92

Es war ein merkwürdiges Gefühl. Es war merkwürdig vor dieser Wand zu stehen und die Stücke des Mondes anzustarren, die sich gleich zusammenfügen würden.

Wollte ich dort hinab gehen? Keine Ahnung. Was fühlte ich? Ich wusste es nicht.

Ich blinzelte und zupfte mir an dem Schal herum, den Mary mir gegeben hatte.

Sie war fuchsteufelswild gewesen, als sie Will und mich gesehen hatte, vollkommen durchnässt, triefend.

Keine Ahnung, ob sie in diesem Moment vergessen hatte, dass wir Lykanthropen waren, die mehrere Jahrhunderte alt wurden und vieles konnte, wegen ein bisschen Regen allerdings bestimmt nicht krank wurden.

Naja, jedenfalls hatte sie Will und mir Tee gemacht - ich hasste Tee - und ich vermutete sogar, sie hatte mir den Schal noch in der selben Nacht gestrickt.

Durch diese Geste fühlte ich mich übrigens noch miserabler, als sowieso schon.

Okay. Was hatte Will gesagt? Sie hatten nichts anderes verdient.

Ich schluckte schwer.

Aber konnte ich das überhaupt? Ich war so unendlich miserabel darin, Leuten die kalte Schulter zu zeigen.

Aber ich musste es wenigstens versuchen. Bevor es mich noch verletzlicher machte, musste ich eben anfangen, die kalte Mauer, die Alec perfektioniert hatte, aufzubauen.

Ich seufzte. Na das konnte ja was werden...

Und während eine kleine, schwache Stimme in mir schrie, dass das eine absolut beschissene Idee war, setzten die anderen eine entschlossene Maske aus Eis auf und bestätigten mir, zu tun, was ich vor hatte.

Ein letztes Mal warf ich einen kurzen Blick über meine Schulter, erwartete beinahe, Lio dort stehen zu sehen. Doch nichts. Der Korridor war vollkommen leer.

Und es war das erste Mal, dass mich so etwas wie ein schlechtes Gewissen überkam, während ich die Teile des Mondes hinab drückte.

Es war, als würde ich nun, wo ich diese eine Nacht nicht hier unten gewesen war, alles mit anderen Augen sehen.

Die schmale Treppe wirkte irgendwie düsterer und ich gab es zu. Ich hatte Angst. Angst davor, wie Alec reagieren würde, mich zu sehen.

Vielleicht würde ich den Vorwurf in seinen Augen aufblitzen sehen, doch ich hatte mich einfach nicht dazu durchringen können. Und selbst wenn ich in der letzten Nacht gekommen wäre... Ich wusste nicht, ob ich Alecs Blick ertragen hätte.

Ich atmete tief durch, umfasste den Beutel in meinen Händen noch ein wenig fester und setzte dann meinen zittrigen, ersten Schritt.

Ich fühlte mich irgendwie merkwürdig taub, während ich hinab trat und sich der bekannte Korridor in mein Blickfeld drängte.

Selbst bei dem Schließen des Loches reagierte ich kaum, wo es mir sonst  doch einen kalten Schauer den Rücken hatte hinab laufen lassen.

Wie immer lag der Korridor vollkommen still vor mir.

Und für einen Moment wartete ich tatsächlich darauf, Alec würde seine Hand als Begrüßung durch die Gitterstäbe stecken, wie er es immer getan hatte.

Ich schluckte schwer, als ich realisierte, dass es nicht geschehen würde, und senkte meinen Blick.

Okay Aruna... Komm schon...

Für eine Sekunde noch schloss ich meine Augen, um mich zu sammeln, dann ballte ich die Hände zu Fäusten.

Okay Aruna, zeig der Arschgeige, dass du nicht das kleine, dumme, verletzliche Mädchen bist, das er in dir sieht. Oder tu wenigstens so...

Mit gestrafften Schultern schritt ich den Korridor entlang, ignorierte die Nervosität, die sich in mir hochkämpfen wollte und erreichte schließlich die Zelle, in der der Ven saß.

