40
Wie schaffte man so etwas? Wie konnte ein Mensch das ertragen...?
Zittrig presste ich meine Hände an meine Seiten, der raue Stoff des schwarzen Kleides raschelte unter ihnen.
Ylva hätte es geliebt...
Dieses Kleid meine ich... sie hätte es geliebt.
Ich hasste es.
Wie in Trance schritt ich nach vorne, die Blicke meines Rudels folgten mir, mein Haar hing mir wirr im Gesicht, ich traute mich nicht, es wegzustreichen.
Ich wusste nicht wieso, doch allein der Gedanke diese Kraft aufzubringen, meine Arme zu heben... ich schaffte es nicht... ich schaffte es einfach nicht...
Die leisen Töne der Orgel hallten in meinen Ohren wieder, die Kapelle des Dorfes war gefüllt.
Drei Tage... drei Tage war es her...
Meine Mutter weinte, ich hörte sie, während ich den langen Gang nach vorne schritt.
Ich umklammerte die Ringe der Beiden, die sie vor den Ven geschützt hatten.
Ihre Särge... perlmuttweiß erstrahlten sie am Ende des Ganges, blendeten mich beinahe.
Verspotteten mich...
Ich wollte hier nicht sein. Ich wollte sie nicht sehen... nicht so... aber es war unsere Tradition...
Meine Hände zitterten, ich befürchtete jeden Moment einfach zur Seite zu kippen, meine Schritte schienen laut in der Kapelle wiederzuahallen, ich wollte die Augen schließen.
Ich wollte sie einfach nie wieder öffnen, einschlafen und nie wieder aufwachen...
Ylva und Fenris... sie waren einfach weg...
Gabe war verschwunden, Mik war... tot.
Und mit einem Mal schossen mir stahlgraue Augen in den Kopf.
Augen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie mir jemals Trost spenden könnten...
Alec.
Als ich wieder aufgewacht war, hatte er immer noch bei mir gessesen.
Ich wusste nicht einmal wieso.
Ich glaube, er hatte gebetet oder so etwas...
Er hatte auf den Knien gehockt, den Kopf zum Boden gesenkt, die Augen fest geschlossen, leise Sätze vor sich hergemurmelt. Ich hatte Miks Namen verstehen können.
Und Ylvas. Und Fenris. Und meinen.
Ich wusste nicht, was er gesagt hatte, vermutlich war es sogar eine andere Sprache gewesen, denn die Worte, die er gesprochen hatte schienen mir völlig unbekannt. Aber es klang, als würde er beten. Und ich wusste nicht, für was.
Irgendwann hatte ich gehen müssen.
Ich wollte nicht, wollte ihn nicht alleine lassen und wollte nicht alleine sein, denn er war einfach irgendwie... da.
Es klang komisch. Es war komisch. Aber so war das nun einmal. Ich verstand es ja selbst nicht...
Ich blinzelte, versuchte verzweifelt die Tränen zurückzuhalten, sah Eza und Cole gemeinsam mit Lilith und der Garde in der ersten Reihe sitzen.
Eza wirkte so, als würde sie am liebsten aufspringen, zu mir rennen, meine Hände nehmen, mich stützen, mich nicht alleine lassen...
Doch sie durfte nicht. So besagte es die Tradition.
Ich musste diesen Weg alleine gehen...
Denn ich war die Zweitgeborene... ich musste das tun...
Cole umklammerte Ezas Arm, hielt sie davon ab, jeden Moment loszustürmen.
Ich ertrug diesen Anblick nicht... nicht in diesem Moment.
Meine Sicht verschwamm, ich starrte wieder nach vorne, meine Eltern standen neben ihren Särgen, Mum weinte, ihre Augen waren gequollen, sie schien blass und erschöpft...
Älter...
Mein Vater stand wie erstarrt da. Seine Miene regte sich nicht. Er war ein Mann aus Eis.
