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»Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass Will sich nicht wie ein sterbender Elch angehört hat.«

Ich verdrehte die Augen und biss von dem Müsliriegel ab, den Isla mir heimlich gegeben hatte, weil sie wusste, wie sehr ich die Teile liebte, während Alec das Blatt nachdenklich in seinen Händen hin und her drehte.

»Also ist es nicht das, was er gesagt hat?«, schmatzte ich, woraufhin Alec aufsah und mir einen bösen Blick zuwarf, dabei die Nase angeekelt kraus zog.

»Man spricht nicht mit vollem Mund Aruna.«

Ich verdrehte die Augen und zerknüllte das Papier in meinen Händen. Alec war schon immer eine Etepetete gewesen...

»Ich bin keine Etepetete, es gibt nur so etwas, das nennt sich zivilisiertes Verhalten.«

Nun warf ich ihm meinerseits einen bösen Blick zu und war für einen Moment wirklich versucht, ihm die Zunge heraus zu strecken.

»Ich weiß, was zivilisiertes Verhalten ist!«, beschwerte ich mich, woraufhin ich allerdings bloß wieder einen zweifelnden Blick von Alec bekam, der das Pergament immer noch durch seine Finger gleiten ließ.

Seufzend schüttelte ich den Kopf. Nervig wie am ersten Tag...

Gott, der erste Tag, wie lange war das jetzt schon her? Monate...

Wir beide hatten wohl eine 180 Grad Persönlichkeitswendung hinter uns gelegt... Naja, außer, dass wir uns gegenseitig eben auf die Nerven gingen. Auch wenn er nicht mehr so verschlossen und kalt wirkte, wie früher.

»Also hat Will etwas anderes gesagt?«, setzte ich erneut an und lehnte mich mit meiner Schulter an das Obsidiangitter.

Zum Glück schützte mich meine Strickjacke... Dass ich wegen ihm kein Obsidian mehr berühren konnte war ja mal sowas von beschissen. Andrerseits würde ich sonst vermutlich nicht mehr leben, also wog sich das wohl irgendwie gegenseitig auf.

Alec schüttelte seufzend den Kopf und zog die Stirn kraus.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass er etwas von einem Schlüssel gemurmelt hat, alles andere habe ich nicht verstanden.«

Resigniert verschränkte ich meine Hände vor der Brust.

»Toll und was machen wir jetzt? Das hört sich definitiv nicht nach Schlüssel an... Vollkommen nutzlos, wenn du mich fragst.«

Alec verdrehte die Augen und starrte das Stück Pergament weiterhin so an, als würde es ihm jeden Moment eigenständig die Lösung unseres Problemes ins Gesicht kreischen.

Ja, sehr wahrscheinlich Alec...

»Du bist viel zu ungeduldig Nervensäge, wie immer.«

Ich zog meine Stirn kraus und sah für den Moment über diesen bescheuerten Spitznamen hinweg.

»Was meinst du? Du glaubst jetzt aber nicht wirklich, dass du durch dein Gestarre etwas bewirken kannst?«

Alec seufzte resigniert auf und wandt sein Gesicht kopfschüttelnd zu mir, wobei er sich ein paar Strähnen seines Haares nach hinten strich.

»Ich könnte vielleicht etwas bewirken«, setzte er an und warf mir einen giftigen Blick zu, »wenn ich mich nicht auch noch um ein nörgelndes Kleinkind neben mir kümmern müsste.«

Empört stemmte ich die Hände in die Hüften, mein Mund öffnete sich, ich wollte etwas erwidern, allerdings fiel mir für den Moment einfach nicht ein, was.

Sag mal, hatten sie es sich irgendwie zur Aufgabe gemacht, wer mehr gehässige Kommentare in meine Richtung ablassen konnte?

Sehr intelligent öffnete ich meinen Mund, nur, um ihn dann wieder zu schließen, dann wieder zu öffnen.

Alec verdrehte die Augen und seufzte.

»Ein Rätsel Aruna, es ist ein Rätsel.«

Angewidert verzog ich mein Gesicht und rümpfte die Nase, als hätte er etwas furchtbar Ekelhaftes preis gegeben.

