72
»Brauchst du vielleicht Hilfe«, fragte Alec schließlich feixend, ich sah ihn böse an, er wusste ganz genau, dass ich Hilfe brauchte, wollte nur seine blöde Bestätigung haben.
Mürrisch hob ich meine Hand, er hob eine Braue, sah mich abwartend an. So eine Arschgeige...
Ich funkelte ihn böse an, die Frau schien kurz vorm Einschlafen und ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Mantel nach dieser Aktion entsorgen musste, während Alec sein bescheuertes Grinsen kaum noch zurückhalten konnte.
Manchmal hasste ich diesen Jungen. Ehrlich.
Ich biss die Zähne zusammen, blinzelte ihn wütend an, hatte allerdings wirklich keine Lust mehr, als Teddybär missbraucht zu werden.
»Könntest du mir helfen?«, presste ich dann zwischen meinen Zähnen hervor, lag immer noch wie ein absoluter Volltrottel vor ihm.
Seine Augenbrauen wanderten höher und höher, ich verfluchte ihn mehr und mehr.
»Wie war das?«, feixte er, ihm machte es ganz offensichtlich wirklich Spaß, mich zu quälen.
Sag ich ja, er und die Staubmilben, beides Sadisten.
»Ich hasse dich«, grummelte ich eingeschnappt, was er bloß mit einem weiteren Mundwinkelzucken quittierte.
Schließlich seufzte ich.
»Kannst du mir bitte helfen?«
Alec war ein dummer Idiot, vor allem, wenn es darum ging, sein Lachen zu verstecken.
»Achso«, meinte er, als würde er mich jetzt erst verstehen und griff dann endlich nach meiner Hand, die ich wie eine Geisteskranke in der Luft behalten hatte, schob die Frau mit seinem Fuß etwas von mir, sodass sie schnaubend auf dem Boden landete, sich dann allerdings dort zusammenrollte, wie ein kleines Kind.
Und dann zog der Ven mich endlich hoch, irgendwie überrascht taumelte ich etwas nach vorne, ein wenig benommen um ehrlich zu sein, was ganz sicher mit diesem penetranten Alkoholgeruch zu tun hatte.
Alec hielt mich an meinen Schultern fest und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Du stinkst«, kommentierte er, ich verdrehte die Augen und löste seine Hände mit spitzen Fingern von meinen Schultern.
»Nett«, meinte ich schnaubend und verschränkte die Arme vor der Brust, bevor ich mich wieder zu der am Boden liegenden Frau umdrehte.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich schließlich mit gerunzelter Stirn, während die Frau irgendetwas grunzte.
Um ehrlich zu sein, sah sie erbärmlich aus, so, wie sie da lag und ich konnte mir nicht helfen, sie tat mir fürchterlich leid.
Teilnahmslos zuckte Alec hinter mir mit den Schultern.
»Lass sie halt liegen«, meinte er trocken.
Empört sah ich über meine Schulter.
»Alec!«, fauchte ich ungläubig, woraufhin er einfach die Arme vor der Brust verschränkte.
»Sie ist doch nicht unser Problem, oder?«, fragte er ziemlich uninteressiert.
»Manchmal bist du ein Arsch, weißt du das? Sie braucht unsere Hilfe, wir können sie doch nicht einfach hier auf dem Flur liegen lassen.«
Alec verdrehte die Augen.
»Ich bin kein Arsch, ich helf eben nur den Leuten, an denen mir etwas liegt.«
Darauf antwortete ich nicht mehr, denn irgendwie war das wohl so halb gelogen. Ich meine damals, als wir uns gerade mal eine, vielleicht zwei Wochen kannten und wir uns wirklich, wirklich nicht leiden konnten, hatte er mir auch geholfen.
Obwohl ich nicht wirklich wusste, ob man einen brennenden Bus mit einer betrunkenen Frau vergleichen konnte, aber das tat hier ja jetzt nichts zur Sache.
»Das nennt man Nächstenliebe«, murrte ich leise, war mir eigentlich ziemlich sicher, dass er mal wieder den blöden, kalten Ven spielte, da Alec sehr wohl etwas von Nächstenliebe verstand.
