Kapitel 14
*Du liest jetzt aus Obanais (Iguro-senseis) Perspektive*
Ich kam aus der Schule und machte mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Muichiro war normalerweise immer pünktlich, manchmal sogar zu früh, also war ich etwas irritiert, dass er noch nicht da war. Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer. Es klingelte, aber er ging nicht ran. Was sollte das? Ich rief nochmal an, diesmal etwas ungeduldiger, aber es war immer noch der gleiche Klang, der in der Stille widerhallte. Kein Muichiro.
Ich seufzte frustriert und steckte mein Handy wieder ein. Was zur Hölle? Wozu hatte er das Ding überhaupt, wenn er es nicht einmal benutzte? Normalerweise war er nie so unzuverlässig. Wenn er nicht ans Telefon ging, dann hieß das meistens, dass irgendwas nicht stimmte. Und ich hatte ein ungutes Gefühl.
Mit einem flauen Gefühl im Magen beschloss ich, ihn zu suchen. Es gab keine andere Möglichkeit. Ich ging die Straße entlang, suchte den Schulhof ab, den Parkplatz – überall, wo er hätte sein können. Es war verdächtig ruhig. In den wenigen Minuten, in denen ich ihn suchte, schien sich der ganze Tag plötzlich viel schwerer anzufühlen.
Ich ging weiter und schaute in jede Ecke, bis mein Blick auf etwas Unerwartetes fiel. Auf dem Boden, halb im Gras vergraben, lag Muichiros Handy. Ich blieb abrupt stehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich das vertraute Gerät erblickte. Was zur Hölle? Muichiro würde sein Handy niemals einfach so fallenlassen. Er hatte es immer in der Hand, egal was passierte. Und jetzt lag es hier, verlassen.
Ich bückte mich und nahm es auf. Mein Magen zog sich zusammen, als ich die Rückseite des Handys betrachtete, das in meinem Handgriff schlaff und unbenutzt wirkte. Ohne zu zögern, schaltete ich es ein, doch der Bildschirm blieb schwarz. Nichts. Kein Signal, keine Benachrichtigungen. Er musste es entweder absichtlich ausgeschaltet haben – oder jemand hatte ihm das Handy abgenommen. Was, wenn er sich in Schwierigkeiten befand?
„Verdammt!" Ich schüttelte das Handy und drückte die Tasten, als könnte ich es so wiederbeleben, doch es war nur noch ein stumpfes Stück Plastik in meinen Händen. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich noch länger aufzuhalten. Der Gedanke, dass Muichiro entführt worden war, brannte wie ein glühender Dorn in meinem Gehirn.
Ich stellte das Handy in meine Tasche und rannte los. Meine Gedanken wirbelten. Wer konnte es gewesen sein? Wer hatte ihn hier einfach so weggenommen? Ein seltsames Gefühl kroch in meine Brust – die Ahnung, dass jemand aus seinem Umfeld dies getan haben könnte. Aber wer hatte so viel Einfluss auf ihn? Ich wusste, dass es keinen Grund gab, in Panik zu geraten, aber das Gefühl der Hilflosigkeit war zu stark.
„Muichiro!" rief ich laut, während ich die Umgebung absuchte, aber keine Antwort kam. Nichts, außer dem Rauschen des Windes, der durch die Bäume zog. Plötzlich fühlte sich der Platz um mich herum viel leerer an, als er es je gewesen war.
Es war ganz klar: Er war entführt worden.
Die Gedanken rasten, aber ich konnte mich nicht dazu bringen, einen Plan zu schmieden, wie ich ihn finden konnte. Nur ein Gedanke kam immer wieder – er musste zurückgebracht werden. Und ich war der Einzige, der das verhindern konnte.
Ich rannte in den naheliegenden Wald, der hinter der Schule begann. Das Handy in meiner Tasche fühlte sich wie ein nutzloses Gewicht an, während ich hektisch durch das Dickicht stürmte. Die Ungewissheit nagte an mir, und je weiter ich ging, desto düsterer wurde meine Laune. Jeder knackende Zweig ließ mein Herz schneller schlagen. Es war, als ob die Zeit gegen mich arbeitete.
Ich schärfte meine Sinne, hielt inne und lauschte. Plötzlich hörte ich Stimmen. Männerstimmen. Sie waren gedämpft, aber nah genug, dass ich die Richtung bestimmen konnte. Ohne zu zögern folgte ich ihnen, mich leise durch das Unterholz bewegend. Kaburamaru, meine Schlange, hob seinen Kopf von meinem Hals und zischte leise, als spüre er ebenfalls die Anspannung.