»Ich hasse Rätsel«, murrte ich und schüttelte mich wie ein nasser Hund.

»Ben hatte mal so eine Phase und ich habe immer noch keine Ahnung«, ich räusperte mich, um in Bens verheißungsvoller  Rätselstimme zu sprechen, »was einmal in jeder Minute vorkommt, zweimal in jedem Moment aber nie in tausend Jahren... Er wollte es mir nicht erklären und ich habe kein einziges dieser - «

»Das M.«

»Hä?«

Verdattert blinzelte ich Alec an, der seinen Blick wieder dem Pergament zugewandt hatte.

»Das M«, wiederholte er einfach ungerührt, was mir allerdings so viel sagte, wie der Buchstabensalat, den er als Rätsel bezeichnete.

Als Alec meinen verwirrten Blick spürte, sah er erneut auf und verdrehte die Augen, als wäre ich die dümmste Person auf diesem Planeten. Arschgeige.

»Das M. Minute hat ein M am Anfang, Moment hat eins am Anfang und in der Mitte, tausend Jahre hat kein M. Die Lösung ist M.«

Gut, ich gab es zu, jetzt war ich beeindruckt.

Verdattert blinzelte ich ihn an, auch wenn es vielleicht nicht das allerschwerste Rätsel gewesen war - abgesehen für mich natürlich - aber, dass er so etwas konnte, hätte ich wirklich nicht erwartet.

»Du kannst sowas?«, keuchte ich überrascht, woraufhin Alec die Brauen zusammenzog und mit den Schultern zuckte.

»Logisches Denken.«

Ich schnaubte und spitzte meine Lippen. Na vielen Dank auch...

Vielleicht war logisches Denken tatsächlich nichts, was man als eine meiner Stärken hätte ansehen können, aber das musste ja niemand wissen...

Nachdenklich lehnte ich meinen Kopf noch etwas näher zu den Obsidianstäben und versuchte auf das Stück Pergament zu spähen.

Nope, sagte mir noch genau so viel, wie am Anfang.

»Glaubst du, du kannst heraus finden, was da steht?«, murmelte ich und runzelte meine Stirn, während ich weiterhin über seine Schulter spähte.

Für einen Moment spannte er sich seltsam an, wobei ich absolut nicht wusste, warum, dann nickte er mechanisch.

»Ich denke...«, er stockte, warf mir einem kurzen Seitenblick zu und auf einmal war es so, als könnte ich sein Herz lauter und schneller schlagen hören.

Hä?

»Ich denke schon.«

Ich runzelte die Stirn und sah fragend zu ihm hoch, während er allerdings hastig den Blick abwandt. Okay?

»Alles gut bei dir? Du bekommst jetzt aber keine Panikattacke oder so?«

Alec schnaubte, auch wenn ich sah, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten.

»Wie kommst du darauf?«, presste er zwischen seinen Zähnen hervor und weigerte sich, mich anzusehen.

Was war denn jetzt schon wieder mit dem los? Er tat auch nichts mehr, als mich zu verwirren, in jeglicher Hinsicht...

»Ach, nicht so wichtig...«, murmelte ich und setzte mich wieder etwas auf um nicht vielleicht auch noch Gefahr zu laufen, seine Schulter anzusabbern.

Ich konnte mir vorstellen, dass er das nicht ganz so prickelnd gefunden hätte.

Ich rieb mir die Schläfe, während Alec wieder dazu überging, auf das Stück Pergament hinab zu starren, auch wenn mich das Gefühl nicht losließ, dass seine Konzentration rapide abgenommen hatte.

»Hey Alec?«

»Hm?«

»Es ist etwas komisches passiert.«

Stirnrunzelnd sah Alec auf, während ich den Beutel aufzurrte, zuzurrte, aufzurrte.

Ich hatte beschlossen, Alec von dieser äußerst merkwürdigen Erinnerung zu erzählen, wusste allerdings nicht wirklich, wie ich anfangen sollte.

Alec schnaubte und schüttelte den Kopf.

»Passiert denn jemals etwas normales?«

Nein, vermutlich nicht...

