66

Für einen Moment noch herrschte vollkommene Stille, niemand sagte etwas, niemand bewegte sich, Alecs Hände zitterten.

Und noch ehe der Vulkan völlig explodieren konnte, räusperte ich mich.

»Das hat jetzt nichts mit der Sache zu tun«, murmelte ich mehr oder weniger überzeugend, während sich Adam ganz offensichtlich nicht wirklich für eine Gefühlsregung entscheiden konnte.

Verwirrt? Verängstigt? Neugierig?

Er wusste es genau so wenig, wie ich.

Ein letztes Mal atmete ich tief durch, um mich zu fassen. Immerhin mussten wir Adam immer noch einen verdammt guten Grund liefern, uns nicht sofort an seinen Clan zu verpetzen, denn ich für meinen Teil hatte fest vor, ihn wieder frei zu lassen.

Ich würde ihn ganz sicher nicht abmurksen, damit er schwieg, oder ihn am besten noch als bescheuerte Geisel nehmen oder so.

Und ich würde genau so wenig zulassen, dass Alec eine von diesen beiden Dingen tat. Egal, für wie naiv er mich deshalb halten würde.

»Also.«

Ich räusperte mich erneut, Adam sah mich unsicher an, vielleicht war er tatsächlich sogar ein kleines, klitzekleines bisschen neugierig.

»Ich habe dir gesagt, dass man unterscheiden muss, richtig?«

Auffordernd sah ich ihn an, Alec blieb stumm, was womöglich auch besser so war. Was jetzt aus seinem Mund käme wäre vermutlich nicht schön.

Das wusste er ganz offensichtlich genauso gut, wie ich, deshalb begnügte er sich mit mörderischen Blicken, die Adam irgendwie zu ignorieren versuchte.

Das gelang ihm zwar nicht wirklich gut, aber wenigstens versuchte er es.

Schließlich nickte der Junge unsicher.

»Ja?«, antwortete er schließlich, auch wenn ich ganz klar den Zweifel in seinen Augen sehen konnte.

Ich atmete tief durch.

Gut. Wie sollte ich ihm das jetzt also am besten erklären?

So, wie du auch Alec erklärt hast, dass es Unterschiede gibt.

Ich seufzte.

Wohl nicht wirklich mein Lieblingsweg, aber einen anderen sah ich im Moment ehrlich gesagt nicht wirklich.

Langsam hob ich meine Hand, Adams Blick erfasste sie, er starrte sie an, als wäre sie etwas furchtbar giftiges.

Schließlich tippte ich auf das untere Ende meiner Narbe, Alec wirkte überrascht, Adam zog die Augenbrauen zusammen und irgendein kleines Männchen in meinem Kopf, schrie mich gerade zusammen, warum zur Hölle ich ihn noch einmal extra auf die Narbe und die Blindheit aufmerksam machen musste.

»Was denkst du, woher die kommt?«, fragte ich schließlich.

Langsam schien Alec zu dämmern, was ich vor hatte.

Er verzog das Gesicht, als würde ihm, aus welchen merkwürdigen Gründen auch immer, missfallen, was ich tat.

Unsicher zuckte Adam mit den Schultern, sah verlegen hinab und hinauf und hinab und hinauf, ihm war es ganz offensichtlich unangenehm, mein Auge so genau anzusehen.

Na vielen Dank auch, das machte es für mich natürlich besser...

»Ehm«, meinte er schließlich unsicher.

»Sieht... übel aus?«

Alec schnaubte genervt auf, während ich mich zurückhielt, um nicht die Augen zu verdrehen.

Danke. Dass sie nicht schön aussah, wusste ich selber, das war aber ehrlichgesagt nicht wirklich die Frage gewesen.

»Kommt aus deinem dämlichen kleinen Mund auch eigentlich mal irgendetwas Intelligentes?«, knurrte Alec genervt, Adam schrumpfte in seinen Stuhl weiter und weiter zusammen, merkte wohl jetzt erst, dass das, was er gesagt hatte, nicht unbedingt freundlich kam.

