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Der Junge, vielleicht so alt wie Alec, sah mich für einen Moment überrascht an, dann hoben sich seine Mundwinkel etwas, was mich verwirrt blinzeln ließ.

War er Ilys Bruder?

Ich runzelte die Stirn, musterte ihn skeptisch.

Kurzes, hellbraunes Haar, seine Nase hatte einen leichten Knick, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen und anders als Islas Lippen, waren seine schmal.

Er war größer als Alec, was an sich ja schon an einer Unmöglichkeit grenzte, allerdings war er eher von einer dünnen Statur, nicht schlaksig, man sah ihm schon an, dass er ohne Probleme jemanden umlegen könnte, ein Muskelpaket war er aber mit Sicherheit auch nicht.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte mich schließlich endgültig an, ein beinahe aufgeregtes Funkeln trat in seine Augen, dass mich absolut verwirrte.

»Schön, dass du endlich wach bist.«

Ich bekam wirklich, wirklich das Bedürfnis diesem merkwürdig lächelnden Jungen die Kehle herauszureißen.

Ihm mit seiner dummen, samtigen Stimme und dem Lächeln, dass einen einzunehmen versuchte.

Endlich? Endlich?

Entschuldige Mal, er war ja wohl derjenige, der uns, also auch mich, mitsamt des Autos diesen blöden Abhang hinab gedonnert hatte! Wir hätten sterben können!

Ich musste stark an mich halten, meine Hände nicht zu Fäusten zu ballen und doch konnte ich das Zucken meines Kiefers nicht verbergen.

Plötzlich glitt der Blick des Jungen zu Isla, die hastig wegsah, als ich sie dabei ertappte, wie sie mich anstarrte.

»Möchtest du nicht etwas essen gehen Ily? Mary hat sich schon gewundert, wo du bleibst.«

Ohne Widerworte zu geben, nickte Isla hastig, entweder verstand sie den Wink mit dem Zaunpfahl, oder sie hatte tatsächlich Angst, Mary wäre böse auf sie, wie sie es bereits angedeutet hatte.

Hastig quetschte sie sich an dem Jungen vorbei, der ihr kurz das blonde Haar verwuschelte und ihr einen lächelnden Blick nach warf.

Der lächelte mir eindeutig zu viel. Wie er wohl reagieren würde, würde ich ihm dieses verdammte Lächeln aus dem Gesicht reißen? Ich verspürte wirklich die Lust dazu...

Dennoch schallt ich mich, mich zu konzentrieren und nicht zu verraten, immerhin hatte ich fest vor, Alec und mich hier raus zu bekommen.

Ich hörte, wie die Personen in dem Raum, auf die mir der Junge allerdings die Sicht versperrte, anfingen zu tuscheln.

»Ich hoffe, sie war nicht allzu aufdringlich, manchmal plappert meine Schwester wirklich viel.«

Also doch der Bruder.

»Bist du der Alpha?«

Überrascht hob der Junge seine Brauen, hatte wohl nicht mit dieser Direktheit gerechnet und wenn ich ehrlich war, war mir diese Frage auch eher hinausgerutscht, als das ich es gesteuert hatte.

Und trotzdem hoben sich seine Mundwinkel weiter und weiter, was mich nur rasender machte, am liebsten wollte ich ihn anschreien, fragen, wo verdammt noch mal Alec war, bevor ich ihm die bescheuerten, eisblauen Augen auskratzte, die mich zu durchbohren schienen, jede einzelne Faser meiner Selbst musterten.

Schließlich nickte er langsam.

»Ja«, erwiderte er.

Seine Eltern waren also entweder tot, oder hatten diesen Posten abgegeben. Aber immerhin wusste ich jetzt schon einmal ein bisschen, woran ich war.

Ob ich wohl eine Chance gegen ihn hätte? Im direkten Zweikampf? Wenn ich wütend war, so wirklich richtig wütend, dann vielleicht.

»Das muss alles ziemlich verwirrend für dich sein«, setzte der Typ schließlich beinahe... vorsichtig an, als wäre ich eine Puppe, mit der man ganz besonders vorsichtig umgehen musste, damit sie nicht zerbrach.

Er hielt mich also für schwach?! Er sollte mal lieber aufpassen, dass ich ihn nicht zerbrach!

Halleluja, seit wann war ich denn so agressiv?