»Du erinnerst dich an Lio? Den gruseligen Jungen, von dem ich dir erzählt habe?«

Es war mein zweiter Besuch hier unten gewesen und Alec hatte unbedingt darauf bestanden, dass ich ihm alles erzählen sollte, was passiert war, andernfalls würde er keinen einzigen Blick in auch nur eines der Bücher werfen, um mir zu helfen.

Der Ven nickte.

»Ja? Was ist mit ihm?«

Für einen Moment schwieg ich noch, um meine Gedanken zu ordnen, wie genau ich ihm das jetzt erklären sollte.

Schließlich seufzte ich.

»Letzte Nacht... Als ich den Zettel gefunden habe, er hat mir geholfen. Er ist mit mir zu diesem Regal gegangen, aber ich habe nicht wirklich verstanden, was er von mir wollte. Dann hat er mich berührt...«

Ich stockte, wusste nicht Recht, wie ich das Nachfolgende erklären sollte.

Alec blieb vollkommen stumm, beobachtete mich aufmerksam und wartete ohne ein Wort darauf, dass ich weiterredete.

Das musste man ihm lassen, wenn er wollte, konnte er ein guter Zuhörer sein.

»Ich glaube, das durfte er nicht, denn auf einmal bin ich einfach weggekippt«, Alec sah alarmiert auf, »und dann war es fast so, wie bei dir, wenn ich deine Erinnerungen gesehen habe.«

Ich warf ihm einen unsicheren Blick zu, gespannt auf seine Reaktion. Als Antwort auf meinen Blick nickte er allerdings nur, vermutlich um mich zu ermutigen, weiterzureden.

Nervös verknotete ich meine Hände ineinander und tippte unruhig mit meinem Fuß gegen die Wand.

Zum ersten Mal wünschte ich mir, Alec meine Erinnerungen zeigen zu können, denn in eben diesem Moment zuckten die Bilder von gestern glasklar durch meinen Kopf.

»Es war seltsam... Beinahe, als könnte ich sie nur durch eine dicke Schicht Wasser sehen... Lio hat auf dem Boden gehockt und diese Frau...«

Ich starrte nachdenklich auf meine Fingerkuppen hinab, während mir eine Strähne meines dunkelroten Haares ins Gesicht fiel.

Dunkelrot. Dunkelrote Locken, wie ihre...

»Sie sah aus wie du?«

Überrascht schoss mein Blick hoch, während Alec mich nachdenklich musterte.

»Was? Nein! Also... nicht wirklich... keine Ahnung... Sie hatte rote Locken und das Zeichen der Roten... aber... aber ihre Augen! Die waren blau!«

Alec legte seinen Kopf schräg

»Du hast auch blaue Augen.«

Ich schnaubte und schüttelte überzeugt meinen Kopf, während ich die Augen übertrieben weit aufriss und mich nach vorne beugte, damit er sie genau ansehen konnte.

»Ich habe keine blauen Augen. Nur zum Teil, siehst du!«

Im Nachhinein, wusste ich, dass meine Aktion ein Fehler gewesen war.

Etwas in Alecs Gesicht veränderte sich, während er mir geradewegs in die Augen sah. Der Sturm in seinen eigenen schien mehr aufzutoben als sonst und für einen Moment war ich wirklich fasziniert.

Ich hatte nicht einmal gewusst, dass es grau in so vielen verschiedenen Ausfertigungen gab.

Hell, dunkel, tief, leicht.

Für einen Moment vergaß ich tatsächlich zu blinzeln, während mein Herz wieder reagierte, wie es definitiv nicht sollte.

»Du hast blaue Augen.«

Erschrocken blinzelnd zuckte ich ein Stück zurück, während Alecs leise Stimme in meinen Ohren wieder hallte.

Gott was war das denn jetzt schon wieder gewesen?

»Eh«, machte ich immer noch etwas benebelt, während ich mein dummes, dummes Herz anfauchte, endlich mit dem Scheiß - was auch immer es da tat - aufzuhören.

