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Also zuerst einmal: Das war nicht meine Schuld.

Und das würde ich Alec auch ganz genau so sagen.

Wer hätte denn auch erahnen können, dass dieser scheiß Thekenjunge nach meinen Worten so angepisst war, dass er mir vermutlich mit vollster Absicht ein Zimmer gegeben hatte, das zwar zwei einzelne Betten besaß - obwohl es auch keinen großen Unterschied gemacht hätte, wäre es ein Doppelbett gewesen, so eng wie das hier war - allerdings war das rechte Bett der beiden vielleicht nicht ganz... funktionstüchtig.

Aber hey, wie gesagt, das war nicht meine Schuld gewesen! Das war schon so!

Ich meine, ich war doch bestimmt nicht auf die dämliche Idee gekommen, auf das Bettgestell einzuschlagen, bis das zusammenbrach...

Gut. Vielleicht hatte ich ganz leicht - wirklich! Das war gar nicht so fest! Nur ein bisschen... - gegen eines der Beine getreten, aber woher hätte ich denn wissen sollen, dass das dumme Teil sofort zusammenbricht?!

Wie gesagt, der Typ an der Rezeption hatte bestimmt gewusst, dass das eine Bett nicht mehr ganz dufte war und nachdem ich etwas... schnippisch geantwortet hatte, war der eben sauer gewesen. Also deren Geschäftsprinzip sollten die dringends nochmal überarbeiten...

Ich seufzte und sah mit, immer noch triefenden, Klamotten auf die Matratze hinab, die nun inmitten von Holztrümern lag.

Wie konnte sowas denn auch so unendlich unstabil sein?

Und nur fürs Protokoll, damit mich Alec nachher nicht vielleicht noch köpfte, ich würde mich auch bereit erklären, auf diesem dummen Matratzending zu schlafen, da bekam der Idiot sogar das gute Bett.

Ich ließ erneut einen müden Seufzer hören, warf einen bedauernden Blick auf die Armbanduhr, die mir normalerweise hätte verraten können, wie spät es war, nun allerdings vollkommen nutzlos war, und machte mich schließlich kopfschüttelnd auf dem Weg zu der dunkelbrauen Tür, die sich direkt am Ende des nun zertrümmerten Bettes anschloss.

Zugegeben etwas genervt kickte ich ein paar Holzsplitter von der Tür weg, um diese dann schwungvoll öffnen zu können.

Angewidert verzog ich das Gesicht, als mir ein fürchterlicher Gestank entgegenschlug - eine Mischung aus Fekalien und Erbrochenem.

Anstatt das ganze Vermögen der früheren Portemonnaie Besitzer für einen hitzigen Anruf bei Lila zu verbraten, hätte er ja ruhig Mal in ein schöners Motel investieren können.

Okay, gut, es musste nicht einmal schöner sein - immerhin schliefen wir bloß eine Nacht hier - aber es wäre doch ganz wünschenswert, würde es nicht wie die tiefste Kanalisation riechen.

Angeekelt verzog ich mein Gesicht, hielt mir die Nase zu und betrat dann das Bad, wobei ich mich hütete, der Toilette näher zu kommen, als es nötig gewesen wäre.

Mein eigentliches Ziel war nämlich der Spiegel.

Nein, ich war nicht eitel, wollte nur sehen, wie scheiße ich nach all dem aussah.

Ich seufzte. Toll.

Abgesehen davon, dass mein Haar komplett nass an meinem Schädel klebte, waren die tiefen Augenringe, die mein Gesicht zierten, vollkommen unübersehbar und auch meine Haut war selbst für meine Verhältnisse ungewöhnlich blass, sodass man meine Sommersprossen mit sehr viel Fantasie fast für Blut hätte halten können.

Außerdem war meine Nase mit einem leichten, blauen Schimmer gesegnet und die Haut zwischen Mund und Riechkolben - was ein dämliches Wort - war seltsam rot.

Als hätte das Blut, das schon lange abgewischt worden war, die Haut auf Dauer verfärbt.

Dann glitten meine Augen meinen Körper hinab, der normalerweise mit blauen Flecken und Schnittwunden hätte übersät sein müssen, wäre da nicht diese mysteriöse Frau gewesen, die diese seltsamen, seltsamen Gefühle in mir hervorgerufen hatte.

Apropos. Wer zur Hölle war sie?

Fast demonstrativ legte ich meinen Kopf in den Nacken, nur, um die schäbige Badezimmerdecke mit einem bösen Blick zu fixieren.