»Entschuldigung«, murmelte er dann plötzlich.

Überrascht sah ich ihn an. Hatte er sich da gerade tatsächlich entschuldigt?

Ich blinzelte ein paar Mal und selbst Alec wirkte in diesem Moment überrascht.

Nein, Adam war definitiv noch nicht lange ein Ven. Und er war ganz sicher einer der Guten. Wenn auch ein wenig unbeholfen.

Schließlich seufzte ich.

»Schon gut«, wank ich ab, kam dann auf das eigentliche Thema zurück.

»Also, das hier«, redete ich weiter, zur Verdeutlichung tippte ich erneut auf die Narbe, die sich von meiner Wange über mein Auge zog, diesen unverwechselbaren Bernstein hinterließ, und schließlich meine dunkle Augenbraue spaltete.

»Ich war gerade mal sechs Jahre alt. Mein Rudel war, beziehungsweise ist, eines der Guten. Wir leben in einem Dorf tief im Wald und beschützen die Inbecs in den Dörfern außerhalb unseres Waldes vor anderen Wölfen, verhandeln Verträge aus, damit sie niemand anrührt und kümmern uns um frisch Gebissene, damit die nicht die Kontrolle verlieren.«

Adam blinzelte ungläubig, starrte mich an, als würde er geradezu auf die blinkende Leuchtschrift über meinem Kopf warten, die in dicken, glühenden Buchstaben Lügner  schrie.

Von seinem Blick allerdings ließ ich mich nicht beirren, verknotete die Hände ineinander und wollte weiterreden.

Ich meine hey, wenn er uns seine Geschichte erzählte, zumindest einen Teil davon, wäre es da nicht eigentlich nur fair, ihm auch etwas zu erzählen?

Ja, versuch das mal Alec zu erklären, lauter hast du ihn bestimmt noch nie lachen gehört.

Um genau zu sein, hatte ich ihn bis jetzt nur einmal lachen gehört. Also so richtig lachen, kein dämliches Grinsen, kein nachdenkliches Lächeln, kein einfaches Mundwinkelzucken.

Ein wirkliches Lachen.

Damals, als wir an dem See gesessen hatten.

Irgendwie war es ein erleichtertes, ein ausgelassenes Lachen gewesen, weil der ganze Mist, wenigstens für den Moment, endlich vorbei war.

Ich glaubte, dass war auch der Zeitpunkt gewesen, seit dem wir uns manchmal gar nicht mehr so sehr hassten, wie am Anfang.

Gut, nein, ich gab es zu, hassen tat ich Alec wirklich nicht mehr - hatte ich es überhaupt jemals getan? - manchmal war der große Volltrottel nur etwas... nervig.

Und vielleicht, nur ganz, ganz vielleicht, machte es ein klitzekleines bisschen Spaß, ihn zu ärgern und mit ihm zu streiten. Aber das würde ich natürlich niemals zugeben.

Ob er das allerdings ebenfalls so sah, blieb anzuzweifeln.

»Aruna?«

Erschrocken und vollkommen aus meinen Gedanken gerissen, zuckte ich zusammen und sah schließlich auf, Alec sah mich stirnrunzelnd an.

Auffordernd hob er eine Augenbraue, als ich einfach bloß verwirrt blinzelte und erst da wurde mir richtig bewusst, dass ich einfach aufgehört hatte, zu reden und komplett stumm vor mich her gestarrt hatte.

Na zum Glück hatte Alec nicht gehört, was ich gedacht hatte...

Hastig wandt ich meinen Blick wieder zu Adam, der mich verwirrt ansah, was irgendwie verständlich war.

»Ehm ja«, räusperte ich mich.

»Vor elf Jahren auf jeden Fall wurde ich dann angegriffen. Von einem Lykanthropen.«

Adams Augen weiteten sich, sein Mund klappte auf, es sah so aus, als würde für ihn hier gerade eine gesamte Welt zusammenbrechen.