Alec hob fragend eine Augenbraue, woraufhin ich wohl endgültig in das Hier und Jetzt zurück geschleudert wurde.

Ich schüttelte den Kopf.

»Naja, wie auch immer. Sie war definitiv nicht ich. Sie hat irgendetwas mit Lio gemacht, ich glaube, er hatte Angst vor ihr. Er sollte ihr helfen.«

Ich überlegte kurz.

»Und er hat sie Sospita genannt«, fügte ich schließlich nachdenklich hinzu.

»Ihr Name?«, vermutete Alec.

Ich schüttelte den Kopf und ging wieder dazu über, meine Fingerknöchel mit nachdenklichen Blicken zu durchbohren.

»Nein...«, murmelte ich.

»Und jetzt kommt das wirklich komische... Nachdem sie das mit Lio getan hat... Sie hat plötzlich aufgesehen und es war, als würdesie mich genau ansehen...«

Ich stockte.

»Aber ich dachte, es wäre eine Erinnerung gewesen? Wie kann sie dich da gesehen haben?«

Ratlos zuckte ich mit den Schultern. Es war fast so gewesen wie bei dieser einen Erinnerung von Alec. Die, in der Aleyna ihm gesagt hatte, er müsse nach Little Falls gehen. Damals hatte sie mich auch gesehen, obwohl es so ziemlich unmöglich schien.

»Sie...«

Für einen Moment sprach ich nicht weiter, denn die Vermutung, die mich in der Nacht beschlichen hatte, wollte ich nicht aussprechen, vor allem, weil sie mich mehr als alles andere verwirrte.

Allerdings würde es ja doch nichts bringen, Alec würde so oder so nicht locker lassen.

»Sie hat mich Sospita genannt. Mach es besser als ich Sospita, hat sie gesagt.«

Stille. Es herrschte absolute Stille. Keiner sagte etwas. Und für einen Moment dachte ich tatsächlich, Alec hätte meine Worte überhört.

»Weißt du, dein Leben ist verwirrender als alles andere, was mir bis jetzt untergekommen ist.«

Ich schnaubte... Danke.

»Sehr hilfreich«, murrte ich.

Und dabei war das nicht einmal wirklich die Bombe, die ich dabei war, platzen zu lassen.

»Sie hat dich also Sospita gennant? Glaubst du, es war die ominöse Sie von der dieser jämmerliche Trupp hier immerzu spricht?«

Langsam nickte ich. Logisch war es immerhin.

»Aber das war noch nicht alles...«, setzte ich schließlich zögerlich an und auf meinen unsicheren Blick lachte Alec bloß leise auf.

»Ach komm Aruna, als könnte mich bei einem Mädchen wie dir noch irgendetwas schocken.«

Ich legte die Stirn in Falten.

Also mir fielen definitiv ein Dutzend Sachen ein, die ich tun könnte und die ihn auch ganz sicher schocken würden. Aber das behielt ich lieber für mich.

Ich schnaubte und rieb mir über den linken Arm, während ich - erneut - nicht wusste, wo und wie zur Hölle ich überhaupt ansetzen sollte.

»Du erinnerst dich an meine Träume?«

Ja, ein guter Anfang...

Irgendwie schien Alec noch mehr aufzuhorchen als sonst, warf mir einen beinahe besorgten Blick zu.

»Sie sind immer noch da?«

Ich wank ab und zuckte bloß mit den Schultern.

»Nicht so schlimm.«

Gut, vielleicht war das eine Lüge, in Anbetracht der Tatsache, dass ich jedes Mal vollkommen ausgelaugt und mit schmerzenden Gliedern hochschreckte, das angsterfüllte Kreischen nicht zu vergessen... Super.

»Lügnerin.«

Überrascht sah ich auf, während Alec mich ganz genau musterte.

»Du warst schon immer eine miserable Lügnerin«, stellte er nüchtern fest, woraufhin ich eingeschnappt meine Arme vor der Brust verschränkte.

»Ach ja? Und warum lauf ich dann immer noch im Schloss rum und vergammle nicht in einer Zelle neben dir?«, gab ich beleidigt von mir.