Vielleicht seit dem der verdammte Penner Alec gefangen und uns beide halb tot gefahren hatte? Das klang logisch...

»Vielleicht sollten wir erst mal mit unseren Namen anfangen.«

Vielleicht sollte ich bei deiner Kehle anfangen, bis ich dich bis auf den letzten Zeh enthäute.

Wäre Alec hier gewesen, hätte er sich bei diesem Gedanken bestimmt ein Lachen verkneifen müssen, weil er eben Alec war, ein kleiner Sadist.

Alec. Ein kleiner Stich durchfuhr mein Herz.

Konzentrier dich Aruna. Spiel mit, du musst Alec helfen.

Also nickte ich leicht. Allerdings verließ kein Laut meine Lippen.

Wie viel wussten sie über mich? Vielleicht wusste er meinen Namen schon, wusste, wer ich war und spielte bloß irgendein perverses Spielchen mit mir.

Ich meine, wissen konnte ich es nicht.

Schließlich streckte er mir seine Hand entgegen, die ich lieber abghackt hätte, als sie zu ergreifen.

Was war denn falsch mit ihm?! Wie konnte er sich einbilden, auf so unendlich nett und sanft zu tun, während er mich fast umgebracht hätte?

»Will«, stellte er sich schließlich vor und streckte mir die Hand weiterhin entgegen.

Ob es ihn wohl stören würde, wenn ich ihm ein paar Finger rausreißen würde? Vermutlich ja...

Eher widerwillig . gut, mehr als widerwillig - hob ich meine Hand und musste mich wirklich zusammenreißen, nicht mein Gesicht zu verziehen, als sich seine Finger um meine schlossen, ein unangenehmer Schauer lief mir den Rücken hinab, während er beinahe... aufgeregt schien.

»Aruna«, murmelte ich schließlich, hoffte, er hatte es nicht gehört und doch stahl sich bloß ein weiteres Strahlen in seine Augen.

Er war komisch. Ernsthaft.

»Aruna«, wiederholte er, als müsse er testen, wie sich dieser Name aus seinem Mund anhörte.

Okay? Er war gruselig...

Er sollte das gefälligst bleiben lassen.

»Ich hoffe, es stört dich nicht, dass Grace dich umgezogen hat, deine alten Sachen wirkten nicht mehr so, als würdest du sie gerne behalten.«

Bei dem Gedanken, dass mich eine völlig Fremde angefasst hatte, lief es mir kalt den Rücken hinab und doch schüttelte ich mit aufeinander gepressten Zähnen den Kopf, während ich mich beeilte, meine Hand ganz schnell wieder von ihm weg zu bekommen, von seiner unangenehmen Wärme.

Und wer war Grace überhaupt?

»Ich schätze, du hast ziemlich viele Fragen?«

Stumm nickte ich, ich hasste warten, Geduld hatte ich noch nie wirklich besessen, doch wenn das hier gut gehen musste, musste ich es langsam angehen, so sehr es mir auch widerstrebte.

Beinahe... zurückhaltend, sah Will auf seine Hände hinab, als traute er sich nicht, nachfolgendes zu fragen.

Dieser Kerl verwirrte mich vollkommen. Ich verstand seinen Charakter nicht, wirklich nicht, verstand die Worte nicht, die er mir zugeraunt hatte, als er mich aus den Trümmern gezogen hatte.

Denn er war es gewesen, ohne Zweifel, ich erkannte es an seinem Geruch, der mir merkwürdig bekannt vorgekommen war, weil er ein Lykanthrop war wie ich und dann doch wieder so fremd, weil ich ihn nicht kannte, als Menschen nicht kannte.

»Wollen wir ein Stück gehen? Der Garten ist echt schön und vielleicht ist es ja ein wenig leichter für dich, wenn du nicht gleich von meiner ganzen Familie beobachtet wirst.«

Mir fielen ungefähr drei Dutzend Dinge ein, die ich lieber getan hätte, als mit diesem Kerl auf einen Spaziergang in seinem echt schönen Garten zu gehen, dennoch nickte ich mit bebendem Kiefer.

»Ich hab keine Schuhe«, bemerkte ich einfach trocken, verfluchte mich selbst, dass ich so patzig war und konnte es dennoch nicht verhindern.