Tja, ziemlich scheiße wenn das einfache schwarz-weiß, gut-böse Prinzip nicht mehr funktionierte, was?

»A-Aber...«, stammelte Adam, blinzelte heftig.

»Aber er war doch auch ein Werwolf.«

Dieses Mal verdrehte ich tatsächlich die Augen.

Ja und Alec war ebenfalls ein Ven und hatte dich trotzdem niedergeschlagen und Jack the Ripper war auch ein Inbec, hatte aber trotzdem andere Inbecs abgemurkst.

Warum war das denn so verdammt schwer zu verstehen?!

Nicht jeder verkorkste Lykanthrop - übrigens störte mich das Wort Werwolf mehr, als es in dieser Situation sollte - war wie der andere und nicht jeder war ein beschissenes, gefühlskaltes Monster, wie nicht jeder Ven ein Monster war und nicht jeder vermaledeite Inbec.

Halleluja machte mich diese verblendete Sicht wütend.

Am liebsten wollte ich einfach anfangen zu schreien, ihm vielleicht sogar eine saftige Ohrfeige verpassen, damit sein Hirn vielleicht mal wachgerüttelt wurde und meine aufkeimende Wut ein Ventil fand.

Ich zwang mich, tief durchzuatmen, während Alec wohl in dem Moment überlegte, ob er mein Vorhaben mit der Ohrfeige wohl in die Tat umsetzen sollte.

»Ja«, presste ich hervor, schloss meine Augen dann einen Moment länger, als es nötig gewesen wäre.

Okay Aruna, tief durchatmen.

Eins. Zwei. Drei.

»Aber würden die Menschen und vor allem Lykanthropen und Ven mal die beschissenen Augen aufmachen, würden sie vielleicht auch mal verstehen, dass nicht alle verdammten Lykanthropen und nicht alle verdammten Ven gleich sind. Es gibt Monster unter den Lykanthropen und Monster unter den Ven, meine Güte warum ist das denn so verdammt schwer zu verstehen?! Er hat mich auf jeden Fall angegriffen und deshalb ist jetzt mein scheiß Auge blind, okay?!«

Gut. Ich gebe es zu. Irgendwie kam das nicht ganz so ruhig, wie ich es geplant hatte.

Aber hey, dieser ganze schwarz-weiß Scheiß regte mich mittlerweile so sehr auf, dass ich das Bedürfnis hatte, mich Kopfüber und laut schreiend von einer Klippe zu stürzen.

Merkwürdig, wie viel bloß ein paar Monate, bloß eine einzige Person, verändern konnte.

Okay, ich gab es zu, vor nicht allzu langer Zeit hatte ich ehrlich nicht anders gedacht,aber mittlerweile hatte ich meine Augen wenigstens geöffnet.

Und jetzt versuchte ich also mit aller Macht, Adams Augen aufzureißen.

Ich glaubte - hoffte - er blinzelte bereits.

Etwas verdattert wegen meines kleinen Ausbruchs, zuckte Adam zurück und Alec gab doch tatsächlich ein merkwürdiges Geräusch zwischen Belustigung und Überraschung von sich.

»Ich glaube, der Engel ist weggeflogen«, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.

Ungläubig sah ich zu ihm auf, er zuckte scheinheilig mit den Schultern.

Wow, seine Beiträge waren ja fast schon so passend, wie meine...

»A-Also hast du noch nie j-jemanden umgebracht?«, fragte Adam irgendwann unsicher in die Stille hinein.

Und das war der Moment, in dem ich erstarrte.

Ich blinzelte heftig.

Doch, hatte ich.

Meine Kehle schnürte sich zu, ich wollte mit aller Macht gegen das Gefühl ankämpfen, das in mir aufkam, wollte diesen Gedanken, diese Erinnerung mit roher Gewalt verdrängen, hatte mir doch geschworen, nie wieder an diesen einen Tag zu denken, wollte sie nie, nie wieder sehen, da ich mir sonst sicher war, sie würde mich zu Grunde richten.

Meine Hände begannen zu zittern.

