71
»Hier schlaf ich nicht.«
»Wenn du da jetzt nicht endlich reingehst, dreh ich dir den Hals um.«
»Mach doch.«
Störrisch verschränkte ich die Arme vor der Brust, während ich weiterhin vor der geöffneten Tür stehen blieb, durch die mich Alec seit geschlagenen zehn Minuten zwängen wollte.
Bis jetzt hatte ich mich strikt geweigert, hinein zu gehen und mittlerweile war mein breitschultriger Freund hier wohl ziemlich am Ende.
»Und normalerweise bist du doch die Mimi von uns beiden«, grummelte ich schlecht gelaunt, woraufhin ich mir einen bösen Blick einfing.
Anders als ich war Alec nämlich schon eingetreten, vollkommen unverständlich, wenn ihr mich fragt.
Naja, jedenfalls hatte sich das Grauen bereits auf dem Weg die Treppe hinauf angekündigt.
Das sie geknarzt hatte wäre ja nicht das Problem gewesen und auch mit der zehn Meter Schicht Staub konnte ich leben, als wir allerdings in den ranzigen Flur getreten waren, war ich mir ziemlich, ziemlich sicher, etwas kleines, ekelhaftes, haariges um die Ecke huschen gesehen zu haben.
Alecs und meine Versuche, die Frau dazu zu überreden, uns kein Doppelbett zu geben, waren übrigens kläglich gescheitert. Sie hatte einfach gemeint, es gäbe bloß noch Doppelbetten, ich war mir allerdings ziemlich sicher, dass sie einfach zu faul gewesen war, dieses eine bescheuerte Häkchen umzusetzen.
Und so hatten wir nun also den Salat.
Aber das war jetzt nicht das Thema.
Wirklich schlimm war es geworden, als Alec mit angeekelter Miene den rostigen Schlüssel im noch rostigeren Schlüsselloch der dunklen Tür mit der goldenen - gut, mehr oder weniger golden, mittlerweile ähnelte die Farbe wohl eher irgendwie einem Popelgrün oder so - Aufschrift 21 umgedreht hatte.
Zunächst war es so gewesen, dass er sich mit aller Kraft gegen die blöde Tür hatte stemmen müssen, weil die der Meinung war, es wäre ganz besonders lustig, zu klemmen.
Und dann war sie mit einem erschöpften, entrüsteten Ächzen aufgeschwungen.
Das war dann der Punkt gewesen, in den ich mich wirklich dazu entschlossen hatte, einfach wieder von hier zu verschwinden, hätte Alec mich nicht geistesgegenwärtig am Arm gepackt, hätte ich es vermutlich wirklich getan.
Verflucht sei diese beschissene Blutsache, wegen der er mich nun berühren konnte...
Das erste, was einem entgegengeschlagen war, war ein wirklich, wirklich furchtbarer Geruch nach einer Mischung aus vergammeltem Joghurt - wirklich keinen blassen Schimmer, warum Joghurt - und Erbrochenem, welcher in mir das Bedürfnis aufkeimen ließ, meine Nase abzuhacken.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wirkte der verstaubte, alte, grüne Teppich so, als wäre er tatsächlich das Hoheitsgebiert der Staubmilben, während das ranzige, alte Stahlgestellbett nicht wirklich aussah, als würde man gerne in ihm liegen und bevor ich irgendetwas in den dunklen Nachttischen lagern würde, würde ich mir wohl eher selber ein eigenes Motel bauen.
Auch die Glühbirne an der Decke, die ohne wirlichen Grund hin und her schwang und gruselige Schatten auf Alecs Gesicht warf, wirkte nicht gerade einladend und ob die beiden Nachttischlampen noch funktionierten, war wirklich, wirklich fraglich.
Wie das Badezimmer, das sich vermutlich hinter einer weiteren, alten Tür verbarg, aussah, wollte ich nun wirklich nicht wissen.
Wer zur Hölle übernachtete hier freiwillig?
