95
Mein Kopf schien zu bersten. Es war, als würde ihn irgendjemand genau in diesem Moment entzwei reißen.
Ich stöhnte auf und wollte meinen Kopf ächzend zur Seite winden, doch schaffte es nicht.
Es war, als würde mich irgendetwas an der Stirn gegen einen harten Untergrund drücken.
Und ich brauchte viel zu lange, um zu realisieren, dass es raue Lederbänder waren, die sich fest um meinen Kopf, meine Arme, meinen Bauch und schließlich meine Beine zurrten.
Ich wollte blinzeln, doch es gelang mir einfach nicht, ich wollte meinen Mund öffnen, doch er blieb einfach geschlossen, ich wollte meine Hände bewegen, meine Füße, doch sie schienen vollkommen erstarrt.
Es war, als würde einfach nur dieses stetige, unterschwellige Dröhnen um mich herum existieren, dass mich erzittern ließ, auch wenn es unheimlich warm sein zu schien.
Eine stickige Wärme, die mich schwindelig machte.
Und es brauchte zu lange, viel zu lange, bis ich allmählich verstand, was hier überhaupt los war.
In meinem Kopf schien völlige leere zu herrschen.
Alec... der Streit... Will... Will! Ich war bei Will gewesen! Ich hatte den Schlüssel holen wollen und dann... dann... Lupa!
Lupa war da gewesen! Und Ten! Lumina! Phelan!
Und Ylva. Ylva. Fenris. Aber wie? Wie konnten sie denn da gewesen sein?
Komm schon Aruna... Erinner dich! Was war geschehen...
Erinnerung.
Erinnerung, schoss es mir durch den Kopf. Es war eine Erinnerung gewesen.
Ich wollte schlucken, doch es ging einfach nicht. Als wäre mein Hals vollkommen eingefroren. Es waren bloß Erinnerungen gewesen...
Und jetzt wusste ich, was das dumme Pergament mit fürchte dich nicht vor dem Licht gemeint hatte.
Es war nicht so, dass man wirklich vor dem Licht Angst gehabt hätte, viel mehr war es, diesen einen Moment in seinem Leben verlassen zu müssen, wo wirklich und wahrlich alles perfekt war.
Friedlich. Voller Liebe. Voller Glück.
Mein Mund öffnete sich, ich wollte keuchend nach Luft schnappen und konnte doch nicht.
Ich hatte in das Licht hinein gegriffen und dann... dann war ich wieder aufgewacht. In Wills Zimmer. Ich hatte den Schlüssel.
Und kaum war mir dieser Gedanke gekommen spürte ich, wie sich etwas Spitzes in mein Bein bohrte. Der Schlüssel... er war noch da.
Und es war, als würde ich es in diesem Moment, mit diesem leichten, unangenehmen Schmerz, zum ersten Mal vernünftig realisieren.
Ich war niedergeschlagen worden! Wills Zimmer... Ich hatte rausgehen wollen und dann... dann dieser Schmerz.
Nein. Nein. Sie hatten mich. Aber ich wollte doch... Alec und ich sollten doch... North Carolina.
Wir mussten nach North Carolina!
Ächzend zog ich die Brauen zusammen, die brütende Hitze raubte mir den Atem und dann war da immer noch dieses unterschwellige Brummen. Mein Kopf schien zu explodieren und ich roch den metallischen Geruch von Blut.
Wieder entfloh ein kleines, erschöpftes Geräusch meiner Kehle und da spürte ich sie zum ersten Mal.
Ich ächzte auf und mit einem Schlag wurde mir schrecklich Übel. So übel, dass ich mich gekrümmt hätte, hätte ich gekonnt.
Dicke Schläuche bohrten sich in meine Handgelenke und ließen sie pulsieren, ein schmerzhaftes Brennen ging von ihnen aus.
Wieder keuchte ich auf, fühlte mich schwindelig und benebelt und gleichzeitig wachte ich langsam immer weiter auf. Was war hier los?
Mein Herz vollführte einen ängstlichen Tanz, mein Puls fing an zu rasen, was einen beißenden Schmerz durch meine Handgelenke jagen ließ und mit einem Mal fühlte es sich an, als würden sie einfrieren, es wurde unendlich kalt, als würde man Eis unter meine Haut pumpen.
