.
„Es wird Zeit", murmelte ich leise, fast zu mir selbst, während ich das Flugzeug beobachtete, das sich dem Flughafen näherte.
Als ich endlich durch die Sicherheitskontrolle und das Gedränge der Ankunftshalle gekommen war, zückte ich mein Handy. Genya hatte mir geschrieben: „Bin unten beim Empfang. Beeil dich, Muichiro." Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Ich hatte ihn so sehr vermisst. Ohne zu zögern folgte ich den Schildern Richtung Empfang, mein Koffer rumpelte über die Fliesen hinter mir her.
Und dann sah ich ihn. Genya stand da, mit verschränkten Armen, die Augen suchten die Menge ab – bis sie auf mich fielen. Er hob die Hand, und ich ließ meinen Koffer los, rannte auf ihn zu und sprang ihm wortwörtlich in die Arme.
„Genya!" rief ich, meine Stimme brach vor Emotion. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und klammerte mich an ihn, während mir Tränen die Wangen hinunterliefen. „Ich hab dich so vermisst..."
Er hielt mich fest, seine Arme sicher um mich gelegt. „Ich dich auch, Muichiro," flüsterte er leise in mein Ohr. „Ich hab die Tage gezählt."
Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ ich ihn los, und er grinste mich an. „Hast du deine ganzen Sachen mitgebracht, oder hast du die Hälfte vergessen?" Er deutete auf meinen Koffer, den ich auf dem Weg zu ihm zurückgelassen hatte.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und lachte. „Natürlich habe ich alles dabei. Aber ich musste mich beeilen, weil ich dich endlich sehen wollte."
Genya schüttelte den Kopf, sein Lächeln warm und vertraut. „Komm, lass uns deinen Koffer holen und ein Taxi nehmen. Du musst sicher erschöpft sein."
Gemeinsam holten wir meinen Koffer, und Genya trug ihn ohne ein Wort der Beschwerde. Als wir draußen vor dem Flughafen ein Taxi riefen, konnte ich nicht anders, als ihn immer wieder anzusehen. Es war fast unwirklich, ihn nach all der Zeit wieder bei mir zu haben.
„Du wirst bei mir im Wohnheim bleiben", erklärte Genya, während wir ins Taxi stiegen. „Ich hab alles vorbereitet. Und mein Mitbewohner Alex ist schon total gespannt, dich endlich kennenzulernen."
Ich erinnerte mich an Alex, den ich bisher nur aus einem einzigen Telefonat kannte, als Genya mir sein Zimmer gezeigt hatte. Damals hatte Alex im Hintergrund gewunken und „Hallo" gesagt. „Er scheint nett zu sein", meinte ich und schnallte mich an.
Genya lachte. „Ja, ist er auch. Aber manchmal redet er zu viel. Er ist gespannt darauf, jemanden kennenzulernen, der mein Herz gewonnen hat."
Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden. „Genya, hör auf damit", murmelte ich, doch er grinste nur breiter.
Während der Fahrt sprach der Taxifahrer uns an: „First time in America?"
Ich nickte und bemühte mich um mein bestes Englisch. „Yes. I came to visit my boyfriend."
Der Fahrer warf uns einen Blick in den Rückspiegel zu. „That's sweet. Welcome. Hope you enjoy your stay."
Ich lächelte höflich zurück, während Genya mir zuflüsterte: „Dein Englisch wird besser. Aber Alex wird dich noch verbessern, glaub mir."
„Dann hoffe ich, dass er nett dabei bleibt", antwortete ich trocken, was Genya zum Lachen brachte.
Die Fahrt war nicht lang, und bald standen wir vor einem großen Studentenwohnheim. Genya half mir mit meinem Koffer, und wir machten uns auf den Weg in sein Zimmer. Die Gänge waren lebendig – Studenten gingen hin und her, lachten, redeten und trugen Bücher oder Kaffeetassen.
„Alex ist wahrscheinlich da", meinte Genya, als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Tatsächlich saß Alex auf einem der beiden Schreibtische, ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Er war groß, blond und wirkte auf den ersten Blick unglaublich freundlich.
„You must be Muichiro!" rief er, stand auf und streckte mir die Hand entgegen. „Nice to finally meet you. Genya never shuts up about you."