Ich sah ihn nicht an. Er sah mich nicht an. Stur starrte er gegen die Wand vor sich, während ich die Dunkelheit des Korridors entlang stierte, den Beutel immer noch fest umklammert.

Ich brachte es nicht einmal über mich, mich hinzusetzen. Stehen schien mir in diesem Moment irgendwie besser. Überlegender.

Ich wusste nicht, wie lange Still herrschte, in der keiner von uns ein einziges Wort sagt.

Es war komisch. Ein merkwürdiges Gefühl. Zwischen uns herrschte nichts als eisige Kälte und es schien beinahe unmöglich, dass ich bereits mit diesem Jungen gelacht hatte.

Ich war mir ziemlich sicher, dass er erwartete, ich würde als erste reden, weil er glaubte mich zu kennen. Weil er glaubte, ich würde die Stille nicht aushalten.

Aber da irrte er sich. Er unterschätzte mich. Denn ich war stur - das müsste er eigentlich wissen - und ich würde ganz sicher nicht nachgeben.

Meine linke Hand zuckte, ich lauschte auf jedes einzelne Geräusch, während ich einfach weiter mit der Seite zu ihm gerichtet da stand und meinen Kiefer fest aufeinander presste.

Und dann, nach einem weiteren Augenblick, raschelte es plötzlich zu meiner rechten.

Ich musste mir alle Mühe geben, keine Miene zu verziehen, meinen Blick nicht neugierig zu dem zu richten, was Alec da tat.

Und wenn er auf die selten dämliche Idee kommen sollte, in meinem Kopf herum wühlen zu wollen, so würde er auf eine robuste Wand aus Wut treffen, die bereit war, ihm Dolche durch seine verdammte Brust zu rammen.

»Ich habe es gelöst.«

Seine Stimme drohte mich erzittern zu lassen, so kalt und abstoßend klang sie.

Ich presste meine Zähne noch stärker aufeinander.

Gib ihm, was er verdient hat, Aruna. Der Ven kann dir egal sein. Wie er spricht kann dir egal sein. Ven bleibt Ven. Das hätte dir klar sein müssen.

Steif drehte ich mich zu Alec um, sah ihn allerdings nicht direkt an, bloß die Spitzen seines beschissenen Haares.

Und er tat es mir gleich. Sah mich nicht an. Er starrte auf irgendeinen Punkt neben meinen Beinen und verzog keine Miene, während er mir den Fetzen Pergament hin hielt.

Einfach aus Provokation wartete ich noch einen Moment, bevor ich mich etwas hinab beugte, um das Pergament entgegen zu nehmen.

Unter die Aneinanderreihung an Buchstaben war ein einziges, einfaches Wort gekritzelt worden - vermutlich mit dem Stift, den ich Alec vor ein paar Tagen mitgebracht hatte, damit er sich wichtige Dinge die er möglicherweise finden würde, markieren konnte.

Rückwarts.

Innerlich hob ich überrascht meine Brauen, äußerlich starrte ich vollkommen ausdruckslos auf das Papier hinab.

Ich würde mich hüten, zu viele Emotionen in Alecs Gegenwart zu zeigen. Es war bloß etwas, womit er mich im Endeffekt verletzen könnte.

»Das waren die Worte, die Will gesprochen hat.«

Ich nickte nicht einmal, während Alec so viel kälter klang, als ich mich fühlte. Irgendwo fühlte ich mich miserbel. Miserabel wegen allem hier, miserabel wegen dem, was in dieser einen Nacht passiert war, miserabel wegen dem, wie es jetzt war

Ich habe gemerkt, wie viel du von mir hältst, du hast es sehr deutlich klar gemacht, danke.

Hastig überflogen meine Augen das Geschriebene und bei jedem weiteren Wort zogen sich meine Augenbrauen mehr und mehr zusammen.

Denn der Schlüssel deines Herzens ist was sie begehren, so Freund, mein Freund, versteck ihn gut und rein, greife nur hinein, wenn du wahrlich dein Vorhaben Ziel begehrest am meisten auf dieser Welt, greif hinein mein Freund und fürchte dich nicht vor dem Licht, es wird dich wärmen, es wird dich leiten und es wird dich lieben, so greif hinein, greife nur hinein mein Freund.