Den großen, gelblich-braunen Fleck, der gefährliche Ausmaße annehmen zu schien, ignorierte ich dabei geflissentlich.

»Du hast gesagt, ich bekomme Antworten, wenn ich den Vollpfosten, der sich übrigens wie eine kleine Zicke benimmt, da raus hole. Also?«

Ich wartete.

Auffordernd hob ich eine Braue, als erwartete ich, dass Aleyna jeden Moment einfach durch die Decke gekracht käme um mir dann ganz in Ruhe alles zu erklären.

Aber nichts passierte. Natürlich nicht.

»Kann man sich in diesem Drecksladen eigentlich auf niemanden mehr verlassen?«, seufzte ich kopfschüttelnd und senkte dann wieder den Blick.

Er blieb an meinem nassen T-Shirt hängen, das ziemlich unangenehm an meiner Haut klebte und fies über diese eine Stelle rieb.

Fast automatisch hob sich meine Hand an den Saum des Oberteils, dann stockte ich allerdings.

Zweifelnd betrachtete ich meine Erscheinung im Spiegelbild, strich mir einige nasse Locken hinters Ohr.

Bald würde ich also wieder aussehen, wie ein explodierter Pudel...

Aber zurück zum Thema. Wollte ich überhaupt wissen, was sich unter dem dünnen Stoff befand? Vermutlich nicht. Und im Endeffekt würde ich es mir doch ansehen, weil ich nun einmal viel zu neugierig war.

Ich seufzte, hob dann langsam den Stoff hinauf und verzog kurz mein Gesicht, als er an der Wunde, die die Frau wohl nicht hatte heilen können, hängen blieb.

Mein Bauch hob und senkte sich ungewöhnlich schnell, tiefe Furchen bildeten sich auf meiner Stirn, ich verzog das Gesicht.

Nein... Das sah definitiv nicht gut aus.

Kurz hatte ich tatsächlich damit zu kämpfen, meine Übelkeit hinabzuschlucken, dann bemühte ich mich, möglichst neutral an die kreisrunde Verbrennung heranzugehen, die sie mir siedend heiß etwas oberhalb meiner alten Verbrennung verpasst hatten.

Ich schnaubte. Meine Eltern hatten früher, wenn ich mich ausversehen irgendwo gekratzt hatte, immer aus Spaß gesagt, ich müsse aufpassen, da sie sonst nicht so viele Kamele für mich bekommen würden.

Na dann hätten sie jetzt wohl Glück, würden sie überhaupt noch die Pfote eines Kaninchens im Austausch gegen mich bekommen.

Ich seufzte. Sehr unpassende Gedanken Aruna...

Ich kniff meine Augen zusammen, um das Muster, das die Verbrennung bildete, zu entschlüsseln und bis ich verstand, dass es eine große Hand darstellen sollte, die sich schützend über eine kleinere legte, vergingen gut und gerne fünf Minuten.

Ich schluckte schwer.

Eigentlich ging es mich nichts an, eigentlich sollte es mich überhaupt nicht stören, aber ich war nun einmal Aruna.

Und ich würde wohl durch dieses verdammte Ding an meinem Bauch vom heutigen Zeitpunkt an immer wieder daran erinnert werden, dass ich einem kleinen Mädchen die Möglichkeit zu leben genommen hatte.

Ich schüttelte den Kopf, als wollte ich diesen Gedanken vertreiben und ließ das T-Shirt wieder hinab fallen, woraufhin die Wunde schmerzhaft aufbrannte.

Vermutlich hätte ich die Verbrennung desinfizieren müssen oder so, allerdings hatte ich keine Lust, beim längeren Anstarren eben dieser, in ein weiteres, tiefes Loch voller Schuldgefühle zu fallen.

Deshalb tat ich es also nicht.

Seufzend raffte ich mich auf, warf meinem Spiegelbild einen letzten, müden Blick zu und trat schließlich wieder in das Zimmer mit dem einen, zerschmetterten Bett.

Erneut fuhren meine Augen das Zimmer entlang, auf der Suche nach einer Uhr, die ich vielleicht doch übersehen hatte, doch ich fand absolut gar nichts.

Ich wusste bloß, dass es draußen mittlerweile stockdunkel war, allerdings weiterhin regnete.

Also ich wusste ja nicht, wo der Idiot von Ven hingegangen war, doch würde er jetzt die ganze Zeit draußen sitzen, würde er mit Sicherheit eine Erkältung bekommen.

