Kapitel 10
„Muichiro, pass auf, ich logge mich jetzt auch ein", sagte Genya über das Headset, während ich versuchte, in dem Computerspiel überhaupt erst zu verstehen, was ich machen sollte. Ich war alles andere als gut in solchen Spielen, aber Genya hatte mich regelrecht angebettelt, es mit ihm zu probieren.
„Du weißt, dass ich keine Ahnung habe, was ich tue, oder?" murmelte ich und sah auf den Bildschirm, wo meine Spielfigur gerade sinnlos gegen eine Wand lief.
„Keine Sorge, ich bin da, um dir alles zu erklären", antwortete Genya mit einem selbstbewussten Ton. „Du wirst sehen, es macht Spaß. Und keine Sorge, ich beschütze dich."
„Das sagst du jetzt, aber ich wette, du lässt mich einfach sterben, sobald es kritisch wird."
Genya lachte herzhaft. „Na gut, vielleicht ein bisschen. Aber nur, weil du dann lustig fluchst."
„Ich fluche nicht lustig!" protestierte ich, während ich versuchte, meinem Charakter beizubringen, wie man überhaupt angreift.
„Natürlich nicht", erwiderte Genya, hörbar grinsend.
Wir spielten eine Weile, und tatsächlich gelang es Genya, mich nicht sterben zu lassen – zumindest meistens. Doch dann, mitten in einer besonders hektischen Kampfszene, sagte Genya plötzlich: „Hey, ich muss dir was zeigen. Mein Mitbewohner hat sich vor kurzem eine Katze zugelegt."
„Okay, und was hat das jetzt mit dem Spiel zu tun?" fragte ich, verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel.
„Gar nichts, aber warte mal. Ich hebe sie auf den Tisch."
Ein paar Sekunden später hörte ich über das Headset ein schrilles, durchdringendes Katzengeschrei, das mir fast die Trommelfelle zerriss. „Oh mein Gott, Genya! Was war das?" rief ich und riss mir reflexartig das Headset vom Kopf.
„Das war die Katze", sagte Genya und lachte. „Ist sie nicht süß?"
„Süß? Sie hat gerade fast meine Ohren zerstört!"
„Ach, stell dich nicht so an. Sie wollte nur Hallo sagen."
„Hallo? Das klang, als wollte sie mir den Krieg erklären!"
Genyas Lachen wurde noch lauter, und ich konnte durch das Headset hören, wie die Katze weiter miaute, dieses Mal etwas weniger schrill, aber immer noch laut genug, dass es eindeutig in der ganzen Wohnung zu hören war.
Plötzlich öffnete sich meine Zimmertür mit einem energischen Knall, und da stand Obanai mit einem Ausdruck, der mich frösteln ließ. „Muichiro", sagte er gefährlich leise. „Warum schreit eine Katze in deinem Zimmer?"
„Das ist nicht meine Schuld! Das war Genyas Katze – na ja, eigentlich die von seinem Mitbewohner", versuchte ich zu erklären, aber Obanai war schon auf dem Weg zu meinem Computer.
„Ich habe genug gehört", murmelte er und beugte sich über meinen Schreibtisch.
„Warte, was machst du?" fragte ich panisch, aber es war zu spät. Obanai hatte bereits ein Kabel ausgesteckt, und mein Bildschirm wurde schwarz.
„Problem gelöst", sagte er knapp und ging aus dem Zimmer, ohne eine weitere Erklärung abzugeben.
„Ähm... Muichiro?" Genyas Stimme kam noch aus meinem Headset, das offensichtlich nicht von dem Kabel betroffen war. „Was war das?"
„Das war Obanai. Er hat einfach meinen Computer ausgeschaltet."
Genya brach in schallendes Gelächter aus. „Ich wünschte, ich hätte das sehen können. Sein Gesicht muss großartig gewesen sein."
„Es war nicht lustig!" protestierte ich, obwohl ich selbst ein wenig grinsen musste. „Jetzt kann ich nicht mal weiterspielen."
