83
Es war, als würde die Welt für einen Moment stehen bleiben. Es war, als würde für einen Moment jegliches Leben aus mir gesaugt werden.
Und dann kam sie. Die Angst. Die Panik.
In Alecs Himmel.
Aleynas Worte hallten in meinen Ohren wieder, waberten über unseren Köpfen herum, nahmen mich ein, völlig und aufrichtig, jede einzelne Faser meines Körpers.
Mein Herz machte einen schmerzlichen Aussitzer, während ich meinen Kopf wie in Zeitlupe zu Aleyna wandt, die sich immer noch stirnrunzelnd umsah.
»W-Was...«, keuchte ich atemlos, jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht und egal wie sehr mich dieser wunderschöne Ort eingenommen hatte, jetzt wollte ich, dass ich ihn nie gesehen hatte.
Aleyna sah mich nicht an, runzelte einfach besorgt die Stirn und ließ irgendetwas in mir kreischend entflammen.
Sie sollte reden verdammt! Was war mit Alec?
»Was m-meinst du damit?«, hauchte ich kopfschüttelnd, meine Hände ballten sich zu Fäusten, meine Lippen begannen zu zittern und das alleinige Atmen schien schwerer und schwerer.
»Er hat sich verändert«, murmelte Aleyna einfach nur und schüttelte leicht ihren Kopf.
»Alecs Himmel. Früher sah er aus wie meiner.«
Ich blinzelte heftig, langsam konnte ich nichts mehr sehen, langsam war ich wirklich kurz davor, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, Aleynas Rätselhaftigkeit half da wirklich nicht weiter, ganz zu schweigen von der unendlichen Angst, der unendlichen Sorge, die sich in mir hochbahnte.
Und dann sprach ich es einfach aus. So sehr sich alles in mir auch dagegen sträubte, so sehr ich diesen einen Gedanken auch verdrängen wollte.
Ich musste es einfach wissen. Und es ließ meine Augen brennen und es ließ mich das Atmen vergessen und es ließ mich verschwinden, weiter, immer weiter.
»D-Der Grund, warum... warum wir hier sind...«, keuchte ich mit zittriger Stimme, versuchte energisch meine Tränen wegzublinzeln, was mir allerdings einfach nicht gelang.
Noch so einen Verlust würde ich nicht mehr ertragen können, wirklich nicht. Und dann sprach ich es einfach aus.
»S-Sind wir hier, weil Alec... weil er... weil er gestorben ist?«
Weil ich versagt hatte. Weil ich versagt hatte, wieder und wieder und wieder. Weil ich ihn nicht gefunden hatte, weil ich einfach auf diese kleinen, verdammten Jungen gehört hatte.
Wäre ich doch nur... Hätte ich es doch nur versucht...
Stattdessen hatte ich da gesessen, in diesem beschissenen, dunkelblauem Kleid und mich von einem anderen Kerl beschwatzen lassen, stattdessen hatte ich einfach mit den Grays gegessen, stattdessen diskutierte ich lieber mit einem kleinen Jungen über mich, als nach Alec zu suchen.
»Was?!«
Erschrocken zuckte ich zusammen, als Aleynas Kopf ruckartig in meine Richtung schoss, als ihre lodernden Augen mich mit voller Wucht trafen, mich beinahe etwas zurücktaumeln ließen.
Für einen Moment starrte mich Aleyna stumm an, dann schüttelte sie bestimmt mit dem Kopf.
»Nein!«, keuchte sie beinahe etwas außer Atem und als sie meine angstvoll geweiteten Augen endgültig realisierte, wurden ihre Gesichtszüge weicher, senkten sich ihre angespannten Schultern etwas.
»Keine Sorge«, murmelte sie beruhigend und legte mir eine Hand auf die Schulter, von der unwillkürlich eine wohlige Wärme auszugehen schien.
»Alec lebt.«
Und da konnte ich nicht mehr an mich halten.
Die Angst hatte einmal wieder viel zu tief in meinem geschundenen Herzen gesteckt und dieses eine Mal schaffte ich es einfach nicht, sie ohne eine klaffende Wunde zu entfernen.