Wenigstens das sollte mir vergönnt sein, wenn ich ihm mit seinen beschissenen eisblauen Augen, die einem einen Schauer über den Rücken laufen ließen, schon nicht enthaupten konnte.

Warum durchbohrten sie mich auch so? Warum sah er mich auch so an?

Verdammt, sieh mich doch nicht so an, mit diesem beschissenem Funkeln in den Augen.

Er war komisch. Erneut.

»Soll ich Grace fragen, ob sie welche organisieren kann? Bei sich hat sie bestimmt noch welche für dich.«

»Schon gut«, murmelte ich abweisend, dann ging ich doch lieber ohne, als noch mehr kostbare Zeit zu vergeuden, immerhin musste ich unbedingt herausfinden, wo Alec war, davon sterben, ohne Schuhe rumzulaufen, würde ich auch nicht.

Überrascht hob Will seine Augenbrauen.

Ja Aruna, dass mit dem Schauspielern müssen wir wohl noch üben. Genau wie Auto fahren...

Aber in dem Moment konnte ich meine Wut einfach nicht ganz verbergen, ich meine, was zur Hölle bildete der sich ein?

»Wenn du meinst«, erwiderte Will schließlich zögerlich und mit gerunzelter Stern.

Für ihn musste ich wohl ziemlich geisteskrank wirken, wie ich so da stand mit dem wirren Haar und dem beschissenen Schlafanzug, den mir Grace angezogen hatte, von der ich nebenbei keine Ahnung hatte, wer sie war. Vielleicht sein Zwilling?

»Kommst du?«

Fragend sah Will mich an, ich hatte gar nicht bemerkt, wie er einen Schritt vorgetreten war, mir näher gekommen war.

Ich hasste, wie er mich ansah. Sollte der sich doch ertränken!

Okay, ich war definitiv agressiver, als es mir ähnlich gesehen hätte. Nicht einmal in Alecs und meinen Anfangszeiten, hatte ich solche Mordgedanken auf seine Kosten.

Widerwillig setzte ich einen Fuß vor den anderen und folgte Will, der mir merkwürdige Blicke zuwarf, die ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geprügelt hätte.

Sag ich ja, diese Aggressivität sah mir absolut nicht ähnlich...

Will übrigens, schien es für den Moment offensichtlich nicht wirklich für nötig zu halten, auch nur irgendetwas zu erklären, also beschloss ich die ich-weiß-gar-nichts-und-bin-ja-ein-ach-so-schwaches-Mädchen Nummer abzuziehen.

»Was ist passiert?«, fragte ich schließlich bemüht verwirrt und wenigstens irgendwie freundlich, auch wenn mir das eher schlecht als Recht gelang.

Will warf mir einen kurzen Seitenblick zu, während er die große Eingangstür öffnete.

Ein herbstlicher Wind kam auf und ließ mich erschaudern, während ich wie erwartet Tannen vorfand. Wir mussten irgendwo im Wald sein...

Ein kleiner Weg führte geradeaus, um dann in alle möglichen Richtungen abzuzweigen.

Mir gefiel nicht, wie akkurat die Büsche geschnitten worden waren, mir gefiel der kleine Brunnen nicht, den ich plätschern hören konnte, mir gefiel dieser ganze Palast Flair nicht. Mir gefiel nichts an diesem Ort, offensichtlich.

»An was erinnerst du dich?«, stellte Will mir eine Gegenfrage, während er mir deutete, hinauszutreten und mir sogar die verdammte Eingangstür aufhielt, die Alec vermutlich noch vor meiner Nase hätte zuknallen lassen.

Aber das wäre mir so viel lieber gewesen, ich hätte ihn sofort eingetauscht, auch wenn er ein Idiot war.

Sollte ich auf den der-große-böse-Ven-hat-mich-entführt Zug aufspringen?

Ich runzelte die Stirn, tat so, als müsse ich angestrengt überlegen, was das letzte war, woran ich mich erinnern konnte.

Wenn ich uns hier raus bringen wollte, musste ich es wohl tun...

Selbst Alec und ich würden mit Sicherheit nicht gegen ein ganzes Rudel ankommen, ich musste also ihr Vertrauen - sein Vertrauen - gewinnen. Auch wenn ich eine miserable Schauspielerin war...

Irgendwie versuchte ich, meine Stimme zittern zu lassen, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob ich am Ende nicht doch wie eine sterbende Ziege klang.