Nicht einmal Alec hatte ich es gesagt. Nicht einmal ihm.

Und trotzdem hatten es so viele gesehen.

Damals waren sie zum ersten Mal gekommen, diese verdammten Kräfte, die ich ebenfalls unbedingt verdrängen wollte.

Bane.

Ich hatte Bane umgebracht.

Adams Augen weiteten sich, sein Mund klappte auf.

»Hast du?!«, krächzte er, ich sah auf meine Hände hinab.

Irgendwie konnte ich nicht lügen. Nicht in dieser Situation.

Ich war mir ziemlich sicher, dass nur ein einziges, kleines, erbärmliches Geräusch meinen Mund verlassen würde.

»Keine unschuldigen Leute«, ertönte dann plötzlich Alecs Stimme, ich sah überrascht auf.

Wa- oh.

Er dachte an die Hybriden.

»Um genau zu sein, nicht einmal richtige Leute«, redete Alec einfach weiter.

Er wollte mir vermutlich helfen, doch mit jedem Wort fühlte ich mich kleiner, fühlte ich mich schlechter.

Doch. Einer war einer dieser richtigen Leute gewesen.

Einer war ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten und einer verdammten Ideologie gewesen, die so unendlich befremdlich für mich schien.

Aber er war ein Mensch gewesen, mit einem schlagenden Herzen.

Einem treuen, einem loyalen Herzen, wenn man erst einmal seiner Ideologie entsprach.

Und ich hatte einfach so dafür gesorgt, dass dieses Herz aufhörte zu schlagen, war zum ersten Mal zu dieser verdammten Bestie geworden, die ich einfach nicht sein wollte. Niemals.

»Und in diesen Situationen hat sie immer nur andere beschützt, Inbecs und Ven.«

Adam blinzelte mich erneut heftig an, als könne er nicht glauben, was er da hörte und während Alecs Stimme beinahe... stolz klang, wurde mir schlechter und schlechter.

Ich blieb vollkommen still.

Mein Herz tat mal wieder nicht, wie ich wollte, meine Hände krallten sich in das abgenutzte Polster des Stuhles.

Schließlich schluckte Adam.

»Gut. Es gibt also auch Wer-«, er stockte, blinzelte unter Alecs bösem Blick ein paar Mal.

»Lykanthropen. Es gibt also auch gute Lykanthropen, die Menschen beschützen?«

Ich nickte langsam, war immer noch unschlüssig, ob ich mich jeden Moment vor ihren Augen übergeben würde, oder nicht.

»Und du gehörst zu diesen Lykanthropen, die Menschen beschützen, hast nur getötet, als sie oder Ven in Gefahr waren?«

Wieder nickte ich.

Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn, seine Augenbrauen zogen sich zu einem einzigen, dunklen Strich zusammen.

»Wieso?«, hauchte er dann plötzlich.

Diese Frage überraschte mich.

Nun war es meine Stirn, die sich in Falten legte.

Ja wieso wohl?

Vielleicht weil ich keine geisterkranke, skrupellose Mörderin war?

Für einen Moment vertraute ich meinem Mund noch nicht ganz, die unschönen Laute, die sich in mir aufbahnen wollten, verdrängte ich mit aller Macht, atmete tief durch, versuchte meine zitternden Hände zu verbergen und räusperte mich schließlich.

»Wieso bringst du keine Unschuldigen Leute um?«, stellte ich schließlich eine gekrächzte Gegenfrage, was Adam verdattert aufschauen und Alec nur noch selbstgefälliger Lächeln ließ.

Hatte ich bereits erwähnt, dass er sich seit Adam aufgewacht war und den Mund aufgemacht hatte äußerst seltsam benahm?

Verwirrt hob Adam die Brauen und schüttelte verständnislos den Kopf.

»Wieso sollte ich so etwas tun?«

Ich seufzte.

»Eben.«

Und erst da schien irgendetwas in dem Jungen Klick zu machen.

Für einen Moment sah er mich an, betrachtete mich, als würde er mich in diesem Moment zum ersten Mal richtig sehen.