»Oh Gott«, hauchte ich völlig neben mir und dann brachen alle Dämme.
Meine Knie zitterten, ich drohte wegzukniken, meine Kehle schnürte sich zu, ein unheimlicher Schauer lief über meinen Rücken, dieses eine Mal hielt ich es einfach nicht aus.
»Oh Gott«, keuchte ich erneut und dann fing ich an, zu heulen.
Ich heulte, wie ein verdammter Idiot, wie ein verdammtes, kleines Kind, die warmen Tränen rannen meine Wangen hinab, ich schüttelte vollkommen wirr mit dem Kopf, während ich nichts weiter, als erstickte »oh Gotts«, zustande brachte und immer wieder von dummen, dummen Schluchzern geschüttelt wurde.
Gott, wann war ich eigentlich so erbärmlich geworden?
Für einen Moment sah Aleyna mich vollkommen verdattert an, vollkommen überrumpelt von meinem erneuten Nervenzusammenbruch innerhalb eines Tages.
»Weinst du etwa?«, fragte sie komplett überfordert, was mich gleichzeitig laut aufschluchzen, schnauben und kopfschütteln ließ, während meine Tränen nasse Spuren auf meiner Haut hinterließen.
»Nee«, keuchte ich in einem wirklich merkwürdigen Gemütszustand, dass man fast befürchten konnte, ich wäre schwanger.
»Ich bewässere nur meine Haut«, schluchzte ich komplett dumm weiter.
Alec hätte auch so reagiert, dachte ich und ein Schauer lief mir über den Rücken. Alec hätte genau dieselbe, dumme Frage gestellt.
Schniefend wandt ich meinen Kopf ab, ärgerte mich über mich selbst und konnte doch voller Schock, voller Erleichterung nicht aufhören, zu weinen wie eine Gestörte.
Und dann, plötzlich, ohne Vorwarnung, wurde ich in eine feste Umarmung gezogen, die ich keine Sekunde zögerte zu erwidern.
Eigentlich mochte ich keine Umarmungen, im übrigen mochte ich generell keinen Körperkontakt, doch in dem Moment ließ ich es einfach geschehen.
In dem Moment brauchte ich einfach die Bestätigung, dass ich nicht komplett alleine war, dass ich diese ganze Scheiße nicht komplett alleine durchstehen musste.
Wäre doch nur Alec hier...
»Es tut mir leid«, flüsterte Aleyna und strich mir beruhigend über den Rücken, während sie ihr Kinn auf meine Schulter legte und ich einfach weiter dumm mit dem Kopf schüttelte und heulte und heulte und heulte, weil ich eben die Stimmungsschwankungen einer Schwangeren hatte.
»Ich wollte dir keine Angst machen. Sie war nur der Meinung, du müsstest das hier sehen.«
Sie. Wieder sie. Ich hasste diese ganzen beschissenen Sies, wobei ich nicht einmal wusste, welche vermaledeiten Personen hinter ihnen steckte!
»Weißt du«, schluchzte ich kopfschüttelnd und schnaubte verächtlich.
»Langsam hab ich es echt satt! Wirklich! Ich hab keinen Bock mehr auf die ganze Scheiße auf die Sies und Ihrs und diese ganzen Rätsel, die keiner von euch mir beantworten kann! Warum kann mir nicht einfach wenigstens irgendjemand sagen, wer zur Hölle ich bin! Wer ist Aruna?!«
Ja. Langsam schlug mein Geheule in ein wütendes Geheule um, das Aleyna tief seufzen ließ, auch wenn sie nicht aufhörte, beruhigende Kreise auf meinen Rücken zu zeichnen.
»Ich kann mir vorstellen, wie schwer das für dich sein muss«, murmelte sie kopfschüttelnd und ich wollte mich erneut weiter in Rage reden, warum zur Hölle sie mir dann nicht einfach etwas sagte, doch da drückte sie mich plötzlich mit sanfter Bestimmung von sich weg und hielt mich eine Armlänge von sich entfernt.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte sie mein verheultes Gesicht und langsam bekam ich das Bedürfnis, meinen Kopf gegen einen der großen Felsen zu donnern, damit ich mich nicht weiter zum Affen machen konnte.
