Kapitel 11
Der Englischunterricht begann, wie immer, mit Iguro-senseis finsterem Blick, der den Raum durchbohrte. Er trat ans Pult, legte die von mir erstellten Arbeitsblätter sorgfältig darauf und sah sich mit einem teuflischen Lächeln um. „Gut, Leute, wir haben heute etwas ganz Besonderes für euch. Diese Arbeitsblätter sind... herausfordernd, um es milde auszudrücken."
Ich schluckte schwer. Die Opferreihe vorne — darunter Nezuko und Senjuro — sahen bereits genervt aus, als sie die Zettel in die Hände gedrückt bekamen. „Wer hat das hier gemacht?!" beschwerte sich Nezuko schon nach den ersten paar Aufgaben. „Das ist ja schlimmer als ein Rätselwettbewerb!"
„Oh, das?" Iguro-sensei hob demonstrativ eine Augenbraue und ließ seinen Blick durch die Klasse wandern, bis er an meinem Platz in der hintersten Reihe hängen blieb. „Das war... Muichiro."
Ein Raunen ging durch den Raum, gefolgt von wütenden Blicken, die sich wie Dolche in meinen Rücken bohrten. Ich versuchte mich hinter meinem Vordermann noch kleiner zu machen, aber die Opferreihe ließ nicht locker.
„Muichiro?!" rief Nezuko empört und drehte sich in meinem allgemeinen Richtung um. „Warum hast du so schwere Aufgaben gemacht?! Das ist unmenschlich!"
„Ich... äh...", stotterte ich, während ich mich langsam aus meinem Versteck wagte. „Das war... weil... Iguro-sensei mich gezwungen hat!"
Iguro-sensei lachte leise und schüttelte den Kopf. „Nein, nein, Muichiro. Lass uns die Verantwortung nicht abschieben. Du wolltest doch, dass ich besonders zufrieden mit den Aufgaben bin, oder?"
„Wirklich, Sensei?" mischte sich Senjuro jetzt ein und hielt seinen Arbeitszettel hoch. „Das ist viel zu schwer! Niemand in der Opferreihe kann das lösen! Nicht mal ich! Und ich bin eigentlich ganz gut in Englisch!"
„Das ist genau der Punkt", sagte Iguro-sensei trocken. „Es soll ja schließlich eine Herausforderung sein." Er schlug mit seinem Zeigestock auf den Pultrand und grinste diabolisch. „Und wenn es zu schwer ist, dann... gibt es für alle eine extra Motivationsrunde. Vielleicht kopfüber auf einem Ast, was meint ihr?"
Ein nervöses Raunen ging durch die Klasse. Ich rutschte tiefer auf meinem Platz zusammen, während die Opferreihe weiterhin böse Blicke in meine Richtung schickte. „Danke, Muichiro", zischte Nezuko leise. „Das ist das Schlimmste, was ich je gemacht habe."
Ich war so damit beschäftigt, mich in meinem Sitz zusammenzukauern, dass ich fast überhörte, wie Iguro-sensei wieder das Wort ergriff. „So, wer möchte als Erster seine Antworten vorlesen? Senjuro? Nezuko?"
„Ich werde sicher nicht anfangen!", rief Nezuko sofort und verschränkte die Arme.
„Das wird dir aber nichts bringen", meinte Iguro-sensei kühl. „Du weißt, was passiert, wenn ich warten muss."
Senjuro hob die Hand, wahrscheinlich, um Nezuko zu retten. „Sensei, ich... kann ich vielleicht später anfangen? Ich muss noch mal nachdenken."
„Später?" Iguro-sensei legte den Kopf schief. „Später bedeutet, dass du doppelt so viel vorlesen musst."
Senjuro schluckte und blickte verzweifelt auf seinen Zettel. Ich fühlte mich plötzlich schuldig, auch wenn ich wusste, dass ich keine Wahl gehabt hatte.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und meldete mich. „Sensei... vielleicht sollte ich die erste Aufgabe vorlesen. Schließlich habe ich die Zettel gemacht."
Iguro-sensei sah mich mit einem nachdenklichen Blick an. „Ah, Muichiro, das wäre ja nur fair. Gut, dann lies vor."
Die ganze Klasse starrte mich an, als ich aufstand. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. „Äh... die erste Aufgabe lautet... ‚Beschreibe dein Traumziel auf Englisch in mindestens fünf Sätzen.'"
„Wie bitte?!" rief Nezuko entsetzt. „Das ist die erste Aufgabe? Warum nicht einfach nur ‚Wie heißt du' oder so?!"
„Setz dich, Nezuko", sagte Iguro-sensei ruhig. „Muichiro, weiter."
Ich räusperte mich und las die Musterlösung vor, die ich aus Angst vor Fehlern selbst vorbereitet hatte. „‚My dream destination is Paris. I would love to visit the Eiffel Tower, eat croissants, and see famous art at the Louvre. The city is known for its romantic atmosphere.'"