Mein Blick fiel auf Lupa und Phelan. Sie klammerten sich aneinander, hielten sich, nicht gewillt, sich jemals wieder lozulassen, weinten und bebten und konnten nicht verstehen, was hier passierte. Konnten nicht verstehen, dass ihre über alles geliebten großen Geschwister... dass Ylva und Fenris... dass sie tot waren.
Dass sie nie wiederkommen würden.
Und ich betete - ich flehte. Lasst euch niemals los. Niemals.
Für einen Moment kniff ich die Augen zusammen, mein Herz machte einen schmerzlichen Aussetzer, der Schauer erfasste mich, die Klänge der Orgel ließen mich erzittern, der Kloß in meinem Hals wurde immer größer, ich ertrug ihre Blicke einfach nicht...
Sie sollten mich nicht so ansehen...
Diese Trauer... diese tiefe Trauer, die über dem Saal hing, mich beinahe ersticken ließ... ich hielt sie nicht aus... sie waberte über meinem Kopf, türmte sich kreischend über mir auf, krachte höhnend auf mich hinab... ich wollte einfach... ich wollte einfach weg...
Aber ich konnte nicht. Ich durfte nicht.
Und da öffneten sich meine Augen wieder.
Meine Hände zitterten, ihre Särge taten sich parallel vor mir auf, lagen in einem Meer von Blumen...
Denn jeder Lykanthrop hatte eine abgelegt. Eine für jeden. Blumen für Ylva. Blumen für Fenris.
Ein buntes Meer, das eigentlich das pure Leben hätte symbolisieren sollen, symbolisieren müssen, doch da war nichts... nur der Tod.
Lunas Bild ragte prächtig hinter ihnen auf, das Glas ihres Antlizes schimmerte in allen Farben, ihre Nachbildung streckte ihre Arme beinahe schützend von sich.
Doch sie hatte versagt... sie hatte sie nicht beschützt... weder Fen, noch Ylva...
Ein Bild schoss durch meinen Kopf, blutgetränkte Lacken, ihre Körper, wie sie sich klar und deutlich unter ihnen abhoben.
Nein...
Meine Knie knickten ein, ich keuchte auf, klammerte mich für einen Moment an das kunstvoll geschnitzte Rückenteil eines der Sitzreihen, die Wölfe senkten ihre Blicke, jemand packte mich unter den Achseln, drückte mich wieder hoch, ich trat zittrig einen weiteren Schritt nach vorne.
Ich konnte die Kunstvollen Muster, die in das Holz ihrer Särge eingeschnitzt worden waren erkennen.
Ranken und Rosen, Lunas Zeichen, die violetten Blüten des Wolfwurz schimmerten durch die Oberfläche des Sarges, schlängelten sich die Muster entlang.
Die Särge waren geöffnet.
Und auf das, was ich ohne Zweifel jeden Moment sehen würde, war ich nicht vorbereitet. Und ich war mir sicher, nie könnte irgendjemand auf diesen Anblick vorbereitet sein.
Nie sollte irgendjemand ihn ertragen müssen...
Mein Vater versuchte mich bestärkend anzusehen, versuchte stark zu wirken, der rettende Fels in der Brandung...
Meine Mutter schaffte es nicht...
Ich wollte es nicht schaffen...
Meine Beine schienen so unendlich schwer, als ich meinen Fuß anhob, die erste der drei mondhellen Treppenstufen hinaufstieg, die zu dem kleinen Podest führten, auf dem ihre Särge lagen, es grauste mich vor dem, was ich gleich sehen würde.
Ich machte einen weiteren Schritt, ihre Blicke folgten mir und für einen Moment schien der gesamte Saal gespenstisch still.
Sie hielten die Luft an.
Sie taten es, weil ich es tat.
Die älteste Tochter des Alpha... Zumindest die... die lebte...
Meine Lippe bebte, die Schauer überkamen mich, ich kniff die Augen zusammen und dann trat ich zwischen ihre Särge.
Ich traute mich nicht. Ich traute mich nicht, sie anzusehen, es war, als würde mich mein eigener Geist mit ihrem Anblick quälen, wie sie... wie sie... dieses ganze Blut...