»Hast du wirklich so eine Todessehnsucht?«, seufzte ich theatralisch und verzog bemüht wehleidig das Gesicht, während Alec sich die Hände vors Gesicht schlug und sich die Schläfen rieb, als würde er soeben mit einem störrischen, kleinen Kind sprechen.
»Du bist ein störrisches, kleines Kind«, grummelte er völlig am Ende seiner Nerven, woraufhin ich ihm einen bösen Blick zuwarf und meine Mauer hochfuhr.
»Ich bin kein kleines Kind! Außerdem bin ich nur zwei Jahre jünger als du, also!«
Das störrisch ließ ich irgendwie mit Absicht weg. Aber immerhin war er auch stur!
Wieder seufzte Alec tief auf.
»Würdest du jetzt bitte rein kommen? Ich bin müde.«
Nervig, wie ich nun einmal war, schürzte ich stur die Lippen.
»Nö.«
»Na gut.«
Alec zuckte mit den Schultern und schlug dann einfach die Tür vor meiner Nase zu.
Warte was?
Empört entglitten mir meine Gesichtszüge, während ich ungläubig auf die nun geschlossene Tür starrte.
So ein Arschgesicht!
Gut, vielleicht war es im Endeffekt eine logische Reaktion, immerhin war ich ja in dem Moment diejenige, die meinte, Diva spielen zu müssen, aber trotzdem!
Was fiel dem ein?
Empört und ziemlich unschlüssig blieb ich vor der Tür stehen. Und jetzt?
Ins Auto konnte ich nicht zurück, das Affengesicht hatte die Schlüssel und ich hatte definitiv nicht vor, dem alten, betrunkenem Mann von unten Gesellschaft zu leisten.
Toll...
Nachgeben, mich entschuldigen und Alec darum bitten, mich rein zu lassen, würde ich definitiv auch nicht. Hätte der wohl gerne...
Seufzend rieb ich mir die Augen, war ehrlich gesagt ebenfalls ziemlich müde und betrachtete schließlich skeptisch den hölzernen Boden.
Na besser als der Teppich von Zimmer 21 sah der allemal aus...
Grummelnd rieb ich den Staub etwas weg und ließ mich schließlich an der Tür herunter gleiten.
Alec war so ein blöder Penner...
Murrend legte ich meinen Kopf auf die Knie ab.
Okay, jetzt hieß es abwarten. Irgendwann musste der mich ja rein lassen...
Ich blinzelte ein paar Mal, meine Augen juckten, ein deutliches Zeichen, dass ich übermüdet war.
Toll...
Und nach geschätzten zehn Minuten - die Flachpfeife zog das wirklich durch! - fing mein Bauch an, zu knurren.
Doppelt toll...
Jetzt saß ich also hier, auf dem Boden eines ranzigen Motels, der Staub brannte mir in der Nase, meine Augen juckten, mein Magen beschwerte sich lautstark knurrend, während mich der blöde Ven ausgesperrt hatte und außerdem ziepten die Verletzungen immer noch.
Ich konnte mich echt nicht mehr daran erinnern, wann das alles so komplett ausgeartet war, wann sich mein Leben um 180 Grad gedreht hatte.
Erst, als plötzlich das metallene Klicken einer Tür ertönte, sah ich wieder auf, beinahe hoffnungsvoll.
Als sich dann allerdings die Tür mir gegenüber öffnete und mir eine wirklich starke Alkoholfahne entgegenschwang, sank meine Laune endgültig in den Keller.
Ich blinzelte und dann taumelte plötzlich eine Frau mittleren Alters auf den Flur.
Das erste, das mir auffiel war, dass sie keine Hose trug.
Nur Socken und ein ausgeleiertes T-Shirt mit dem Logo irgendeiner Football Mannschaft.
Meinen Blick zwang ich augenblicklich von der gepunkteten Unterhose, während ich sie verdattert anstierte, sie einmal hickste, heftig blinzelte, nach hinten gegen die Tür taumelte, sich kichernd bei irgendeinem Richard beschwerte und sich dabei den pummeligen Bauch hielt, der unter ihrem T-Shirt hervorlugte.
