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Einen Moment noch blickte ich Isla nachdenklich hinterher, die schnurstracks auf die Tür zusteuerte und die Augen nicht von ihrem Knauf nahm, als hätte sie Angst, andernfalls wieder etwas Falsches zu sagen, was ich laut Will nicht hören sollte.

Schließlich seufzte ich, mein Blick glitt an meine Seite und plötzlich stahl sich ein kleines, böses Grinsen auf meine Lippen.

Alec hätte bei diesem dummen Einfall bestimmt die Augen verdreht und doch hätten sich seine Mundwinkel etwas hochgezogen. Wenigstens ein klitzekleines bisschen. Das wusste ich.

Aruna, hätte er gesagt. Du bist das nervigste Mädchen, das ich jemals kennengelernt habe.

Ich schluckte schwer.

Vielleicht war es doch keine gute Idee, dachte ich plötzlich. Immerhin musste ich mich konzentrieren, ihn zu finden. Ich musste herausfinden, wo die Zellen waren, solche Albernheiten schienen da so... dumm.

Mit einer plötzlichen Entschlossenheit, die mit einem Mal in mir aufkam, ballte ich die Hände zu Fäusten.

Heute Nacht, dachte ich. Heute Nacht würde ich zu einer kleinen Expedition aufbrechen, so verdammt groß konnte dieses beschissene Haus dann ja doch nicht sein! Einen Plan hatte ich nicht wirklich, doch wenigstens, die Gewissheit zu haben, wo er war, ich brauchte sie einfach.

Und das war der Punkt, der mich an meinem dämlichen Aruna-Plan zweifeln ließ. Vielleicht sollte ich mich bis zur Nacht möglichst unauffällig verhalten und mich vor allem benehmen, nicht, dass dieses verkorkste Rudel noch auf falsche Gedanken kam.

Doch allein der Blick auf das beschissene Kleid neben mir reichte. Ein entschlossener Ausdruck trat auf mein Gesicht, Isla war mittlerweile schon abgehauen und ich sprang schwungvoller auf, als ich sollte, mit voller Absicht fuhr ich durch mein dunkelrotes Haar, ließ sie noch wirrer von meinem Kopf abstehen, als sowieso schon.

Zielstrebig vergrub ich meine nackten Zehen in dem weichen Teppich und starrte nach draußen, in die Richtung, die dem Pfahl am nächsten kam.

»Keine Sorge«, murmelte ich mit geballten Händen und musste wohl vollkommen geistesgestört wirken.

»Ich werde sie schon zur Weißglut treiben, so wie dich. Und heute Abend finde ich heraus, wo du Idiot steckst.«

Mit aller Macht versuchte ich das mulmige Gefühl herunterzuschlucken, dass in mir aufkam, das Bild, das Alec geboten hatte, den Gedanken, wie schlecht es ihm ging, wie schwach er ausgesehen hatte... Alec... der Alec...

Nein! Hör auf!

Rumheulen bringt dir jetzt auch nichts, verdammt Aruna heul doch wenigstens einmal nicht rum und konzentrier dich darauf, ihn hier raus zu bekommen! In den letzten Monaten hast du zu viel geheult, wenn alles gut werden soll, musst du etwas dafür tun! Versink nicht wieder in Selbstmitleid, wie immer.

Ich atmete tief durch, für einen Moment schloss ich die Augen.

Gut. Alec lebte. Das war das einzige, was zählte. Und deshalb würde ich auch nicht zu einem armseligen Häufchen Elend werden. Das konnten wir jetzt nicht gebrauchen.

Gott, ich hatte ja mehr Stimmungsschwankungen, als Isla und ich war mir ziemlich sicher, dass Außenstehende meinen wirren Gedankengänge mit Sicherheit nicht folgen könnten. Aber hey, zu meiner Verteidigung, ich war heute erst wieder aufgewacht, da durfte ich benebelt sein.

Aber zurück zum Thema. Apropos Isla. Mein Blick glitt wieder zur Tür, Isla war zwar schon lange verschwunden - die hatte es ja eilig... - ihre Worte allerdings fielen mir in eben diesem Moment wieder ein.

