7


Eine Sekunde noch stand ich wie erstarrt in dem eiskalten Wasser, wagte es nicht, zu atmen.

Eine leichte Brise kam auf, wehte mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht, doch ich war mir sicher, dass meine Gänsehaut nur bedingt etwas damit zu tun hatten.

Diese stahlgrauen Augen hatten sich in mein Innerstes gebrannt, siedend heiß wie Feuer. Es war, als schwebten sie genau vor mir, als würde ich sie immer noch sehen.

Es war unheimlich.

Warum hatte er mich nicht getötet? Er hätte es einfach tun können. Wieder und wieder diese Fragen.

Moment.

Was, wenn er einfach nur Verstärkung holen wollte!?

Und dann rannte ich. So schnell ich konnte, preschte ich aus dem Wasser, verwandelte mich noch im Rennen. Das hatte ich erst letzten Sommer gelernt.

Ich war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, die kalte Angst packte mich.

Natürlich! Er war ein Ven! Er würde mich nicht einfach so laufen lassen! Immerhin war er quasi dafür geschaffen worden, Leute wie mich zu töten.

Unachtsam donnerten meine Pfoten über den Boden, mir war bewusst, wie laut ich war. Doch das war jetzt auch egal, immerhin wusste er, wusste Alec, wo ich war. Nun kam es einzig und allein auf Schnelligkeit an.

Ich streckte meinen Kopf durch, mein ganzer Körper spannte sich an, ich wurde immer schneller.

Aber nein...

Verdammt! Was tat ich denn da?! Ich rannte geradewegs auf das vermaledeite Dorf zu!

Sie würden die anderen entdecken! Das konnte ich nicht riskieren!

Aber wohin?

Unwissentlich wurde ich immer langsamer. Zu den Rocks vielleicht? Aber nein, das war mein Ort. Würden sie mir folgen, könnte ich nie wieder dort hin.

Verdammt ja, ich wusste, wie unwichtig das war, vor allem, wenn ich möglicherweise tot sein würde, aber trotzdem...

Andrerseits, war die Quelle nicht auch mein Ort gewesen?

Und dann lief ich kaum mehr schneller als ein joggender Inbec. Wie ein Trottel.

Hektisch sah ich mich um, in stressigen Situationen wurde mein Hirn immer zu Matsch. Ernsthaft. Es würde mich nicht wundern, wenn es jetzt einfach so aus meinen Ohren tropfen würde. Ich neigte dazu, völlig kopflos zu handeln, wenn ich Panik bekam.

Und jetzt wusste ich nicht einmal wo lang, für einen Moment vergaß ich sogar, wo ich war.

Mir wurde schwindelig. Aber Panik war doch jetzt wohl mehr als angebracht, oder?!

Und dann hörte ich es plötzlich.

Ich wirbelte herum, doch es war zu spät.

Alec.

Natürlich. Verdammt natürlich!

Der gespannte Pfeil direkt auf mein Herz gerichtet, eine unglaubliche Konzentration in seinen Augen.

Er hatte die dunklen Augenbrauen zusammengezogen und schien vollkommen ruhig. Berechnend. Ich starrte ihn an.

Und erst nach ein paar Sekunden bemerkte ich den blonden Jungen, der hinter ihm hervortrat.

Er war kleiner als Alec. Doch er sah nicht minder stark aus, überall Praes. Und diese Narbe in seinem Gesicht. Genau wie meine, nur über das rechte Auge. Und er war nicht blind. Seine braunen Augen erstrahlten klar.

Ich war mir sicher, dass sie von einer Wolfsklaue stammte. Ich erkannte solch eine Narbe, wenn ich sie sah, das könnt ihr mir glauben.

Trotzdem war es Alec, der mir mehr Angst machte. Dieser Blick, wie er mich anstarrte, diese unheimliche Ausstrahlung, die er hatte.

Und dann sah ich es. In meiner menschlichen Gestalt hätte ich aufgekeucht, das kalte Grauen überkam mich. Wie verdammt, wie hatte ich das übersehen können?