Ich schnaubte.

Na die hatte er aber auch verdient...

Vermutlich wäre es schlauer gewesen, meine nassen Klamotten auszuziehen, angesichts der Tatsache, dass der Ven allerdings jeden Moment zurückkommen könnte, ließ ich das lieber bleiben und fiel seufzend auf das funktionierende Bett hinab, wo ich mich schließlich gegen die Wand lehnte und meinen Kopf in den Nacken legte.

So lange Alec noch nicht da war, konnte ich das Bett hier ja ruhig in Anspruch nehmen. Ich fragte mich nur, wann der Affe es für nötig hielt, hier einzutrudeln.

Ich schloss meine Augen. Bis das geschah konnte ich mich ja ruhig noch etwas ausruhen, um mich auf das kommende Donnerwetter vorzubereiten.

Außerdem, fiel mir ein, hatte ich mit Aleyna bis jetzt die meiste Zeit über Träume kommuniziert. Wenn ich jetzt also schlafen würde, wäre es ja gar nicht so unwahrscheinlich, meine herbeigesehnten Antworten zu bekommen, oder?


◊♠


Ich wurde von einem leisen Geräusch geweckt.

Oder hatte ich überhaupt geschlafen? Keine Ahnung. Ich erinnerte mich zumindest nicht, geträumt zu haben.

Trotzdem war ich zumindest noch im Halbschlaf, denn für einen Augenblick schien ich viel zu benebelt, um auf die Geräusche zu reagieren.

Meine Stirn legte sich in Falten, unruhig wälzte sich mein Kopf an der Wand von links nach rechts und erst da schien ich erst richtig zu verstehen, dass ich beobachtet wurde.

Ich spürte den Blick glühend heiß auf mir, wie er sich keinen Augenblick von meiner Gestalt abzuwenden schien.

Ich wurde unruhig.

Okay, was zur Hölle sollte das.

Mein ziemlich benebeltes Ich schnallte dann auch mal, dass es vielleicht ganz hilfreich wäre, meine Augen zu öffnen, in Anbetracht der Tatsache, dass ich gerade ganz offensichtlich gestalked wurde.

Flatternd öffneten sich meine Lieder und ich brauchte einen Moment, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Ich wusste wer es war, noch bevor ich ihn sah. Zum einen, weil es wohl wenig Sinn machte, wäre es jemand anderes und zum anderen, weil ich seine Präsenz klar und deutlich auf meiner Haut spüren konnte.

Und dann entdeckte ich die große Gestalt, die an der Wand neben der Tür lehnte.

Den Kopf hatte er ebenfalls nach hinten geneigt, seine Augen allerdings hatte er unermüdlich auf mich gerichtet.

Er sagte nichts. Kein einziges Wort, während er merkte, dass ich aufgewacht war. Er starrte mich einfach an.

Ehm... okay?

Müde richtete ich mich etwas auf und rieb mir über meine Augen, wobei mir diese eine Frage in den Kopf schoss.

»Wie bist du hier rein gekommen?«, stellte ich sie schließlich und warf ihm einen verwirrten Blick zu.

Jetzt mal ernsthaft, wie zu Hölle war er ins Zimmer gekommen? Also meines Wissens nach hatte ich den Schlüssel sicher in einer der Nachttischschubladen verstaut.

Für einen Moment tat der Ven nichts, sagte nichts, wobei sowohl sein Haar, als auch seine Klamotten merkwürdig trocken waren, während meine immer noch etwas klamm schienen.

Wo war er denn bitte gewesen?

Als ich schließlich schon endgültig aufgeben wollte, weil ich dachte, Alec würde außer dem Gestarre heute nichts mehr zu Stande bringen, klimperte es plötzlich und der Vic hob einen kleinen Bund Schlüssel hoch, wobei er einen von ihnen festhielt.

Ich runzelte die Stirn.

»Woher hast du die?«

Keine Antwort. Er sah mich einfach an. Dann schloss er die Augen. Und er sagte nichts.

Ich wartete. Eine Minute. Zwei. Drei.

Und dann platzte mir der Kragen, was vermutlich vor allem an der angestauten Wut lag, wegen all dem, was der Ven sich in den letzten Stunden geleistet hatte, und weniger an dieser kleinen Nichtigkeit.

Okay. Jetzt reichte es mir endgültig. Und vielleicht reagierte ich minimal über.