Der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn, mir war so unendlich warm, langsam kam die Panik in mir hoch - was war hier los?! - und ich spürte, wie sich meine Brust immer unregelmäßiger hob und senkte, hob und senkte, hob und senkte.
Und da drang sie zu mir durch, ganz weit aus der Ferne, so schien es. Diese Stimme. So bekannt und im gleichen Moment konnte ich sie doch nicht zuordnen.
»Sie wacht langsam auf.«
Es war, als würde die Person durch eine dicke Schicht Watte zu mir sprechen und es machte mir Angst, das alles hier, diese Bewegungsunfähigkeit, das Eis, das mir unter die Haut gepumpt wurde, die Unwissenheit, die Wärme, die mich zu ersticken versuchte, die Kälte in der Stimme der Person, die mir bekannt vorkam und dann doch fremd.
»Wurde aber auch Zeit. Ich wollte eigentlich hier fertig sein bevor die Nacht zu Ende ist.«
Diese Stimme... Diese Stimme... Ich wusste, dass ich sie kannte, ich wusste es einfach und doch konnte ich sie nicht zuordnen.
Diese Verbitterung... Dieser Abscheu... Es klang so fremd.
»Schlag sie mal, vielleicht hilft das ja.«
Was? Nein!
Ich hörte ein kleines, beinahe liebevolles Lachen, dann waren da Schritte.
»Du bist unmöglich«, erwiderte die erste Stimme, sie kam auf mich zu, ich wollte den Kopf schütteln, es ging nicht, ich wollte etwas sagen, sagen, dass sie mich in Ruhe lassen sollten, es ging nicht.
Mein Herz sprang panisch in die Höhe, ich keuchte auf, die Person kam näher und näher und näher - Nein! Nein! Nein! Bitte.
Und dann schaffte ich es endlich.
»Nein«, krächzte ich mit brüchiger, kratziger Stimme, kaum lauter als ein Hauchen.
Doch es war zu spät. Zu spät, oder die Person hatte einfach Lust gehabt, mir wehzutun.
Ich wusste es noch, bevor es mich traf. Ein scharfer Luftzug, ein Geräusch, als würde jemand nach Luft schnappen und dann traf es mich mit voller Wucht.
Ich wimmerte auf, es knallte, mein Kopf wurde gegen die harte Wand hinter mir gepresst, obwohl ich schon an sie gefesselt war und dann kam der brennende Schmerz, der durch den Fausthieb mitten in mein Gesicht verursacht wurde.
Als erstes hörte ich dieses widerliche Knacken, es knirschte und dann durchzuckte ein Schmerz meine Nase, wie ich ihn niemals gespürt hatte.
Gepeinigt jaulte ich auf, spürte das warme Blut, wie es sich mit einem Schwall aus meiner Nase ergoss, mein Mund füllte sich damit, ich würgte.
Und dann, mit einem Schlag, riss ich meine Augen auf, keuchte, atmete zu schnell, viel zu viel zu schnell, meine Nase brannte, war mit Sicherheit gebrochen, explodierte, ließ mir die Tränen in die Augen steigen.
Da erblickte ich ihn. Meine Augen waren weit aufgerissen, ich bekam keine Luft, hielt inne und konnte es nicht glauben.
Ich blinzelte heftig, während ich etwas auf ihn hinab schauen musste, weil die Oberfläche, an die ich gefesselt worden war, so erhöht war, dass meine Füße nicht einmal den Boden berührten.
Asher.
Ein boshaftes Grinsen zierte sein spitzes Gesicht, während er die Arme vor der Brust verschränkt hatte und mich mit gefühlslosen Augen anfunkelte.
Ich blinzelte heftig, versuchte angestrengt, meine Tränen zurück zu halten, wollte die Unschärfe aus meinen Augen unbedingt vertreiben.
Und dann erklang es. Ein helles, eiskaltes, grausames Lachen.
»Na das wurde aber auch Zeit«, höhnte sie und das war der Moment, in dem mein Herz stehen bleiben zu schien.
Der Moment, in dem es endgültig jegliches Vertrauen verlor, dass es jemals in sich getragen hatte.
