32
Es war Mittwoch. Glaubte ich zumindest.
Der Angriff war nun über eine Woche her. Ben war nicht aufgewacht.
Ich meine, seine Werte waren abgesunken, seit drei Tagen allerdings blieben sie konstant. Das war doch schon einmal etwas oder?
Ich umklammerte den Lederriemen meiner Schultasche noch fester, für einen Moment vergaß ich wieder, wie man atmete.
Ich hatte es in den letzten Tagen oft vergessen. Wie man atmete, meine ich.
Und ich war mir sicher, noch nie hatte solch eine Stille zwischen Liam und mir geherrscht, während wir zu den Bushaltestellen gegangen waren.
Anders als alle anderen jedoch versuchte Lee nicht mit mir zu reden. Er war einfach da, sein Atem ging gleichmäßig, sein Herz schlug ruhig. Ich erinnerte mich nicht, wann ich jemals so ruhig gewesen war wie er.
»Liam?«
Ich hasste mich dafür, wie leise meine Stimme klang, allerdings hatte ich in den letzten Tagen so wenig gesprochen, dass ich fürchtete, es verlernt zu haben.
Fragend blickte er zu mir hinab. Ich holte tief Luft.
»Du bist doch... ich meine, du bist doch bei den Ärzten... hast du.... reden sie... reden sie über Ben?«
Das hatte ich ihn fragen wollen, seitdem wir uns an seinem Haus getroffen hatten.
Wenn meine Eltern mich schon zwangen, Ben zu verlassen, wollte ich wenigstens das wissen.
Entschuldigend seufzte Lee.
»Tut mir leid Aruna, ich weiß nur, dass seine Werte konstant sind... er ist nicht mein Fall.«
Ich ließ die Schultern sinken, presste meine Lippen aufeinander, die Ernüchterung traf mich mit einem Mal.
Aber ich meine, konstant war gut, oder?
»Du solltest das nicht tun.«
Verwirrt sah ich auf, blickte Liam verständnislos an.
»Was?«
Liam sah mich ernst an, strich sich eine Strähne seines rot-braunen Haares aus dem Gesicht.
»Ben würde nicht wollen, dass du so um ihn trauerst. Er würde nicht wollen, dass du aufhörst zu lachen. Er würde wollen, dass du weiter machst, ohne in Trauer zu ersticken.«
Mein Mund öffnete sich, ich sah ihn mit großen Augen an, wollte etwas erwidern, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Ben ist nicht tot, das sagst du doch selbst immer, oder?«
Vollkommen perplex nickte ich, wusste ehrlich nicht, was er mir damit sagen wollte.
»Also. Man trauert um Tote, nicht um Lebende.«
Ich wusste nicht, was ich darauf hätte erwidern sollen. Ehrlich nicht.
Ich blickte einfach stumm zu Lee hinauf, der nun wieder nach vorne starte, als wäre nichts gewesen.
Und dann wurde mir plötzlich mit einem Mal etwas klar.
Liam hatte Recht. Mit allem.
Ben hätte das nicht gewollt und mit jedem weiteren, traurigen Gedanken drückte ich doch nur aus, dass ich nicht an ihn glaubte. Und das stimmte nicht. Ich glaubte an ihn. Ich glaubte an Ben.
»Du hast Recht.«
Überrascht sah Lee mich an, meine Stimme war erstaunlich fest gewesen.
Und ich wusste, dass das daran lag, dass ich mir selber glaubte.
Innerlich schnaubte ich auf.
Liam hatte sowas von Recht! Ich sollte endlich aufhören, im Selbstmitleid zu schwimmen! Das würde Ben nicht helfen.
Und da hoben sich Liams Mundwinkel, zufrieden lächelte er mich an.
»Siehst du«, meinte er und ich konnte nicht anders, als - wenn auch etwas zurückhaltend - ebenfalls zu lächeln.
Ich meine, ich sollte lächeln. Das sollte ich wirklich. Mein Lächeln bestärkte doch nur meinen Glauben an Ben und ich glaubte an ihn.
»Wir sehen uns nach der Schule«, verabschiedete ich mich schließlich von Liam, der zu seiner Haltestelle abbog.