»I-Ich weiß nur n-noch... das ich in diesem Wald war... und dann kam der Ven... er hat mich ausgeknockt, danach ist alles weg...«

Entweder war Will furchtbar naiv, oder meine sterbende Ziege Lüge war nicht so schlecht, wie ich fürchtete.

Beinahe mitfühlend nickte er, während ich mich dämlich fühlte und mich erneut fragte, wo diese verdammten Leute waren, außer ein paar Schemen, die sofort wieder verschwanden, wenn ich mich genauer auf sie konzentrieren wollte, sah ich absolut keine Menschenseele.

»Warst du alleine? In dem Wald meine ich?«

Warst du immer schon so unendlich dumm und naiv?

Ich nickte langsam. Na wenn er mir schon eine Vorlage gab, konnte ich die ja ruhig benutzen.

»Weil du eine Rote bist?«

Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen, erstarrte, mein Herz setzte für einen Moment aus und dann überkam mich plötzlich das allesdurchdringende Bedürfnis, ihn anzuschreien.

Er sollte nicht darüber reden! Ich würde nicht darüber reden! Nicht mit ihm!

»Spielt das eine Rolle?«, knurrte ich aggressiver, als ich sollte.

Abwehrend hob Will die Arme, welcher vor mir stehen geblieben war.

»Nein, überhaupt nicht. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen, uns ist es völlig egal, ob du dieses Zeichen jetzt auf dem Rücken trägst oder nicht«, erklärte er, während mich seine Augen voller ehrlicher Aufrichtigkeit anfunkelten.

»Mir ist es egal«, fügte er dann plötzlich noch hinzu.

»Du bist ein Mensch, oder? Nach mehr sollte keiner Urteilen.«

Er hatte ja keine Ahnung...

Er hatte keine Ahnung, welches Unglück ich über die Leute gebracht hatte.

Hör auf Aruna! Konzentrier dich jetzt!

Nach einem kurzen Schweigen räusperte ich mich schließlich und strich ein paar meiner Strähnen hinter mein Ohr, jede meiner Bewegung beobachtete der Junge, es fröstelte mich.

»Also?«, setzte ich schließlich möglichst unschuldig an.

»Was ist passiert?«

Bitte erwähn Alec, bitte, ich muss wissen, wo er ist, ihn sehen, sehen, ob es ihm gut geht, wie es ihm geht.

Will seufzte und setzte seinen Weg durch den Garten vor, der leise Gesang einiger Vögel folgte uns, ich verfluchte sie, sie und diesen ganzen scheiß perfekten Garten.

»Der Ven ist durch unser Gebiet gefahren, meine Späher haben ihn ausfindig gemacht. Ihn und dich.«

Er sah mich verheißungsvoll an, als wäre es etwas unheimlich heldenhaftes, was er da gerade erzählte.

Ich reagierte kaum auf seine Worte, hob einfach verstehend meine Brauen, zu einer euphorischeren Reaktion konnte ich mich beim besten Willen nicht durchringen.

»Wir haben ihn verfolgt, er hat versucht durch den Wald zu flüchten, aber irgendwann konnten wir ihn einholen.«

Und dann habt ihr uns einen verdammten Abhang hinunter gestoßen, wobei Alec und ich - wir beide - beinahe draufgegangen wären.

»Einer unserer Wagen hat euer Auto gerammt, es hat einen heftigeren Schaden angerichtet, als es sollte und ihr seid einen Abhang hinunter gestürzt.«

Heftigeren Schaden als es sollte...

Was war er denn für ein verdammter Idiot?

»Das mit deinem Bein tut mir leid«, meinte Will dann plötzlich, sein Blick glitt über den schneeweißen Verband, das unterschwellige Pochen war immer noch da, klar und deutlich und hatte anscheinend vorerst nicht vor, zu weichen.

»Aber es war nötig, sonst wäre er vermutlich noch entkommen und wer weiß, was dann mit dir geschehen wäre.«

Es war nötig... Das ich nicht lache.

»Bald solltest du dich allerdings wieder vollkommen erholen, meine Ärzte haben dir eine bestimmte Medizin verschrieben, die den Prozess des Heilens anregt.«

Na das klang ja toll...

Ehrlich gesagt beschwichtigten mich diese Worte nicht gerade, wie es wohl seine Absicht gewesen war.