Meine Augen schossen voller Panik zu ihr. Und sie war bekannt. So unendlich vertraut. Das blonde Haar. Die hellblauen Augen.
»Poppy.«
Mein Stimmen war nicht mehr, als ein zutiefst entsetztes, ungläubiges Krächzen, voller Schmerz.
Schmerz wegen dieser einen Person, der ich vertraut hatte. Wieder. Die mich verraten hatte. Wieder.
Ich spürte, wie meine Nase langsam wieder heilte. Doch das war nichts gegen den Schmerz, der in eben jenem Moment in meiner Brust tobte.
Sie hatte die langen, schlanken Finger auf ihren kugelrunden Bauch gelegt, wobei der dunkle Kellerraum genau das wiederspiegelte, was ich in ihren Augen sah, während sie gegen die Wand gelehnt da stand.
Hass. Purer und ehrlicher und aufrichtiger Hass.
Wieso?
Die Frage schoss mir in den Kopf und trieb mir gleichzeitig erneut mehr und mehr Tränen in die Augen.
Für den Moment war ich so überrumpelt, dass ich mich nicht einmal darauf konzentrieren konnte, was um mich herum geschah.
Ich sah Poppy. Nur Poppy.
Die Poppy, die mich getröstet hatte, nachdem ich im Medizinschuppen zusammengebrochen war, die Stundenlang bei mir in der Bibliothek gesessen hatte, damit ich nicht alleine war, die mit mir über Liebe und Schmerz geredet hatte, mit der ich gelacht und geweint hatte, die mich vor Will rettete, wenn er nicht merkte, dass er zu aufdringlich wurde.
Die Poppy, die mich vor Falkenauge verteidigt hatte und ihre kleine Schwester in Form eines bedrohlichen Fiebermonsters zum Lachen brachte.
Die Poppy, die ihren Kindern liebevoll davon erzählte, was sie alles in dieser Welt erwarten würde, die ihnen vorsang und versprach, dass ihre Mutter immer für sie da sein würde.
Die gleiche Poppy - und dann doch nicht. Denn nun sah ich nichts als nackten, puren Hass in ihren Augen.
»Poppy!«, äffte die junge Frau meine ungläubige, verletzte Stimme nach und verzog das Gesicht, als wolle sie meine Miene nachmachen.
»Ja! Poppy! Die liebevolle, ach so verständnisvolle Poppina, nicht wahr?«
Asher warf ihr einen Blick zu, als würde er eine fleischgewordene Göttin vor sich sehen und grinsten noch ein wenig grausamer, als zuvor, als würde das Schoßhündchen auf die Befehle seiner Herrin warten.
Verständnislos wollte ich mit dem Kopf schütteln, verstand es einfach nicht, zog die Brauen gequält zusammen, während ich immer noch an die Wand gefesselt war und die Hitze mir zu Kopf stieg.
»Weißt du eigentlich...!«, keuchte Poppy dann plötzlich und ballte die Hände zu Fäusten, während eine pulsierende Ader mehr als deutlich auf ihrer Stirn zum Vorschein kam.
»Wie schwer es war, immer die verständnisvolle, liebevolle, große Schwester zu mimen, damit ich dein dummes, kleines, naives Herz für mich gewinnen konnte?!«
Poppys lodernder Blick brannte sich hassvoll in mein Herz, mein Mund öffnete sich, ich wollte etwas sagen und schaffte es doch nicht, bekam keine Luft, während ihre Worte alles in mir gepeinigt aufkeuchen ließen.
Wieso?
Wieso, wollte ich fragen und bekam doch kein Wort heraus.
Poppy kam näher und näher.
»Weißt du, wie schwer es war, dir jeden verdammten Tag in diese unerträglich unschuldig funkelnden Augen zu sehen, ohne dich nicht einfach sofort umzubringen?! Weißt du, wie schwer es war, deine naiven Worte zu hören, deine dummen Gefühle und deine hirnlose, schwache Trauer, ohne dir nicht jeden Moment einfach die Kehle heraus zu reißen?!«
Am Ende wurde ihre Stimme immer lauter, überschlug sich, ließ mich irgendwie leer zurück. Als würde ich langsam wirklich verlernen, was es bedeutete, zu fühlen.