Naja, zumindest zwei von ihnen. Mary und böse, um genau zu sein. Ich wusste zwar nicht, wer Mary war, allerdings hatte mir Isla nur allzu deutlich klar gemacht, dass man in diesem Haus lieber nicht zu spät zum Essen kam.

Seufzend machte ich mich auf zur Tür und runzelte die Stirn.

Naja, dachte ich, während ich den Knauf umdrehte und in den Flur trat. Vermutlich war es auch nicht gerade erwünscht, dass jemand im Schlafanzug auftauchte, mit wirreren Haaren, als Hagrid höchst persönlich.

Auf halbem Wege im Flur zuckte ich schließlich mit den Schultern, langsam tauchte mein Grinsen wieder auf, ich straffte meine Schultern.

Was machte das schon? Ich würde eh so bald wie möglich abhauen, mir konnte es also ziemlich egal sein, was sie von mir dachten. Und so lange ich sie damit ärgern konnte.

Wenn ich Will schon so nicht eine rein hauen konnte, dann tat ich es eben auf diese Art, als könnte der große Vollidiot bestimmen, was ich anzog.

Gut, ich gab zu, was ich hier tat war definitiv kindisch und vermutlich machte ich in eben jenem Moment aus einer Mücke einen Elefanten, fand meinen Plan genialer, als er eigentlich war, aber das war eben Aruna.

Aruna wahrlich und wirklich und unveränderlich.

Wie schon am Morgen stieg ich die Treppe hinab und fragte mich erneut, wo alle Wölfe waren, während meine nackten Füße dumpfe Geräusche auf dem Boden hinterließen.

Vielleicht war das hier einfach nur das Haus von Will und seiner Familie und die anderen lebten in anderen Häusern. Zum Glück auch überhaupt nicht protzig.

Gedankenverloren fummelte ich an der Kordel der dunkelbraunen Hose herum, sah mich bereits ein wenig in der Halle um, um herauszufinden, wo ich am besten anfangen sollte, zu suchen.

Und da begann mein Optimismus zum ersten Mal zu schrumpfen. Halleluja... Bei den ganzen Gängen und Bögen wurde einem ja ganz schwindelig, ich blinzelte heftig und verfluchte mich einmal wieder dafür, dass ich erneut in so etwas absolut beschissenes hinein geraten war.

Und dabei wollten Alec und ich schon lange in North Carolina sein...

Mein Blick fiel auf den Durchgang direkt neben der Treppe. Wie auch die Eingangshalle, war er mit hellem Stein ausgelegt.

Ich konnte von meiner perspektive aus nicht erkennen, wo er hin führte, das einzige, was ich sehen konnte, war eine große Topfpflanze, deren Gestank ich bis hier her riechen konnte.

Zumindest wirkte sie so, als wäre es ihr Gestank, sonderlich schön sahen nämlich auch die verschrumpelten Blätter nicht aus und was das für eine rötlich braune Blüte war, die mich irgendwie an einen Handschuh erinnerte, wollte ich gar nicht erst wissen.

Ich rümpfte die Nase - warum zur Hölle stellte man eine so unglaublich hässliche Pflanze in so einem Gebäude auf - und versuchte an dem Monsterding vorbei zu sehen, doch ich hatte keine Gelegenheit mehr, weiter in den Gang hinein zu blicken.

Erschrocken keuchte ich auf, als ich plötzlich mit voller Wucht gegen etwas hartes knallte, so in meinem Gestarre vertieft, hatte ich gar nicht bemerkt, wie sich meine Füße einfach weiter bewegt hatten.

Rückwarts zu gehen war sowieso wohl bemerkt etwas, was ich überhaupt nicht konnte, als ich noch kleiner war, hatte man sich tatsächlich ernsthafte Sorgen gemacht, dass irgendetwas nicht mit mir stimmte, weil ich bei diesen komischen Test, die jeder Jungwolf durchmachen muss, damit man sehen kann, ob er vollkommen gesund ist, beim Rückwärtsgehen allein schon aus Prinzip gestolpert und hingefallen war.

Naja, aber zurück zum Thema.

In meiner unendlichen Eleganz geschah es also, dass ich weder die Wand hinter mir, noch die große Blumenvase eingeplant hatte.