Er nickte mir zu, »Bis später«, dann war er verschwunden.
Keine fünf Minuten später trat ich ebenfalls aus dem Wald und irgendwie fühlte sich mein Herz leichter an.
Gott ich hatte da echt einmal raus gemusst.
Eza hatte Recht gehabt. Ich wäre daran kaputt gegangen, wäre ich weiter dort sitzen geblieben.
Doch zum Glück hatte ich meine Freunde, wie mir mit einem Mal wieder klar wurde.
Zum Glück zeigten sie mir den Weg, wenn ich ihn einmal aus den Augen verlor, wenn er zwischen all diesen Gedanken verschwand, unauffindbar schien.
Trotzdem beschlich mich ein mulmiges Gefühl, als ich nach weiteren zehn Minuten aus dem Bus stieg.
Ich wies mich scharf an, aufzuhören um ihn zu trauern, doch als ich die alte Eiche sah, den leeren Platz unter ihr, durchfuhr für einen kurzen Moment ein kleiner Stich mein Herz.
Hör auf Aruna! Er lebt! Du glaubst an ihn!
Ich atmete tief durch, fing für einen Moment Liams bestärkenden Blick auf, dann setzte ich einen Fuß vor den anderen.
Er lebte.
Meine Schritte wurden fester.
Ben lebte.
Und schließlich lief ich mit erhobenem Blick auf die Schule zu.
Ich hatte mir den Gang schwerer vorgestellt und obwohl diese eine Person an meiner Seite schmerzlich fehlte, brach ich nicht zusammen, wie ich es gedacht hatte.
Denn Ben war nicht tot.
Ich öffnete die Tür zu meinem Klassenraum - keine Sorge Ben, ich schreib für dich mit - und ließ mich auf meinen Platz fallen.
Meine Tasche stellte ich auf Bens Platz.
Kurz ruhte mein Blick auf besagtem Platz - niemand sollte sich dort hinsetzten. Das war Bens Platz. Bens Platz neben mir.
Ich spürte ihre Blicke auf mir, ein paar tuschelten.
In Little Falls sprach sich eine Nachricht wie jene von Ben schnell herum. Nur, dass sie dachten, er wäre irgendwo im Wald verschwunden.
Ich wusste, dass mein Rudel mit den Suchtrupps zu kämpfen hatte, doch bis jetzt hatten sie sie immer von dem Dorf fernhalten können.
Ich zuckte zusammen, als es zum Unterrichtbeginn klingelte, Callahan donnerte seine Tasche auf das Pult.
Kurz sah er sich um, sein Blick blieb für einen Moment an mir hängen.
Für den Augenblick wirkte er etwas überrascht, als hätte er gedacht, ich würde länger nicht mehr zur Schule kommen, dann sah er wieder weg.
Er musste mich nicht so ansehen, ich wusste selber, dass ich nicht gerade gut aussah mit diesen bescheuerten Augenringen.
Ich atmete tief durch und biss meine Zähne zusammen.
Mach dir nichts aus diesen mitleidigen Blicken Aruna.
Liam hat Recht, erinnre dich!
Erst, als Callahan ein Blatt auf meinen Tisch fallen ließ, wurde ich aus meiner kleinen Mutrede gerissen und sah verwirrt auf.
Callahan hob eine Braue.
»Der Mathetest Miss Davis«, teilte er mir mit und gab weitere Blätter aus.
Verdammt.
Mit großen Augen sah ich den Test an und es war, als würden all diese Zahlen vor meinen Augen verschwimmen, einfach so zu einem werden, als würden sie mich mit Absicht verspotten.
Ich hatte absolut keine Ahnung, was das Thema war. Ernsthaft nicht.
Nicht, dass ich es gekonnt hätte, hätte ich gewusst, worum es ginge.
Kurz gesagt: Es war eine Katastrophe.
Rein theoretisch hätte ich einfach ein leeres Blatt abgeben können - das wäre irgendwie genau so wirkungsvoll gewesen - denn mein seltsames Gekritzel half wohl nicht wirklich.
Ich war halt echt miserabel in Mathe, okay?!