Glaubte ich zumindest.
Für einen Moment blieb es still, dann seufzte Alec resigniert.
»Schön«, brummte er mehr oder minder begeistert.
»Wenn du diesen stinkenden Mantel loswirst, bring ich sie rüber«, stellte er einen Kompromiss auf, den ich sehr gerne bereit war einzugehen.
»Aber tu ihr nicht weh«, meinte ich noch, als er sich an mir vorbei zwängte, um die mittlerweile leise summende Frau rüber zu bringen.
Mehr, als einen kurzen, Augenbrauen hochziehenden, Blick über die Schulter bekam ich dafür allerdings nicht und während ich endlich in das Zimmer eintrat - mittlerweile kam es mir irgendwie gar nicht mehr so schrecklich vor - packte Alec die Frau mit angeekeltem Blick unter den Achseln, um sie rüber zu schleppen, was diese leise kichern ließ und als sie dann auch noch anfing, sich bei Richard zu beschweren, dass der gefälligst nicht so grob mit ihr umgehen sollte, konnte ich das Lachen, dass sich meine Kehle hochbahnte, nicht mehr verhindern.
Alecs brennenden Blick konnte ich dabei nur allzu deutlich spüren, kurz bevor er in das Zimmer uns gegenüber trat.
Gähnend befreite ich mich aus dem stinkenden Mantel und warf ihn nicht wirklich höflich einfach auf den Flur.
Aber mal ehrlich, im Zimmer würd ich den ganz sicher nicht haben wollen und so, wie das da draußen schon stank, würde es auch nicht mehr viel ausmachen.
Zum Glück war Alec geistesgegenwärtig genug gewesen, um das eine Fenster, mit dem das kleine Zimmer gesegnet war, sperrangelweit aufzureißen.
Und gerade, als ich mir durch meine wirren Locken fuhr, in denen ich nebenbei fluchend hängen blieb, ertönte plötzlich ein Geräusch.
Ein leises Klingeln, das mich aufhorchen ließ, irgendwie bekannt in meinen Ohren klang.
Ich runzelte die Stirn, kannte es irgendwoher, wusste, dass ich mich in dem Moment wohl etwas dumm anstellte, doch da ertönte plötzlich Alecs aufgeregte Stimme aus dem anderen Zimmer.
»Mein Handy Aruna! Geh dran, das ist Lila, es liegt auf dem Nachttisch!«
Oh.
Oh!
Aufgeregt begann mein Herz schneller zu klopfen, das hatte die Pfeife also die ganze Zeit hier drin getrieben, versucht, Lila zu erreichen.
Bei meinem hastigen Versuch, den Nachttisch so schnell wie möglich zu erreichen, das piepende Geräusch hallte nur allzu klar in meinen Ohren wieder, wäre ich allerdings beinahe über meine eigenen Füße gestolpert und als ich das schwarze Teil dann in die Hände nahm stand ich vor der nächsten Herausforderung.
»Alec, wie geh ich dran?«, rief ich hektisch, fühlte mich im gleichen Moment ziemlich dämlich, während ich das Gefühl hatte, das Ding würde mich auslachen.
Hitzig tatschte ich auf dem Bildschirm herum, drückte auf das Bild von Lila, das auf dem Bildschirm erschienen war, in dem sie mir die Zunge rausstreckte und wunderte mich über den Namen Helikopterschraube.
»Was?!«, kam die gekeuchte Antwort von Alec, während irgendein grüner Fleck warnend an seinem Handy aufleuchtete, ganz offensichtlich kämpfte er gerade damit, die Frau in ihr Bett zu wuchten.
Na wenn wir spätestens jetzt nicht ungefähr alle Gäste dieses Motels geweckt hatten, wusste ich aber auch nicht weiter.
»Na drangehen!«, rief ich zurück, drückte auf den Knopf am unteren Ende des Handys, woraufhin es bloß beinahe empört aufbrummte und ließ meinen Finger dann wütend auf das grüne Telefonzeichen donnern, was allerdings ebenfalls nicht wirklich etwas brachte.