Eh, okay?

Das musste Will also sagen, damit er sich in seine verdammte Brust greifen konnte, um an den Schlüssel zu kommen? Interessant.

Hoffentlich galt der Zauber nicht nur für seine Stimme, ansonsten hätten wir wirklich ein Problem.

Aber wer zur Hölle versteckte auch einen Schlüssel in sich drin?!

»Beeil dich. Wir haben keine Zeit mehr. Geh zu Will und hol diesen verdammten Schlüssel, wie du es schon gestern Nacht hättest tun sollen. Ich hatte es gelöst, aber ihr Wölfe habt wohl kein Sinn für das Wichtige.«

Ich spürte seinen vernichtenden Blick auf mir und das war der Zeitpunkt, in dem ich ihn wirklich schlagen wollte.

Meine Hände zitterten vor Wut, während ich das Papier immer noch festhielt. Und trotzdem sah ich ihn nicht an. An diesem Abend sah ich ihn kein einziges Mal an.

»Vielleicht lasse ich dich hier, Ven

Ich hatte nicht einmal gewusst, dass meine Stimme so scharf klingen konnte.

»Vielleicht würde es ohne dich einfacher gehen.«

Das war gelogen. Und ich wusste, dass ich es niemals übers Herz bringen könnte, ihn hier zu lassen, egal wie sehr ich ihn im Moment hasste. Egal, wie sehr ich es in diesem Moment wollte.

Aber das musste er ja nicht wissen.

»Geh jetzt«, knurrte Alec einfach als Antwort.

Mein Kiefer zuckte, dann wandt ich mich ab.

Ich hasste ihn.

In diesem Moment hasste ich ihn, wie ich ihn nie gehasst hatte.

Das war also sein wahres Gesicht.

Unachtsam ließ ich den Beutel mit dem Essen kurz vor die Gitterstäbe fallen - ja verdammt, ganz herzlos konnte ich einfach nicht sein - wirbelte dann herum und machte bereits den ersten Schritt, als plötzlich erneut seine versteinerte Stimme erklang.

»Übrigens Wolf«, knurrte er, ich blieb stehen, gab ihm allerdings nicht die Genugtuung, mich noch einmal umzudrehen.

»Seinen Gestank riecht man schon aus zehn Metern Entfernung an dir.«

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, wovon er sprach.

Dann ging mir auf, dass Mary darauf bestanden hatte, mir einen von Wills Pullovern überzuziehen, damit ich nicht doch noch vielleicht krank wurde - obwohl ich ein Lykanthrop war.

Und dieses Mal war ich mir ganz sicher, den Hass in Alecs Stimme aufglimmen gehört zu haben. Die Luft schien zum schneiden dick, eisig kalt.

Ich spannte mich an, verkrampfte meine Hände so sehr, dass es schmerzte, so sehr, dass ich mir meine Nägel in meine eigene Faust rammte.

Dann atmete ich tief durch.

Was zur Hölle dachte er denn von mir?! Dachte er wirklich, Will und ich...?! Er war so ein dummer, dummer Idiot!

»Und selbst wenn es so wäre, würde es dich am allerwenigsten angehen, Ven«, erwiderte ich mit fester Stimme, wiederholte das, was er mir vor zwei Tagen selbst an den Kopf geworfen hatte.

Alec wollte banale Andeutungen machen? Dann konnte ich das auch.

Er musste mich wirklich für komplett dumm halten, wenn er in Erwägung zog, dass da etwas zwischen mir und Will wäre.

Und dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen, rauschte ich einfach davon, während es für einen Moment so war, als würde der hassvolle Blick in meinem Rücken verschwinden, ihm für den Bruchteil einer Sekunde entgleiten.

Für einen Augenblick hatte er keine Kontrolle über seine kalte Maske.

Und ich wagte es nicht, diese Tatsache zu deuten, während die Wut immer noch die stärkste Macht in meinem Inneren zu sein schien.

Die Wut... Ja, die Wut... Und trotzdem war da dieses schmerzhafte, kleine Stechen, dass mein Herz durchzuckte, während ich mich weiter und weiter von ihm entfernte. Toll...