Ben hätte mich getadelt, dachte ich, während ich in der Pause auf den Schulhof trat.
Er hätte gesagt: »Aruna, warum lernst du nicht? Wenn man etwas nicht kann, muss man lernen. Naja, außer man ist Superman natürlich.«
Und aus irgendeinem Grund brachte mich das zum schmunzeln. Wenigstens ein bisschen.
So war Ben eben...
Vollkommen alleine ließ ich mich schließlich auf die Bank - unsere Bank - fallen.
Gedankenverloren packte ich mein Erdnussbuttertoast aus, stockte kurz, wartete unbewusst darauf, dass sich Ben beschwerte, wie sehr Erdnussbutter doch stinken würde.
Doch es kam nichts. Und als ich bemerkte, was ich da tat, zuckte ich beinahe zusammen.
»Guten Appetit«, murmelte ich kopfschüttelnd, ärgerte mich irgendwie über mich selbst.
»Mit wem sprichst du da?«
Ich zuckte so heftig zusammen, dass ich mein Sandwich fallen ließ, was daraufhin unter der Bank landete.
Erschrocken keuchte ich, blickte dann auf, meine Augen weiteten sich.
Alec sah mich verwirrt an, Mik stand ein wenig weiter hinten und musterte mich, als wüsste er nicht Recht, was er von mir halten sollte.
Mit roten Ohren hob ich mein Sandwich wieder auf, als sich der schwarzhaarige Junge plötzlich einfach neben mich setzte, Mik tat es ihm nach kurzem zögern gleich.
»Was wollt ihr hier?«, seufzte ich schließlich.
Beinahe erschöpft irgendwie, ich hatte keine Lust - aus welchen Gründen auch immer - mit ihnen zu streiten. Denn wenn Alec in der Nähe war, ging es meinen Nerven nie gut.
»Wie geht es ihm?«
Ich spannte mich an, war ehrlich nicht bereit, auf Alecs Frage zu antworten.
Für einen Moment starrte ich stumm nach vorne, nur um ihn ja nicht anzusehen - konnte mich nicht einmal darüber wundern, warum er überhaupt hier saß und warum ihn Ben überhaupt interessierte.
Und da traf mich plötzlich der brennende Blick des grünäugigen Ven Mädchen.
Siren, da war ich mir mittlerweile sicher.
Ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, Siren schnaubte, wand sich ab und sagte irgendetwas zu einer weiteren Ven, die daraufhin verwirrt zu uns herübersah.
Ich schluckte.
Na super.
»Ist es nicht ein bisschen riskant bei mir zu sitzen?«, fragte ich also einfach.
Das war das erste Mal, dass Mik etwas sagte.
»Sie wissen nicht, was du bist.«
Es war keine Anschuldigung.
Es war ein Versprechen. Zumindest irgendwie.
Ein Versprechen, dass er mich - so wie Alec - nicht verraten würde. Und dann rang er sich tatsächlich zu einem kleinen Lächeln durch.
Beinahe wäre mein Mund aufgeklappt. Was zur Hölle war mit diesen sogennanten Monstern los?!
»Ist Ben wieder aufgewacht?«, fragte Mik dann, Alec schien nicht Recht zu wissen, was er tun sollte.
Ich auch nicht.
Irgendwie erinnerte er mich so an Ben, Alec meine ich - wenigstens ein bisschen.
Der wusste auch nie, wie er mit Menschen umgehen sollte.
Naja, abgesehen davon, dass Alec eben nicht wusste, wie er mit mir umgehen sollte.
Seufzend schüttelte ich den Kopf.
»Wir tun alles, aber...«
Ich traute mich nicht weiter zu sprechen, versuchte mich krampfhaft an Liams Worte zu erinnern und schluckte den schweren Kloß in meinem Hals hinunter.
Es war banal. Es war vollkommen banal. Hier saß ich also - ein Lykanthrop nebenbei - und plauderte mit zwei Ven.
Ich musste verrückt sein - ehrlich - aber mittlerweile konnte ich mich wohl kaum noch darüber wundern. Ernsthaft.
Ich seufzte.