»Will ist ein verdammter Dummkopf, der zählt nicht.«

»Ach und du bist keiner, oder wie?«, gab ich schnippisch von mir, was vor allem der Tatsache zu schulden war, dass ich eigentlich relativ stolz auf meine lügnerische Leistung in den letzten Wochen war.

Vielleicht schaffte ich es halt auch einfach bloß nicht, den großen Volltrottel vor mir anzulügen... Bei den anderen allerdings klappte es ganz hervorragend, danke der Nachfrage.

Alec verdrehte, wie in der heutigen Nacht erstaunlich oft, die Augen und schnalzte mit der Zunge.

»Erzähl einfach, was du sagen wolltest, es wird spät.«

Da hatte er Recht. Es musste schon wieder mindestens drei Uhr sein. In den letzten Wochen hatte ich definitiv zu wenig Schlaf bekommen.

Gut... Wie sollte ich das jetzt am besten erzählen, ohne, dass es komplett komisch kam? Vermutlich war das eine Sache der Unmöglichkeit... Ich seufzte.

»In dieser Eingangshalle, diese Nachricht, die ausgefahren wird?«

Alec nickte.

»Sieh hin oder so?«

Ich nickte.

»Es war unterzeichnet. S und B.«

Alec stockte. Er blinzelte. Sein Mund öffnete sich. Dann schloss er sich wieder. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, dann sah ich wieder weg.

»Was ist... Wenn... wenn das S für mich steht? Für Sospita?«

Alec schüttelte verwirrt den Kopf.

»Aber warum? In welchem Zusammenhang? Und wer sollte B sein?«

Ratlos zuckte ich mit den Schultern und seufzte schwer.

»Das ist es eben. Ich habe keine Ahnung. Das macht alles überhaupt keinen Sinn...Dieses Hochzeitskleid, die Nachricht, der Nebel, Aleyna...«

Alec stockte.

»Hochzeitskleid?«

Hatte ich ihm das nicht erzählt? Ups.

»Ehm ja?«

Unsicher nickte ich, während sich Alecs Brauen weiter und weiter und weiter zusammenzogen.

»Du hast doch diesen Freund... Ben? Wenn das B für ihn steht?«

Ein merkwürdiger, beinahe scharfer Unterton hallte in seiner Stimme mit, doch beinahe augenblicklich schüttelte ich heftig mit dem Kopf, sodass mein Haar wild hin und her peitschte.

»Ben? Nein! Was sollte Ben damit zu tun haben?«

Alec zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Ihr scheint euch ja ganz gut zu verstehen... Vielleicht zeigt es ja eure Zukunft...«

Seine Stimme klang beinahe verbittert, doch noch ehe er auch nur eine weitere dieser banalen Vermutungen aufstellen konnte, schüttelte ich erneut mit meinem Kopf, noch heftiger diesmal.

»Spinnst du?!«, keuchte ich erschrockener als ich sollte, woraufhin Alec allerdings bloß mit den Schultern zuckte.

Okay Aruna, ruhig.

»Es steht ganz bestimmt nicht für Bens und meine gemeinsame Zukunft. Ben ist mein bester Freund seit meiner schulischen Laufbahn und ich vermute ja immer noch, er hat damals einfach nicht auf den Cupid reagiert, weil so etwas wie Liebe keinen Sinn für ihn macht.«

Der Cupid. McClair. Bei all dem Scheiß, der passiert war, hätte ich es beinahe vollkommen vergessen. Banal eigentlich, wenn man bedachte, dass ich mit der Existenz von Liebesgöttinen konfrontiert worden war, aber ich hatte eben mit anderen Sachen zu kämpfen gehabt.

Verwirrt hielt Alec inne und erst da realisierte ich, dass er es nicht gewusst hatte. Zumindest nicht von mir. Erneut: Ups.

»Cupid? Ein Cupis in Little Falls?«

Ich nickte langsam.

»Ja, McClair, erinnerst du dich?«

Doch seine Antwort hörte ich nicht einmal richtig. Denn in dem Moment kam mir ein Gedanke. Eine Erinnerung. Eine Erinnerung, diemich vollkommen erstarren ließ.