„Hey, keine Sorge. Ich finde, du hast dich heute schon ganz gut geschlagen", sagte Genya beruhigend. „Und außerdem... die Katze mag dich jetzt bestimmt."
„Das ist kein Trost", seufzte ich und ließ mich auf meinen Stuhl sinken.
„Aber weißt du was? Ich mag dich trotzdem", fügte Genya mit einem leichten Kichern hinzu.
Ich errötete und murmelte ein leises „Danke", bevor ich das Headset abnahm und mich fragte, wie ich den Rest des Abends überleben sollte, ohne erneut Obanais Zorn auf mich zu ziehen.
„Muichiro!" rief Obanai, während er zurück in mein Zimmer stürmte und mich direkt am Ohr packte. Ich zuckte zusammen und versuchte, mich loszureißen, aber er hielt fest wie ein Schraubstock.
„Aua, Obanai, lass los!" protestierte ich, aber er zog mich nur näher an sich heran, sodass ich direkt in seinen grimmigen Blick starrte.
„Was glaubst du eigentlich, was du hier machst? Erst die Katze, dann dieser Krach, und jetzt sitzt du einfach rum, als ob nichts passiert wäre?" knurrte er.
„Das war nicht meine Schuld! Genya hat die Katze in mein Leben geschrien!" verteidigte ich mich, aber Obanai ließ sich davon nicht beeindrucken.
„Keine Ausreden! Ich bin schon den ganzen Tag genervt, und jetzt darfst du mir helfen."
„Helfen? Wobei?" fragte ich vorsichtig, meine Ohren noch immer in seinem festen Griff.
„Du wirst einen Arbeitszettel für Englisch erstellen. Morgen. Für den Unterricht. Von mir persönlich beaufsichtigt."
„Was?!" Ich riss mich endlich los und starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Warum soll ich das machen? Das ist dein Job!"
„Weil ich beschlossen habe, dass du es machst, das ist Grund genug."
„Das ist nicht fair!"
„Willst du, dass ich dir noch ein zusätzliches Projekt gebe?" fragte er mit einer gefährlichen Ruhe, die mich sofort verstummen ließ.
Ich seufzte tief. „Okay, okay, ich mache es. Aber nur, weil du mich dazu zwingst."
„Kluges Kind", sagte Obanai und ließ mich endlich in Ruhe, aber nicht ohne mich mit seinem berüchtigten „Ich beobachte dich"-Blick zu mustern.
Später saß ich an meinem Schreibtisch, den Laptop vor mir, und starrte auf ein leeres Word-Dokument. Genya war immer noch in meinem Ohr, dieses Mal über mein Handy.
„Du machst echt einen Arbeitszettel für ihn?" fragte er, hörbar belustigt.
„Ja, weil ich keine Wahl habe! Wenn ich es nicht mache, finde ich mich morgen wahrscheinlich an der Tafel geknebelt wieder", murmelte ich und begann, ein paar einfache Fragen einzutippen. „Warum bist du überhaupt noch wach? In Amerika ist es doch mitten in der Nacht."
„Weil ich dir helfen will. Was ist das Thema?" fragte Genya mit einem Lächeln in der Stimme.
„Simple Past", seufzte ich. „Weißt du, wie langweilig das ist?"
„Klar, aber wenn du willst, kann ich dir ein paar Fragen vorschlagen."
„Bitte, alles ist besser als das hier."
Genya lachte leise und begann, ein paar alberne Beispiele vorzuschlagen: „Okay, wie wäre es mit: When did Genya Shinazugawa confess his love to Muichiro Tokito? Oder vielleicht Who is the most handsome person Muichiro knows?"
Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. „Das ist nicht witzig, Genya!"
„Doch, ist es", erwiderte er grinsend.
„Ich nehme keine deiner Fragen", sagte ich und fügte stattdessen ein langweiliges „When did the Industrial Revolution start?" ein.
„Langweilig", kommentierte Genya, aber ich ignorierte ihn und arbeitete weiter, während er mich mit seinen Vorschlägen weiterhin ablenkte.
Nach einer Weile war ich endlich fertig und schickte das Dokument an Obanai. Dann ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken, völlig ausgelaugt.