»U-Und der Ven?«, setzte ich schließlich bemüht unschuldig an, bemüht ängstlich, als fürchtete ich, er würde jeden Moment aus dem Gebüsch springen und mir die Kehle rausreißen.

Das sanfte Lächeln, dass auf Wills Gesicht trat, nervte mich, wie mich alles an ihm nervte, von dem Gesicht mit den merkwürdig weichen Gesichtszügen, bis hin zu der großen Statur.

»Keine Angst, das Monster wird dir nichts mehr tun können. Wir haben ihn Gefangen genommen, dir kann also nichts passieren.«

Ich wollte ihm den Mund herausreißen, bei so viel Unsinn, wie der laberte.

Alec war mit Sicherheit vieles, ein verdammter Idiot zuallererst, aber ganz sicher kein Monster.

Irgendwoher kannte ich diesen Satz...

Außerdem, warum war es so vehement der Meinung, er müsse auf mich aufpassen? Das konnte ich sehr wohl selber ganz gut. Abgesehen davon, dass von Alec ungefähr so viel Gefahr ausging, wie von einem Hundewelpen. Zumindest, was seine Sicht zu mir anging.

Trotzdem meldete sich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die ich wirklich versuchte zu verdrängen, während sie sich darum bemühte, meine Aggressivität zu dämpfen.

Er weiß es nicht besser, sagte sie. Er will dir helfen.

Ja, aber das auf eine wirklich, wirklich beschissene Art!

Und somit verbannte ich die Stimme, sperrte sie hinter eine dicke Eisentür und weigerte mich, stur und eigensinnig, wie ich nun einmal war, sie wieder hinaus zu lassen.

Ich seufzte und gerade, als ich möglichst unauffällig - naja, ob mir das gelungen wäre, war dann noch einmal eine andere Sache - fragen wollte, wo der Ven jetzt war, hielt ich plötzlich inne.

Etwas anderes forderte meine Aufmerksamkeit, ließ meine Stirn sich verwirrt runzeln.

Ich blieb stehen, ein mulmiges Gefühl überkam mich.

Zumindest wusste ich jetzt, wo die ganzen Lykanthropen waren. Eine große Menschentraube hatte sich um irgendetwas gescharrt, sie riefen aufgebracht durcheinander, wütend, höhnisch spottend, und doch konnte ich nicht wirklich heraushören, was sie sagten.

Sie warfen die Fäuste wütend in die Luft, ein elektrisierendes Gefühl der Wut schien durch die Luft zu zucken, über ihren Köpfen zu schweben, bis es selbst Will und mich erreichte.

Ich schluckte schwer, meine Hände fingen an zu zittern, es war, als würde mein Körper irgendetwas ahnen, irgendetwas spüren, was ich selbst noch nicht sehen konnte.

Ich wollte gerade etwas sagen, mein Mund öffnete sich, ich wollte Will fragen, was da auf dem großen Platz vor sich ging, doch genau in dem Moment tat sich plötzlich eine Lücke zwischen den wütenden Lykanthropen auf.

Ich erstarrte, ohne, dass ich es verhindern konnte, entkam ein entsetzter Laut meiner Kehle, mein Körper fing an zu zittern, ich schlug mir die Hände vor den Mund, um keine weiteren, verräterischen Laute von mir zu geben und doch konnte ich es nicht verhindern, dass sich meine Augen weiteten.

Es war, als würden dutzende Dolche durch mein Herz jagen, eine unendliche Schwere erfasste meine Brust, ich bekam Angst, Panik, fürchtete mich vor dem Anblick, wollte am liebsten anfangen zu schreien.

Dort hing er.

Alec.

Mir wurde schlecht. Wirklich schlecht, so unendlich schlecht, wie ich es lange nicht erlebt hatte.

Seine Hände waren weit über seinem Kopf an einen Pfahl gebunden worden, sodass seine nackten Füße kaum mehr die Möglichkeit hatten, den Boden zu berühren, sein Kopf hing kraftlos herab, während die Lykanthropen ihn beschimpften und anschrien, sein schmutziges Haar, verkrustet von Blut und Dreck, verdeckte sein Gesicht, seine Haut wirkte merkwürdig blass, ich konnte nicht einmal sagen, ob er wach war oder nicht, er hing vollkommen erschlafft in seinen Fesseln, das einzige, was er trug, war eine zerfetzte, blutige, schmutzige Hose, zur Erniedrigung hatte man ihm alles andere genommen, doch am schlimmsten waren diese Wunden, diese Wunden, die die Übelkeit mit einem Schlag in mir aufkeimen ließ, meine Knie zittern ließen, ich war kurz davor, einfach wegzukippen.