Jetzt schaut mich nicht so an, im Dorf besaßen wir weder Telefone, noch Handys, also! Ich durfte mich wie der letzte Volltrottel benehmen!
»Du musst das grüne Telefon nach oben ziehen!«, rief Alec hastig, das Klingeln wurde immer dringlicher, als würde das Handy jeden Moment ausfallen und schließlich erstarb es, nachdem ich meinen Finger über den Bildschirm hatte gleiten lassen.
Skeptisch blickte ich auf das Gerät hinab und wartete, dass irgendetwas passierte.
Ich hörte bloß leises Murmeln und fragte mich, ob das wohl normal war.
»Ich versteh nichts Alec!«, rief ich verwirrt, er musste mich für einen absoluten Volltrottel halten.
Vermutlich war ich das.
»Hältst du dir das Handy auch ans Ohr?«, stellte er einfach eine Gegenfrage, woraufhin meine Ohren anfingen zu glühen.
Als hätte ich noch nie gesehen, wie jemand telefonierte, in dem Moment stellte ich mich vor Aufregung einfach nur wie der allergrößte Affe an.
Obwohl, eigentlich waren die ja schlau...
Hastig hielt ich mir das Telefon an mein Ohr, blinzelte ein paar Mal, wartete ab, es rauschte, niemand sagte etwas.
»Hallo?«, fragte ich schließlich unsicher, woraufhin plötzlich aufgeregtes Getuschel ertönte, es einmal Laut rauschte und schließlich ertönte endlich Lilas Stimme, die mein Herz einen erleichterten Satz machen ließ.
Endlich hatten wir sie erreicht...
»Aruna?«
Es rauschte, ihre Stimme klang irgendwie merkwürdig blechern, was sich für meine Ohren absolut komisch anhörte, aber wenigstens war sie da.
»Ja«, seufzte ich erleichtert und ließ mich aufs Bett plumpsen, während ich irgendjemanden im Hintergrund etwas zischen hörte, Lila schnaubte, es rauschte.
»Nein... jetzt lass mich doch erst mit ihr reden...!«
Verwirrt runzelte ich die Stirn, vermutete sehr stark, dass sie mit Missy redete.
»Wo ist Alec?«, ertönte Lilas Stimme schließlich wieder an mich gewandt, ich hörte ein ungesundes Poltern aus dem Raum uns gegenüber, vermutlich hatte Alec die Frau fallen gelassen oder so.
Ich verzog das Gesicht.
»Er bringt grad ne neue Freundin ins Bett«, seufzte ich schließlich, konnte mir geradezu vorstellen, wie Lila die Stirn runzelte.
»Was habt ihr beide schon wieder ausgefressen?«, kam es schließlich als Antwort, doch noch ehe ich etwas erwidern konnte, wurde mir auf einmal das Handy aus der Hand gerissen, irgendwie hatte ich nicht einmal bemerkt, wie Alec zurück gekommen war.
Eben jener schob mich gerade übrigens mit einer wedelnden Handbewegung zur Seite, damit er sich auch hinsetzen konnte.
»Aruna schleppt anscheinend gerne Betrunkene an«, meinte er, ich funkelte ihn böse an und wollte ihm das Handy wieder aus der Hand nehmen, damit Lila mir berichten konnte, was zu Hause los war, er allerdings hielt es sich mit einem bösen Blick ans andere Ohr und hielt mich mit einer Hand von sich weg.
»Hey!«, beschwerte ich mich, während Alec über irgendeine Aussage von Lila die Augen verdrehte.
Hartnäckig, wie ich allerdings nun einmal war, beugte ich mich über ihn, um an das Handy dran zu kommen, woraus schließlich ein kleines Gerangel entstand, in dem wir uns gegenseitig Flüche an den Kopf warfen, und als er mich dann plötzlich genervt an den Schultern schubste, fiel ich mit einem erschrockenen Aufschrei wirklich, wirklich unelegant vom Bett, wobei ich ihm bei meinem Abgang noch mit dem Fuß am Kinn erwischte, was ihn mehr überrascht als schmerzvoll aufkeuchen ließ, und schließlich empört ächzend auf dem Boden landete, die Milben kletterten bestimmt zum zweiten Mal an diesem Tag auf mich.