„Geschafft", murmelte ich.
„Gute Arbeit, Muichiro. Aber du weißt, wenn er dich morgen trotzdem ärgert, bin ich immer hier, um dich aufzumuntern", sagte Genya leise.
„Danke", murmelte ich und fühlte ein warmes Lächeln auf meinem Gesicht, trotz allem, was dieser Tag gebracht hatte.
„Iguro-sensei", begann ich genervt, nachdem ich ihm den Arbeitszettel gezeigt hatte und er mich mit einem zufriedenen Nicken ansah. „Bist du jetzt zufrieden?"
Obanai verschränkte die Arme und grinste ein wenig. „Ja, das ist tatsächlich besser als das, was manche meiner Kollegen hinkriegen. Du solltest wirklich Lehrer werden, Muichiro."
Ich starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Was? Nein! Ich will kein Lehrer werden."
„Warum nicht?" fragte er, mit diesem strengen Blick, der jede Diskussion sofort erstickte.
Ich verschränkte die Arme und erwiderte stur: „Weil ich Kindergärtner werden will."
Für einen Moment sah Obanai aus, als wüsste er nicht, ob er lachen oder schreien sollte. Dann seufzte er tief und rieb sich die Schläfen. „Muichiro, du bist viel zu introvertiert für so einen Job. Weißt du überhaupt, wie laut Kinder sind?"
„Ich mag Kinder", entgegnete ich trotzig.
„Und du bist viel zu paranoid. Du würdest wahrscheinlich denken, dass jedes Kind dich ausspioniert oder gegen dich arbeitet", fuhr er fort.
„Das tue ich nicht!" rief ich, obwohl ich genau wusste, dass das nicht stimmte.
Obanai schüttelte den Kopf. „Kindergärtner sein ist im Grunde dasselbe wie Lehrer sein. Nur, dass du dich mit 20 Kindern rumschlagen musst, die alle gleichzeitig weinen, schreien und sich bekleckern. Glaubst du wirklich, dass du das aushalten würdest?"
Ich überlegte kurz und zog dann ein Gesicht. „Okay, das klingt tatsächlich... anstrengend."
„Siehst du?" sagte Obanai triumphierend. „Lehrer ist besser. Du hast mehr Kontrolle und kannst die Schüler bestrafen, wenn sie nerven. Und du bist gut darin, Sachen zu erklären. Außerdem hast du jetzt schon Erfahrung im Arbeitszettel schreiben."
„Das war eine Zwangsarbeit!" warf ich ein, aber Obanai ignorierte mich.
„Ich sage es dir nur, weil ich es besser weiß", meinte er mit einem Schulterzucken.
„Und ich sage dir, dass ich kein Lehrer werden will!" Ich verschränkte die Arme und sah demonstrativ zur Seite.
„Das werden wir ja sehen", murmelte Obanai mit einem schiefen Lächeln, das mir irgendwie Angst machte.
Ich wollte ihm gerade widersprechen, als Sumire anfing zu schreien. Mitsuri tauchte mit einem erleichterten Gesichtsausdruck in der Tür auf und drückte mir das Baby in die Arme.
„Hier, Muichiro! Sie beruhigt sich nur bei dir", sagte sie und verschwand wieder, bevor ich protestieren konnte.
„Siehst du?" sagte ich zu Obanai und wiegte Sumire vorsichtig. „Ich kann mit Kindern umgehen."
„Das ist ein Kind", entgegnete er trocken. „Warte, bis du 30 von denen hast, die alle versuchen, gleichzeitig deine Aufmerksamkeit zu bekommen."
Ich seufzte. „Du machst einem echt jede Hoffnung kaputt."
„Ich nenne es Realismus", sagte er mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck.
Sumire gähnte und kuschelte sich in meinen Arm, während ich mich zurück auf mein Bett setzte. Vielleicht hatte er in gewisser Weise recht, aber das würde ich ihm niemals zugeben.
