Kapitel 19

Am Freitagmorgen war die Atmosphäre in der Klasse düster. Jeder wusste, dass Iguro-sensei uns die Prüfungsarbeiten zurückgeben würde, und die Nervosität war in der Luft spürbar. Ich versuchte, mich nicht verrückt zu machen, doch meine Gedanken rasten. Ich hatte so hart für diese Prüfung gearbeitet, und trotzdem war ich mir sicher, dass es nicht genug gewesen war. Als die Tür zum Klassenzimmer aufging, trat Iguro-sensei ein – wie immer in seiner strengen Haltung, als wäre er ein wandelnder Schatten.

„Setzt euch", sagte er mit einer tiefen, gleichgültigen Stimme. „Ich werde euch eure Ergebnisse zurückgeben."

Ich konnte das rascheln der Papiere hören, als er sie auf seinen Schreibtisch legte. Ich beobachtete ihn genau, als er langsam die Prüfungsarbeiten verteilte. Als er endlich vor mir stand, reichte er mir mein Blatt ohne ein Wort und setzte sich dann an seinen Schreibtisch zurück. Ich blickte auf das Blatt und konnte mein Herzschlag bis in die Ohren hören. Doch als ich die Ergebnisse las, starrte ich einfach nur darauf.

„Was...?" Ich blinzelte ungläubig. Kein einziger hatte die Prüfung bestanden. Und ich war um einen verfickten halben Punkt durchgefallen. Ich war so nahe dran, den Flug nach Amerika zu bekommen, aber stattdessen war ich jetzt hier, auf dem Boden der Tatsachen.

„Du hast ein 'A-'", hörte ich plötzlich die Stimme von Nezuko hinter mir. „Das ist... das beste Ergebnis der Klasse, Muichiro."

Ich drehte mich um und starrte sie an. „Was... Was? Ich bin durchgefallen! Ein halber Punkt!"

Nezuko zuckte mit den Schultern. „Trotzdem, das ist das Beste. Wenn nicht mal du bestanden hast..." Sie ließ den Satz unvollständig.

Ich sah mich um. Senjuro, der neben mir saß, starrte ebenfalls auf seine Prüfung. „Ich hab versagt... Ich weiß nicht, wie es dazu kam", sagte er, seine Stimme traurig und enttäuscht.

„Wir alle haben versagt", meinte Nezuko ruhig, „außer dir, Muichiro. Du bist wirklich das Beste in der Klasse, auch wenn du nicht bestanden hast."

Ich biss die Zähne zusammen und sah auf das Blatt, immer noch geschockt. Keiner hatte bestanden. Nicht einer. Was war das für eine verdammte Prüfung, dass selbst ich – der angeblich das Beste aus der Klasse war – durchgefallen war?

„Das bedeutet, dass wir alle den gleichen Mist gebaut haben", murmelte ich, „und jetzt wird uns das Ergebnis alle einholen."

Iguro-sensei hatte die Klasse beobachtet, und es war klar, dass er das Ergebnis sehr wohl genossen hatte. „Keiner von euch hat bestanden", sagte er mit einem spöttischen Lächeln. „Das bedeutet, dass ich euch noch einmal quälen werde, bevor ihr es wirklich lernt."

Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Ich wusste, was das bedeutete. Ich hatte Iguro-sensei schon oft genug in Aktion gesehen, um zu wissen, dass es nicht nur um mehr Prüfungen ging. Es würde härter werden, und das wusste jeder, der seine Methoden kannte.

Ich seufzte und legte den Stift nieder, den ich die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Ich dachte an Genya. An das Ticket, das ich unbedingt wollte. Aber auch an die Realität, die mich einholte. Ich war nahe dran, aber eben nicht nah genug.

„Also, Muichiro", hörte ich Iguro-sensei plötzlich. „Du hast das beste Ergebnis erzielt. Aber du bist trotzdem gescheitert. Jetzt musst du noch härter arbeiten. Und das bedeutet, dass du mich von heute an begleiten wirst."

Ich fuhr herum und sah ihn an. „W-was?"

„Du hast die Prüfung fast bestanden, also werde ich dich trainieren, um die nächsten Prüfungen zu bestehen", sagte er mit einem kalten Lächeln, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Und du wirst noch mehr lernen, als du dir je vorgestellt hast. Also bereite dich darauf vor."

„Das ist doch..." Ich starrte ihn an, unfähig, die Worte zu finden. Ich wollte nicht mehr. Ich wollte nicht noch mehr leiden. Doch Iguro-sensei hatte mich in der Hand, und ich wusste, dass ich keine Wahl hatte. Wenn ich das wollte, wenn ich wirklich nach Amerika fliegen wollte, musste ich weiterkämpfen.

Nezuko sah mich mit einem Blick an, der so viel sagte. „Du schaffst das, Muichiro. Ich weiß, dass du stärker bist, als du denkst."