»Au!«, beschwerte ich mich lautstark, während meine Beine noch halb auf dem Bett hingen, die Alec, wie der Gentleman, der er nun einmal war, dann allerdings mit einem bösen Blick auch noch runter schubste.
Fluchend rieb ich mir den Schädel und versuchte wieder hochzukommen.
»Aruna ist vom Bett gefallen«, meinte Alec nüchtern auf irgendeine Frage Lilas, ich sah böse zu ihm hinauf, stemmte mich hoch und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Alec hat mich geschubst!«, beschwerte ich mich so laut, dass Lila es gehört haben musste, woraufhin Alec schnaubte.
»Und sie hat mich getreten«, erwiderte er bloß.
Wie alt waren wir noch einmal?
»Wir benehmen uns nicht, wie kleine Kinder Li!«, schnaubte der Ven, warf mir einen giftigen Blick zu, verdrehte die Augen, grummelte irgendetwas und drückte schließlich auf irgendeinen Knopf, während ich mich wütend wieder aufs Bett wuchtete.
Plötzlich ertönte wieder dieses bekannte Rauschen, ich konnte jemanden im Hintergrund kichern hören, dann ertönte Lilas belustigte Stimme, auch wenn sie versuchte, sich das Lachen zu verkneifen.
»Hört sie jetzt mit?«
Ich wollte gerade schon nicken, während ich mir meinen brummenden Schädel rieb und Alec mit meinen Blicken erdolchte, bis mir einfiel, dass sie es nicht sehen konnte.
»Ja«, murrte Alec schließlich wie ein beleidigtes Kleinkind, irgendjemand am anderen Ende der Leitung tuschelte, Lila gluckste, schnaubte dann.
»Sag dus ihm doch selbst«, lachte sie und zischte dann auf, als ihr irgendjemand allem Anschein nach gegen den Arm schlug.
»Hey!«, beschwerte sie sich, während Alec das Handy zwischen uns beide fallen ließ und ich meine Beine anwinkelte.
Wieder rauschte es.
»Also«, meinte Lila schließlich, ihre Stimme brach kurz ab, die Verbindung war wohl ganz offensichtlich nicht die allerbeste.
»Was war los? Wir haben eine Woche versucht, euch zu erreichen, Missy hatte schon Angst, ihr hättet euch gegenseitig abgemurkst.«
Alec schnaubte, ich zuckte mit den Schultern, dieser Gedankengang war irgendwie nachvollziehbar.
»Und? Ist irgendetwas passiert.«
Der Ven hob seinen Blick im gleichen Moment wie ich, wir blinzelten uns an, dann zuckten wir gleichzeitig mit den Schultern.
»Nicht wirklich«, erwiderten wir unisono, was irgendjemanden wieder kichern ließ.
Das entsprach zwar nicht ganz - also eigentlich überhaupt nicht - der Wahrheit, jetzt allerdings war es wichtiger, dass wir von ihnen erfuhren, was los war, über Adam und all das konnten wir danach reden, fraglich, wie lange die Verbindung noch durchhielt.
»Warum kann ich das irgendwie nicht glauben?«, kommentierte Lila und trotzdem konnte ich das Grinsen in ihrer Stimme hören.
Ich legte meinen Kopf auf meine Knie ab, während Alec vollkommen gerade auf dem Bett saß, gesittet, wie er nun einmal war.
»Also, wo genau seid ihr zwei Schwachmaten gerade?«, fragte Lila schließlich, viel ausgelassener als damals in der Hütte, mittlerweile hatte sie die Nachricht über mein Lykanthropen Dasein wohl vollends verarbeitet und die bekannte Umgebung schien ihr gut zu tun.
Alec verdrehte die Augen.
»In Jaspen, irgendeiner Kleinstadt kurz vor Missouri, aber...«
Lila unterbrach ihn.
»Was?! Warum habt ihr fast eine Woche gebraucht, um fast in Missouri zu sein?! Normalerweise solltet ihr doch mindestens schon in North Carolina sein.«
Bevor Alec zu irgendeiner großartigen Erklärung kommen konnte, beeilte ich mich hastig, etwas zu sagen.