Ich setzte mich langsam auf die Bettkante, als ich Sumire in ihr Gitterbett legte. Kaum hatte ich sie abgelegt, begann sie laut zu schreien, als hätte sie eine schreckliche Enttäuschung erfahren. Doch es wurde noch schlimmer: Sie griff nach meinen Haaren, zog an ihnen mit aller Kraft, die so ein kleines Baby aufbringen konnte. Ich schnappte nach Luft und kämpfte gegen den Schmerz an.
„Autsch, Sumire! Lass das, das tut weh!" rief ich verzweifelt, aber sie hörte nicht auf. Stattdessen schrie sie noch lauter und zog weiter an meinen Haaren.
Ich fühlte mich wie der schlechteste Babysitter der Welt, und für einen Moment hatte ich ernsthaft das Gefühl, gleich wie ein Baby zu flennen. Ein dumpfes Gefühl von Verzweiflung überkam mich. Was zur Hölle sollte ich jetzt tun?
Obanai stand in der Tür und beobachtete die Szene mit einem amüsierten Grinsen. „Das ist also dein Plan, Kindergärtner zu werden?" fragte er mit einem spöttischen Tonfall.
Ich drehte mich zu ihm und war kurz davor, ihm einfach nur zu sagen, er solle verschwinden, aber stattdessen schüttelte ich nur den Kopf. „Das ist dein Kind, nicht meines!" Ich versuchte verzweifelt, Sumire von meinen Haaren zu befreien, aber sie war wie eine Miniatur-Ausgabe eines hungrigen Greifvogels.
Obanai trat näher, immer noch mit einem dieser frechen Grinsen, das mir das Gefühl gab, als würde er gerade in meinen innersten Gedanken wühlen. „Hast du jetzt das Gefühl, wie ein Elternteil zu sein?" fragte er und hob eine Augenbraue.
„Nein! Ich will nicht wie ein Elternteil sein!" rief ich aus, während ich versuchte, Sumire zu beruhigen, indem ich ihr sanft den Kopf tätschelte. Aber sie ließ sich nicht beruhigen. Ganz im Gegenteil, sie zog noch fester an meinen Haaren, als wollte sie mir zeigen, dass sie das Sagen hatte.
„Sie scheint dich echt zu mögen, Muichiro. Du hast ihre volle Aufmerksamkeit", sagte Obanai spöttisch.
„Lass mich einfach in Ruhe!" knurrte ich zurück, während ich mich mit einem Ruck aus ihrer Griffbefreiung befreite und sie an den Schultern hielt. „Was soll das mit den Haaren, Sumire? Wir haben doch keine Probleme miteinander!"
Doch die Kleine schrie weiterhin und war unermüdlich. Ihre Augen funkelten wie die eines kleinen Dämons, und ich fühlte mich, als würde ich gegen eine unsichtbare Wand ankämpfen.
„Sie braucht einfach ihre Zeit", sagte Obanai schließlich, als er näher trat und die Kleine vorsichtig in den Arm nahm. „Manchmal wollen Babys nur Nähe, und das wird sich mit der Zeit bessern."
Ich starrte ihn fassungslos an. „Du bist also der Experte? Das wird sich niemals bessern!"
Obanai schüttelte den Kopf, und seine Augen leuchteten in einem spöttischen Glanz. „Ach, Muichiro, du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall. Kindergärtner wäre wohl wirklich nichts für dich. Du bist zu introvertiert, und, ganz ehrlich, auch viel zu empfindlich."
„Ich bin nicht empfindlich!", erwiderte ich mit erhobenem Ton. Ich wollte nicht zugeben, dass er vielleicht tatsächlich recht hatte. Vielleicht war der Job als Kindergärtner wirklich nicht das Richtige für mich, aber verdammt, warum musste er es immer so deutlich sagen?
„Das ist schon in Ordnung", sagte Obanai mit einem Schulterzucken. „Du kannst ja weiterhin meinen Kindern auf die Nerven gehen."
Ich starrte ihn wütend an, doch dann verschwand meine Wut, als ich wieder in Sumires große, traurige Augen sah, die mich anflehten, sie nicht zu verlassen. Langsam, fast widerwillig, nahm ich sie wieder in die Arme und wiegte sie sanft hin und her. Sie beruhigte sich allmählich, bis ihre Schreie verstummten und ein leises Schluchzen zurückblieb.