»Aber bald wirst du erfahren, was das alles auf sich hat. Sie sagt, bald ist es so weit. Du musst dich einfach beeilen, Alec da raus zu bekommen, dann wird sich fürs erste alles klären.«
Ich blinzelte heftig und sah sie mit großen Augen an.
»Wirklich?«, hauchte ich ungläubig und verstand es doch nicht.
Wie sollte sich denn alles klären, wenn ich Alec befreit hatte?
Ally nickte und strich mir lächelnd eine nasse Strähne aus dem Gesicht, die sich an meine Wange geklebt hatte. Ich erschauderte.
»Ja«, hauchte sie.
»Sie sagt, bald ist es so weit. Du musst dich nur beeilen, dann wirst du es verstehen. Der Junge, den sie damals ausgesucht hat, wird dir helfen, soweit er kann. Von ihm geht keine Gefahr aus und der echte Lio bekommt gar nichts von dem, was dort geschieht, mit.«
Ich schniefte und nickte dann langsam, während meine Tränen immer weiter versiegten.
Bald... bald, hatte sie gesagt, bald würde das alles einen Sinn machen.
Ich musste Alec da bloß raus holen, ich musste Will unauffällig nach den Zellen fragen, wie der Junge es gesagt hatte und ich musste mich vor Falkenauge in acht nehmen.
Trotzdem war da doch noch diese eine Frage, die mir auf der Zunge brannte, eine Frage, die ein mulmiges Gefühl in mir hochbrachte.
»Und warum... warum sind wir jetzt in Alecs Himmel? Warum bist du hier?«
Aleyna seufzte und strich sich das dunkle Haar zurück, während sie den Blick wieder schweifen ließ und in die Ferne sah, mich allerdings trotzdem nicht losließ.
Für einen Moment schwieg sie, als wüsste sie nicht Recht, wie sie es am besten sagen sollte. Dann seufzte sie schwer und räusperte sich.
»Alec lebt zwar, aber... meinem Bruder... es geht ihm nicht gut. Sein Himmel hat sich heute langsam geöffnet... weil er... weil er an ihn denkt. Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit, du musst dich wirklich beeilen, deshalb sind wir hier. Ich weiß, dass du alles gibst, um ihn da raus zu holen, sie war allerdings der Meinung, dass dieser Anstoß nötig wäre.« Für einen Moment schloss ich die Augen.
Der kalte Wind in Alecs Himmel umspielte meinen Körper, ließ aus irgendeinen Grund einen wohligen Schauer meinen Rücken hinab jagen, auch wenn ich mich in diesem Moment erbärmlich fühlte.
»Wenn ich es also nicht rechtzeitig schaffe, dann...«
»Du wirst es rechtzeitig schaffen.«
Langsam öffnete ich meine Augen wieder, bei Aleynas entschlossenen Worten erzitterte ich, ebenso wie bei dem überzeugten Blick, den sie mir nun zuwarf.
»Du wirst es schaffen, weil du es immer schaffst. Und Solange du nicht bei meinem Bruder bist, werde ich auf ihn aufpassen und den Idioten davon überzeugen, dass es definitiv noch nicht Zeit ist, um zu gehen.«
Langsam spürte ich, wie der Mut wieder durch meine Adern floss, ich blinzelte die letzten, dummen, kleinen, schwachen Tränen weg und nickte dann langsam, bis ich immer entschlossener wurde und sie am Ende kämpferisch anblitzte.
»Okay«, sagte ich zunächst einfach, weil das in dem Moment das einzige Wort war, was ich zustande brachte.
Langsam richtete ich mich wieder auf, Aleynas Mundwinkel zuckten in die Höhe, beinahe so, als wäre sie stolz, zu sehen, was sie nun sah.