»Oh ich wollte es so sehr«, keuchte sie und schloss für einen Moment die Augen, um fast beruhigend über ihren Bauch zu streichen.
»Aber es ging nicht«, zischte sie dann, woraufhin Asher nickte, als müsse er seinem Frauchen zustimmen.
Ein dunkler Schleier legte sich über seine Augen.
»Wir brauchten sie noch«, bestätigte er seiner Frau und griff dann nach ihrer Hand.
Ohne Widerstand ließ sie sich von ihm zu sich heran ziehen und nickte.
»Natürlich«, murmelte sie und legte ihre schlanken Hände in seinen Nacken, was angesichts der Tatsache, dass Asher ein Stück kleiner war, irgendwie deformiert aussah.
»Natürlich brauchten wir sie noch«, nickte Poppy und wirkte fast... fast wahnsinnig.
Asher nickte ebenfalls und strich seiner Frau das helle Haar aus dem Gesicht, um ihren Kopf dann in seine Hände zu nehmen.
»Ein naives kleines Ding, kein Wunder, das es dir so leicht gefallen ist, sie für dich zu gewinnen.«
Und das war der Moment, in dem ich meinen Blick senkte. Ich wollte nicht sehen, was mir schon in den Momenten, in denen ich gedacht hatte... gedacht hatte, dass Poppy... dass sie mich tatsächlich mochte, den Ekel hochgetrieben hatte.
Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab, mir wurde übel und am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, während ich hörte, wie seine Lippen stürmisch auf die ihren trafen.
Ich blinzelte heftig, versuchte den Verrat zu vertreiben, wollte nicht wieder so schwach sein.
Aber Verrat. Verrat war eine Sache, die mein Körper einfach nicht zu ertragen schien.
Komm schon Aruna! Reiß dich zusammen.
Ich verstand einfach nicht, was das hier sollte.
Angestrengt versuchte ich meinen Atem zu beruhigen, während mein Schädel immer noch pulsierte und meine Nase brannte.
Verschaff dir einen Überblick! Komm schon! Du musst hier raus! Irgendwie musst du es hier raus schaffen!
Mein Blick glitt an mir hinab und bei dem Anblick, der sich mir bot, wurde mir erneut unglaublich schlecht.
Zwei dicke, dursichtige Schläuche bohrten sich in meine Handgelenke, eine hellblaue Flüssigkeit schimmerte unheilverkündend in ihnen und schien meine Haut beinahe durchsichtig zu machen.
Ich hatte das Bedürfnis zu würgen, als ich sah, wie die Haut an meinen Handgelenken sich bewegte, als würde Wasser unter ihr aufgewühlt werden und ich konnte nicht einmal das Ende des schimmernden Striemens, der sich meine Arme entlang schlängelte, erkennen.
Halleluja, was zum Teufel war das?!
Ich blinzelte heftig, die Übelkeit war allgegenwertig und als ich bemerkte, dass die Schläuche einfach aus dem Boden kommen zu schienen, drohte die Panik langsam weiter und weiter in mir aufzukommen.
Was war das?!
Ich blinzelte heftig, schallt mich selbst, jetzt keinen Zusammenbruch zu erleiden, schallt mich, endlich wenigstens einmal in meinem beschissenen Leben mutig zu sein.
Denn hier ging es nicht nur um mich. Ich musste hier raus, ich musste Alec befreien, wir mussten nach North Carolina, damit ich endlich, endlich zu meiner Familie zurück kehren konnte. Wie ich es versprochen hatte.
Also ließ ich meinen Blick weiter den Raum entlang streifen, während Poppy und Asher weiterhin vollkommen mit sich selbst beschäftigt waren.
Die alten Steine, die den Boden pflasterten, schimmerten mir vollkommen unheilverkündend entgegen, während ich das Gefühl hatte, die hohen Wände würden mich verspotten. Und ich erkannte nicht einmal eine Tür. Nirgendwo.
Ich blinzelte heftig, bis mein Blick auf einen dampfenden Kessel fiel, von dem die unglaubliche Hitze zu kommen schien.