Obanai beobachtete das Ganze mit einem stillen Lächeln. „Sie ist nicht böse auf dich, Muichiro. Sie fühlt sich nur unsicher."
Ich seufzte tief und nickte. „Ja, ich weiß. Aber trotzdem... das macht mich echt fertig."
„Willst du mir jetzt immer noch erzählen, dass du Kindergärtner werden willst?" fragte Obanai, während er mich mit einem ernsten Blick musterte.
Ich schaute Sumire an, die in meinen Armen eingeschlafen war, und dann Obanai. „Ich weiß nicht... Vielleicht bist du ja doch nicht ganz so falsch", murmelte ich. „Aber du wirst mir nie wieder so einen Vortrag halten, okay?"
Obanai grinste breit. „Klar, Muichiro. Klar."
Ich saß also am Tisch, die warmen Pfannkuchen vor mir, die Mitsuri mit Liebe zubereitet hatte. Der Duft war einfach verführerisch, und ich stürzte mich regelrecht auf das Essen. Es war fast wie eine kleine Belohnung für den Chaos des gestrigen Tages – und auch eine kleine Flucht vor den Überlegungen, die mich momentan beschäftigten.
Mitsuri saß mir gegenüber und starrte mit einer Mischung aus Begeisterung und Erwartung auf ihr Handy. „Schau mal, Muichiro! Hier ist die Webseite der Jōchi Daigaku!" Sie drückte mir das Handy in die Hand. „Ich habe die Infos für dich rausgesucht. Du solltest dich wirklich bewerben! Das ist genau das, was du suchst, wenn du wirklich Kindergärtner werden willst."
Ich starrte auf das Bild von der Universität. Die Gebäude waren riesig und beeindruckend. Jōchi Daigaku hatte den Ruf, eine der besten Universitäten in Japan zu sein, und es war klar, dass es eine Herausforderung sein würde, dort angenommen zu werden. „Das sieht wirklich gut aus...", murmelte ich und blätterte die Seite durch.
Mitsuri strahlte. „Ich wusste, dass du es lieben würdest! Die haben ein tolles Programm für frühkindliche Erziehung. Du solltest dich nächstes Jahr bewerben!"
Da fiel mir ein, was Obanai gestern gesagt hatte, und ich zögerte einen Moment. „Aber... glaubst du, dass ich es wirklich schaffe? Es klingt... ähm... ziemlich schwierig. Und ich habe das Gefühl, ich bin immer noch nicht gut genug."
Mitsuri lächelte aufmunternd. „Natürlich schaffst du es! Du bist super intelligent, Muichiro. Ich meine, du bist in jedem Fach Klassenbester, das darfst du nicht vergessen."
Gerade als ich erwiderte, hörte ich hinter mir ein lautes Lachen. Ich drehte mich um, und da war Obanai, der gerade mit einem lauten Knall rückwärts aus seinem Stuhl fiel und sich vor Lachen kaum noch halten konnte.
„Was zur Hölle? Obanai, was machst du da?" fragte ich, leicht genervt, aber auch ein wenig besorgt, dass er sich ernsthaft verletzt hatte.
„Ah, Muichiro, du hast mich umgebracht!" Obanai prustete, als er sich mühsam wieder aufrichtete. „Du willst dich wirklich an der Jōchi Daigaku bewerben? Du? Der selbst bei einer Tasse Tee nervös wird, weil er zu viel nachdenkt?" Er wischte sich die Tränen aus den Augen und stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab.
„Obanai, du bist unmöglich!" rief ich aus, aber irgendwo in mir wusste ich, dass er recht hatte – zumindest teilweise.
„Schau, Muichiro", fuhr Obanai fort, immer noch grinsend, „Ich weiß, du bist in jedem Fach der Klassenbeste, aber glaub mir, die Jōchi Daigaku ist brutal schwer. Du musst dich richtig reinhängen, wenn du da überhaupt eine Chance haben willst. Es wird ein echtes Höllenprogramm. Denk nur daran! Du musst zu 100% durchziehen, und du bist... nun ja... ein bisschen zu sensibel für solche Herausforderungen, oder?"