Ein erschrockener, erstickter Laut verließ meine Kehle, meine Augen weiteten sich, ich versuchte mich verzweifelt an irgendetwas festzuhalten, was angesichts der bloßen Luft vor mir eher nicht erfolgreich war.

Und schließlich krachte ich laut scheppernd mitsamt der verdammten Blumen und einem äußerst unelegantem Laut - irgendetwas zwischen Fluchen und dem Geräusch, das ich mir vorstellte, welches ein Eichhörnchen machte, wenn es überfahren wurde - auf den Boden, die Vase zerschepperte klirrend, mein Kopf schlug mit voller Wucht gegen die Wand neben der Tür zum Speisesaal, im Endeffekt wusste ich nicht mehr genau, welche wüsten Beschimpfungen meinen Mund verlassen hatten, während ich in die kalte Blumenerde einsank, die sich sofort freudig an meiner Haut festklammerte und als sich dann auch noch eine vermaledeite Scherbe in meinen Handrücken bohrte, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten.

Im Nachhinein schien es mir sogar gar nicht so unwahrscheinlich, dass man meine Stimme durch das ganze Haus hatte hören können.

»Au! Verdammte Scheiße! Ich hasse dich! Blödes Mistding!«

Ich wusste nicht einmal, wen ich in diesem Moment beleidigte. Mich? Die Vase? Keine Ahnung...

Ich hatte nicht einmal mehr die Gelegenheit, mich wenigstens etwas wieder aufzurappeln, denn genau in dem Moment flog die Tür neben mir scheppernd auf, ich zuckte so heftig zusammen, dass meine Hand, die sich gerade von dem Erdhaufen aufstemmen wollte, abrutschte und meinen dummen, plumpen Körper mit einem dumpfen Geräusch in die Erde zurücksinken ließ.

Erschrocken blickte ich die Person an und zunächst waren da bloß diese besorgten, eisblauen Augen, aus denen Will mich ansah, doch die Sekunden waren kaum verstrichen und seine Miene wurde verwirrter und verwirrter, bis er mich schließlich ungläubig ansah, die alarmiert gestrafften Schultern sinken ließ und verwirrt auf mich hinab blinzelte.

Meine Ohren fingen an zu glühen, für einen Moment vergaß ich zu atmen und die Situation wurde absolut und unwiderruflich beschissen, als ein weiterer Mann, erstaunlich klein für sein Alter - ich schätzte ihn kaum älter als Will - mit hellbraunem Haar und einer krummen Nase aus dem Raum gehastet kam, um zu sehen, was zur Hölle hier los war, dicht gefolgt von einer blauäugigen, offensichtlich hochschwangeren Blondine, die ein Stückchen größer war, als der Typ.

Und weil das ja noch lange nicht reichte, immerhin war die Person, die es lustig fand, ein Blumenbeet zu imitieren, Aruna, trat zu guter letzt schließlich eine mittvierziger Frau von großer, kräftiger Statur aus dem Raum, deren ernste Falkenaugen mich beinahe augenblicklich durchbohrten. Das drahtige, kurze, tiefschwarze Haar war streng hinter die Ohren gestrichen worden und alles in allem machte mich ihre Erscheinung fast augenblicklich nervös.

Ja toll Aruna, wieso musst du eigentlich jede einzelne Person mit voller Macht davon überzeugen, dass du ein absoluter Idiot und vollkommen geistesgestört bist?!

»Was tust du da?«

Erschrocken zuckte ich zusammen, als auf einmal Wills Stimme ertönte, für einen Moment war ich viel zu sehr von dem ernsten Gesicht der Falkenaugen Frau abgelenkt, die gleich ein unruhiges Gefühl in mir aufkommen ließ.

Naja, aber um auf das Thema mit der vollkommen geistesgestörten Idiotin zurückzukommen. Völlig benebelt schrie mein dummes Ich Will die nächsten Sätze, die mir in den Kopf kamen, geradezu entgegen.

»Ich wälze mich gerne im Dreck, ist so ne Angewonheit, wusstest du das nicht?!«

Ja. Jetzt war es offiziell. Die Welt hatte definitiv genug von Aruna (nicht) Davis.

Das konnte definitiv niemand mehr ertragen... Ich am allerwenigstem.