Er dampfte nicht, doch ich konnte ganz genau hören, wie die Flüssigkeit in dem Kupfergefäß kochte, ganz zu schweigen von dem Glühen, das sich unter dem Kessel autat.
Wie eine riesige Herdplatte auf dem Boden, dachte ich, während mich ein erneuter Schauer erfasste. Was zur Hölle sollte das alles hier?! Was wollten sie von mir? Und was befand sich in diesem Kessel?!
Meine Hände begannen zu zittern und in dem Moment wusste ich nicht, ob es nun vor Angst war, oder ob die Wut, die langsam in mir aufkeimte, der Auslöser war.
Vielleicht beides.
Aber Himmel ja! Ich war wütend! Verdammt wütend! Wieso konnte denn nie einfach alles so funtionieren, wie ich wollte?! Wieso geriet ich immer und immer und immer und immer wieder in solche Situationen?!
Und wieso verriet mich jeder. Hatte ich irgendwie ein Schild um meinen Hals hängen, das ich noch nicht bemerkt hatte verdammt?!
Ich kniff die Augen zusammen. Und die Flamme in mir schien langsam brodelnd heiß zu erwachen.
Ja. Das war die Wut. Mit Sicherheit. Die Wut überwog.
Vielleicht hatte Poppy mich mit ihren Worten verletzten wollen, vielleicht hatte es im ersten Moment geklappt, doch nun spürte ich nichts als unbändige Wut, die in mir aufkam.
Ich hielt den Atem an und rümpfte die Nase, während ich möglichst unauffällig versuchte, die Fesseln um meine Arme zu lockern, was einen erneuten Schmerz durch meine Handgelenke jagen ließ, den ich allerdings geflissentlich ignorierte.
Die Oberfläche, an die ich gefesselt worden war, hob sich glatt von der gemauerten Wand ab, die sonst vorherrschte. Sie wirkte geradewegs aus einem dieser dummen Horrorfilme entsprungen, die Cole mich immer gezwungen hatte, mit ihm anzusehen.
Als wäre das der Ort, an dem man wunderbar dumme, naive Leute die »ist da wer?«, riefen, foltern konnte.
Und langsam ging mir auf, warum Asher so oft weg gewesen sein musste. Während Poppy also mein »naives«, mein »dummes«, Herz für sich gewonnen hatte, wie sie so schön sagte, hatte er das alles hier vorbereitet.
Sie mussten vollkommen verrückt sein.
Und die Wut kroch weiter und weiter und weiter.
Bis plötzlich ein höhnisches Lachen ertönte.
Ich öffnete meine Augen wieder und bemühte mich, Poppy den hassvollsten Blick zuzuwerfen, den ich zu bieten hatte.
Denn nicht mehr hatte sie verdient. Nicht mehr als diesen Blick. Egal, ob sie mich einst getröstet hatte oder nicht. Denn jetzt war ich schlauer. Jetzt wusste ich, dass alles, was sie jemals getan hatte, eine einzige, große Lüge war.
Poppy allerdings versäumte es auch ihrerseits nicht, mich voller Hass anzusehen, während Asher seinen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte.
»Dein dummes Rumgezappel wird dir nichts nützen Rote, die Fesseln sind fest.«
Mir wurde schwindlig.
Und sobald sie dieses Wort, dieses eine Wort ausgesprochen hatte, wusste ich, worum es hier ging. Zumindest in welche Richtung.
Rote. Sie sprach es mit genau so viel Hass aus, wie Bane es einst getan hatte.
Verletzte es mich? Vielleicht.
Ich hätte Falkenauge erwartet. Ich hätte Falkenauge erwartet, die an der Stelle dieser beiden Menschen stand und mich so voller Hass anblinzelte, wie sie es schon vom ersten Moment getan hatte.
Nicht Asher. Und sicher, ganz sicher nicht Poppy.
Doch ich schluckte es herunter.
Denn nichts, was Poppy jemals getan hatte, war ehrlich gewesen.
»Darum geht es also«, keuchte ich schwer atmend, während mich das Zeug, dass in meine Arme gepumpt wurde, immer schwindliger machte.
Es schien meinen Schädel langsam zuzudrehen, meine Lider wurden schwerer und schwerer.