Erst, als ich hörte, wie sich das Loch im Boden hinter mir schloss, wurde mir richtig bewusst, was das alles hier jetzt zu bedeuten hatte, was ich gleich unausweichlich tun musste.

Und ich gab zu, mir wurde schlecht.

Nicht, dass mich nicht schon bereits seit dem Abend, an dem Will gekommen war und mir die Decke um die Schulter gelegt hatte, schon ein furchtbar schlechtes Gewissen quälte, weil er sich mir auf solch eine verletzliche Weise anvertraut hatte...

Er hatte mit mir über Vertrauen geredet, hatte gesagt, er würde viel zu Gutes in schlechten Menschen sehen...

Wie bei mir.

Ich schluckte schwer.

Ich würde Will verraten. Ich wollte es nicht, wollte ihn nicht verraten, wollte ihm zeigen, dass er Recht hatte, nicht auf Falkenauge zu hören, dass er Recht hatte, mir zu vertrauen...

Ich schluckte schwer.

Gott, ich war wohl wirklich der schlechteste Mensch, den diese verdammte Welt zu bieten hatte...

Ich verzog mein Gesicht, als würde mein Kopf schmerzlich brummen. Und dann war da auch noch die Frage nach dem wie.

Ich sollte also gleich einfach so in Wills Schlafzimmer spazieren, irgendeinen gruseligen Spruch aufsagen und ihm dann in seine verdammte Brust greifen?

Das klang alles viel zu banal um wahr sein zu können und ging auch definitiv, definitiv viel zu schnell.

Ich fühlte mich komplett ins kalte Wasser geworfen, obwohl ich seit Wochen wusste, dass dieser Moment irgendwann kommen musste.

Nur eben nicht so... plötzlich.

Und, dass Alec und ich uns zwischendurch zu hassen lernten war jetzt vielleicht auch nicht das, worauf ich gehofft hatte. Na toll...

Aber wenigstens in einer Sache hatte der Ven Recht. Wir mussten uns beeilen. Ich wollte nicht wissen, wie es Momentan in Little Falls aussah.

Little Falls. Der einzige Grund, warum ich mehr oder minder entschlossen meine Hände zu Fäusten ballte.

Ich konnte nur hoffen, ich würde diese verdammte Nacht überhaupt überstehen...

Mit einem Blick auf die Uhr seufzte ich.

Halb eins.

Sie hatte noch nicht einmal richtig angefangen.

Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter in die Eingangshalle. Sie lag vollkommen still da.

Gut. Naja, wer, außer mir, sollte auch so verrückt sein, mitten in der Nacht hier herumzuschleichen.

Abgesehen davon, falls er hunger oder so haben sollte. Also da würde ich mir auch die Mühe machen.

Ich seufzte und verdrehte die Augen. Sehr passend...

Zweifelnd strich ich mir ein paar Strähnen meines Haares hinters Ohr, während ich mich der Dunkelheit des Korridors zuwandt, in dem ich jetzt noch stand.

Ich wusste, dass ich in einen schmalen Flur kommen würde, wenn ich nur lang genug laufen würde, von dem aus eine robuste Wendeltreppe in den ersten Stock führen würde, genau dort, wo die Alphafamilie schlief.

Um genauer zu sein genau neben Islas Zimmer.

Ja, es hatte dann doch seine Vorteile gehabt, in meiner raren Freizeit nach dem kleinen Schummler zu suchen, der unbedingt darauf bestand, mit mir verstecken zu spielen.

Mein Nachteil dabei war nur, dass sie ungefähr jedes Staubkorn in dem Trakt ihrer Familie kannte.

Ich seufzte.

»Du lenkst schon wieder ab«, grummelte ich kopfschüttelnd und friemelte nervös an dem Pullover herum, den ich übrigens wirklich ungerne angezogen hatte, nur, damit das klar ist.

Nicht, dass mein schuldbewusstes Ich noch mehr in dem schlechten Gewissen ersticken würde...

Apropos schlechtes Gewissen... Konnte man überhaupt ein schlechtes Gewissen haben, noch bevor man überhaupt eine Tat ausgeführt hatte? Laut meines schuldbewusst schlagenden Herzens schon...