Die römische Drei auf der einen Seite, die römische Zwei auf der anderen Seite. Tiefschwarz hoben sie sich von seiner Haut ab, erstrahlten beinahe. Und es schien, als würden sie genau so zu seinem Körper gehören, wie seine stahlgrauen Augen, in denen ein Sturm zu toben schien.

Seine Haut zu berühren würde Höllenqualen für mich bedeuten. Denn er war der Vic.

Ich wusste nicht wieso, aber ich konnte mich nicht rühren, als würde sein Blick allein mich fesseln. Konnten Vic das?

Der Jung neben ihm, der einen Silberdolch gezückt hatte, starrte mich mit grimmiger Entschlossenheit an. Trotzdem erkannte ich seine Verwirrung.

»So einen habe ich noch nie gesehen«, knurrte er und musterte mich von oben bis unten.

Er musste so alt sein wie Alec, vielleicht ein Jahr jünger.

Und da zuckte ich innerlich zusammen. Wieso verdammt nannte ich ihn überhaupt Alec?! Er war ein Ven, ein Vic, aber ganz sicher niemand, den ich gerne beim Vornamen nennen würde! Echt nicht!

»Ich auch nicht.«

Die Stimme des Schwarzhaarigen war leise und rau.

Gefahr.

Alles in mir schrie Gefahr.

Lauf!

Er würde mich sofort erschießen. Es würde nichts bringen.

Also tat ich das Einzige, was mir in dem Moment einfiel. Ich legte meine Ohren an, bleckte die Zähne und knurrte sie dann warnend an. In dem Moment tat ich eindeutig mutiger, als ich war.

Aber irgendwie musste ich mich ja wehren, immerhin konnte ich nicht einfach zulassen, dass sie mich umlegten und dann in meinem Dorf weiter machen. Bei meiner Familie.

Ich brauchte mir nur Lupas kugelrunde Augen, oder Phelans Pausbäckchen vorstellen und irgendwo tief in meinem Inneren regten sich die Kampfgeister.

Der Blonde lachte höhnisch auf.

»Wie niedlich, der Welpe fährt seine Krallen aus«, spottete er.

Ganz anders Alec. Mit stoischer Konzentration fixierte er mich. Beinahe so, als versuche er dadurch irgendetwas zu verstehen, irgendetwas herauszufinden. Es war unheimlich.

Ich knurrte erneut, der Blonde machte mich definitiv wütend. Vielleicht war es dumm, jetzt so zu denken, aber was machte das schon? Ich hoffte nur, mein Rudel hatte die Ven bemerkt und entsprechende Maßnahmen getroffen.

»Was jetzt, Alec?«, fragte der Blonde irgendwann, langsam wurde er unruhig.

Er verstand nicht, warum sein Freund noch nichts unternommen hatte. Ich auch nicht.

»Kannst du einfach mal die Klappe halten Mik?!«, blaffte Alec, ich meine der Vic, ihn plötzlich an.

Mik schien nicht minder überrascht über diese scharfe Anfuhr, wie ich.

Ohne es zu wollen, zuckten wir beide zusammen und als Mik das bemerkte, starrte er nur noch finsterer drein.

»Ich verstehe das nicht«, murmelte Alec und ich war mir sicher, ich wollte mindestens genau so gerne »was?« fragen, wie Mik.

Aber er hielt sich zurück. Ich natürlich auch.

Mit dem Kopf zuckte er in meine Richtung.

»Warum meinst du ist das eine Auge blind?«

Nun war ich wirklich überrascht. Zwar war ich mir sicher, dass das nicht das war, was er nicht verstand, doch trotzdem verwirrte es mich. Diese Frage schien so... unwichtig. Nebensächlich.

Sichtlich genervt zuckte Mik mit den Schultern.

»Keine Ahnung, ist mir auch scheiß egal, ehrlich. Zwingen wir den verdammten Wolf, sich zurück zu verwandeln und bringen ihn zum Clan.«

Für einen Moment huschte ein merkwürdiger Ausdruck über Alecs Gesicht, doch nun bekam ich richtig Angst.