Schnaubend sprang ich vom Bett auf, hob drohend meinen Zeigefinger und als er es nicht einmal für nötig hielt, seine beschissenen Augen zu öffnen, wurde ich richtig wütend.

So ein verdammter Hornochse!

»Was?!«, keuchte ich wütend und kam mit erhobenem Zeigefinger auf ihm zu, was bestimmt überhaupt nicht dumm aussah.

»Was ist eigentlich dein«, ich kam bei ihm an, bohrte meinen Finger anklagend und irgendwie schwerer atmend in seine Brust und funkelte wütend zu ihm herauf, »scheiß Problem?!«

Er sagte nichts. Kein einziges Wort. Die Augen hatte er immer noch geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt und die Tatsache, dass er weiterhin ganz ruhig atmete, ganz anders als ich, machte mich noch wütender.

»Sag mal würdest du scheiß Idiot jetzt endlich mal mit mir reden?! Ich hab echt keinen Bock mehr auf diesen ganzen Mist!«

Mein Finger hämmerte wie wild auf seine Brust ein, ich wusste, dass ich ziemlich geisteskrank wirken musste, aber ich war nun einmal wütend! Das hier wurde mir definitiv zu hoch!

»Alec?!« Ich hatte wirklich, wirklich das Bedürfnis, ihm mit voller Wucht in das dumme Gesicht zu schlagen, damit er die beschissenen Augen vielleicht mal öffnete.

Nichts. Absolut gar nichts.

»Oh ich hasse dich«, knurrte ich resigniert und als ich gerade Anstalten machen wollte, mich wieder umzudrehen, weil dieser Typ ganz definitiv ein hoffnungsloser Fall war, schnellte seine Hand plötzlich in solch einer Geschwindigkeit in die Höhe, dass ich zusammenzuckte.

Und als sie sich dann einfach auf meine eigene Hand legte, damit ich sie nicht von seiner Brust nahm, erstarrte ich.

Denn erst jetzt konnte ich spüren, wie schnell sein Herz eigentlich schlug, während sein Äußeres vollkommen ruhig schien.

Ein Schauer überkam mich, ein warmes Kribbeln, das von seiner Berührung ausgehen zu schien und ich schüttelte verständnislos den Kopf, während ich schwer schluckte.

»W-Was... Was soll das?«

Oh Himmel, warum musste meine dumme Stimme denn genau jetzt anfangen zu zittern?

Und dabei war ich doch eigentlich wütend auf ihn... eigentlich. Oder?

Warum musste er denn alles immer so dumm kompliziert machen?!

Und da, zum ersten Mal, öffneten sich seine Augen, während sich mein dummes Herz seinem eigenen, schnell schlagenden, anzupassen schien. Er blinzelte auf mich hinab, ein Glühen in seinen Augen, dass ich bis jetzt noch nie gesehen hatte, während ich weiterhin vollkommen erstarrt genau vor ihm stand - viel zu nah, wie mir jetzt erst auffiel - und für einen Moment wohl irgendwie das Atmen vergaß.

»Vielleicht«, flüsterte er dann plötzlich und ich versuchte wirklich, wirklich mit aller Macht den Schauer zu vertreiben, der meinen Rücken hinab jagen wollte, als er mich so ansah, was mir allerdings natürlich mal wieder überhaupt nicht gelang.

Und das wusste er.

»Vielleicht ist es einfach der Gedanke, dass ich niemals eine Chance haben würde.«

Seine Mundwinkel zuckten leicht, fast traurig in die Höhe.

»Vielleicht ist es der Gedanke, dass es niemals funktionieren würde.«

Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht, während erneut dieses merkwürdige, merkwürdige Gefühl in meiner Magengrube aufkam und mein Herz langsam wieder anfing, dumme Dinge zu tun, zu rasen und zu springen und zu laufen und zu hüpfen.

Eine Gänsehaut überkam mich, während ich plötzlich eine Bewegung an meiner Hand spürte und vollkommen verwirrt dabei zusah, wie Alec langsam, quälend langsam meine Finger mit seinen eigenen verflocht.

Was tat er denn da? Und warum zur Hölle wollte ich, dass er nicht damit aufhörte?

Mir wurde schlecht, seltsam schlecht, schlecht aber gut und dann doch schlecht. Was?!

»Vielleicht ist es der Gedanke«, hauchte Alec, während er nicht einmal auf unsere verschränkten Hände achtete, mich weiterhin einfach ansah, wobei ich glaubte, jeden Moment zusammenzuklappen.