Als würde er in diesem Moment Aruna sehen, nicht den Lykanthropen.

Und langsam veränderte sich etwas in seinem Gesicht. Er blinzelte und mit jedem Blinzeln verschwand das Misstrauen, der Argwohn in seinen Augen.

Stück für Stück.

Bis es kaum mehr ein schwaches Glimmen war, das darauf wartete, wieder entfacht zu werden, es aber nicht drauf anlegte.

Beinahe erleichtert atmete ich aus. Immerhin hatten wir ihn jetzt zumindest ein wenig von uns überzeugt.

Oder besser gesagt, von mir. Wie auch immer.

»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Adam nach einer kurzen Stille kleinlaut.

Das allerdings war eine sehr gute Frage.

Ich sah zu Alec auf, der Kiefer des Schwarzhaarigen spannte sich an, entspannte sich, spannte sich an, entspannte sich.

Seine Vorstellungen, was wir am besten mit Adam machen sollten, wichen vermutlich stark von meinen ab.

Also beeilte ich mich, als Erste zu sprechen.

»Wir machen dich los.«

Zwei entsetzte Blicke trafen mich.

»Was?!«, keuchten sie unisono, Alecs Blick brannte mich geradezu nieder.

Ich seufzte und rieb mir die Schläfe.

»Adam?«

Er nickte unsicher.

»Wenn wir dich loslassen, wirst du dann zu deinem Clan gehen und mich an ihn verraten?«

Für einen Moment herrschte eine angespannte Stille, ich merkte nicht einmal, wie ich den Atem anhielt und Alecs brennenden Blick wollte ich eigentlich lieber verdrängen.

Dann langsam, ganz langsam schüttelte Adam den Kopf.

»Nein«, hauchte er und irgendwie schien dieses eine kleine Wort eine gewaltige Last von meiner Brust zu nehmen.

Adam blinzelte mich ehrlich an.

»Vielleicht würden sie es nicht verstehen... Ich will nicht, dass man einer Unschuldigen etwas antut. Das wollte ich nie.«

Ich hätte ehrlich voller Erleichterung in Tränen ausbrechen können. Tat ich natürlich nicht. Das würde dann wohl vermutlich doch zu peinlich werden.

Auffordernd blinzelte ich also zu Alec auf, der ungläubig den Kopf schüttelt.

»Du willst einfach so auf seine Worte vertrauen?!«, keuchte er ungläubig.

Okay, vielleicht hatte er Recht, vielleicht war das ein wenig zu voreilig von mir, vielleicht ließ ich mich von diesen rehbraunen Augen einlullen, die denen meines besten Freundes irgendwie so unendlich ähnlich sahen.

Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Definitiv zu viele Vielleichts.

Ich runzelte die Stirn, dachte für einen kurzen Moment nach.

»Was sollen wir sonst tun? Wir können ihn schlecht einfach so umlegen«, entgegnete ich nach ein paar Sekunden einfach, eine bessere Rechtfertigung fiel mir in diesem Moment irgendwie nicht ein.

Alec seufzte, rieb sich die Schläfe, als hätte er Kopfschmerzen, ein unterschwelliger, böser Ausdruck in seinem Gesicht.

Ein wenig Frustration nebenbei.

Adam hielt gespannt die Luft an, als hätte er tatsächlich Angst, Alec würde ein Todesurteil über ihn fällen, doch wie es im Moment aussah, hatte das der Vic genau so wenig vor, wie ich.

Schließlich seufzte er resigniert auf.

»Ich kann nicht glauben, dass ich das tue«, murmelte er kopfschüttelnd und stierte beinahe wütend auf den Fußboden, als könnte der höchstpersönlich etwas für diese ganze Situation.

Ein Satz, den ich irgendwie schon häufiger von Alec gehört hatte.

Vielleicht mochte er ihn ja ganz besonders gerne. Okay, unangebrachte Gedanken.

Ich wartete gespannt auf Alecs weiteres Urteil, vielleicht sogar gespannter, als Adam selbst.