Sie mussten ihn geschlagen haben, lange, blutige Striemen erstreckten sich über seinen flachen Bauch, klaffend, groß, entzündet, gaben geschundenes Fleisch preis.

Seine Schulter sah schrecklich aus, entzündet, der Schmutz auf seinem Körper machte es nur noch schlimmer, manche von den Wunden waren bereits verkrustet, andere schienen frischer, ließen in mir das Bedürfnis aufkeimen, einfach nur zu schreien, zu schreien und schreien und schreien.

Seine Flanke schien aufgerissen, dickes Blut sickerte aus ihr und es musste schmerzen, es musste Höllenqualen bedeuten, es musste ihn foltern.

Ich ertrug das nicht... ich ertrug das einfach nicht...

Ich musste zu ihm!

Ich wollt losstürmen, wollte zu ihm, rennen, einfach rennen, mich vergewissern, dass er noch atmete, wollte bei ihm sein, ihm zeigen, dass ich da war, dass er sich nicht fürchten musste und doch konnte ich nicht, nicht in diesem Moment, nicht, wenn ich mich nicht verraten wollte und es zerbrach mich, es ließ mein Herz in tausend Stücken zersplittern.

Wills Stimme drang nur gedämpft zu mir, ich konnte Alec einfach nur anstarren, seine kraftlose Gestalt, diese Wunden, diese schrecklichen Wunden, wie er da hing, kaum vernünftig stehen konnte, sah nur diese langen Striemen, die sich über seinen Bauch zogen, sah sie und ertrug sie nicht, das Geschrei der Lykanthropen hallte in meinen Ohren wieder.

Ich war vollkommen erstarrt.

»Er hat bekommen, was er verdient hat«, drang Wills Stimme zu mir durch und in dem Moment wollte ich mich zu ihm umdrehen, wollte schreien, wollte auf ihn einschlagen, einprügeln, bis er elendig verreckte, schrie sie alle an, innerlich, schrie sie an, klagte sie an, welche feigen Monster sie doch waren, Heuchler, verdammte Heuchler.

Monster. Sie waren Monster!

Wie viele waren sie?! Fünf Dutzend?! Alec war alleine...

Alec... Nein!

Ich war da! Ich musste zu ihm! Ich musste ihm zeigen, dass er nicht alleine war! Bleib in deiner Rolle Aruna... Ich musste zu ihm! Er brauchte mich...

»I-Ich...«, stotterte ich und dieses Mal musste ich das Zittern nicht einmal vorgaukeln, dieses Mal war mir wirklich schlecht, dieses Mal fürchtete ich mich wirklich, dieses Mal wollte ich wirklich schreien, weinen, toben.

»Ich muss es selbst sehen...«, hauchte ich und taumelte dann einfach los, lieferte nicht einmal eine Erklärung, was genau ich sehen musste, aber es war egal, in diesem Moment war es so egal, ich musste einfach zu ihm, er brauchte mich doch, es war keine Zeit.

Zittrig tat ich einen Schritt nach dem anderen, starrte ihn wie in Trance an, seine schwache Gestalt und ich wollte weinen, wollte wimmern, ertrug es nicht, Alec so zu sehen, Alec, der doch sonst immer so unendlich stark zu sein schien.

Komm schon Alec... du... dir kann doch sonst auch nichts anhaben.

Ich spürte die brennenden Blicke der Leute auf mir, spürte Wills Blick, wollte sie alle töten und sah sie doch nicht wirklich, ich sah im Tunnelblick und am anderen Ende des Tunnels war Alec.

Alec...

Die Lykanthropen traten ohne zu zögern zur Seite, ich spaltete die Menge, wusste nicht, warum sie so ohne Zögern zurückwichen, doch es war egal, in diesem Moment war es so egal.

Meine Hände zitterten, ich bebte, die Tränen wollten in mir aufkeimen, ich versuchte sie mit aller Macht zu unterdrücken und dann stand ich vor ihm, zitternd, bebend, bekam keine Luft, starrte ihn an, wollte ihn berühren, wollte ihn so unendlich gerne berühren, ihm Wärme spenden, wollte gar nicht wissen, wie lang er hier schon hing.