»Hör zu Lila, das können wir euch alles später erzählen, jetzt müssen wir erstmal wissen, wie es bei euch aussieht. Was ist mit meiner Familie? Ist irgendetwas passiert.«
Lila seufzte schwer.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, ich wusste, dass ich bleicher wurde, als Kreide. Seufzen bedeutete nie etwas Gutes.
Alec warf mir einen kurzen Blick zu, ich sah ihn nicht an. Für einen Moment herrschte Stille, Lila sagte nichts.
»Lila?«, fragte ich schließlich unsicher, konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte, hasste es, wie sehr sie mich auf die Folter spannte, betete, dass niemandem etwas passiert war.
»Was ist passiert?«
Ich schluckte schwer.
»Haben sie sie erwischt?«
Zum Ende war meine Stimme nicht mehr als ein zittriges Beben.
»Nein!«, keuchte Lila dann plötzlich entsetzt.
»Nein, um Gottes Willen, das ist es nicht Aruna.«
Ich spürte, wie ich in Sekundenschnelle um zehntausend Tonnen leichter wurde, atmete tief aus, für einen Moment schloss ich die Augen.
»Was ist es dann«, fragte schließlich Alec, offensichtlich sah ich in dem Moment nicht wirklich so aus, als wäre ich fähig, zu reden.
Ein Rauschen, es raschelte, man konnte hören, wie sich Lila empört beschwerte, dann ertönte plötzlich eine andere, bekannte Stimme.
Und trotz allem ließ sie mich für einen Moment die Luft anhalten, trotz allem, nach all diesen Geschehnissen, erstarrte ich immer noch für den Bruchteil einer Sekunde, als ich sie hörte.
»Hey Al, Aruna.«
Jacob.
Ich sagte nichts, Alec erwiderte die Begrüßung leise, meine Augen hielt ich immer noch geschlossen.
»Die Späher haben Wölfe gesichtet, sie ziehen ihre Runden um Little Falls, manchmal hört man sie heulen, minutenlang, es ist, als würden sie ihre Kriegsnachricht so überbringen, so wie sich das anhört, sind sie wirklich wütend.«
»Sie trauern.«
Ich steuerte die Worte nicht, sie verließen meine Kehle einfach so, verließen sie noch bevor ich es verhindern konnte, der Gedanke war mir gekommen und es war beinahe so gewesen, als hätte ich ihn augenblicklich aussprechen müssen.
»Was?«, fragte Jacob verwirrt, während mich Alec einfach stumm ansah, beinahe nachdenklich, ich spürte es.
Er wusste, was hinter diesen Worten steckte.
»Sie trauern«, wiederholte ich.
»Weil sie denken, dass die nächste Tochter des Alpha gestorben ist, weil sie denken, dass ihre angehende Alpha tot ist. So bringen wir unsere Trauer zum Ausdruck.«
Als Ylva und Fenris gestorben waren, hatte es für drei Tage ein wahres Konzert aus erschöpften, zutiefst traurigen, ausgelaugten, ungläubigen Lauten gegeben, doch da waren die Wölfe noch weit genug von Little Falls weg gewesen.
Jetzt setzten sie alles auf eine Karte.
Sie meinten es wirklich ernst, riskierten, von einem ganzen Dorf entdeckt zu werden.
Weil sie dachten, die Ven hätten die nächste Tochter des Alpha umgebracht.
Plötzlich raschelte es erneut, diesmal war Jacob es, der sich beschwerte, ich konnte Lila glucksen hören, dann ertönte da plötzlich Missys Stimme.
»Stell dich nicht so an«, murmelte sie, dann plapperte sie mit aufgeregter Stimme drauf los.
»Aber das ist noch nicht alles! Ihr müsst euch wirklich beeilen! Nicht nur die Wölfe machen sich bereit, die Ven sind genauso schlimm, dein Vater ist der festen Überzeugung, dass Aruna irgendetwas mit dir gemacht hat, dich unter irgendeinen Bann oder so gestellt hat, damit du ihr hilfst, meine Erklärung, dass wir dir einfach geholfen haben, ohne wirklich zu wissen, was los ist, hat er vor lauter Wut auf die Wölfe einfach so geschluckt, er ist absolut unvorsichtig«, berichtete sie und da war er wieder, der altbekannte Klos.