Verwirrt blinzelte Will mich an, ich konnte Alecs schallendes Gelächter geradezu in meinem Kopf hören, während ich weiterhin wie ein absoluter Volltrottel vor vier mehr oder weniger fremden Wölfen in einem Haufen Dreck lag und nichts anderes tun konnte, als dumm Starren und noch dümmere Kommentare von mir zu geben.

Aruna, ich hasse dich.

Und plötzlich - es kam mir vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen - ertönte plötzlich ein ersticktes Geräusch von links.

Überrascht wanden sich vier Augenpaare auf die hochschwangere Frau, die im ersten Moment zwar jünger ausgesehen hatte, beim zweiten Blick allerdings mindestens so alt sein musste, wie Will.

Sie blinzelte heftig und während sie mit der einen Hand ihren kugelrunden Bauch hielt, presste sie sich die andere auf ihren Mund und versuchte so ihr Kichern zu unterdrücken, während die hellblauen Augen vergnügt funkelten.

»Tschuldigung«, keuchte sie atemlos auf die Blicke der anderen hin und versuchte ihr Lachen zu ersticken, was ihr allerdings alles andere als gut gelang.

Je weiter ich sie ansah, desto mehr wurden mir die Ähnlichkeiten mit Will bewusst, abgesehen davon, dass sie kleiner war und eine geschwungene Nase hatte, die sie jünger machte.

Die Frau neben ihr verdrehte sichtlich genervt die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie ein paar Strähnen des stachligen Haares zurückstrich.

Und da schien das schwangere Mädchen plötzlich zu platzen, ein kurzer Blick auf meine verdatterte Miene reichte.

Der Mann neben ihr, zuckte erschrocken zurück, als sie plötzlich schallend anfing zu lachen, die Augen zusammeenkniff, keuchte und sich zu Will drehte.

»Verdammt Willi, sie verarscht dich doch nur«, keuchte sie, woraufhin auch der Kerl neben ihr langsam zu grinsen begann.

Mein Blick schnellte zu Will, der mich immer noch verdattert ansah.

»Oh«, machte er einfach und beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt.

Sag mal war der eingeschränkt oder so? Als wäre das nicht offensichtlich gewesen...

Oh Gott, warum passierte sowas eigentlich immer...

Und während das Mädchen also immer noch ungehalten lachte, der Typ neben ihr kopfschüttelnd grinste und irgendetwas von »...bescheuert...«, murmelte, hielt Will mir die Hand hin.

»Alles gut?«, fragte er, während ich seine Hand skeptisch musterte.

Um ehrlich zu sein fielen mir ein Dutzend Dinge ein, die ich lieber getan hätte, als Wills Haut zu berühren, in Anbetracht der Umstände allerdings rechnete sich mein furchtbar geniales Ich aus, wie wahrscheinlich es wohl wäre, dass ich ohne Hilfe wieder sowas von auf den Boden klatschen würde.

Und da meine Ohren schon jetzt Feuer fingen, was das Gelache der Schwangeren nicht gerade besser machte, entschied ich mich schließlich dafür, Wills Hand als Option anzunehmen.

Mein Kopf brannte, während ich mir von ihm aufhelfen ließ, wobei ich das Ziehen an meinem linken Handrücken gekonnt ignorierte.

Dass ich mich bei dieser äußerst bescheuerten Hau-die-Vase- Aktion auch noch verletzt hatte, würde ich ihnen ganz sicher nicht auf die Nase binden.

»Geht's?«, fragte Will in seiner nervigen besorgten Art, während ich mir gar nicht vorstellen wollte, wie ich aussah.

Die Dreckklumpen in meinem Haar waren mehr als präsent, die feuchte Erde, die ungefähr jeden einzelnen Fleck meines Körpers bedeckte, war ebenfalls nicht wirklich etwas, was man leicht übersehen konnte und jetzt bereute ich es, das dumme Zeug angelassen zu haben, denn der Schlafanzug unterstrich den Eindruck einer Geistesgestörten nicht gerade unwesentlich.

Toll...

Immer noch spürte ich den bohrenden Blick der Falkenfrau in meinem Rücken und seit ich nach Wills Hand gegriffen hatte, war in mir das unwohle Gefühl aufgekommen, dass irgendjemand in dieser Halle Mordgedanken gegen mich hegte. Irgendjemand mit Falkenaugen...