»Oh mein Gott«, keuchte ich, ohne mir wirklich bewusst zu sein, dass ich es tatsächlich laut sagte.

»Was?«, erwiderte Alec verwirrt, doch erneut hörte ich es nicht einmal wirklich.

Oh mein Gott. Gott. Oh. Mein. Gott. Oh mein Gott!

Es war, als würde mein Herz für einen Moment aussetzen, während ein Feuer in meiner Magengrube entfachte.

Ich fasste es nicht. Ich konnte es nicht fassen.

Mit geweiteten Augen klammerte ich mich an den Beutel, als wäre die Gefahr so geringer, dass ich gleich einen hysterischen Anfall bekommen würde.

Ich erinnerte mich. Jetzt erinnerte ich mich. Wie konnte ich das vergessen haben?!

»Ist alles in Ordnung bei dir?«

Alec sah mich perplex an, auch wenn mir nicht unbemerkt blieb, dass er blasser geworden war. Beinahe nervös. Oh Halleluja.

Ich ignorierte ihn einfach.

Nein. Das konnte doch nicht sein. Also rein theoretisch könnte es schon, aber es schien so unmöglich.

Alle hatten auf McClair reagiert, männlich, weiblich, völlig egal. Jeder hatte auf sie reagiert, weil sie eben ein verdammter Cupid war. Mich eingeschlossen. Diese Frau hatte mich fasziniert. Sie, mit ihrer gesamten Ausstrahlung. Sie hatte mich geradezu gefangen genommen.

So, wie Ylva es gesagt hatte. Wenn man niemanden auf diese Art liebte, dann reagierte man so sonderbar auf einen Cupid.

Nur einer hatte nicht reagiert. Ben. Ben, weil er das Prinzip der Liebe nicht verstand. Für mich zumindest das Naheliegenste.

Doch jetzt, jetzt in diesem Moment, fiel es mir wie Schuppen von den Augen .

Ich hatte mich geirrt.

Es war nicht bloß Ben, der nicht auf den Cupid reagiert hatte. Es waren zwei gewesen.

Ben.

Ben und Alec.

Alec hatte genau so wenig auf McClair reagiert wie Ben.

Und Alec war kein Autist.

Ich blinzelte heftig, mein Herz tat erneut Dinge, die es nicht tun sollte. Alec hatte nicht auf den Cupid reagiert. Keine Sekunde.

Aus irgend einem Grund fing mein Kiefer an zu zittern, ich hielt mich an dem Beutel fest. Und dann sah ich ihn geradewegs an.

Er war blass. Nein. Warum war er denn jetzt so blass geworden?

Nervös rieb er sich über den Arm.

»Alles... alles in Ordnung?«, fragte er beinahe vorsichtig und mied es permanent, mich wirklich anzusehen.

»Du...«, wollte ich fast atemlos ansetzen, doch da schüttelte Alec hastig den Kopf.

»Ich glaube, du solltest jetzt gehen, es ist spät, du siehst echt müde aus...«

Doch ich unterbrach ihn, schüttelte entschlossen mit dem Kopf. Wenigstens einmal wollte ich auch nur überhaupt irgendeine Antwort!

»Du... du hast nicht auf sie reagiert. Auf den Cupid, du hast - «

»Hab ich wohl!«

Bei Alecs schneidender Stimme zuckte ich erschrocken zurück.

»Du hast zu wenig geschlafen«, fügte er dann noch hinzu, als wäre ich zu dumm, um in dieser Nacht einen klaren Gedanken zu fassen.

Aber ich wäre nicht Aruna, würde ich mich einfach so leicht abwimmeln lassen. Entschlossen schüttelte ich meinen Kopf.

»Ich bin doch nicht doof Alec! Ich habe ganz genau gesehen, dass du nicht so fasziniert von ihr warst, wie ich oder jeder verdammte andere in diesem Raum. Du bist - «

»Hör auf!«

»Aber ich habe doch...!«

»Halt deine Klappe!«

»Du...!«

»Nein! Sei einfach still, kapiert?!«

Alec warf mir einen bitterbösen Blick zu, der mich warnte, meine Gedanken ja für mich zu behalten und sie nie, niemals auszusprechen.