Ich starrte ihn an, verärgert, aber auch mit einem leichten Zweifel im Blick. „Das ist nicht fair, Obanai. Ich bin nicht zu sensibel."
„Klar, klar, du bist stark! Aber du musst dich wirklich anstrengen, wenn du dort rein willst. Du wirst dich mit richtig harten Prüfungen und einer Menge Druck herumschlagen müssen. Und... na ja, du wirst mehr Zeit in deinen Büchern verbringen müssen, als du es je für möglich gehalten hast."
Ich schnaubte, versuchte aber, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine Worte trafen. „Ich weiß schon, dass es schwer wird. Aber ich will es trotzdem versuchen. Es ist einfach genau das, was ich tun will."
Mitsuri nickte zustimmend und legte mir eine Hand auf den Arm. „Du hast das Zeug dazu, Muichiro. Glaub an dich!"
Ich atmete tief ein und dachte nach. Irgendwie fühlte sich der Gedanke, ein Teil dieser Universität zu werden, immer noch wie ein riesiges Ziel an, das fast zu weit entfernt war, um es zu erreichen. Doch gleichzeitig wusste ich, dass ich etwas tun musste, das mir wirklich am Herzen lag. Ich wollte wirklich als Kindergärtner arbeiten. Also, was hatte ich zu verlieren?
„Okay, ich werde es tun", sagte ich schließlich, mein Entschluss fest.
Obanai schüttelte den Kopf und seufzte. „Du bist wirklich unverbesserlich. Aber gut, wenn du das wirklich willst, dann viel Glück. Du wirst es brauchen."
„Danke", sagte ich ruhig, während ich wieder auf das Handy schaute. „Ich werde es schaffen. Egal, was du sagst."
Obanai zerrte mich also ins Auto, ohne groß ein Wort zu verlieren. Ich konnte den Blick auf seinem Gesicht förmlich spüren, als er mich mit seiner typischen, ernsten Miene ansah. „Mach dich bereit, Muichiro. Es wird... interessant", sagte er, während er den Motor startete.
Ich seufzte und setzte mich hin, versuchte, irgendwie ruhig zu bleiben, aber ich konnte den Gedanken an das bevorstehende Szenario nicht abschütteln. Obanai wollte herausfinden, wie ich mit Kindern umging. Das hieß, dass Kotetsu, der nervige kleine Junge, der mich immer vollquatschte, wahrscheinlich meine Geduld auf die Probe stellen würde.
„Du bist so ruhig, Muichiro", sagte Obanai, als er das Auto lenkte. „Glaub nicht, dass du dich hier einfach rausreden kannst. Ich will sehen, wie du mit Kindern klarkommst."
„Ich... ich bin ruhig, weil ich weiß, dass du sowieso alles kontrollierst", murmelte ich und versuchte, meine Nervosität zu unterdrücken. Tatsächlich war ich extrem nervös. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit Kotetsu umgehen sollte, ohne dass ich mich irgendwann wie ein komplettes Wrack fühlte.
Obanai grinste leicht und fuhr weiter, während Kotetsu, der hinten im Auto saß, mich fröhlich anstarrte. „Muichiro! Muichiro! Was hast du heute in der Schule gemacht? Ich habe gehört, dass du der Beste in allem bist! Ich will genauso gut wie du werden!"
„Äh...", antwortete ich zögernd. „Es ist nicht so einfach, Kotetsu..."
„Aber du bist doch ein Held! Du musst mir alles beibringen!" Kotetsu fuhr fort, mich mit seinem endlosen Gequassel zu bombardieren.
„Ich...", sagte ich, aber bevor ich noch ein Wort sagen konnte, hatte Obanai plötzlich den Blick in den Rückspiegel geworfen und ergriff das Wort. „Lass den Jungen in Ruhe, Kotetsu. Er muss sich konzentrieren."