Stumm nickte ich auf Wills dumme Besorgnis und versuchte, meine Hand unauffällig aus seiner Umklammerung zu entwinden, was er allerdings nicht einmal zu bemerken schien.

Sein Zwilling, zumindest nahm ich anhand der Ähnlichkeit und des Alters an, dass sie sein Zwilling war, beruhigte sich langsam wieder und der andere Mann murmelte grinsend etwas von wegen: »Pass auf unser Baby auf, Poppy.«

Das war also Poppy, die, die keine Ahnung hat. Interessant...

»Eh...«, machte ich peinlich berührt, die Wärme, die von Wills Hand ausging, ließ einen Schauer über meinen Rücken jagen.

Ein Schauer, der mir definitiv nicht gefiel.

Fragend hob Will eine Augenbraue und um ehrlich zu sein wollte mein nicht rational denkendes Ich ihn anschreien. Einfach, weil es Will war, der Idiot, der mich fast umgelegt hätte. Mich und Alec.

»Könntest du...«, setzte ich mit zusammengepressten Zähnen an, fuhr mich dann allerdings selbst an, mich gefälligst zu beherrschen.

»Könntest du mich vielleicht loslassen?«

Überrascht sah Will auf unsere Hände hinab und doch ließ er mich nicht sofort los, was mir noch einen mörderischeren Blick aus Falkenaugen einbrachte, Poppy schließlich vollends verstummen ließ.

»Oh«, machte der eingeschränkte Will schließlich erneut und durchbrach so die kurze Stille.

Und dann endlich – endlich – ließ er mich los.

Ohne, dass ich es verhindern konnte, atmete ich erleichtert aus.

Und so stand ich also da, wie ein begossener Pudel, bedeckt mit Blumenerde von oben bis unten und leicht zitternd wohlbemerkt, da das verdammte Zeug nicht gerade warm war.

Für einen Moment starrten sie mich wieder alle an, ich wusste absolut nicht, was ich tun sollte und im Angesicht des, wie aus Stein gemeißelten, Gesichts der Falkenfrau, wollte ich mich am liebsten hin und her winden.

Es wirkte beinahe so, als wollte Will gerade etwas sagen, doch da nahm ich plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.

Froh über die Ablenkung schoss mein Blick zur Eingangstür des Speisesaals, wo mir zu meinem Glück zwei große, bernsteinfarbende Augen begegneten, die mich verdutzt anblinzelten.

»Wie siehst du denn aus Ru?«, plapperte sie los, ehe sie sich auch nur Gedanken darüber hätte machen können, was sie da tat, sodass ihr gleich die Aufmerksamkeit vier weiterer Personen sicher war.

Na zum Glück starrten sie so mich nicht mehr an...

Doch noch ehe die Reaktion auf ihr Gesagtes folgen konnte, ertönte plötzlich eine aufgebrachte Stimme vom inneren des Raumes, gefolgt von stampfenden Schritten.

»Ich habe dir gesagt, du sollst hier bleiben, Isla Antony Grey!«, fauchte die Person und im nächsten Moment tauchte eine pummelige, rotwangige Frau mittleren Alters in der Tür auf, deren hochgestecktes, mit grauen Strähnen durchzogenes Haar, mich unweigerlich an Lily erinnerte.

Nicht, dass Lily bereits graue Strähnen besessen hätte, sie hatte es nur immer so geliebt, jegliches Haar, egal ob ihr eigenes oder das ihrer Freundinnen (manchmal auch Coles, wenn es zu lang wurde) genau auf diese Art hochzustecken.

Isla verdrehte die Augen, auch wenn das die Frau nicht sehen konnte und schließlich bemühte sich das kleine Mädchen möglichst Reumütig dreinzublicken.

»Lio kann immer hören, warum geht das dann nicht in den Kopf der kleinen Madam rein?«, wetterte die Frau weiter und ich beschloss, sie immer weniger zu mögen, was nicht zuletzt an Islas Gesichtsausdruck lag, als sie Lio erwähnte.

»Schon gut Mary«, ertönte dann plötzlich Wills Stimme, der seine kleine Schwester für einen Moment nachdenklich ansah.