„Nicht schlecht", kommentierte Iguro-sensei. „Und jetzt, Opferreihe: Wer will als Nächstes?"
Die Opferreihe seufzte kollektiv, und ich setzte mich wieder hin, wünschte mir aber insgeheim, ich hätte einfach nein gesagt, als Iguro-sensei mich gebeten hatte, diese Zettel zu machen.
„Muichiro, du schuldest uns was", flüsterte Nezuko finster. Ich nickte nur stumm. Ja, ich hatte es definitiv vermasselt.
Als die Wahl begann, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Es war jedes Jahr dasselbe: Ich stellte mich zur Wahl, obwohl ich wusste, dass ich niemals gewinnen würde. Aber dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass es noch schlimmer werden würde. Akeno Watanabe war beliebt, gut in der Schule und hatte eine selbstbewusste Ausstrahlung, die ihr viele Sympathien einbrachte. Hiroshi Kato hingegen war ein echter Mistkerl, der sich gerne an Schwächeren abreagierte – und leider auch an Senjuro und mir.
Iguro-sensei stand vor der Klasse, sein Zeigestock in der Hand, und warf mir einen scharfen Blick zu. „Gut, Leute, die Kandidaten sind Akeno Watanabe, Hiroshi Kato und Muichiro Tokito. Ihr wisst, wie das läuft: Jeder bekommt einen Zettel, schreibt den Namen seines Favoriten darauf, und ich sammle die Stimmen ein."
Ich konnte förmlich spüren, wie die Augen der Klasse auf mir lasteten. „Was mache ich hier überhaupt?" murmelte ich leise vor mich hin, während ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken ließ.
„Du wirst gewinnen, Muichiro", flüsterte Senjuro ermutigend. „Ich wähle dich."
„Danke... aber ich glaube nicht, dass das reicht." Ich schielte zu Hiroshi, der mit einem selbstgefälligen Grinsen in der ersten Reihe saß. Er warf mir einen hämischen Blick zu, bevor er begann, mit Akeno zu flüstern.
Die Stimmzettel wurden ausgeteilt, und die Klasse begann zu schreiben. Iguro-sensei schlenderte zwischen den Reihen hin und her, wie ein General, der seine Truppen inspiziert. Als die Zettel eingesammelt wurden, machte er keinen Hehl daraus, die Namen laut vorzulesen.
„Hiroshi Kato. Akeno Watanabe. Hiroshi Kato. Akeno Watanabe..." Er machte eine Pause und schaute mich direkt an. „Muichiro Tokito... endlich."
Ich spürte, wie mein Gesicht rot wurde. Endlich? Das hätte er sich sparen können.
„Akeno Watanabe. Hiroshi Kato. Hiroshi Kato. Muichiro Tokito." Er hob eine Augenbraue. „Oh, noch eine für Tokito. Na, das wird ja interessant."
Die Klasse kicherte, und ich wollte am liebsten im Boden versinken. Mit jedem weiteren Zettel, den Iguro vorlas, wurde mir klar, wie knapp es zwischen uns dreien werden würde. Am Ende der Auszählung verkündete Iguro-sensei das Ergebnis mit einer Mischung aus Genervtheit und Spott.
„Gut. Tokito hat tatsächlich die meisten Stimmen, auch wenn es knapp war." Er schaute mich direkt an. „Also, Tokito, du bist unser neuer Klassensprecher. Glückwunsch, oder so."
Die Klasse reagierte unterschiedlich. Nezuko und Senjuro klatschten leise, während Hiroshi lautstark seinen Unmut äußerte. „Das ist doch ein Witz! Tokito als Klassensprecher? Der kriegt ja kaum ein Wort raus!"
Iguro-sensei klopfte mit seinem Zeigestock auf das Pult. „Ruhe, Kato. Die Wahl ist entschieden. Du kannst dich ja nächstes Jahr wieder blamieren."
Hiroshi knurrte etwas Unverständliches, ließ sich aber auf seinen Stuhl zurückfallen. Ich hingegen war immer noch wie betäubt. Klassensprecher? Wirklich? Das war ein völlig neues Gefühl.
Nezuko beugte sich zu mir rüber und grinste. „Glückwunsch, Muichiro! Das wird sicher dein Jahr."
Senjuro nickte zustimmend. „Ich wusste, dass du das schaffst."
„Danke... ich glaube?" Ich hatte immer noch das Gefühl, dass es irgendeinen Haken geben musste. Und ich sollte recht behalten.
„So, Tokito", sagte Iguro-sensei mit einem schiefen Lächeln, „als dein erster offizieller Akt als Klassensprecher darfst du heute nach dem Unterricht die Arbeitsblätter kopieren und morgen früh pünktlich verteilen. Das ist doch mal ein guter Einstieg, oder?"
Die Klasse lachte, und ich seufzte leise. Vielleicht war das doch keine so großartige Idee gewesen.
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