»Was macht ihr jetzt hier?«, fragte ich, um auf andere Gedanken zu kommen und während Alec so angespannt schien wie ich, kam Mik mit der Situation sehr viel besser klar als wir beide.
Sag ich ja, Alec und ich waren die Definition von Stimmungsschwankungen. Mal arbeiteten wir zusammen, ohne auch nur irgendein Wort zu wechseln und dann verhielten wir uns wieder, als wäre der andere ein Außerirdischer.
»Du warst alleine«, meinte Mik dann schulterzuckend, woraufhin ich überrascht aufsah und Alec seinen Ami böse anfunkelte.
»Außerdem«, meinte er dann mit scharfem Blick in Miks Richtung, »haben wir etwas herausgefunden.«
Nun hatte er mich voll in seinem Bann.
Mit großen Augen sah ich ihn an, sein Kiefer war angespannt.
»Was herausgefunden?«, flüsterte ich, begierig darauf, jedes einzelne Detail herauszufinden.
»Eigentlich ist es eher eine Vermutung«, warf Mik ein, ich nahm meinen Blick nicht von Alec.
Und aus irgendeinem Grund schaute auch er nicht weg. Es verging ein Moment, dann noch einer, seine stahlgrauen Augen huschten über mein Gesicht, beinahe unabsichtlich hielt ich die Luft an.
»Hybriden«, sagte er dann schließlich, ihm schien wieder einzufallen, was er hier überhaupt wollte.
»Hybriden?«, fragte ich ungläubig, er nickte.
»Eine Mischung aus Vampir und Wer...«
Mik gab ihm einen Stoß in die Rippen und sah ihn warnend an. Alec verdrehte die Augen, knurrte irgendetwas von »Idiot« und seufzte schließlich.
»Von mir aus«, murmelte er.
»Eine Mischung aus Vampir und Lykanthrop.«
Er warf Mik einen Blick zu, der »Bist du jetzt zufrieden?!« sagen sollte.
Ich hielt die Luft an.
»Aber wie ist das möglich? Woher wisst ihr davon? Vampir und Lykanthrop...?«
Ich konnte nicht leugnen, dass mich diese Nachricht schockierte. Ich meine, Vampire waren doch immerhin schon längst ausgestorben und welcher Lykanthrop würde denn jemals...?!
Doch noch ehe Alec oder Mik antworten konnten, näherten sich plötzlich schnelle Schritte.
Während Mik einen Moment brauchte, sahen Alec und ich im gleichen Moment ruckartig auf - wir hatten wohl, anders als Mik, schon Übung darin.
Verwirrt beobachtete ich Callahan, wie er auf uns zugehastet kam, seine Tasche schwang an seiner Seite mit, das Haar wurde vom Wind zerzaust, die Praes an seinem Hals leuchteten geradezu.
Ach du scheiße, was wollte der denn jetzt?
Alec spannte sich an, wusste er etwas?
»Zum Glück treffe ich euch beide noch«, begrüßte uns Callahan, sobald er bei der Bank angekommen war und erst dachte ich, er würde mit Alec und Mik reden, doch als er vielsagende Blicke zwischen Alec und mir hin und herwarf - so wie er es immer tat - verstand ich.
Aus irgendeinem Grund war er wohl der festen Überzeugung, Alec und ich würden uns mögen.
Und zwar seit dem Moment, in dem ich unglaublich eindrucksvoll gezeigt hatte, dass ich ein Volltrottel war, indem ich einen Tisch massakriert hatte.
Allein bei dem Gedanken, dass Alec und ich... ich meine... mir wurde schlecht, ehrlich.
Was unter anderem wohl auch daran lag, dass jede seiner Berührungen unglaubliche Schmerzen bedeuteten und... er war eben Alec! Alec der Vic.
Lächerlich, wenn ihr mich fragt.
»Was ist los?«, fragte schließlich Alec nicht gerade freundlich, denn auch ihm schwante Übles, doch Callahans Blick fiel auf mich.
»Dein Test war miserabel«, haute er einfach raus.
»Ich habe ihn mir gerade angeguckt.«
Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke, meine Gesichtszüge entglitten mir.