Und dann hob Alec plötzlich drohend einen Finger.

»Wenn ich dich jetzt abbinde, bleibst du hier in diesem gottverdammten Haus, verstanden?! Bis wir das Motorrad repariert haben, bleibst du hier, schick deiner kleinen Ven Freundin irgendeine Nachricht, sag, dass du mit deinem Vater kurzfristig wo hingefahren bist, wie auch immer. Aber solange wir hier sind, bleibst du auch hier, verstanden?!«

Ja, Alec klang eindeutig frustriert.

Vermutlich mehr wegen mir, als wegen allem anderen.

Gespannt sah ich Adam an, in dessen Kopf es ganz offenbar zu rattern begann.

Und dann, zu meiner unendlichen Erleichterung, nickte er. Ganz langsam, aber er nickte.

»Verstanden.«

Erleichtert legte ich den Kopf in den Nacken.

Und Alec machte sich leise vor sich her fluchend daran, die Kabelbinder mit irgendeiner Zange - keine Ahnung, woher er die so plötzlich hatte - zu lösen.

Das hätte deutlich schlimmer ausgehen können...

Halleluja...

Nachdem Alec den letzten Kabelbinder durchtrennt hatte, rieb sich Adam das Handgelenk, blieb jedoch zunächst unsicher auf dem Stuhl sitzen.

Und dann ertönte plötzlich ein metallisches Klirren von der Tür.

Ruckartig schossen unsere Blicke zu dem Eingang, mein Herz machte einen kleinen, aufgeregten Sprung, Adam fuhr sich nervös über die Arme und zog den heruntergerutschten Verband wieder hoch, ganz offenbar hatte er - zumindest für den Moment - nicht vor, seinem Vater von dieser ganzen Sache mit den Ven zu erzählen.

Und schließlich trat ein leicht summender Ed ein, in der Hand eine demolierte Papiertüte, ganz offensichtlich war er tatsächlich einkaufen gewesen.

Verwirrt hielt er inne, als er Alec, Adam und mich in dieser Position vorfand, nervös glitt mein Blick zu Adam, vielleicht hatte er uns ja angelogen, vielleicht war Ed doch schon ein Ven, vielleicht würde er gleich einfach anfangen, loszuschreien, um seinen Vater zu warnen und ich war mir ziemlich sicher, dass man mir meine Anspannung ansehen konnte, Alec wirkte ja sowieso immer wie ein verdammter Stein.

Ed hob die Augenbrauen und runzelte die Stirn.

»Alles gut bei euch?«, fragte er nachdenklich, für eine Sekunde warfen wir drei uns verstohlene Blicke zu, dann nickten wir.

»Ja«, keuchten wir gleichzeitig, was Eds Augenbrauen für einen Moment zwar noch etwas in die Höhe steigen ließen, dann allerdings zuckte er einfach mit den Schultern und wuchtete seine Einkäufe auf den Küchentresen.

Und es war, als würden Adam, Alec und ich zur gleichen Zeit erleichtert ausatmen.


◊♠


»Was ist mit dir los?«

»Hm?«

Erschöpft hob ich meinen Kopf von den Knien, die ich mit meinen Händen umklammert hielt, in dieser Nacht hatte ich erneut nicht gerade gut geschlafen, wieder hatte der Traum mich gequält, wieder war ich gerannt und gerannt, ein weiteres Stück vorangekommen und hatte dem Nebel doch nicht ausweichen können.

Dieses Mal war sogar Adam in unser Zimmer gestürmt, vollkommen wirr und müde, während Alec mit meinem panischen, schlaftrunkenen Ich gekämpft hatte.

Es war kräftezehrend.

Seit drei Tagen konnte ich nicht mehr vernünftig schlafen und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie unglaublich genervt Alec sein musste, immer und immer wieder von meinen Schreien geweckt zu werden und dann auch noch mit meinem um sich schlagenden Ich zu kämpfen zu müssen.

Ich glaubte mich zu erinnern, dass Alec irgendetwas zu Adam gesagt hatte, weswegen der wieder abgedampft war.