Ich umklammerte ihre Ringe noch fester, meine Hände zitterten, das dunkle Kleid schien mich beinahe herunterzuziehen.
Ich hasste Kleider... ich hasste sie doch...
Aber ich weiß Ylvy, dir hätte es gefallen... du wärst bestimmt stolz auf mich, weil ich es angezogen hatte... ganz sicher...
Und du hättest dich vermutlich einfach über mich lustig gemacht Fenry...
Und dann öffnete ich die Augen.
Ich keuchte auf, ging in die Knie, mein Kopf fiel hinab...
Ylva...
Ylva... sie war so wunderschön...
Ich wusste nicht wieso, es war, als würde mich mein Körper quälen wollen, bestrafen, weil ich sie nicht beschützt hatte...
Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden.
Sie war so schön... sie war ein Engel...
Du siehst aus wie ein Engel, weißt du das Yve?
Eine Prinzessin, Ylva, eine Königin...
Das blonde Haar lag wie ein breiter Fecher um ihr filigranes Gesicht, schien über dem hellen Seidenpolster nur noch mehr zu erstrahlen, ihre grünen Augen waren geschlossen, die langen Wimpern ruhten auf ihren Wangen, ihr Lippen hatten jegliche Farbe verloren und sie schien so blass... so unglaublich blass...
Ihre Wunden waren gesäubert worden und doch waren da diese Schnitte in ihrem Gesicht...
Quer über ihre makelose Haut, spalteten ihr Gesicht...
Oh Gott...
Oh mein Gott... ich konnte das nicht... ich ertrug das nicht...
Das lange, strahlend weiße Kleid verdeckte ihren Körper, verbarg ihre Wunden, ihre blassen Finger hatte man vor dem Körper gefaltet, sie trug die Blüte der Hellen in ihrem Haar...
Denn das war sie... sie war eine Helle gewesen. Und ihr Sarg war der einer Hellen.
Wunderschön und dennoch tieftraurig. Wie sie selbst.
Wenn ihre Lippen doch nur nicht so blass wären, diese Wunden, ihre Haut... sie könnte doch einfach nur... einfach nur schlafen...
Ich wusste nicht, wie ich es tat, langsam und zittrig drückte ich mich hoch, ließ meine Schwester nicht aus den Augen.
Nie... niemals...
Ich starrte sie an, als wartete ich, dass sie ihre wunderschönen Augen aufschlagen würde, dass sich ihre Nase kraus ziehen würde, wenn sie mich angrinste und sagte, dass ich keine Angst mehr haben musste... weil sie da war...
Ich klammerte mich an das Holz ihres Sarges, an den Sarg einer Hellen.
Meine Lippen bebten, ich senkte den Kopf, erwies ihr die letzte Ehre und doch wollte ich so viel mehr tun... so viel mehr.
Ich würde tauschen.
Sofort. Und ohne zu zögern. Ich würde mit ihr tauschen.
Wenn sie und Fenris so leben konnten...
Ich würde alles tun.
Ich spürte ihre brennenden Blicke in meinem Rücken, zittrig hob ich Ylvas hellen Ring an, er glitt mir beinahe aus den Fingern, die violette Blüte, die an ihn gesteckt worden war strahlte auf, meine Knie zitterten, als ich ihn so behutsam auf ihren Brustkorb legte, als würde ich fürchten, dass sie unter meiner Berührung einfach zu Staub zerfallen würde.
Das Bild der blutigen Lacken schoss durch meinen Kopf, ich keuchte gequält auf, bekam kaum mit, wie die heißen Tränen begannen, meine Wange hinabzurinnen, sich brennend einen Weg über meine Haut bahnten.
Ylva... meine Ylva... meine große Schwester... die Person, zu der ich aufgesehen hatte, der ich unbedingt nacheifern wollte... tot... einfach tot.
Meine Lippen bebten, als ich meinen Mund langsam öffnete, ich gab einen erstickten Laut von mir.