Meine Knie fühlten sich merkwürdig weich an, als würden sie jeden Moment zu Wackelpudding werden, als würde ich jeden Moment einfach zusammenbrechen und ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören, während sich mein Mund zu einer verwirrten Frage öffnen wollte, wobei ich doch nichts zu Stande brachte.

Aber das musste ich nicht. Denn Alec redete einfach weiter.

Alec, mit dem rasenden Herzen, dass ich beinahe in meinen Ohren pulsieren hören konnte.

»Vielleicht ist es der Gedanke«, wiederholte er, »dass ich es mir so sehr wünsche und doch im gleichen Moment weiß, dass es niemals funktionieren könnte, dass es zum Scheitern verurteilt wäre.«

Er sah auf mich hinab, diese unglaubliche Sanftheit, diese Trauer in seinen Augen.

Ich blinzelte heftig, mein Atem ging schneller und schneller, mein Puls raste und ich musste mich wirklich zurückhalten, um jetzt nicht laut nach Luft schnappend vor ihm zu stehen.

»W-Wovon... Wovon redest du?«

Mein Gehirn wurde zu Matsch.

Ich konnte nicht klar denken, nicht unter diesem Blick, den Alec mir schenkte, nicht unter der Berührung, unter dem Umstand, wie er meine Hand in seiner hielt, als wäre sie so kostbar, dass er Angst hatte, er könnte sie zerbrechen.

Was war hier los? Was war mit ihm los? Und was war mit mir los?

Alec seufzte, lachte humorlos auf und schloss für einen Moment wieder die Augen, während mein Hirn wohl das Kommando zur vollkommen Eskalation gegeben hatte, zumindest nach dem, was gerade in mir vorging.

»Es ist seltsam«, hauchte Alec und schüttelte langsam den Kopf, während ich absolut nicht wusste, was zur Hölle ich jetzt tun konnte.

Mir war kalt und warm und dann wieder kalt und doch warm und... Oh Gott.

»Es ist seltsam, wie du es niemals bemerkst... Wie du niemals bemerkst, wie dich die Leute ansehen. Wie sie dich ansehen, weil du einfach diese Ausstrahlung hast, die einem den Atem rauben kann. Es ist seltsam, dass du nicht sehen kannst, wie unglaublich schön du bist.«

Und ich glaubte, das war der Moment, in dem ich endgültig aufhörte, zu atmen.

Ich blinzelte heftig, mein Mund öffnete sich ungläubig, ich schüttelte den Kopf, mein Herz raste und raste und raste, in dem Moment wurde mir so unendlich warm, das Kribbeln in meiner Magengrube schien mich vollkommen um den Verstand zu bringen und für einen Augenblick glaubte ich tatsächlich, meine Knie würden nachgeben.

Was sollte das? Was tat er denn da? Was redete er denn da?

Und da öffnete er die Augen, da trafen sie mich mit voller Wucht und niemals, niemals hatte ich gesehen, wie sie so erstrahlen konnten.

»Es ist seltsam, weißt du Aruna? Du bist so unendlich sturrköpfig, das nervigste Mädchen, das ich jemals getroffen habe, so eine verdammte Besserwisserin, die ihren Schnabel niemals halten kann und du bringst mich auf die Palme, weißt du das?! Aber genau das ist es. Der Gedanke, dass genau diese Besserwisserin eines Tages neben jemand anderem aufwacht und ihm ihr Herz voll und ganz geschenkt hat, wie du es geneigt bist zu tun, bei Leuten, die dir etwas bedeuten... Der Gedanke, dass dein Herz jemand anderem gehört, das Strahlen in deinen Augen, dein Lachen...Der Gedanke, dass ich ein gottverdammter Ven bin und deshalb nicht mit diesem einen Mädchen zusammen sein kann...«

Er stockte, ich atmete nicht mehr, mein Herz setzte vollkommen aus, tausend Gedanken, tausend Gefühle schossen in diesem Moment durch meinen Körper, ich sah immer wieder zwischen seinen Augen hin und her und hin und her und fasste einfach nicht, was er da gerade sagte, konnte es nicht begreifen, konnte es nicht glauben, konnte nicht glauben, was diese Worte bedeuteten, was sie mit mir machten, während er seine Hand noch fester um meine schlang, wobei allein bei dieser kleinen Geste irgendetwas in mir zu explodieren schien.