»Sie kann ruhig her kommen, es ist nichts schlimmes passiert.«

Eine äußerst ungeschickte, meistens nichtsnutzige, Rote Wölfin fand es nur äußerst witzig, unschuldige Blumenvasen umzumähen...

Naja, mehr oder weniger unschuldig, immerhin hätte das blöde Teil ja auch nicht unbedingt in meinem Weg stehen müssen...

»Ach Gott...«

Erst Marys erschrockene Stimme riss mich wieder aus meinen Gedanken und als ich verdattert aufsah, trafen mich ihre rehbraunen Augen mit voller Wucht, mit solch einer musternden Intensivität, wie sie nur von jemanden kommen konnte, der ein dummes Kind begutachtete, nachdem das irgendeinen Mist angestellt hatte.

Ja, ich fühlte mich immer dümmer und dümmer...

Aber immerhin fürchtete ich bei Marys Blick nicht um mein Leben.

Zu meinem Pech lag die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden nun wieder auf mir, Mörderblick und dümmliches Grinsen inklusive, ganz zu schweigen von Wills merkwürdigem Blick, den er immer drauf hatte.

»Ich glaube, ich sollte mir etwas anderes anziehen...«, warf ich schließlich mehr oder minder intelligent ein, was Poppy zu meinem Pech wieder zum glucksen brachte, während meine Ohren es wohl äußerst amüsant fanden, wieder zu entflammen.

Alec hätte sich bei diesem Anblick wirklich prächtig amüsiert...

Wieder musste ich schwer schlucken. Ich hol dich da raus, wirklich, ich schaff das schon... Ich muss es nur erst einmal bis zur Nacht überstehen.

Gerade, als ich drohte, in meinen Gedanken zu versinekn, nickte Will wieder äußerst hilfreich.

»Natürlich«, meinte er, bewegte sich allerdings nicht vom Fleck, was diese ganze Situation nur noch unangenehmer und komischer machte.

Poppy jedoch schien das alles ganz und gar nicht unangenehm zu finden, sie amüsierte sich wohl ziemlich gut und der Typ neben ihr, auch wenn er noch ein wenig skeptisch wirkte, ließ sich von der Blondine anstecken, während Isla mich immer noch mit großen Augen musterte.

»Ich bin übrigens Poppy, Wills Zwilling«, grinste Poppyy schließlich.

»Ich würd dir ja die Hand geben, aber...«

Demonstrativ ließ sie ihren Blick meinen schmutzigen Körper hinab gleiten, was meine Wangen schließlich dazu brachte, Ofen zu spielen.

»Und wenn wir schon einmal dabei sind«, lachte sie weiter und deutete auf den Typen neben sich.

»Will stellt sich ja immer ziemlich dumm bei Vorstellungen an. Also, das ist Asher, mein Mann.«

Asher winkte mir obligatorisch zu, auch wenn das Grinsen deutlich zurückhaltender war, als das seiner Frau.

Apropos Frau, heiraten mit schätzungsweise zwanzig, vielleicht einundzwanzig Jahren, das nenn ich auch mal ne Leistung.

»Das«, Poppy deutete auf Falkenauge, die mich immer noch mit versteinerter Miene musterte.

Alles an ihrer Haltung schien mich geradezu anzuschreien, endlich von diesem Ort zu verschwinden, mit jeder einzelnen Faser ihres Körpers zeigte sie mir nur allzu deutlich, dass ich mehr als unerwünscht war.

Tut mir leid, ich würde ja gehen, aber dafür müsstet ihr mir noch einen gewissen grauäugigen, schwarzhaarigen Ven mit dem Feingefühl einer Ratte ausliefern, ohne den ich sicherlich nicht gehen werde...

Dass das geschah, war wohl eher unwahrscheinlich, dass sie mir ihn überließen meine ich.

Und wieder versuchte ich den Gedanken an Alecs schwaches Selbst zu verdrängen, versuchte über ihn zu denken, wie ich immer über ihn gedacht hatte, einfach, um nicht jeden Moment einen Nervenzusammenbruch zu erleiden.

Den Schrecken musste ich jetzt herunterschlucken.

Ein guter Plan, Aruna, wirklich, wie immer... Beschimpf ihn einfach, das hilft ganz sicher...