Und dann sprach ich die Worte.
Mehr ein Hauchen. Ein Krächzen vielleicht. Erstickt von Tränen.
Denn dies würde den endgültigen Abschied bedeuten. Das war ihr Abschied.
In diesem Moment verabschiedete ich mich von Ylva. Von meiner Schwester. Von dem Mädchen, das ich über alles geliebt hatte. Von der Erbin des Alpha.
»Sub lumine lunae.«
Für einen Moment war es gespenstisch still in der Halle und dann antworteten sie mir, ich erschauderte.
»Sub lumine lunae.«
Die Stimmen des Rudels hallte in meinen Ohren, ließ mich erzittern, ich wollte nach Ylva greifen, ihre Hand nie wieder loslassen.
Doch das ging nicht. Und das wusste ich. Ich würde es nicht ertragen.
Die Tränen rannen über mein Gesicht, ich neigte den Blick wieder hinab, meine Wimpern senkten sich über meine Wangen, ich erzitterte.
»Versprochen«, hauchte ich, denn es war ein Versprechen.
Ein Versprechen, das wir ihr alle gaben.
Im Licht des Mondes.
Im Licht des Mondes würden wir uns wiedersehen.
Im Licht des Mondes würden wir dem Tod gemeinsam in die Augen blicken.
Im Licht des Mondes würden wir uns finden.
Langsam wand ich mich von meiner Schwester ab, Lumina wimmerte auf, zittrig drehte ich mich meinem Bruder zu, bekam für einen Moment keine Luft mehr, keuchte auf, wollte zusammenbrechen, nie wieder aufstehen, doch das ging nicht...
Ich musste... ich musste auch ihm die letzte Ehre erweisen...
Ich erzitterte, sein Gesicht hob sich so hell von dem dunklen Polster seines Sarges ab...
Dem Sarg eines Dunklen.
Das schwarze Haar schien ordentlich gekämmt, die Augen waren geschlossen... friedlich beinahe und doch war da diese unübersehbare Wunde...
Die Wunde, die ihm seine Kehle aufgerissen hatte.
Eine unheimliche Übelkeit schoss in mir hoch, alles begann sich zu drehen, die offene Wunde hob sich klar von seiner hellen Haut ab, schrie mir grausam entgegen, seine Lippen standen einen Spalt auseinander als wolle er irgendetwas sagen, nach Ylva rufen, nach mir, Mum, Dad, Lupa, Phelan... nach Hilfe.
Ich atmete zittrig ein, hob den Ring an.
Fenris musste als erstes gestorben sein...
Mein Fenris... mein armer Fenris...
Mein Herz machte einen Aussetzer, ich wollte mir die Qual in den letzten Sekunden seines Lebens nicht vorstellen...
Und er wusste nicht... er wusste es einfach nicht...
Mein Herz brach bei diesem Gedanken, er schien jegliche Luft aus meinen Lungen zu pressen.
Denn er wusste nicht, dass Ylva tot war.
Er war in dem Gewissen gestorben, dass er sich für sie aufgeopfert hatte, dass er für sie gestorben war... für seine Schwester, seinen geliebten Zwilling...
Oh Fen... Oh mein Fen...
Er hatte sich geopfert. Für sie und für Gabe.
Seinen Gefährten. Gabe, der verschwunden war. Tot, vielleicht.
Und er dachte, sie würden leben, er war in dem Gewissen gestorben, sie gerettet zu haben.
Meine Knie wollten wieder nachgeben, das Schwarz seines Anzuges schien viel zu erdrückend, die Blüte der Dunklen lag über seinen Händen...
Fen... mein Fen... mein Bruder... ich brauchte ihn doch...
Er hatte das nicht verdient... er hatte es einfach nicht verdient.
Und ich fragte mich, wie sollte ein Mensch das ertragen? Wie konnte ich das ertragen?
Erinnerungen von Fen schossen mir durch den Kopf...