Und trotz des Faktes, das sie mich gerade höchst wahrscheinlich unter Drogen setzten, versuchte ich meinen Blick aufrecht zu halten.
Poppy hob spöttisch eine Braue, während sie für einen Moment zweimal vor mir erschien. Alles fing an, sich zu drehen. Weiter, immer weiter... weiter...
»Das ich... das ich... Rote... Rote bin... ich...Rot...«
Meine Zunge war müde. So müde.
Es kam mit einem Mal.
Meine Lider wurden schwer, unendlich schwer und dann hörte ich für einen Moment nichts mehr. Alles verschwamm vor meinen Augen und ich war mir sicher, dass das Zeug, das sie in mich pumpten in eben jenem Moment den Punkt erreicht hatte, an dem es genug war, um mich für ewig auszuknocken.
»Verdammt Asher jetzt stell das Zeug schon ab, ist ja unerträglich der so zuzuhören! Die Dosis würde auch reichen, um ein Pferd auszuknocken, langsam ists gut.«
Poppys entnervte Stimme drang durch dichten Nebel zu mir und als ich plötzlich ein unerträgliches Ziehen an meinen Handgelenken spürte, riss ich keuchend die Augen auf.
Es war, als würde mein Herz beinahe ein Stückchen leichter werden.
Ich blinzelte heftig, sah an mir hinab, während sich meine Brust schwer hob und senkte.
Die Schläuche waren verschwunden, obwohl man die großen, runden Wunden, die definitiv Narben hinterlassen würden, mehr als deutlich erkennen konnte. Und auch meine Haut schien weiterhin merkwürdig durchschimmernd.
Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fassen, doch ehe ich etwas sagen konnte, nahm ich eine Bewegung zu meiner Rechten wahr.
»Natürlich ist es deshalb, du dummes, dummes Mädchen!«
Ich hob fast müde meinen Blick, bemühte mich allerdings trotzdem mit aller Macht, sie den Abscheu spüren zu lassen.
»Was dachtest du denn?«, keuchte sie und wirkte wieder fast wahnsinnig, wie sie da stand, wie ihre blauen Augen funkelten, wie sie mit den Händen herum fuchtelte.
»Hast du dich denn mal angesehen?! Hast du gesehen, was du bist, du verdammte Närrin?! Du bist ein Monster Aruna! Eine Rote!«
Und in diesem Moment schaffte ich es nicht einmal wirklich, verletzt zu sein. Nicht, wenn die Worte aus dem Mund einer Lügnerin kamen.
Sie schnappte hektisch nach Luft, während ihre Worte bei meinen Ohren ankamen und doch irgendwie abprallten.
Dachte sie etwa, so etwas hatte man mir noch niemals an den Kopf geworfen? Glaubte sie etwa, ich wusste nicht, wie manch einer über mich dachte?! Siebzehn Jahre, siebzehn verdammte Jahre lief ich mit dem Wissen rum, was ich war und vor allem, was ich für andere war!
Jetzt erfüllten sie mich einfach mit Wut, diese Worte.
Ein Monster. Ein Monster. Ein Monster.
Langsam sah ich im Tunnelblick.
»Ich weiß, wie du und deine ganze Sippschaft seid! Ich weiß, wie ihr tickt! Vor einem Jahr! Vor einem Jahr! Da kam sie, kam sie einfach herein spaziert, hat Wills Herz gestohlen und mir dann alles genommen!«
Sie schrie. Am Ende schrie sie.
Asher streckte langsam seine Hand aus und legte sie behutsam auf den Bauch seiner Frau, während ich mit dem weiter andauernden Schwindel kämpfen musste.
»Schön ruhig Liebling, denk an unsere Babys«, hauchte er liebevoll, woraufhin Poppy langsam nickte.
Sie schloss die Augen, atmete tief durch, während sich mein Mund öffnete, ich allerdings weiter so benommen war, dass ich nichts sagen konnte.
Wut war das einzige, was ich in diesem Moment spüren konnte.
»Sie war genau wie du«, zischte Poppy dann plötzlich voller Hass.
»Am Anfang tat sie, als wäre sie so unschuldig, als könnte sie niemals jemandem etwas anhaben! Aber sie hatte verdorbene Absichten, genau wie du, ist es nicht so?!«
Sie funkelte mich voller Abscheu an, ich mühte mich, meinen Blick voller Entschlossenheit auf sie zu richten.