Ach das war doch scheiße! Hätte Will nicht einfach weiter der aufdringliche, nervige Junge bleiben können?! Und warum hatte sich meine Sicht auf ihn unter anderem durch Roya so radikal geändert? Ich fühlte mich dumm, ernsthaft.

Ich legte meine Stirn in Falten und schüttelte schnaubend den Kopf.

»Wieso muss das alles eigentlich immer so kompliziert sein?«, murmelte ich vor mich hin und warf der Topfpflanze, in der Isla sich ernsthaft drei Stunden versteckt hatte, bevor ich zugegeben etwas aufgelöst zu Poppy gerannt war, weil ich tatsächlich Angst um das kleine Mädchen gehabt hatte, einen bösen Blick zu.

Doch Poppy hatte nur lächelnd mit dem Kopf geschüttelt, in ihrer Tätigkeit, kleine Babystrampler zu falten, inne gehalten und war schnurstracks und ohne zu zögern auf das monströse Dings zugesteuert.

Wieder keine passenden Gedanken, erinnerte ich mich selbst kopfschüttelnd und schloss meine Hand noch fester um das Stück Pergament.

Eigentlich hätte Alec es wirklich verdient, dass ich ihn da unten verroten lassen würde... Nach all dem, was er mir an den Kopf geschleudert hatte...

Allerdings konnte ich das alleine wegen Ally nicht tun. Sie würde mir vermutlich den Kopf abreißen und nach Little Falls sollte ich mich am besten auch nicht mehr trauen.

Ich kniff die Augen zusammen, während ich langsam begann, die Bilder zu meiner Linken mit dem wunderschönen Sonnenuntergang zu zählen.

1.

2.

3.

4.

5.

Warum auch immer man so viele Bilder von einem Sonnenuntergang brauchte.

Aber Poppy hatte es mir einmal erklärt, als sie mir das Schloss gezeigt hatte.

Exakt 13 Bilder, nicht mehr, nicht weniger, dann musste ich in den Korridor abbiegen, den man nur all zu leicht übersah.

Keine Ahnung, warum es mehr oder minder so versteckt war. Vielleicht war es ja ganz praktisch, wenn man angegriffen wurde und fliehen musste. Keine Ahnung.

Ich seufzte.

6.

7.

8.

Und dann ertönten sie plötzlich. Schritte.

Mein Herz machte einen panischen Aussetzer und für einen Moment schien mein Körper vollkommen erstarren zu wollen.

Verdammt!

Im letzten Moment schaffte ich es, mich hinter eine stinkende Pflanze zu schmeißen, die in diesem Moment wohl meine Rettung war, da sie meinen eigenen Geruch vollkommen überdeckte.

Mit weit aufgerissenen Augen drückte ich meine Hand gegen meinen Brustkorb und betete, dass mein Herzschlag mich nicht verraten würde.

»Ich habs dir doch gesagt Liz, sie ist hier nicht!«

Meine Gesichtszüge entglitten mir.

Poppy. Falkenauge.

Verdammt!

Die Schritte bewegten sich immer schneller und schneller auf mich und mein verräterisch pochendes Herz zu.

Scheiße!

Ich bekam keine Luft mehr.

Noch ein paar Schritte und sie würden es zu hundert Prozent hören!

»Das weißt du nicht! Sie könnte hier überall sein! Wir sind doch noch gar nicht durch! Ich weiß es, ich weiß es Poppy! Sie schleicht sich in der Nacht raus, heute! Ich habe es im Gefühl! Etwas wird passieren!«

Scheiße. Oh scheiße. Scheiße! Nein!

»Jetzt warte doch mal!«

Poppy klang wütend. Und im nächsten Moment hörten die Schritte ruckartig auf.

»Was soll das? Lass mich los! Ich weiß, dass etwas passieren wird!«

Poppy musste sie festgehalten haben.

Gerade rechtzeitig. Noch ein Stück und sie hätten mich mit Sicherheit bemerkt.

Ich atmete erleichtert aus und krallte mich im gleichen Moment trotzdem voller Anspannung an dem Pullover fest.

Wie zur Hölle sollte ich denn jetzt schon wieder hier heraus kommen?