Das dunkelrot gefärbte Haar hing in wirren, kinnlangen Locken von ihrem Kopf und die grauen Augen wirkten wirklich nicht mehr ganz so klar.
Sie faltete die Hände vor der Brust, sah mich dann plötzlich ganz ernst an, drehte die Daumen, als würde sie irgendeinen Politiker nachahmen und rümpfte dann die kleine Schweinsnase.
Sie stank nach Schweiß.
»Naaa?«, lallte sie dann kichernd, während ich sie immer noch einfach verdattert anblinzelte, mich nicht aus meiner Position bewegte und absolut nicht wusste, was ich tun sollte.
Um ehrlich zu sein hatte ich bis jetzt nicht viel mit Betrunkenen zu tun gehabt, Lykanthropen hielten nicht wirklich viel von Alkohol, nicht zuletzt, da wir durch unsere Sinne ungefähr überhaupt nichts vertrugen.
Nach einem Bier waren wir vollkommen weg, ehrlich.
Dementsprechend wusste ich auch nicht, wie ich mit ihr umgehen sollte, zumal mir ihre rotierende Augen und das benebelte Kichern irgendwie etwas Angst machten.
»Ärger im Paradies?«, kicherte sie und bei dem Versuch auf die Tür hinter mir zu deuten, wäre sie beinahe nach hinten gekippt.
Gott, wie viel hatte die denn Intus? Laut dem Geruch einen gesamten Schnapsladen...
»Ehm«, machte ich einfach nur äußerst geistreich und kam auch irgendwie nicht mal auf die Idee, aufzustehen, während die Frau immer wieder glucksend zwischen meinem T-Shirt und der Tür hinter mir hin und her sah.
Ein Wunder, dass sie überhaupt noch lesen konnte, dachte ich verbittert.
»Weißu«, meinte sie dann plötzlich, hickste, stolperte nach vorne und ließ sich dann neben mich plumpsen, wobei sie das Gleichgewicht verlor und wie ein gestrandeter Wal zur Seite kippte, während ich bei diesem höllischen Gestank die Nase rümpfte.
»Mein Mann«, lallte sie und richtete sich irgendwie wieder auf, während ich fiebrig überlegte, was man in solch einer Situation wohl am besten tun sollte.
Wegrennen war wohl oder übel vermutlich keine Option.
Und bei Alec klopfen und nachgeben würde ich ebenfalls ganz sicher nicht.
»Richie«, lallte die Frau und kratzte sich den fettigen Schädel, sodass ich ehrlich Angst bekam, im nächsten Moment von einer Armee Flöhe überrannt zu werden.
Sadistische Staubmilben und aggressive Flöhe, das war doch Mal was...
»Er war auchn Arschlochochoch...«
Sie hickste und ich befürchtete schon, sie würde wieder zur Seite kippen, doch erstaunlicherweise hielt sie sich.
Irgendwie peinlich berührt blieb ich sitzen und starrte gegen die geöffnete Tür vor uns. Dass das hier definitiv nichts mir Ärger im Paradies zu tun hatte, würde sie vermutlich sowieso nicht verstehen und vielleicht würde sie ja verschwinden, wenn sie bemerkte, dass ich nicht wirklich redselig war.
»Aber!«, meinte sie dann plötzlich, hickste und hob einen Zeigefinger in die Höhe, wobei sie ihn sich selbst fast in die Nase steckte, weil sie die Entfernung anscheinend so gar nicht einschätzen konnte.
Jedenfalls streckte sie ihn in die Höhe, als wolle sie mir etwas furchtbar wichtiges verkünden.
Naja, so wichtig schien es anscheinend dann doch nicht, denn als sie den Finger gehoben hatte, starrte sie ihn für einen Moment einfach nur fasziniert an, wobei ihr etwas Sabber aus dem Mund lief, als wäre er das faszinierendste der Welt.
Ich wollte gar nicht wissen, was geschehen war, dass sie so abgerutscht war und beinahe unmittelbar tat sie mir leid...