Wie er mir das Laufen beigebracht hatte, geduldig wie er immer war, wenn er mir etwas gezeigt hatte, wie Ylva begeistert neben uns gestanden hatte, klatschend und jubelnd, wie sie mir den Wald gezeigt hatte, wie ich - und nur ich - auf Fenris Rücken hatte reiten dürfen, wie sie mir die Berge erklärten und den Mond und die Sterne, das Meer, die Sonne - die Welt.
Ylva, wie sie für mich mein Lieblingsessen kochte, mitten in der Nacht, weil ich mich geweigert hatte, schlafen zu gehen, wie sie sich zu mir gelegt hatte, wenn ich mich vor dem Monster in meinem Schrank gefürchtet hatte, wie Fenris die ganze Nacht vor eben jenem Kleiderschrank campiert hatte, um uns beide zu schützen, es niemals zulassen wollte, dass irgendjemand seine kleine Schwester auch nur schräg ansah...
Fenris... wie er lachte... wie er Witze riss, mich fest im Arm hielt, mir versicherte, dass er da war - dass Ylva da war - dass mir nichts passieren konnte, so lange sie nur da waren...
Aber jetzt waren sie nicht mehr da.
Meine Lieder fielen für einen Moment zu, mir war so schwindelig, so unglaublig schwindelig...
Und dann legte ich auch seinen dunklen Ring auf seine Brust, berührte für einen Moment den kalten Stoff seines Anzuges, erschauderte, erzitterte...
»Sub lumine lunae.«
Meine Stimme erfüllte den Saal - egal wie leise ich gesprochen hatte - hallte von den riesigen Wänden wieder, ließ selbst die Orgel verstummen, für einen Moment schienen alle inne zu halten, aufzuhören zu atmen, die Welt blieb einfach stehen.
Und ich fragte mich wie, wie sollte sie sich jemals wieder ohne diese beiden... diese beiden Menschen weiterdrehen.
Meine Geschwister... Fenris und Ylva... die schönsten Blumen auf der Wiese...
Und das war der Moment, in dem ich entgültig zusammenbrach.
Es geschah wie in Zeitlupe, mein Körper sackte einfach hinab, es war ein erschöpftes Geräusch in dieser großen Halle, der kalte Boden unter mir ließ mich erzittern, ich kauerte mich zusammen, hockte da, während meine Geschwister mir einfach immer weiter entglitten.
Es schien banal. Es schien vollkommen verrückt.
Doch in diesem Moment schien alles so... so entgültig...
Denn die kleine Aruna in mir, das kleine Mädchen, das ich einmal gewesen war, hatte tief in sich die verzweifelte Hoffnung gehegt, dass ich alles nur träumte.
Dass Ylva und Fenris wieder aufwachen würden, dass ich diese Liebe in ihren Augen doch nicht bereits das letzte Mal gesehen hatte...
Das sie einfach wieder aufstehen würden...
So wie sie es immer taten...
Ylva und Fenris... sie standen doch immer wieder auf...
Sie hatten mir doch immer wieder aufgeholfen...
Doch jetzt waren sie nicht da. Nicht mehr.
Und jetzt blieb ich am Boden liegen.
Niemand half mir hoch.
Niemand würde mir hochhelfen.
Das Rudel wiederholte meine Worte, ihre Stimmen brachen, es war beinahe so als würde ein stummer Aufschrei durch die Halle fegen, alles einnehmen, jeden erstarren lassen.
Denn in diesem Moment verabschiedeten wir die nächsten Erben des Alphas...
Ich hörte sie weinen, hörte sie schluchzen, meine Mutter schüttelte vollkommen neben sich ihren Kopf.
Denn es waren ihre Kinder. Ihre Kinder die neben ihr in den Perlmuttweißen Särgen lagen.
Perlmuttweiß - die Farbe des Friedens.
Doch sie waren nicht in Frieden gegangen...
Luna blickte auf uns hinab, die weißen Augen wachsam auf alles gerichtet und doch hatte ich in diesem Moment das Gefühl, dass sie nicht da war.