»Ich weiß es!«, keuchte sie.
Und ich schaffte es nicht einmal, erschrocken über ihre Worte zu sein.
»Du willst deinen kleinen Freund da unten in den Kerkern befreien, stimmts?!«
Ich stockte. Jetzt stockte ich.
Für einen Moment setzte mein Herz aus. Mein Atem. Woher wusste sie davon?
Poppy lachte freudlos auf.
»Ach komm, jetzt guck nicht so, du dummes Mädchen! Ich habe es gesehen! Ich wusste es vom ersten Tag an! Ich habe dich beobachtet, als Will dich zu ihm führte! Wie du ihn angesehen hast, wie er dich ansah! Du bist eine verdammte Rote, vollkommen verrückt! Und ich habe es gesehen! Du liebst ihn! Du liebst diesen verdammten Vic!«
Ich blinzelte heftig.
Nein. Nein?!
Sie war vollkommen verrückt. So unendlich verrückt!
Es stimmte, ich hatte es nicht ertragen, Alec in dieser Verfassung zu sehen, aber ich könnte doch nicht... niemals... Wie könnte ich denn jemals...?!
Ich liebte keinen Ven!
Mein Herz fing verwirrt an zu rasen, ich spürte, wie ich blasser und blasser wurde. Und wieder dieser Blick. Dieser wahnsinnige Ausdruck in Poppys Gesicht.
Sie warf die Hände über den Kopf.
»Sieh mich nicht so an! Es stimmt du dummes Mädchen! Du liebst einen verdammten Ven, ich seh es dir an, seh es in deinen Blicken! So wie Roya damals einen liebte! Ich habe es zu spät gemerkt, aber sie hat diesen verdammten Jungen, den Will umgebracht hat, geliebt! Und mein Bruder ist so dumm, so unendlich naiv, erneut eine Rote und ihren verdammten Ven in unser Leben zu lassen!«
Ich wollte mit dem Kopf schütteln, wollte ihr sagen, dass sie vollkommen verrückt war, dass sie nicht wusste, wovon sie da sprach.
Doch ich konnte nicht. Ich konnte nichts von dem tun, was ich wollte.
Sie wusste nicht wovon sie sprach... Sie stand doch vollkommen neben sich...
»Aber«, keuchte sie dann plötzlich und das war der Moment, in dem ich spürte, dass sie mir etwas schreckliches offenbaren würde.
Ich erkannte es an dem Ton in ihrer Stimme, der mir bis ins Mark gehen zu schien, so voller Hass, voller schrecklicher Genugtuung.
Ich wusste nicht, was sie sagen wollte, doch allein dieser Blick, dieser grausame, irre Blick reichte, um mein Herz angstvoll erbeben zu lassen.
Die Ader an ihrer Stirn pulsierte, sie war rot angelaufen, ein schreckliches Grinsen stahl sich auf Ashers Gesicht, Poppys Hände ballten sich immer wieder zu Fäusten.
Und dann sprach sie mit zischender, giftiger, ätzender Stimme.
Worte, die ich niemals wieder vergessen würde. Niemals wieder vergessen konnte.
»Ja dein kleiner Ven!«, keuchte sie.
»Und es war so eine unendliche Genugtuung, ihn winseln und flehen zu hören, diesen kleinen Jungen, der noch so taff klang, als ich heute Nacht zu ihm kam. Es war so eine unendliche Genugtuung, seinen Schmerz zu spüren, das Blut, dass seine erbärmliche kleine Brust hinab gerannen ist, während sich meine Hand tief in sie hinein gegraben hat! Und weißt du was?! Er hat nach dir gerufen, immer wieder, so erbärmlich! Er hat gefleht, immer wieder deinen Namen! Aruna, Aruna, Aruna! Und dann ist er ganz still geworden, der erbärmliche Junge! Sein Herz hat in meiner Hand pulsiert, doch ist genauso schnell erloschen wie diese flehenden Augen, die sich immer bloß nach der dummen kleinen Roten sehnten! Und es tat so gut, so unendlich gut, diesen winselnden Welpen zu töten!«
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