»Du solltest dir mal lieber bewusst werden, mit wem du hier sprichst, Beta!«

Poppys Stimme war nicht mehr als ein gefährliches, leises Zischen und selbst ich hatte das Bedürfnis, respektvoll meinen Kopf zu senken.

Beta. Deutlicher hätte sie Falkenauge ihre Position nicht zeigen können.

Und das war wohl das erste Mal, dass ich wahrlich und wirklich bemerkte, dass Poppy eine Alpha war.

Es war beinahe so, als hätte ich es zwischenzeitig einfach vergessen.

Für einen Moment war es vollkommen Still, ich hielt gespannt die Luft an, traute mich nicht einmal, zu blinzeln, als würde mich diese eine, minimale Bewegung verraten.

Nebenbei bereitete mir der penetrante Geruch dieser scheußlichen Pflanze wirklich Kopfschmerzen. Solche extremen Gerüche hatte ich wirklich noch nie vertragen, ein weiterer Grund, um Parfum zu hassen.

Ich erschauderte, als plötzlich wieder Falkenauges Stimme ertönte.

»Ja... Alpha«, erwiderte sie leise und doch konnte man das Beben in ihrer Stimme hören.

Was war denn mit der los? Halleluja...

»Langsam solltest du dir klar werden, dass es zwei Alphas in diesem Rudel gibt, Beta! Nicht nur meinen Bruder!«, knurrte Poppy und ich konnte hören, wie wütend sie war.

»Ja, Alpha«, zischte Liz erneut, ich atmete nicht.

Sag mal, war die irgendwie lebensmüde?!

»Und wo wir gerade dabei sind«, knurrte Poppy erneut und ich konnte mir das Glühen der Wut in ihren Augen kaum vorstellen, weil sie eben Poppy war.

Poppy, die ihre zierliche Hand behutsam auf ihren kugelrunden Bauch legte und so glücklich und verträumt lächelte, wie ich es selten gesehen hatte.

Poppy, die ihren Kindern stolz davon erzählte, wie Asher jeden weiteren Tag im Kalender ankreuzte, wie sehr er sich darüber freute, seine Kinder bald in seine Arme schließen zu können, wie er bereits ihren ersten Geburtstag plante.

Poppy, die ihren Kindern von der wunderbaren Welt erzählte, in die sie hineingeboren werden würden, von Bergen und Seen und Sonnenaufgängen und Schnee und Regen und den Nordlichtern, die sie einmal gesehen hatte.

Poppy, die Lilith und Luke vorsang. Ein Lied, dass ich kannte, besser als alles andere. Ein Lied, von der unendlichen Liebe einer Mutter. Ein Lied, das Lumina mir einst gesungen hatte.

»Was das Mädchen angeht, wie du sie so liebevoll nennst«, riss mich plötzlich Poppys eiskalte Stimme aus meinen Gedanken.

Ich hielt die Luft an, ahnte, von wem sie sprachen, auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatten.

»Ihr Name lautet Aruna! Sie ist unser Gast und ein liebes Mädchen, das in ihrem kurzen Leben einfach schon zu viel leiden musste! Nicht mehr und nicht weniger!«

Oh nein. Nein Poppy. Nein. Fang jetzt nicht auch noch damit an. Das halt ich nicht aus.

Und langsam schien mein schlechtes Gewissen mich weiter und weiter hinab zu ziehen.

»Sie plant nichts! Keine Verschwörung, nichts von dem, was du behauptest!«

Und dann stockte sie. Ich konnte die Anspannung in der Luft geradezu spüren, während ich meinen Kopf schuldbewusst weiter und weiter einzog und schwer schluckte. Oh nein...

Die Luft schien zum schneiden dick und dann erklang plötzlich Poppys leise, zischende, beinahe provozierende Stimme.

»Und nur, weil du eifersüchtig auf dieses Mädchen bist, nur, weil dich deine Liebe zu Will vollkommen blind macht, muss Aruna nicht automatisch schlecht sein! Du erträgst es einfach nicht, dass er wieder eine andere gewählt hat und nicht dich!«

Ich erstarrte.

Warte WAS?!

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