»Aber...«, wollte ich wieder ansetzen, doch er schüttelte ruckartig mit dem Kopf.

Und da geschah plötzlich etwas mit ihm. Ich war zu weit gegangen.

Die vollkommene Kälte war in sein Gesicht eingezogen, wie ich sie lange nicht mehr gesehen hatte. Kälte, die mich erschaudern ließ. Kälte, die ihn versteinerte.

»Vielleicht habe ich sie nicht so offensichtlich angestarrt, wie all die anderen Volltrottel und selbst wenn es so wäre, wie du behauptest, würde es dich am allerwenigsten angehen, verstanden?! Du meinst immer, du wüsstest alles, du meinst immer, du wärst ja so schlau, du wüsstest alles besser, als jeder andere verdammte Mensch, aber weißt du was, Werwolf?! Du hast keine Ahnung! Du bist dumm und naiv und kindisch! Du bist erbärmlich! Kein Wunder, dass du in der Schule nur diesen Freak Ben hattest! Denn du bist nichts anderes als er! EIn verdammter Freak! Ich mache das hier nur, um meinen verdammten Ami zu rächen, der vermutlich nie gestorben wäre, wäre ich dir verdammt noch mal nie begegnet! Ich bereue es! Ich bereue es so sehr, dir jemals begegnet zu sein! Sie würden leben, wärst du nicht da, also hör auf dich aufzuspielen, als wüsstest du alles! Es ist deine Schuld! Lass mich einfach in Ruhe, verstanden?! Hol mich hier raus, damit wir verdammt noch mal nach North Carolina können und der ganze Scheiß vorbei ist! Langsam halt ich das nicht mehr aus! Dich und deine dummen Sprüche und einfach alles! Ich halte dich nicht mehr aus, verstanden Davis?!«

Au.

Au.

Au.

Ich konnte es nicht verhindern, wollte nicht so reagieren, wollte es wirklich nicht, doch...

Es war, als würde mein Herz in eben jenem Moment in sich zusammenfallen, zerbrechen, mit seinem merkwürdigen Tanz aufhören.

Ich starrte Alec mit geweiteten Augen an, so unendlich verletzt, fassungslos, bekam irgendwie keine Luft mehr, hatte nicht einmal bemerkt, wie ich angefangen hatte, zu zittern.

Meine Lippen bebten, bebten so verdammt dumm, mein Kiefer zitterte, ich blinzelte heftig.

Seine Worte trafen mich. Trafen mich tiefer, als sie es jemals sollten, trafen mich bis ins Innerste, trafen alles an mir und ließen mich irgendwie leblos zurück.

Sie würden leben, wärst du nicht da! Sie würden leben! Du bist dumm! Naiv! Kindisch! Er wäre nie gestorben, wäre ich dir nie begegnet! Ich bereue es! Du hast keine Ahnung! Du denkst, du wüsstest alles, aber du hast keine Ahnung! Ich halte das nicht mehr aus! Du bist erbärmlich! Ein Freak!

Seine Worte schienen in mir wieder zu hallen. Seine Worte schienen mich mit jeder einzelnen, scharfen Silbe zu zerschneiden.

Und während ich zerbrach, genau vor seinen Augen, in tausend kleine Scherben meiner Selbst, starrte er mich einfach an.

Kalt. Berechnend. So unendlich Gefühlslos.

Mein Mund öffnete sich, ich brachte kein einziges Wort heraus, bekam keine Luft, blinzelte heftig, während diese verdammten Tränen in mir hoch kamen und einfach nicht gehen wollten.

Hör auf Aruna... Er ist es nicht wert... Keine einzige Träne...Hör auf...

Aber ich kann nicht.

Meine Finger krallten sich in den Beutel, während ich ihn verletzt ansah, so unendlich verletzt.

Keine Regung. Es war ihm vollkommen egal. Es war ihm egal. So egal. Egal... Ich... Egal.

Ich sagte kein Wort. Kein einziges Wort, während er mich anstarrte, als wäre ich das widerlichste, was er jemals gesehen hatte.