„Aber Obanai, ich will doch, dass Muichiro mir hilft! Er kann mir alles beibringen!"
„Kotetsu, du nervst ihn nur. Lass ihn mal in Ruhe, okay?" Obanai klang so, als hätte er genug von Kotetsus endlosen Fragen.
Wir fuhren weiter, und Kotetsu hörte endlich auf, mich zu bombardieren, aber der ständige Redeschwall hatte meine Nerven ziemlich strapaziert. Als wir schließlich auf dem Schulhof ankamen, wollte ich einfach nur schnell aus dem Auto verschwinden.
„Endlich!", sagte ich, als ich die Autotür aufriss und hinaus sprang.
„Versteh dich gut mit ihm, Muichiro!", rief Obanai noch hinter mir, aber ich hatte gar nicht mehr die Energie, darauf zu reagieren.
Die Schule war wie immer ein lebhafter Ort, aber ich hatte keinen Bock, mich jetzt mit Kotetsu auseinanderzusetzen. In diesem Moment sah ich Senjuro, der ein paar Schritte entfernt stand und mit einem Lächeln auf mich wartete. Ah, Senjuro! Endlich jemand, bei dem ich nicht das Gefühl hatte, wie ein nervöses Wrack zu wirken!
„Senjuro!", rief ich und machte mich sofort auf den Weg zu ihm. „Hilf mir, bitte!"
Senjuro, immer freundlich, aber mit einem spitzbübischen Grinsen auf den Lippen, begrüßte mich. „Was ist los, Muichiro? Warum bist du so panisch?"
„Kotetsu... er quatscht mir die Ohren voll! Obanai wollte sehen, wie ich mit Kindern klarkomme, und jetzt...", sagte ich, während ich fast verzweifelt auf die Situation starrte. „Ich glaube, ich werde wahnsinnig!"
Senjuro lachte leise und legte eine Hand auf meine Schulter. „Keine Sorge, ich bin hier. Lass uns einfach ein bisschen ablenken, okay?"
Gerade als wir weitergingen, hörte ich wieder Kotetsus Stimme hinter mir. „Muichiro! Muichiro! Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie ich in Mathe besser werden kann!"
„Oh nein...", murmelte ich und drehte mich um. Senjuro grinste nur.
„Na, das wird ein Spaß", sagte er schelmisch. „Komm, lass uns abhauen. Kotetsu kann auch noch eine Weile alleine nach dir rufen."
Ich nickte und folgte ihm schnell, froh, endlich etwas Abstand von Kotetsu zu bekommen. Doch trotzdem war ich innerlich völlig am Ende. Und Obanai, der sich sicher heimlich einen Spaß daraus machte, wusste genau, wie er mich in diese seltsame Situation brachte.
„Ich dachte, du wolltest mit Kindern arbeiten, Muichiro?", sagte Senjuro, als wir uns vom Schulhof entfernten. „Klingt so, als würdest du gerade deine Geduld testen lassen."
„Ich... ich kann das schon", antwortete ich, versuchte, ein wenig Selbstvertrauen zu fassen. „Es ist nur... Kotetsu ist echt anstrengend."
„Ja, aber du hast dich gut geschlagen. Ich kann dir nicht mal sagen, wie oft ich mit ihm zu tun habe", lachte Senjuro. „Er ist wirklich ein Fall für sich."
„Ich merke es", sagte ich und schüttelte den Kopf. „Naja, wenigstens bin ich jetzt bei dir. Das fühlt sich besser an."
„Immer gerne", sagte Senjuro und zwinkerte mir zu. „Komm, lass uns eine Pause machen, bevor wir uns wieder mit dem Rest des Wahnsinns herumschlagen müssen."
Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Irgendwie fühlte sich die Schule heute weniger schlimm an, jetzt wo ich wenigstens jemanden hatte, der mich verstand. Und Kotetsu würde sowieso nicht so leicht aufhören, mich zu verfolgen. Aber Senjuro war da, und das gab mir zumindest ein bisschen Hoffnung, dass der Tag nicht ganz so chaotisch enden würde.
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