Sie durften mich auf keinen Fall zu ihrem Clan bringen.

Die würden mich foltern, und zwar so lange, bis sie über das Dorf Bescheid wussten. Freiwillig würde ich niemals etwas sagen, natürlich nicht, aber die Ven hatten Methoden Lykanthropen zu brechen.

Mein Fell stellte sich auf, ich knurrte und trat einen Schritt zurück, sie kamen einen auf mich zu.

Demonstrativ schnappte ich in die Luft, mir war klar, dass sie mich in die Enge drängten. Hatten sie ja längst.

Drohend spannte Alec seinen Bogen bis zum Äußersten. Doch aus irgendeinem Grund wurde ich das Gefühl nicht los, dass er nicht recht wusste, was er tun sollte.

Ich übrigens auch nicht.

»Alec!«, drängte Mik, der einen weiteren Schritt auf mich zukam, den Dolch gefährlich vor sich ausgestreckt.

Das Silber glänzte unheilverkündend in der Sonne.

Wieder schnappte ich drohend in seine Richtung und da schien sich plötzlich ein Hebel in Alecs Kopf umzulegen.

Er ließ los, der Pfeil krachte nur wenige Millimeter neben meinem Kopf in einen Baum. Volle Absicht.

Mein Herz stockte für eine Sekunde, stolperte.

Sofort hatte Alec den nächsten Pfeil angelegt, starrte mich mit einer beinahe faszinierenden Ruhe an. Naja, sie wäre mit Sicherheit faszinierend, wenn ich nicht gerade von messerscharfem Silberzeug bedroht werden würde.

»Keine Spielchen. Verwandle dich. Verstanden, Werwolf?!«

Das letzte Wort sprach der Vic mit so viel Hass in der Stimme aus, dass es mich schauderte.

Und ich hatte wirklich für eine Sekunde gedacht, so jemand wie er, ein Ven, würde mich tatsächlich laufen lassen.

Ich bemühte mich, Abscheu, die pure Verachtung, in meinen Blick zu legen, starrte ihn mit gebleckten Zähnen an.

Und dann hörte ich es plötzlich. Zwei Sekunden früher, als die beiden Ven.

Mein Herz machte einen Aussetzer. Ich spürte ihre unheimliche Präsenz.

Und da erstarrten auch Alec und Mik.

Ich konnte ihre Wut förmlich auf meiner Haut spüren, konnte ihre Sorge lautstark in meinem Kopf rotieren hören.

Dann kamen sie zwischen den Bäumen hervorgekracht. Ein gigantischer, tiefschwarzer Wolf mit Augen aus glühenden Kohlen und eine Mondhelle, wunderschöne Wölfin mit ebenso hell strahlenden Augen.

Fenris.

Ylva.

Ohne eine Sekunde zu zögern, warfen sie sich vor mich, Fenris drängte mich zurück, leckte mir kurz über die Schnauze, während Ylva die Ven drohend anknurrte.

Beinahe augenblicklich schmiegte ich meinen Kopf an seinen. Ich war so unglaublich erleichtert, sie zu sehen. Wirklich, ich hätte losheulen können. Tat ich natürlich nicht.

»Socke«, hörte ich Fenris erleichtert seufzen.

So nannte er mich immer, wegen meiner weißen Pfote. Und irgendwie erleichterte mich dieses vertraute Wort nur umso mehr.

Ylva warf einen kurzen Blick zu mir, als würde sie sich versichern wollen, dass es mir gut ging, dann starrte sie die Ven wieder voller Hass an.

Fenris warf mir einen Blick zu, der »später« sagte, stellte sich dann direkt neben Ylva und verbarg mich hinter seinem gigantischen Körper. Seite an Seite standen sie da, der eine die Stärke des anderen.

Ihre Forderung war deutlich.

Verschwindet, sonst seid ihr tot.

Meine Geschwister gaben ihnen nicht einmal mehr die Chance, auch nur einen Blick auf mich zu erhaschen und ich wusste, dass sie mich mit ihrem Leben schützen würden.