Peinlich war es allerdings so oder so.

Naja, in diesem Moment jedenfalls saß ich auf der Wiese hinter Eds Haus, während der und Adam an unserem Motorrad rumschraubten.

Eigentlich hatte ich meine Ruhe haben wollen, einfach mal nachdenken erschien mir zuerst eine gute Idee, allerdings verlor ich mich immer mehr in Gedanken, die ich nicht hören wollte und der verlockende Wald, der sich vor mir erstreckte, war nicht gerade hilfreich.

Seufzend ließ sich Alec neben mich nieder, eigentlich hatte er zuvor mehr oder minder hilfreich bei Adam und Ed gestanden.

»Was willst du?«, brummte ich eher so semi-freundlich, eigentlich hatte ich vorgehabt, mich ganz stumm selbst zu bemitleiden, wie die verdammte Heulsuse, die ich nun einmal war.

»Nett«, kommentierte Alec bloß, lehnte sich an die Mauer hinter uns, während ich meine Knie weiterhin angewinkelt hatte und meinen Kopf müde auf ihnen abstützte.

Die Augenringe in meinem Gesicht, die sich bis nach Timbuktu zogen, hatte ich heute Morgen im Bad geflissentlich ignoriert.

Eine Weile starrten wir einfach nur stumm in den Wald vor uns, irgendwann ging ich wieder dazu über, meinen Kopf in meinen Knien zu vergraben und der Erschöpfung nachzugeben.

»Du bist komisch, seit gestern meine ich. Also, komischer als sonst.«

Ich schnaubte. Na vielen Dank auch...

»Nett«, kommentierte ich, wie er zuvor, auch wenn ich das, was er sagte nicht wirklich leugnen konnte.

Seit Adam mich wieder an Bane erinnert hatte, war ich schweigsamer, abweisender gewesen, musste eindeutig noch herausfinden, wie ich am besten mit dem schlechten Gewissen umgehen sollte.

Bis jetzt hatte ich noch keine Lösung gefunden.

Und dabei hatte ich es eigentlich mit aller Macht verdrängen wollen...

»Nein jetzt ernsthaft, seitdem stimmt irgendetwas nicht mit dir.«

Ich schnaubte.

»Und du hast dich normal benommen, oder wie? Was sollte denn dieses Rumgezicke?«

Nun war es Alec, der schnaubte.

»Was für ein Rumgezicke?«, entgegnete er schulterzuckend, ich hob erneut meinen Kopf und hob eine Augenbraue.

»Du weißt was ich meine.«

Alec verdrehte die Augen.

»Mir hat eben nicht gefallen, wie er mit dir geredet hat«, meinte er schließlich bemüht gleichgültig.

Meine Brauen hoben und hoben sich, weiter und weiter.

»Warum?«

Okay, eigentlich war das eine dumme Frage. Ich stellte sie trotzdem. Weil... weil Aruna halt.

Alec warf mir einen kurzen Seitenblick zu, zuckte dann erneut mit den Schultern.

»Darum.«

Wie ich diese Antwort hasste.

Aber wenn er nerven konnte, konnte ich das erst Recht.

»Warum Darum?«

»Du nervst.«

»Ich weiß.«

Er antwortete nichts mehr darauf, starrte einfach eisern auf die Bäume vor uns.

Also versuchte ich erneut mein Glück.

»Also, warum darum?«

Genervt ließ Alec die Fäuste zu Boden donnern.

»Meine Güte, ich habe noch nie jemanden getroffen, der so nervig ist, wie du, ernsthaft Aruna!«, rief er frustriert aus, dann traf sein aufgebrachter Blick auf mich.

»Vielleicht, weil es mir nicht egal ist, wie man mit dir redet?! Vielleicht, weil er sich einfach wie ein komplettes Arschloch benommen hat?! Vielleicht, weil ich es einfach nicht hinnehmen konnte, dass er dich als eine verdammte Missgeburt bezeichnet?! Vielleicht deshalb?!«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top