Ich nickte, auch wenn ich selbst nicht sicher war, wie stark ich noch war. Doch ich wusste eines: Ich würde nicht aufgeben. Nicht jetzt. Nicht nachdem ich so weit gekommen war.

„Also gut, Iguro-sensei", sagte ich schließlich, „wenn es das ist, was nötig ist, um weiterzukommen, dann werde ich tun, was du verlangst."

Und in diesem Moment wusste ich, dass dies nur der Anfang war.

Am Abend saß ich am Küchentisch, mein Kopf schwer auf meine Hände gestützt. Vor mir stand eine dampfende Schale Ramen, die Mitsuri liebevoll gekocht hatte, aber ich hatte keinen Appetit. Der Duft der Brühe, der sonst mein Lieblingsgeruch war, löste nur ein flaues Gefühl in meinem Magen aus. Die Gedanken an die Prüfung und das verpasste Flugticket quälten mich.

Mitsuri setzte sich mir gegenüber und betrachtete mich mit einem sanften, aber besorgten Blick. „Muichiro, iss doch etwas", sagte sie schließlich. „Du wirst krank, wenn du nichts isst."

Ich schüttelte stumm den Kopf. Worte fühlten sich schwer an, als ob sie irgendwo in meinem Hals stecken geblieben wären. Obanai, der mit verschränkten Armen in der Küche stand, beobachtete die Szene mit einem missbilligenden Blick. Er räusperte sich.

„Mitsuri, du weißt, dass er nicht fliegen kann", sagte er schließlich. „Er hat die Prüfung nicht bestanden."

Mitsuris Kopf schoss herum, und sie starrte ihn an, als hätte er gerade gesagt, dass der Mond grün sei. „Obanai Iguro!" begann sie mit einer Stimme, die so giftig war, dass ich mich instinktiv ein bisschen kleiner machte. „Er hat nur um einen halben Punkt nicht bestanden! Und das war die schwierigste Prüfung überhaupt! Muichiro ist immer noch der Beste in seiner Klasse!"

„Das ändert nichts daran, dass er nicht bestanden hat", entgegnete Obanai ruhig, doch ich konnte sehen, wie er sich unbehaglich unter Mitsuris bohrendem Blick wand.

„Er hat es verdient, nach Amerika zu fliegen und Genya zu sehen", beharrte Mitsuri, ihre Stimme lauter werdend. „Das Ticket ist bezahlt, und es gibt keinen Grund, ihn hier festzuhalten, nur weil du deine lächerlichen Prinzipien durchsetzen willst!"

„Es geht nicht um Prinzipien, Mitsuri", sagte Obanai, und ich konnte hören, wie er versuchte, die Kontrolle über die Situation zu behalten. „Es geht darum, dass Muichiro lernen muss, dass das Leben keine Abkürzungen erlaubt. Er wird nie wachsen, wenn wir ihm immer alles erlauben, nur weil er traurig aussieht."

Ich sah zwischen den beiden hin und her, meine Schultern schwer vor Anspannung. Schließlich konnte ich es nicht mehr ertragen. „Bitte hört auf zu streiten", murmelte ich leise, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Beide drehten sich zu mir um, ihre Gesichter voller Überraschung. Es dauerte einen Moment, bevor Mitsuri sanft meine Hand nahm. „Muichiro, Liebling, möchtest du wirklich fliegen? Ist dir das so wichtig?" Ihre Augen suchten nach einer Antwort in meinem Gesicht.

Ich nickte langsam, und meine Stimme zitterte ein wenig, als ich sagte: „Genya ist... ist mein Zuhause. Ich möchte ihn sehen. Ich habe es versprochen."

Obanai seufzte schwer und ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Du bist wirklich stur", murmelte er, während er mich anstarrte. „Vielleicht habe ich das sogar an dir bewundert, weißt du das?"

Mitsuri hob eine Augenbraue. „Ist das ein Ja?"

Er sah mich lange an, bevor er schließlich nickte. „Gut, Muichiro. Du kannst fliegen. Aber", fügte er hinzu, und seine Stimme wurde streng, „du nimmst deine Schulbücher mit und lernst jeden Tag. Wenn du zurückkommst, will ich, dass du mir beweist, dass du nicht aufgehört hast, zu arbeiten."

Mein Herz machte einen Sprung, und für einen Moment konnte ich nicht sprechen. Dann sprang ich auf und warf mich Obanai um den Hals. „Danke, danke, danke!" rief ich, und ich fühlte, wie sich seine Arme steif um mich legten.

„Lass los, du Kleiner", murmelte er, aber ich konnte den Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht sehen. Mitsuri klatschte begeistert in die Hände.

„Das wird so gut für dich sein, Muichiro!" sagte sie und umarmte mich ebenfalls. „Du wirst eine wundervolle Zeit haben!"

An diesem Abend aß ich endlich die Ramen, und obwohl mein Herz immer noch schwer war wegen der Prüfung, fühlte ich mich ein bisschen leichter.

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