»Ich werde ihn da raus holen. Wir werden da raus kommen, zusammen. Und wir werden nach North Carolina fahren. Kein dummes Rumgeheule mehr, keine Nervenzusammenbrüche, kein dummes Selbstmitleid. Das verspreche ich.«
Und ich meinte jedes einzelne Wort, wie ich es sagte. Ehrlich und aufrichtig und wirklich.
Aleyna nickte langsam und das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde immer sanfter, immer weicher.
»Ich weiß. Sie sagt, dass es langsam so weit ist«, murmelte sie einfach, schloss für einen Moment die Augen, als würde sie auf etwas lauschen und erklärte natürlich wie immer nicht, was sie mit ihren Worten meinte.
Dann öffnete sie die Augen langsam wieder, das grau in ihnen schien irgendwie heller, sanfter.
»Du hast dich wirklich gemacht, weißt du das Aruna? Die Rote Göttin hatte die Befürchtung, du würdest es ohne mich nicht schaffen, aber sieh dich jetzt nur an.«
Ich seufzte und verdrehte leicht die Augen, wobei ich trotzdem nicht verhindern konnte, dass sich meine Mundwinkel etwas hoben.
»Lass mich raten, warum ich was ohne dich eigentlich nicht hätte schaffen können, zumindest laut der Roten Göttin, von der ich übrigens ebenfalls keinen blassen Schimmer habe, wer sie ist, werde ich nicht jetzt, aber bald erfahren.«
Aleynas Mundwinkel zuckten, dann nickte sie langsam.
Ja, mittlerweile hatte ich verstanden, wie das hier ablief.
Ich schüttelte schnaubend den Kopf und blickte wieder zu der Quelle, die in mir wieder das Gefühl der Vertrautheit hervorrief.
»Ich glaube ich habe in den letzten Monaten so viele Fragen gestellt, dass ich für mein Leben ausgesorgt habe«, seufzte ich irgendwie resigniert und dann auch wieder nicht.
Bald. Bald, rief ich mir in Erinnerung. Bald, hatte sie gesagt.
Aleyna seufzte und richtete ihren Blick ebenfalls auf die Quelle.
»Ich wünschte, ich hätte bei euch sein können, als das alles passiert ist«, murmelte sie, woraufhin ich humorlos auflachte, während sie die Hände langsam von meinen Schultern nahm.
»Keine Sorge, in meinem Leben voller Verrücktheiten verpasst du nicht viel«, seufzte ich und rieb mir die Schläfe.
Dann runzelte ich die Stirn.
»Obwohl«, setzte ich nachdenklich an.
»Eigentlich bist du ja ebenfalls genau eine dieser Verrücktheiten. Ich meine, ich rede mit einem Mädchen, das vor mehr als einem Jahrzehnt gestorben ist und das nebenbei auch noch der vollen Überzeugung ist, dass es unser Schicksal hätte sein müssen, uns zu treffen.«
Aleyna lachte leise auf und schüttelte seufzend den Kopf.
»Ich fürchte, unser beider Leben sind nicht gerade das, was man als normal bezeichnen könnte.«
»Um genau zu sein«, meinte ich und warf ihr ein kleines, schelmisches Grinsen zu, »lebst du gar nicht mehr.«
Aleyna verdrehte die Augen und stemmte grinsend die Hände in die Hüften.
»Witze auf Kosten einer Toten, sehr geschmackvoll Rote.«
Wieder zuckten meine Mundwinkel nach oben. Das erste mehr oder minder unbeschwerte Gespräch seit Tagen. Wenn auch mit einer Toten...
Und mit der aufgeheiterten Seite meiner Selbst kam noch etwas anderes. Etwas, was ich nicht beschreiben, nicht wirklich fassen konnte.
Sehnsucht? Trauer? Ärger?
Ich konnte es nicht in Worte fassen und versuchte es doch irgendwie.
Wow Aruna, seit wann waren wir denn so sentimental?
»Ich wünschte...«, setzte ich nachdenklich an und starrte stirnrunzelnd auf meine Hände, während Aleyna einen fragenden Blick in meine Richtung warf.