Und ich war wie erstarrt, konnte mich nicht regen, konnte überhaupt nicht reagieren, während Alec nicht mehr weiterreden zu können schien, während er mit zitterndem Kiefer auf mich hinab sah und als ich spürte, wie sein Herz schneller und schneller und schneller schlug wurde mir so unendlich warm, das ich glaubte, mein Kopf würde jeden Moment explodieren.

Und dann geschah es.

Alec blinzelte heftig, sah immer wieder zwischen meinen Augen hin und her und dann glitt sein Blick plötzlich hinab zu meinen Lippen, die irgendwann angefangen hatten zu zittern.

Und es geschah so unendlich schnell, dass ich nichts dagegen tun konnte. Denn in diesem Moment schien der Ven etwas zu beschließen.

»Ach scheiß doch drauf«, knurrte er, ich wollte noch fragen, was er meinte, doch das musste ich nicht.

Ein kleiner Stich durchfuhr mein Herz, als er meine Hand plötzlich ruckartig losließ, doch noch im gleichen Moment passierte so unendlich viel mehr, dass ich es im Endeffekt nicht einmal mehr einordnen konnte.

Alecs Hände schossen hoch, schlossen sich um mein Gesicht und ließen mein Herz explodieren, die Schauer überkamen mich, in meinem Inneren herrschte vollkommenes Chaos, mit sanfter Bestimmung zog er mich zu sich, ich war viel zu viel zu viel zu überfordert mit ausnahmslos allem, mein Herz raste und raste und raste, ich bekam keine Luft.

Und dann legten sich seine Lippen auf meine.

Weich und warm und so behutsam, als hätte er Angst, mich zu verletzen.

Und genau in diesem Moment schien einfach alles in mir zu explodieren, alles schrie kreischend auf, ein totales Durcheinander, ich riss meine Augen auf, mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen, meine Hände zitterten, hoben sich erschrocken, während ich sah, wie Alec die Augen fast verzweifelt geschlossen hatte und als sich seine Lippen so unglaublich vorsichtig gegen meine bewegten, schlossen sich meine Augen einfach von selbst, ich ließ es einfach geschehen, sackte fast erschöpft gegen Alecs Körper und konnte spüren, wie jegliche Anspannung von seinem eigenen fiel, wie er fast erleichtert in den Kuss hinein lächelte, wie er mich noch etwas näher zu sich heran zog und ich ließ es einfach geschehen.

Dieses Gefühl schien viel zu überwältigend, viel zu unglaublich, als das ich es nicht zulassen könnte.

Meine Hände, die sich soeben noch fast abwehren und vollkommen erschrocken gehoben hatten, legten sich langsam, fast vorsichtig - unsicher - auf seine hektisch auf und ab hebende Brust und ich konnte sein Herz unter ihnen spüren, wie es raste und raste und raste, während ein unglaubliches Kribbeln durch meinen Körper strömte, während meine Knie einfach drohten, nachzugeben, während ich keine Luft bekam, während alles in diesem Moment so unendlich warm erschien.

Während sich mein Kopf einfach abstellte...

Ich dachte nicht mehr nach, über gar nichts, nicht über die Konsequenzen, über das Danach, über das Warum, über die Tatsache, dass das, was in eben jenem Moment geschah, niemals geschehen durfte.

Ich ließ es einfach geschehen. Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich es einfach zu, ließ zu, dass Alec seine Hände um mein Gesicht schloss, ließ zu, dass sich seine Lippen sanft gegen meine drückten.

Ließ zu, dass er der erste Junge war, der mich küsste.

Ich ließ es einfach zu, legte mein ganzes Vertrauen in die Hände dieses einen Jungen.

Denn zum ersten Mal in meinem Leben machte ich mir einfach keine Gedanken über jedes kleinste Detail.

Und ich wollte, dass dieser Moment nie wieder endete, denn noch nie in meinem Leben hatte ich mich so geborgen, so sicher, so geliebt gefühlt...

Es war, als wäre diese eine Geste, die für andere vielleicht so unbedeutend, so klein war, wo sie für mich doch alles bedeutete, das, auf das ich mein Leben lang gewartet hatte, was ich vermisst hatte, wonach ich mich gesehnt hatte, obwohl ich es nicht einmal gemerkt hatte.

Es war, als wäre ich angekommen.

Endlich. Endlich angekommen.

Meine Augenbraun zogen sich fast verzweifelt zusammen, ich wusste nicht einmal, warum sich die Tränen einen Weg in meine Augen bahnten.

Angekommen... Endlich...

Zuhause. Bei Alec.


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