Das hörte sich absolut nicht gut an. Doch das war noch nicht alles...
»Chest und ein paar seiner Leute, sie sind gestern das erste Mal losgezogen Alec, aber die Wölfe sind vorsichtig, sie haben sich nicht erwischen lassen und noch greifen sie nicht an.«
Und das war der Moment, in dem ich wieder Kreidebleich wurde.
»Chest?«, krächzte ich mit erstickter Stimme, mittlerweile hatte ich meine Augen wieder geöffnet, blinzelte Alec beinahe... ängstlich an.
Er seufzte und rieb sich die Schläfe, das dunkle Haar hing ihm wirr im Gesicht, zum ersten Mal bemerkte ich wirklich, wie müde er eigentlich wirkte.
»Ein Arsch, einer von der ganz üblen Sorte, ich konnte ihn noch nie leiden.«
Gut. Jetzt hatte er es geschafft. Mir wurde kotzübel.
»Alec!«, zischte Missy empört, irgendjemand im Hintergrund brummte etwas.
»Mach ihr doch nicht noch mehr Angst!«
Dass ich sie sehr wohl hören konnte, war Missy in diesem Moment wohl entfallen.
Alec erwiderte daraufhin nichts, starrte einfach nur auf Lilas Bild auf dem Display, während ich mich fragte, ob es überhaupt noch auffallen würde, wenn sich mein karges Abendessen zu den Staubmilben auf dem Boden gesellen würde.
Dann raschelte es wieder.
»Gib mal her«, meinte Lila und ich fragte mich, warum sie nicht ebenfalls einfach das Handy auf laut stellten.
»Hört mal«, ertönte ihre Stimme, es rauschte, ihre nächsten Worte wurden verschluckt, vollkommen blass runzelte ich die Stirn.
»...beeilen! Wir versuchen wirklich, sie aufzuhalten, heute Morgen haben wir Chests Waffen versteckt, aber er kann sich neue holen, das wird ihn nicht wirklich lange aufhalten. Ich weiß nicht, wie lange es braucht, bis die Situation eskaliert, also solltet ihr eure Ärsche lieber schnell nach North Carolina und dann postwendend nach hier bewegen.«
Es war unheimlich schwer, sie vernünftig zu verstehen, immer wieder begann es laut zu Rauschen, ihre Stimme stockte, dann fiel sie ganz aus, die Verbindung schien nicht mehr lange durchzuhalten.
Doch was ich verstand, gefiel mir ganz und gar nicht. Mein Herz machte einen kleinen Aussetzer, ich schluckte schwer, wir mussten definitiv so schnell wie möglich nach North Carolina kommen.
»Ja, wir beeilen uns, wir hatten einfach ein paar kleine Startschwierigkeiten, aber jetzt haben wir ein Auto und können ohne Probleme und Unterbrechungen nach North Carolina fahren.«
Ein überraschtes Geräusch ertönte aus dem Hörer, dann japste Lila erschrocken auf, ganz offenbar hatte sie irgendjemand weggeschubst.
»Woher zur Hölle habt ihr ein Auto?!«
Xav?
Überrascht hob ich eine Augenbraue, ihn hatte ich irgendwie vollkommen vergessen, dass er überhaupt zuhörte, hatte ich wirklich nicht erwartet, zumal er von mir und damit auch von dieser ganzen Aktion nun wirklich nicht die allerhöchste Meinung hatte.
Bei dem Klang seiner Stimme hellte sich Alecs Miene, wie schon zuvor, als er seine anderen drei Freunde gehört hatte, etwas auf.
Eigentlich war es ein schöner Anblick, ihn so lächeln zu sehen, dachte ich und doch pochte mein Herz im gleichen Moment irgendwie schmerzhaft auf.
Ich konnte weder mit Cole, noch mit Eza, geschweige denn Benny reden...