»Ich wünschte, wir hätten uns kennengelernt. Im echten Leben meine ich. Ich wünschte, wir hätten uns kennengelernt, als wir noch kleine Mädchen waren und ich wünschte diese verdammten Vorurteile zwischen Ven und Lykanthropen würden einfach nicht existieren. Ich wünschte, wir hätten uns eine Kindheit geteilt... Eza und du, ihr hättet euch bestimmt gut verstanden und Cole hättest du bestimmt genau so gut auf die Palme bringen können...«
Ich stockte kurz, wagte es nicht, sie anzusehen.
»Es ist... es ist nur dieses Gefühl, verstehst du? Ich kann es nicht in Worte fassen, ich kann es nicht greifen, aber es ist... es ist diese... diese Sehnsucht.«
»Es ist Schicksal.«
Verwirrt sah ich auf, Aleyna blickte mich mit einem müden, traurigen Lächeln an.
»Unerfülltes Schicksal, Aruna. So fühlt es sich an. Wir hätten bei dir sein müssen, schon viel früher, deshalb dieses Gefühl. Dein Herz weiß es, dein Herz fühlt es, diese Sehnsucht, die du beschreibst.«
Für einen Moment schloss ich meine Augen, runzelte die Stirn.
»Unerfülltes Schicksal«, hauchte ich, als müsste ich austesten, wie sich diese zwei Wörter auf meinen Lippen anfühlten.
Ein Schauer überkam mich, nicht wohlig, wie die Schauer, die Alecs Himmel verursachten, nicht grausig, wie die Art Schauer, die einem über den Rücken liefen, wenn man etwas Schreckliches sah.
Aleyna nickte langsam, während ich meine Augen wieder öffnete.
»Sie war verzweifelt, als ich gestorben bin, wusste absolut nicht, wie es jetzt mit dir weitergehen sollte, manchmal glaube ich, hatte sie tatsächlich Angst um dein Leben. Aber ich habe auf dich aufgepasst, so gut ich konnte und...«
Und da fiel mir etwas ein. Mit einem Mal schoss der Gedanke durch meinen Kopf und ich hatte einfach das Bedürfnis, ihn geradewegs heraus zu schreien.
»Und du hast Alec zu mir geführt!«
Beinahe etwas erschrocken zuckte Aleyna zurück, während ich sie auffordernd ansah.
Das war etwas, was sie mir noch erklären musste! Warum genau war es so unendlich wichtig, dass Alec und ich uns trafen?
Und schließlich trat wieder ein nachdenklicher, beinahe belehrender Ausdruck auf ihr Gesicht. Sie nickte.
»Schicksal, Aruna. Manchmal müssen wir nachhelfen, wenn etwas nicht so läuft wie es sollte. Manchmal müssen wir die Dinge, wenn eine falsche Weiche gestellt wurde, wieder auf ihren Weg zurück leiten.«
Aber warum? Warum, wollte ich fragen, warum war das so wichtig?
Aleyna allerdings seufzte und schüttelte leicht den Kopf.
»Ich sehe schon wieder die hunderten Fragen in deinem Gesicht, die ich dir nicht beantworten darf.«
Ich seufzte und ließ die Schultern sinken. War ja eigentlich klar gewesen.
Ich warf Aleyna einen kurzen Seitenblick zu und runzelte die Stirn.
»Was bist du eigentlich, wenn du so mit mir redest? Ein Engel?«
Vielleicht war das eine dumme Frage, aber wenn ich schon einmal die Gelegenheit hatte, mit Ally zu reden, würde ich das definitiv ausnutzen.
Wieder stahl sich ein kleines Lächeln auf Aleynas Gesicht.
»Ein Engel«, murmelte sie beinahe gedankenverloren.
»Eine schöne Idee, oder?«
Ich nickte zögerlich, wusste nicht recht, was ich darauf sagen sollte.
Schließlich sah Aleyna wieder mich an und legte den Kopf leicht schief.
»Ich weiß nicht wirklich, was ich bin. Ein Engel vermutlich nicht, ein Teil von dir mit Sicherheit. Eine Vision wäre zu milde ausgedrückt, ein richtiger Mensch zu viel.«
Nachdenklich blickte ich an dem schwarzhaarigem Mädchen vorbei, dachte für einen Moment über ihre Worte nach.
