Kapitel 13

Mathematik mit Shinazugawa-sensei war immer eine Herausforderung – nicht wegen des Stoffs, sondern wegen seiner Persönlichkeit. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, ständig auf mich loszugehen, als ob ich sein persönliches Zielobjekt wäre. Schon beim Betreten des Klassenzimmers konnte ich seine lauernden Augen spüren, wie ein Raubtier, das darauf wartet, seine Beute zu schnappen.

„Tokito!" rief er, kaum dass ich meinen Platz eingenommen hatte. „Du bist doch so ein kleiner Mathe-Genie, oder? Mein Bruder braucht jemanden, der was draufhat. Vielleicht kannst du ihn ja beeindrucken."

Ich starrte ihn an. „Ihr kleiner Bruder?" fragte ich vorsichtig, unsicher, worauf er hinauswollte.

„Genya", erklärte er mit einem strengen Blick. „Der Typ ist gut, aber nicht gut genug. Du könntest ihm ein paar Tricks beibringen, wenn du mal nützlich sein willst."

Ich wusste nicht, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung war, aber bevor ich etwas sagen konnte, warf er ein dickes Arbeitsblatt auf meinen Tisch. „Zeig uns mal, was du drauf hast, Tokito."

Seufzend nahm ich den Stift zur Hand. Die Aufgaben waren nicht schwierig, aber ich wusste genau, dass Shinazugawa-sensei nur darauf wartete, dass ich einen Fehler machte. Während ich rechnete, spürte ich seinen durchdringenden Blick auf mir. Es war fast so, als wollte er mich allein mit seiner Präsenz nervös machen.

Nach einer Weile meldete sich jemand zu Wort. „Sensei, warum setzen Sie Muichiro immer so unter Druck?" Es war Senjuro, der mutig seinen Kopf hob. „Er gibt doch schon sein Bestes."

Shinazugawa-sensei lachte trocken. „Weißt du, Junge, das Leben ist Druck. Tokito hier muss lernen, damit umzugehen. Oder willst du, dass er wie eine Butterfliege herumflattert und nichts erreicht?"

„Es heißt Schmetterling, sensei", murmelte ich, ohne aufzublicken.

„Was hast du da gesagt, Tokito?" fragte er gefährlich ruhig.

Ich hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Es heißt Schmetterling. Butterfliegen gibt es nicht."

Für einen Moment herrschte Stille. Dann brach Senjuro in ein leises Kichern aus, und selbst Nezuko, die normalerweise still war, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Shinazugawa-sensei hingegen schien zwischen Amüsement und Ärger zu schwanken.

„Du kleiner Klugscheißer", knurrte er, aber ich konnte sehen, dass er den Hauch eines Lächelns unterdrückte. „Wenn du so schlau bist, dann erklär der Klasse doch gleich mal die dritte Aufgabe auf dem Blatt."

Ich ging nach vorne, den Stift in der Hand, und begann, die Lösung auf die Tafel zu schreiben. Die Aufgabe war komplex, aber ich erklärte jeden Schritt so klar wie möglich. Als ich fertig war, wandte ich mich zur Klasse um.

„Verstanden?" fragte ich, und die meisten nickten, auch wenn einige, wie Hiroshi, nur widerwillig zustimmten.

Shinazugawa-sensei betrachtete meine Arbeit kritisch, bevor er schließlich nickte. „Nicht schlecht, Tokito. Vielleicht hast du doch das Zeug dazu, meinem Bruder zu helfen. Aber denk dran: Kein Druck, keine Diamanten."

„Und manchmal führt zu viel Druck zu einem Kollaps", murmelte ich, aber zum Glück hörte er das nicht.

Nach dem Unterricht kam Senjuro zu mir. „Du warst echt gut da vorne, Muichiro. Vielleicht solltest du Mathelehrer werden."