Mein Kiefer erzitterte, ich bekam keine Luft und wusste nicht einmal, ob mein Herz überhaupt noch existierte.

Warum?

Warum, schrie mein Blick. Warum tust du mir das an...

Sie würden leben... Sie würden leben, wärst du nicht da... Du bist dumm... Ich halte es nicht mehr aus...

Werwolf...

Ich zerschellte. Ich zerschellte an seinen Worten, wie eine Welle, die gegen einen Felsen krachte.

Meine Beine zitterten, während ich versuchte, mich aufzurichtete, obwohl ich das Gefühl hatte, nie wieder richtig stehen, geschweigedenn gehen zu können.

Was machte er nur mit mir...

Ich öffnete meinen Mund, meine Lippen bebten, er sah mich immer noch vollkommen kalt an.

Nein... hör auf... bitte...

Er regte sich nicht.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, der wütende Teil in mir, kreischte mich an, ihn anzuschreien, ihm alles, was mir einfiel, an den Kopf zu schmettern, ihn grün und blau zu prügeln.

Doch selbst ohne dieses Gitter... ich wusste es... ich hätte es nicht gekonnt.

Weil ich ihn nicht hasste.

Weil ich ihn nicht hasste, wie er mich hasste.

Der getroffene, der zerbrochene, der zerschmetterte Teil in mir schien alles zu überwiegen, schien mich in ein unendlich tiefes, schwarzes Loch hinab zu ziehen.

Was machte er nur mit mir?

Schau mich nicht so an Alec, ich flehe dich an, schau mich nicht an als wäre ich Abschaum...

Meine Stimme war nicht mehr als ein zutiefst verletztes, zutiefst trauriges, leises, so unendlich leises Zittern.

»Dann hätten wir das ja geklärt«, hauchte ich mit bebenden Lippen.

Und dann ging ich.

Ich wandt mich einfach von ihm ab, er sagte kein Wort, kein »Aruna«, kein »Warte«, kein »Es war nicht so gemeint«.

Nichts. Er sagte absolut gar nichts. Und es ließ mein Inneres kreischend zersplittern.

Es tat weh, es tat so unendlich weh, so unendlich, als würde er einen Dolch in meine Brust rammen, als würde er mich dabei ansehen und... nichts empfinden.

Ich senkte meinen Kopf, spürte seinen siedend heißen Blick in meinem Rücken, während ich meine Schritte kaum setzen konnte, während mein Haar mir übers Gesicht fiel, diese unendlich verletzte Maske aus Trauer verbarg.

Jetzt wusste ich also, wie er dachte...

Und ich wünschte, ich wüsste es nicht, ich wünschte, ich hätte es niemals gehört, ich wünschte, er würde mich nicht so ansehen, wie er es tat.

Denn es tat weh, es tat so unendlich weh, viel mehr, als es sollte...

Verdammt... Nein... nein... nein...

Hör auf Aruna, tu das nicht...

Ich ballte meine zittrigen Hände zu Fäusten, bekam keine Luft mehr.

Und dann schloss ich einfach meine Augen.

Es hatte etwas endgültiges. Sie fielen zu, ich sah nichts mehr. Doch ich spürte etwas. Etwas anderes, als die zerbrochenen Teile.

Siedend heiß, brennend und im gleichen Moment doch so unendlich kalt.

Unbarmherzig, wie sie es immer waren.

Sie suchten sich einen Weg über meine Wange, völlig erbarmungslos.

Erbarmungslos wie er. Eisig kalt wie er, obwohl sie doch eigentlich so warm waren, so warm sein müssten.

Was war nur geschehen? Was geschah mit mir?

Ich hatte das Gefühl, meine Beine würden jeden Moment zusammenbrechen, als würden sie die schwere meiner Gedanken nicht mehr aushalten.

Und trotzdem ging ich. Und trotzdem hielt er mich nicht auf.

Trotzdem entfernte ich mich immer weiter von Alecsander Venatores, der es geschafft hatte, einen weiteren Teil meines Herzens abzubrechen.

Bald würde es verschwinden...

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