Und in diesem Moment überkam mich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Nur wegen mir waren sie nun in Gefahr, hätte ich nur nicht so kopflos gehandelt.

Das donnernde Knurren der beiden Wölfe erfüllte die Luft und ich sah, wie Mik und Alec langsam zurückwichen. Natürlich taten sie das.

Ich sah das Widerstreben, den Hass in ihren Gesichtern. Doch gegen diese beiden Wölfe hatten sie kaum eine Chance. Vic hin oder her.

Noch immer hielten sie die Waffen gezückt, ich hörte Miks wüste Flüche und dann traf mich plötzlich sein Blick.

Verstohlen hatte ich hinter dem schwarzen Wolf meines Bruders hergelugt. Ich wusste den Blick, den er mir zuwarf nicht zu deuten und dann waren sie verschwunden. War es der Hass gewesen, der seine Augen füllte?

Ylva und Fenris waren nicht auf einen Kampf aus gewesen. Das Risiko hatten sie nicht eingehen wollen. Ihr übergeordnetes Ziel war gewesen, mich zu beschützen, und das wusste ich.

Ich wusste nicht warum, aber so bald sie verschwunden waren, sackte ich in mich zusammen. Als würde jegliche Luft aus mir gesaugt werden. Es mochte kindisch sein, aber für einen Moment kauerte ich mich unbeholfen auf dem Boden zusammen und lauschte meinem rasenden Herzen.

Der Tag war eindeutig zu viel für mich gewesen. Definitiv.

Ylva und Fenris drehten sich - nachdem sie völlig sicher waren, dass die Ven abgezogen waren - zu mir um und die Augen meiner Schwester weiteten sich erschrocken.

»Gott, Aruna, geht es dir gut?! Bist du verletzt?!«

Beinahe ängstlich schmiegte sie ihren Kopf an meinen, ich atmete tief aus. Es war alles gut. Jetzt war ich sicher.

Fenris trat an meine andere Seite, sah sich weiterhin wachsam um.

Tief atmete ich ein und schloss für einen Moment die Augen.

Dann rappelte ich mich langsam auf.

»Ja...ja, es ist alles gut. Können wir bitte einfach von hier verschwinden?«

Ich wusste, dass meine Stimme zittern musste.

Erleichtert nickte Ylva, schmiegte ihren gigantischen Kopf noch ein letztes Mal an meinen und dann liefen wir im schnellen Trab los. Ylva rechts von mir und Fenris links. Sie beide liefen so dicht, als hätten sie Angst, ich würde jeden Moment von einem Pfeil durchbohrt werden und während wir dem Dorf immer näher kamen, erzählte Fenris, wie sie Leute nach mir losgeschickt hatten, weil ich so lange weg war.

Natürlich waren meine beiden Geschwister sofort mit von der Partie.

Und dann hatten sie die Witterung der Ven aufgenommen. Beide waren vollkommen geschockt.

Ich hörte ihm zu, aber irgendwie auch nicht. Mein Inneres war ein aufgewühltes Chaos aus Gedanken. Ich verstand es nicht. Verstand es einfach nicht. Ven? Hier? Und dieser Junge... wieso hatte er mich nicht sofort umgebracht?

Immer wieder und wieder diese nervige Frage...

Ich würde sowieso keine Antwort bekommen.

So in Gedanken versunken merkte ich gar nicht, wie wir an den ersten Feldern vorbei kamen, wie immer mehr Lykanthropen uns anstarrten. Sie rochen die Ven. Ganz sicher.

»Du weißt, dass du dem Rat gleich alles erzählen musst?«, fragte Ylva kurz vor dem Dorf vorsichtig.

Ich schluckte schwer, dann nickte ich.

Doch im gleichen Moment wusste ich nicht, wie viel ich preisgeben würde. Und bitte - bitte - fragt mich nicht warum. Alles in mir drehte sich und im Moment war ich wohl so zurechnungsfähig wie ein sabberndes Kaninchen auf Drogen. Ehrlich.

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