Mein Mund öffnete sich, die Lykanthropen starrten mich an, ich wollte etwas sagen, doch wusste nicht was und dann regte sich Alec plötzlich.

Ein rasselnder Atemzug ertönte, seine Brust zuckte, als würde jede Bewegung schmerzen, er keuchte auf, für einen Moment presste ich meine Augenlider aufeinander, ertrug das einfach nicht, sein bekannter Geruch stieg mir in die Nase, doch er war nicht alleine, Blut schwang in ihm mit.

Und dann hob sich plötzlich sein Kopf, am liebsten wollte ich vorschnellen, ihm helfen, ihn festhalten, Sicherheit geben, Kraft, doch ich konnte nicht, ich konnte einfach nicht.

Mein Herz setzte aus, als ich in sein Gesicht sah, als sich seine glanzlosen, stahlgrauen Augen plötzlich auf mich richteten, alles in mir brach einfach zusammen.

Tiefe Augenringe zeichneten sich auf seinem Gesicht ab, es wirkte eingefallen, blass, so unendlich blass, müde, erschöpft.

Er zitterte, ich wusste nicht, was ich sagen sollte, Alec blinzelte heftig, als könnte er nicht ganz glauben, was er dort sah, während ich ihn einfach anstarrte, während mich ein Schauer überkam, während die Leute miteinander tuschelten und dann plötzlich, ganz plötzlich schien etwas mit Alec zu geschehen, seine Augen, etwas glänzte in ihnen auf, was ich nicht zuordnen konnte.

Seine Mundwinkel zuckten.

»H-Hey«, setzte er mit kratziger, leiser Stimme an, die ich kaum hören könnte, während er mich betrachtete, schwer atmete, musterte, als müsse er sich jedes Detail einprägen, ehe ich wieder verschwand.

»H-Hey R-Runa.«

Und das war der Moment, in dem ich es einfach nicht mehr verhindern konnte, meine Knie wollten nachgeben, etwas in mir zerbrach, ich presste meine Lider aufeinander, meine Lippen und da war sie, verräterisch, glänzend, klar.

Diese eine, diese vermaledeite Träne, die sich aus meinem Auge löste, ein Aufschrei, ein Aufschrei der Trauer, der Verzweiflung.

»H-Hör auf zu weinen«, hauchte Alec so unendlich leise, ich wollte mich nach vorne lehnen, wollte jedes einzelne Wort, dass er sagte verstehen, zwang mich, meine Augen wieder zu öffnen, ihn anzusehen.

Er zuckte zusammen, sein Gesicht verzog sich gequält, ich spürte, welche unglaublichen Schmerzen er haben musste.

Ich wollte sie alle anschreien. Ich wollte ihn einfach los machen, von diesem bescheuerten Pfahl befreien, mit ihm verschwinden.

Seine Augen drohten zuzufallen, ich wollte meine Hände austrecken, seinen Kopf zwischen sie nehmen, damit er nicht wieder hinab fallen konnte.

»Du siehst schrecklich aus«, hauchte ich mit zittriger Stimme, blinzelte heftig, wollte die Tränen verscheuchen, während Alecs müde Augen einer von ihnen folgte, zusah, wie sie über meine Wange rann.

Wieder zuckten seine Mundwinkel, auch wenn er kurz danach das Gesicht verzog, ächzte und es schien so unbegreiflich, wie sie sich in diesem Moment auch nur einen Millimeter heben konnten.

»D-Dafür siehst du... g-gut aus, N-Nervensäge.«

Und am Ende brach seine Stimme einfach ab, sie war nicht mehr, als ein unendlich leises Krächzen, voller Schmerz, voller Qualen.

Und ich wollte schreien.

Und ich wollte toben.

Und ich wollte sie alle töten.

Töten, für das, was sie Alec angetan hatten.

Hey :) Ich wollte nur Bescheid sagen, dass die nächste Woche keine Kapitel kommen werden (höchstens Samstag und Sonntag, da bin ich mir wegen der Schule allerdings noch nicht ganz sicher) da ich von Montag bis Freitag auf Klassenfahrt bin :) Ihr müsst euch also leider ein bisschen gedulden, bis es weiter geht :)

LG

Alou

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