»Aber!«, setzte die Frau dann plötzlich wieder an und das in solch einer Lautstärke, dass ich zusammenzuckte und sie erschrocken ansah.
»Davon lassen wir zwei beiden Mädels uns natürlich nich unterkriegen!«
Sie kicherte, hickste und ließ dann einen äußerst unapetitlichen Röpser von sich, sodass ich Angst bekam, dass sie sich gleich genau vor unsere Füße übergeben würde.
Sie allerdings schien das alles ziemlich zu amüsieren. Sie kicherte ungehalten, murmelte irgendetwas von Kühlschranktüren und drückte sich dann mit dem Zeigefinger auf die große Nase, gluckste und hickste.
Okay, langsam sollte ich dann vielleicht doch noch mal was sagen.
»Ehm...«
Guter Start, weiter so Aruna. Du solltest Psychologin werden, ehrlich.
»Wollen Sie... wollen Sie nicht vielleicht schlafen gehen? Es ist schon spät.«
Hoffnungsvoll sah ich sie an, wollte sie nicht verletzen und hatte gleichzeitig nicht wirklich Lust auf ein Kaffekränzchen.
Die Frau machte große Augen, kaute auf ihrer Wange herum und für einen Moment befürchtete ich, etwas Falsches gesagt zu haben, etwas, was sie womöglich verletzt hatte.
Ich wollte mich schon kleinlaut - wegen was auch immer - entschuldigen, da seufzte sie plötzlich und gähnte laut, sodass mir ihre eklige Alkoholfahne entgegnschlug.
»Das«, lallte sie und rieb sich die kleinen Schweinsäuglein.
»Is eine super Idee...«
Und ohne, dass ich es verhindern konnte, sackte ihr gesamter Körper plötzlich mit einem Mal zur Seite, völlig ungehalten krachte sie gegen meine Schulter, ich zuckte erschrocken zusammen, verzog angeekelt das Gesicht, als sie auf meine Schulter sabberte und versuchte irgendwie, das Gleichgewicht zu halten.
»Wir Mädels schlafen jetzt«, brabbelte die Frau, machte es sich an meiner Schulter gemütlich, während ich dieses Gefühl der Übelkeit zu verdrängen versuchte und fiebrig überlegte, wie ich möglichst schnell und möglichst schmerzlos aus dieser Situation kommen würde.
Die Entscheidung wurde mir allerdings abgenommen, als es plötzlich hinter uns klickte und dann die Tür aufging.
Leider konnte ich nicht wirklich schnell reagieren, das Gewicht der Frau war nicht gerade zu unterschätzen und so stürzte ich also ungehalten nach hinten, der Laut, der meine Kehle verließ, war wirklich, wirklich merkwürdig - ne Mischung aus sterbendem Walross und empörter Seemöve - und schließlich landete mein Kopf auf Alecs Füßen, der mich vollkommen verwirrt von oben anblinzelte, dann seinen Blick zu der summenden Frau gleiten ließ, die sich nun an meinen Arm klammerte, als wäre er irgendein Teddybär.
Sie störte der Sturz anscheinend ganz und gar nicht, fröhlich sabberte sie den Mantel weiter voll.
Völlig perplex und nicht gerade reaktionsschnell blieb ich so liegen, mein Kopf ruhte weiterhin auf seinen Füßen, er trat nicht zurück, doch dann traf sein Blick plötzlich wieder auf mich, vollkommen ungläubig.
»Was zur Hölle tust du da?!«, fragte er und blinzelte mich perplex an.
Ich verdrehte die Augen über diese dumme Frage, als würde ich das hier gerade freiwillig tun.
»Na ich habe mir neue Freunde gesucht, sieht man doch, du warst ja nicht mehr auszuhalten«, gab ich patzig zurück und verdrehte die Augen.
Und entweder spielte mir mein Gehirn einen Streich, oder Alecs Mundwinkel zuckten tatsächlich ein Stück nach oben.
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