Dass sie niemals da gewesen war.
Denn wenn sie es wäre, wieso lagen sie dann in diesen Särgen?
Wo war sie?
Wo war Luna - wo war die verdammte Mondgöttin - als meine Geschwister gestorben waren...?!
Umgebracht von... von den Ven.
Das hatte man mir zumindest gesagt...
Ylva, Fenris und Gabe waren den Ven begegnet... einen hatten sie... hatten sie umgebracht, die anderen konnten sie jedoch überrumpeln...
Ven sagen sie...
Ven, Ven, Ven...
Doch ich glaubte es nicht.
Alec war in den Wald gekommen - gestern.
Ich hatte keine Ahnung, woher er wusste, wo ich sein würde, wo ich war um diese verdammte Trauer des Dorfes nicht mehr ertragen zu müssen.
Doch er hatte mich gefunden.
Denn die Ven waren sich sicher, dass die Wölfe einen der ihren getötet hatten, eine geplante Liquidierung...
Doch so war es nicht... und die Ven hatten auch keinen ihrer Leute geschickt.
Alec und ich hatten kaum geredet, doch das hatten wir irgendwie zu Stande gebracht...
Hybriden, da waren wir uns sicher...
Doch wer würde uns glauben?
Hass war eine starke Waffe, Hass konnte alles einnehmen.
Hass war tödlich.
Und beide, Lykanthropen und Ven waren der festen Überzeugung, dass die Gegenseite sie genau an ihrer Schwächsten Stelle angegriffen hatten, beabsichtigt genau ins Herz getroffen hatten.
Und noch nie hatten Alec und ich so sehr auf verschiedenen Seiten gestanden wie jetzt.
Denn das war Grund genug für einen Krieg.
Einen Krieg zwischen Lykanthrop und Ven.
Ein Krieg, der es schier unmöglich machte, dass wir auch nur die selbe Luft atmeten...
Und ich wollte diesen Krieg nicht...
Ich wollte ihn nicht, wollte nicht, dass auch nur irgendeiner aus meinem Rudel verletzt werden würde... und zur gleichen Zeit wollte ich nicht, das er - das Alec - das ihm etwas geschah...
So banal, so verrückt es klang... ich wollte es nicht...
Und ich wusste nicht wieso...
Er war ein Ven. Er sollte mir egal sein. Ich wollte es mir einreden. Aber es war nicht so.
Denn er war mir nicht egal.
Denn in den schwächsten Momenten meines Lebens, in den Momenten in denen ich untergehen zu drohte... er war dort gewesen... bei mir... und das bedeutete etwas - zumindest ein bisschen.
Ich musste ihn nicht lieben - er musste mich nicht lieben - aber, dass er starb wollte ich nicht.
Das hatte er nicht verdient...
Zittrig hob ich meinen Blick, die Stille schien mich zu erdrücken, die Herzen der Lykanthropen schlugen schwer, niemand rührte sich, meine Augen erfassten Lunas fein geschnittenes Gesicht...
Ein Gesicht, das Geborgenheit ausdrücken sollte.
Sicherheit.
Schönheit vielleicht.
Und wie Alec betete ich.
»Bitte«, hauchte ich, meine Stimme schien einfach in der Luft zu verpuffen, kaum verließ sie meine Kehle.
Luna sah unerbittlich auf mich hinab, ihre Augen strahlend hell wie eh und je.
Flehend legte ich den Kopf in den Nachen, mein Herz machte einen schmerzhaften Aussetzer.
»Bitte... bitte lass das nicht zu... lass das nicht zu...«
Und während sie mich alle hörten war ich die einzige, die wirklich wusste, was hinter diesen Worten steckte.
Ein Flehen, das sie nicht erhören würde.
Sicher nicht.
Denn sie hatte auch nicht gehört, als meine Geschwister abgeschlachtet worden waren.
Sie hatte nichts getan.
Und trotzdem betete dieser hoffnungsvolle, dieser dumme, dieser naive Teil in mir.
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