Ich stöhnte. „Noch jemand, der mir sagt, was ich tun soll. Erst Obanai, jetzt Shinazugawa-sensei... was kommt als Nächstes? Tomioka-sensei, der meint, ich soll Schwimmlehrer werden?"

Nezuko grinste. „Vielleicht. Aber hey, du hast dich gut geschlagen. Selbst Shinazugawa-sensei musste das anerkennen."

Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, aber warum muss er mich immer ins Visier nehmen? Es ist, als ob ich ein Schild trage, auf dem ‚Provozier mich' steht."

Senjuro lachte leise. „Vielleicht mag er dich einfach, aber weiß nicht, wie er es zeigen soll."

„Das glaube ich kaum", antwortete ich, doch insgeheim war ich ein kleines bisschen stolz.

Nach der Schule stand ich wie immer am Hof und wartete auf Obanai. Die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu, und die Luft war kühl. Während ich dort stand, spürte ich plötzlich einen Blick auf mir. Unauffällig drehte ich meinen Kopf und sah einen Mann, der mich von der anderen Seite des Hofs fixierte. Seine Augen waren durchdringend, und irgendetwas an ihm ließ mich sofort alarmiert sein.

Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, tat ich so, als hätte ich ihn nicht bemerkt, und ging stattdessen auf Senjuro zu, der noch bei einer Gruppe Mitschüler stand. „Hey, Senjuro!" rief ich und winkte ihm zu. Er kam sofort auf mich zu, und ich versuchte, so locker wie möglich zu wirken. „Wie läuft's?"

„Gut", antwortete er mit einem Lächeln. „Und bei dir? Du siehst irgendwie angespannt aus."

„Ach, alles okay", sagte ich, während ich schnell einen Blick über die Schulter warf. Der Mann stand immer noch dort, seine Augen fest auf mich gerichtet. „Ich wollte nur mal fragen, ob du die Matheaufgabe von heute verstanden hast."

Senjuro runzelte die Stirn. „Ein bisschen, glaube ich. Warum fragst du?"

Ich lachte gezwungen. „Ach, nur so. Weißt du, ich wollte sicherstellen, dass ich sie gut erklärt habe."

Senjuro schien nichts zu merken und lachte mit. Doch als er sich verabschiedete und den Hof verließ, spürte ich, wie meine Nervosität zurückkehrte. Der Mann begann sich zu bewegen. Langsam kam er auf mich zu, und mein Herz schlug schneller.

Instinktiv machte ich ein paar Schritte rückwärts. „Wer sind Sie?" rief ich ihm zu. Meine Stimme zitterte leicht, obwohl ich versuchte, ruhig zu bleiben. „Was wollen Sie von mir?"

Der Mann blieb stehen und lächelte kalt. „Keine Sorge, das wird nicht lange dauern."

Ohne nachzudenken, drehte ich mich um und rannte los. Meine Beine trugen mich über den Hof, so schnell sie konnten, aber plötzlich packte mich eine starke Hand von hinten. Ein zweiter Mann, der sich lautlos angeschlichen hatte, hielt mir den Mund zu.

„Still", zischte er. „Das wird nicht wehtun."

Ich kämpfte und trat um mich, aber der Griff war zu stark. Meine Augen weiteten sich, als ich sah, wie der erste Mann ein kleines Tuch aus seiner Tasche zog. Es roch süßlich und scharf, und mir wurde sofort klar, was das war. Schlafgas.

„Nein, lassen Sie mich—!" Ich konnte meinen Satz nicht beenden, da das Tuch schon gegen mein Gesicht gepresst wurde. Ich hielt die Luft an, aber meine Lungen brannten bald vor Anstrengung. Widerwillig musste ich atmen, und der Geruch überwältigte mich. Meine Glieder wurden schwer, und meine Sicht begann zu verschwimmen.

„Das war einfacher als erwartet", hörte ich eine Stimme sagen, bevor alles schwarz wurde.

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