»Du bist einfach eine weitere Absonderlichkeit im Leben der Aruna... Etwas, was man nicht wirklich beschreiben kann.«
Aleyna lachte leise auf und schüttelte den Kopf.
»Engel hat mir definitiv besser gefallen, als Absonderlichkeit.«
Und da musste auch ich lachen. Ich nickte.
»Gut. Dann bist du jetzt eben mein Schutzengel.«
»Hm«, machte Aleyna beinahe verträumt und sah in den Himmel.
Ich tat es ihr gleich.
»Das klingt schön«, murmelte sie nachdenklich.
Ich nickte.
»Ja«, erwiderte ich leise, während wir beobachteten, wie sich langsam der erste Schnee aus dem Himmel löste.
»Es schneit«, murmelte ich irgendwie fasziniert, meine Augen folgten den tanzenden Flocken, bis sich die erste auf meine Nasenspitze legte, wo sie beinahe augenblicklich schmolz und mir einen wohligen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Ich liebte diesen Ort...
Und es schneite, weiter und weiter, die Flocken tanzten um unsere Körper herum, legten sich auf unser Haar, auf den langen Mantel und ließen alles funkeln und glitzern.
Es war ein schöner Moment, ein Moment, in dem ich am liebsten meine Arme ausgestreckt hätte, um mich im Kreis zu drehen und so viel Schnee wie möglich aufzufangen, wie ich es früher immer getan hatte.
Ein Gefühl des Glücks legte sich über mich, denn ich liebte den Schnee, denn ich liebte den Winter.
Es war ein magischer Ort, da war ich mir sicher.
Ich spürte Aleynas Blick auf mir, spürte, wie sie mich beobachtete, während ich lächelnd in den Himmel hinauf sah, spürte ihre Nachdenklichkeit.
Und doch sah ich sie nicht an, doch stellte ich keine weiteren Fragen, auf die ich sowieso keine Antworten bekommen würde. Und doch genoss ich einfach den Schnee.
Schließlich seufzte Aleyna, sah einmal wieder in den Himmel, lauschte.
»Es ist Zeit zu gehen.«
Ich blinzelte ein paar Mal, blinzelte die Flocken weg, die sich in meinen langen Wimpern verfangen hatten und senkte meinen Blick.
Ich zog die Augenbrauen zusammen, mein Herz machte einen kleinen, schmerzhaften Sprung, während ich Aleynas nachdenklichem Blick begegnete.
»Ich will noch nicht weg«, murmelte ich beinahe traurig, auch wenn ich wusste, dass ich musste.
Aleyna nickte, dann lächelte sie leicht.
»Ich weiß«, erwiderte sie.
»Und das ist gut.«
Und ehe ich auch nur die Chance hatte, zu erfahren, was sie damit meinte, schien der Schnee um mich herum mit einem Mal anzufangen zu rasen, es passierte so schnell, dass ich nicht einmal die Zeit hatte, mich zu bewegen, ein Sturm baute sich um mich herum auf, ein Sturm aus tausenden, funkelnden, weißen Flocken, die mich einfach davon trugen, keinen Blick mehr auf irgendetwas anderes ließen, keinen Blick auf Aleyna, keinen Blick auf die Lichtung, die Quelle, die Tannen.
Es geschah viel zu plötzlich, beinahe innerhalb eines Wimpernschlages, mein Herz setzte enttäuscht aus, ich wollte die Hände nach irgendetwas Unbestimmten ausstrecken, wenigstens irgendetwas, doch es brachte nichts mehr.
Der Schnee trug mich davon.
Und ich verließ Alecs Himmel.
Ich verließ seinen Himmel, ohne auch nur daran gedacht zu haben, Aleyna nach dem Traum zu fragen, den ich immerzu hatte. Den Traum, den ich für einen Moment vollkommen vergessen hatte.
Ich hätte fragen müssen, hätte fragen müssen, auch wenn sie mir vielleicht keine Antwort gegeben hätte. Doch ich hatte es nicht getan.
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