»Das ist Liz, unsere Beta.« Für einen Moment stockte Poppy und sah Falkenauge (unwahrscheinlich, dass ich sie jemals Liz nennen würde) für einen Moment mit gerunzelter Stirn an, währenddessen die immer noch eine Ausstrahlung wie die Arktis höchst persönlich hatte.

Poppy räusperte sich.

»Unsere Beta, die dringend mal an ihrem Verhalten gegenüber Gästen schrauben sollte.«

Auffordernd hob Poppy die Augenbrauen. Falkenauge knirschte mit den Zähnen, für einen Moment dachte ich tatsächlich, sie würde mir gleich vor die Füße spucken.

Doch stattdessen wandt sie denn Blick dann schließlich ab, um ihre Alpha anzusehen und mechanisch zu nicken.

»Natürlich«, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor.

Ich spürte förmlich, wie mein Körper sich wenigstens etwas entspannte, sobald Falkenauges Blick verschwand.

Das war aber auch mal ne Erscheinung...

Nicht einmal hässlich, wenn ich genau darüber nachdachte, dass finstere Gestarre tat ihrem Gesicht bloß absolut nicht gut.

Eigentlich, ganz objektiv betrachtet, war Falkenauge eine beeindruckende Erscheinung, wenn auch mit einem bitterem Nachgeschmack.

Sie wirkte stark, vollkommen entschlossen zu ihren Alphas zu stehen.

Sie war stark, da war ich mir sicher. Wie Lilith, nur, dass es sich bei Lilith auf eine andere, sanftere Art zeigte.

Bei dem Gedanken an mein eigenes Rudel machte mein Herz einen kleinen Aussetzer, mittlerweile wusste ich wirklich nicht mehr, für wie lange sie mich bereits für tot hielten. Ein schrecklicher Gedanke.

Und für einen Moment drohte der schwache Teil in mir, wieder abzuschweifen, im letzten Moment allerdings rettete mich Poppy.

»Und das ist Mary, sie kümmert sich um unsere nichtskönnenden Ärsche, zumindest, was den Haushalt angeht.«

Sie lachte kurz.

»Ich zumindest hätte das Haus schon mindestens einmal abgefackelt, müsste ich an ihrer Stelle kochen, von Will will ich gar nicht erst anfangen.«

Wieder kicherte sie und für einen Moment, so banal, so makaber es klang, waren meine Mundwinkel tatsächlich versucht, hochzuzucken, während Will einfach verächtlich schnaubte und sich über Marys Gesicht tatsächlich ein kleines, liebevolles Lächeln legte.

Es war einfach Poppys Art, die einen mitriss, dachte ich. Viel zu unbeschwert, viel zu jung für eine Alpha.

Viel zu jung, um Mutter zu sein, nebenbei. Halleluja, wie viele Kinder hortete die denn da in ihrem Bauch?!

»Ich würd dir ja auch noch meinen kleinen Bruder vorstellen, aber der hats nicht so mit Fremden...«, redete Poppy einfach weiter, doch kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, veränderte sich etwas.

Die Stimmung, mit einem Mal schien sie eisig kalt, Isla senkte den Blick, Falkenauge ballte die Hände zu Fäusten und Poppys Augen weiteten sich fast unmerklich, als merkte sie jetzt erst, was sie da überhaupt gesagt hatte.

Will hingegen, und das fand ich für meinen Teil äußerst komisch, wirkte mit einem Mal, vollkommen schlagartig, irgendwie... leer.

Er sagte nichts. Er rührte sich nicht. Er tat überhaupt nichts.

Keine einzige Regung durchzuckte sein Gesicht, kein Gefühl schien von ihm auszugehen. Für diesen Moment, zum allerersten Mal, war Will eine Mauer aus Eis und Stein.

Und die Neugierde entflammte in mir wie ein siedend heißes Feuer, brüllend und schreiend, sich hin und her windend.

Die Frage nagte an mir und für einen Moment schien alles in mir bereit, sie geradezu heraus zu schreien.

Was war hier geschehen, welches Schicksal verbarg sich hinter diesen Gesichtern? Was war mit Islas Zwilling? Was war mit Will?

Und wer war sie, mit der alles unweigerlich zu tun haben zu schien?

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