Ich vermisste sie...
Alec warf mir einen merkwürdigen Seitenblick zu, dann räusperte er sich.
»Auch schön, dich zu hören Xav. Habens mehr oder weniger geschenkt bekommen.«
»Mehr oder weniger?«
Xav klang beinahe belustigt, was irgendwie komisch war, zumeist hatte er bloß immer finster vor sich her gestarrt.
Fast wie Alec am Anfang, dachte ich.
Wieder raschelte es, noch ehe Alec etwas erwidern konnte, jetzt war Missy da.
»Das ist jetzt wirklich nicht wichtig Xavia, die Verbindung bricht gleich!«, schnauzte sie ihn an, ich hob überrascht die Augenbrauen.
Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Xav bloß eine Abkürzung war.
Naja, aber warum hatte irgendjemand, geschweige denn er selbst mir das auch sagen sollen.
»Gut, hör zu Alec, bevor das hier gleich komplett den Bach runter geht.«
Ihre Stimme hallte merkwürdig, den nächsten Satz verstand ich kaum, der grüne Punkt an Alecs Handy blinkte beinahe wütend und ich fragte mich, ob er irgendetwas mit dem Anruf zu tun hatte.
»In Missouri müsst ihr aufpassen, fahrt möglichst südlich, im Norden vermuten wir schon seit längerem ein Wolfsrudel, wenn du dich erinnerst, keine Ahnung, was die machen würden, würden die dich sehen.«
Ihre Stimme brach ab, doch ihre Worte hatten etwas in mir wach gerüttelt.
Eine Frage, die ich Alec bereits einmal gestellt hatte, die er mir damals aber nicht wirklich beantwortet hatte.
Ich blinzelte ein paar Mal, versuchte die Müdigkeit zu verdrängen, die Frage keimte weiter und weiter in mir auf.
»Okay, wir achten drauf«, erwiderte Alec verstehend, da raschelte es wieder.
»Und pass bloß auf dich auf du Trottel, ich will dich im Ganzen wiedersehen! Und du auch, verstanden Aruna?! Wenn das alles vorbei ist, müssen wir nämlich noch ein Treffen im Café nachholen, dass hast du Missy und mir versprochen!«
Alec warf mir einen kurzen Blick zu, seine Mundwinkel zuckten, wie sie es in letzter Zeit merkwürdig oft taten und irgendwie ließen mich Lilas Worte augenblicklich etwas freier atmen.
Sie sorgte sich um mich. Und dann konnte ich das Grinsen nicht mehr verhindern, für einen Moment rückte die Frage in den Hintergrund.
»Verstanden«, erwiderte ich leise, das Lächeln verschwand nicht, Alec verdrehte die Augen.
»Ich vermisse dich auch Lila«, grinste er in sich hinein und bei diesem Blick wurde wieder einmal deutlich, wie sehr er seine Cousine liebte.
Wie ich es bereits einmal gesagt hatte, für Leute, die ihm etwas bedeuteten, würde Alec sterben, das wusste ich mittlerweile.
»Ich... dich...«
Und da brach plötzlich die Verbindung mit einem schmerzlichen Knistern, das Telefon ächzte erschöpft auf, dann verschwand Lilas fröhlich grinsendes Bild, die violette Strähne in ihrem Haar, die in dem Moment des Fotos vom Wind aufgewirbelt worden war und sich in ihrem blassen Gesicht verfangen hatte, das rabenschwarze Haar, die fröhlichen, grauen Augen.
Alec seufzte.
»Verbindung«, murmelte er resigniert, ich nickte einfach nur stumm.
Doch sobald er den Mund aufgemacht hatte, war mir wieder etwas eingefallen.
Eine Frage. Die Frage.
Ich blickte auf, sie brannte auf meiner Zunge. Und deshalb sprach ich sie aus.
Vermutlich vollkommen plötzlich für Alec, für mich allerdings sehr wohl begründet.
Ich meine, wenn sie von Wölfen in Missouri wussten, warum genau waren sie dann nicht nach dort gezogen?
»Alec?«
»Ja?«
»Warum seid ihr nach Little Falls gekommen?«
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