Als ich näherkam, erstarrte ich. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich Muichiro sah. Er war an einen Baum gefesselt, die Hände hinter dem Rücken, sein Kopf hing schlaff nach unten. Er schlief, wahrscheinlich bewusstlos durch das Schlafgas, das sie ihm eingeatmet hatten. Sein sonst so blasses Gesicht war noch blasser als gewöhnlich.
„Bleib ruhig, Iguro", murmelte ich mir selbst zu.
Die Männer standen ein paar Meter von ihm entfernt und unterhielten sich. Einer von ihnen schien zu lachen, während er auf Muichiro zeigte. Mein Atem beschleunigte sich. Wut kochte in mir hoch, aber ich zwang mich, einen klaren Kopf zu bewahren. Ich war zwar erwachsen, und ja, ich hatte meine dunklen Seiten, aber niemanden „totprügeln" war eine meiner Grundregeln. Auch wenn meine Schüler oft behaupteten, ich sei ein Sadist. Der Ruf als „Meister der Folter" war zwar übertrieben, aber ich hatte ihn nicht ohne Grund: Schüler, die Mist bauten, landeten in meiner Opferreihe. Es war ein pädagogisches Mittel, um sie in den Wahnsinn zu treiben – aber das hier war kein Schulhofspiel.
„Was machen wir mit dem Jungen?" fragte einer der Männer.
„Wir warten auf das Signal. Der Boss hat gesagt, wir dürfen ihn nicht verletzen – noch nicht."
„Er sieht nicht mal aus, als könnte er sich wehren. Hätten wir ihm überhaupt das Schlafgas geben müssen?" Der andere Mann lachte scharf.
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es dauerte alle meine Selbstbeherrschung, nicht auf sie loszustürmen. Stattdessen richtete ich meinen Blick auf Kaburamaru. Die Schlange zuckte kurz, als ob sie verstehen würde, was ich brauchte. Ich schloss die Augen für einen Moment, atmete tief durch und schlich mich näher.
Mit einer Bewegung zog ich einen meiner Wurfdolche aus der Innenseite meines Mantels. Meine Hand zitterte kaum. Ich war ein Lehrer – aber wenn jemand glaubte, das hieß, ich wäre harmlos, dann lag er gewaltig daneben.
„Hey! Wer da?" rief einer der Männer plötzlich, als er ein Geräusch hörte. Verdammter Ast.
„Sucht ihr das?" sagte ich ruhig, trat aus dem Schatten und zeigte auf Kaburamaru, der sich bedrohlich auf meinem Arm krümmte. Die Männer starrten mich verwirrt an.
„Wer zum Teufel bist du?" fragte einer von ihnen.
„Muichiros Adoptivvater. Und wenn ihr eine Sekunde länger hier bleibt, werdet ihr herausfinden, warum meine Schüler mich Meister der Folter nennen."
Die beiden Männer sahen einander an. Ich konnte die Angst in ihren Augen erkennen, auch wenn sie versuchten, sie zu verbergen.
„Hör zu, alter Mann, wir haben unsere Befehle –" Der erste Mann trat einen Schritt vor, aber ich ließ ihn nicht ausreden. Mit einem gezielten Wurf landete mein Dolch direkt vor seinen Füßen im Boden.
„Das war eine Warnung," sagte ich kalt. „Die nächste landet woanders."
„Scheiße!" fluchte der andere. „Komm schon, wir haben keine Zeit für das hier!" Sie zögerten nur einen Moment, bevor sie beschlossen, dass es besser war, sich zurückzuziehen.
Ich wartete, bis sie außer Sicht waren, bevor ich zu Muichiro eilte. Sein Kopf war immer noch gesenkt, seine Haare fielen ihm ins Gesicht.
„Muichiro," murmelte ich, während ich die Fesseln mit einem Messer durchtrennte. Ich überprüfte seinen Atem. Er war gleichmäßig, aber schwach. Kaburamaru glitt von meinem Arm und schnüffelte an ihm, als ob er sichergehen wollte, dass er in Ordnung war.
„Du kleiner Idiot," murmelte ich. „Wie schaffst du es immer, dich in so einen Mist zu verwickeln?"
Ich hob ihn vorsichtig hoch, sein Körper fühlte sich leichter an, als ich erwartet hatte. Während ich ihn zurücktrug, spürte ich eine ungewohnte Enge in meiner Brust. Es war nicht nur Wut auf die Männer, die ihn entführt hatten, sondern auch eine Art Schuldgefühl.
„Du bist mehr wert, als du denkst," flüsterte ich, obwohl er es nicht hören konnte. „Und niemand wird dich mir wegnehmen."
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