„Nice to meet you, too," antwortete ich auf Englisch und schüttelte seine Hand.
„Your accent is cute," sagte Alex mit einem Lachen, und ich war mir nicht sicher, ob ich mich freuen oder genervt sein sollte. Genya legte eine Hand auf meine Schulter.
„Be nice, Alex. Er ist besser als du in Mathe, also sei vorsichtig, was du sagst."
„Alright, alright," Alex hob die Hände, grinste aber immer noch. „Welcome to our humble abode."
Ich sah mich um. Das Zimmer war klein, aber gemütlich, mit zwei Betten, zwei Schreibtischen und Regalen voller Bücher. Es war nicht luxuriös, aber es fühlte sich irgendwie warm an – wahrscheinlich, weil Genya hier war.
„Thank you," sagte ich leise, setzte mich auf Genyas Bett und seufzte. Es fühlte sich an, als wäre ich endlich angekommen.
Ich blinzelte verschlafen und spürte etwas Warmes um meinen Körper. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass Genyas Arme mich umschlungen hielten. Sein Gesicht war ganz nah bei meinem, sein Atem sanft und ruhig. Mein Herz begann schneller zu schlagen, und ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
„Genya..." flüsterte ich leise, doch er regte sich nicht. Er schlief tief und friedlich, ein Ausdruck von Zufriedenheit auf seinem Gesicht. Ich wusste, dass ich ihn wecken würde, wenn ich mich bewegen würde, also blieb ich einfach still liegen, auch wenn mein Herz wie verrückt klopfte.
„Ich hätte dich wirklich nicht so sehr vermissen sollen," murmelte ich, ohne darüber nachzudenken. Plötzlich öffnete Genya ein Auge.
„Hast du gerade mit dir selbst geredet?" Seine Stimme war heiser vor Müdigkeit, aber ein neckendes Lächeln spielte um seine Lippen.
„Genya!" rief ich erschrocken und versuchte, mich aus seinem Griff zu winden. „Du bist wach?!"
Er zog mich noch enger an sich und gähnte. „War schwer, dich nicht zu hören. Du bist laut, weißt du das?" Sein Lächeln wurde breiter, und ich spürte, wie mein Gesicht noch heißer wurde.
„Das bin ich nicht! Lass mich los!" Ich boxte leicht gegen seine Brust, doch er lachte nur und hielt mich fest.
„Warum? Ist doch gemütlich." Genya schloss die Augen wieder und schmiegte sich an mich, als wäre das das Natürlichste der Welt.
„Ich... ich will aufstehen!" protestierte ich, doch mein Herz sagte etwas anderes. Es war seltsam, aber auch irgendwie beruhigend, in seinen Armen zu liegen.
„Du bist so niedlich, wenn du dich aufregst," murmelte Genya, was mich noch wütender machte – zumindest versuchte ich, mir das einzureden.
„Genya!" Ich versuchte erneut, mich zu befreien, aber seine Stärke war überwältigend. Schließlich gab ich auf und seufzte. „Fein, dann bleib ich eben liegen. Aber wenn Alex reinkommt, ist das deine Schuld!"
Genya öffnete ein Auge und grinste. „Alex schläft wie ein Stein. Und selbst wenn er uns sieht, wird er nur wieder einen seiner dummen Kommentare machen. Keine Sorge, Muichiro."
Ich war nicht überzeugt, aber ich blieb still. Irgendwie fühlte sich das alles doch zu schön an, um es zu ruinieren. Nach einer Weile entspannte ich mich in seinen Armen, und mein Atem wurde ruhiger.
„Ich hab dich so vermisst," flüsterte Genya plötzlich, seine Stimme ernst und weich. „Es fühlt sich fast unwirklich an, dass du jetzt hier bist."
Ich blickte zu ihm auf und sah, wie er mich mit diesen warmen, dunklen Augen ansah. „Ich auch," sagte ich leise. „Es war schrecklich, so weit weg von dir zu sein."
Er lächelte, zog mich noch ein Stück näher und küsste meine Stirn. „Aber jetzt bist du hier. Und ich lass dich nicht mehr gehen."
Ich wusste, dass wir nur zwei Wochen hatten, aber in diesem Moment fühlte sich alles perfekt an.
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