Und aus irgendeinem Grund schien Mik das unheimlich amüsant zu finden.
Er gab ein unglaublich merkwürdiges Geräusch von sich und als er so tat, als müsse er husten, warf ich ihm einen bösen Blick zu.
So ein Arsch.
Alec blieb still. Erstaunlich eigentlich.
»Alec«, meinte dann Callahan, beinahe feierlich, als würde er etwas furchtbar wichtiges verkünden und bei der Geschwindigkeit, mit der er diese Nachrichten verkündete, war ich mir sicher, dass er es eilig hatte, wieder von uns wegzukommen.
Ich fragte mich warum.
»Aus diesem Grund wirst du unserer Miss Davis hier ab heute Nachhilfe geben.«
Die Bombe platzte.
Jetzt wusste ich, warum er schnell wieder weg wollte.
»Was?«, keuchten Alec und ich gleichzeitig, sahen ihn vollkommen entsetzt an.
Das konnte doch jetzt wirklich nicht wahr sein! Ich glaubte das einfach nicht!
Callahan verdrehte die Augen.
»Nun schaut mich nicht so an, das hast du dringend nötig«, scharf sah er mich an.
»Und du könntest ruhig dein Sozialverhalten verbessern«, meinte er an Alec gewandt.
»Aber«, wollte der ganz und gar nicht einverstanden einwerfen, während Mik sich anhörte, als würde er gleich ersticken. So ein Vollidiot!
Callahan interessierte Alecs Protest allerdings reichlich wenig.
»Keine Widerrede, ab morgen«, legte er einsern fest.
Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand.
»Einen schönen Tag noch!«, rief er und ich war mir beinahe sicher, dass er gluckste.
Das machte der doch extra! Was zur Hölle war mit diesem Typ los?!
Es klingelte.
Alecs Blick traf mich, er sah genau so düster aus wie ich.
Als könnte ich was dafür...
»Du bringst mich irgendwann ins Grab«, murmelte er finster, ich verdrehte die Augen.
»Arsch«, murmelte ich in mich hinein.
Alec funkelte mich böse an und verschwand dann mit dem kichernden Mik.
Seufzend sank ich an der Bank hinab und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Na toll. Als würde ich Alec nicht schon oft genug begegnen - unfreiwillig wohlbemerkt.
Wie war das noch einmal mit diesem miesen Schicksal?
Ach ja, genau, richtig. Es hasste mich.
So ein Arsch.
◊♠◊♠◊♠◊
Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, während ich an die Eiche gelehnt da stand und auf den Bus wartete.
War das nicht Gabes Auto? Was machte er hier?
Im nächsten Moment stieg der blauäugige Junge aus, er wirkte müde.
Ich stockte, richtete mich auf.
Er sah sich kurz um, als wolle er gucken, ob die Luft rein wäre, dann lief er los in Richtung der Sporthalle.
Was zum...? Was tat er hier?
Und erst in diesem Moment dachte ich das erste Mal an Bens Familie. An die De Angelis.
Ein furchtbar schlechtes Gewissen packte mich...
Sie waren so nett zu mir gewesen und... und diese Lüge über Ben...
Es war nicht fair. Und das war die Wahrheit.
Ich wusste nicht, was mich dazu bewegte, konnte es ehrlich nicht sagen, doch meine Beine bewegten sich beinahe von alleine.
Der Bus schien vollkommen egal zu werden.
Leise folgte ich dem blonden Jungen, der eilig über den Schulhof schritt und sich ab und zu verstohlen umsah.
Was hatte er vor?
Ich hielt die Luft an, als wir aus dem Blickfeld der meisten Schüler verschwanden und schließlich kam er an der Sporthalle an.
Hastig drückte ich mich hinter einen Baum, als er sich wieder umsah, mein Herz klopfte verräterisch schnell und ich hatte beinahe ein schlechtes Gewissen.
Aber dann war da doch wieder diese Neugierde.
Ich meine, Gabe hatte ganz und gar nicht gut ausgesehen, tiefe Augenringe zeichneten sein Gesicht, er wirkte unglaublich blass, das Haar war wirr.
Ich wusste, wie viel ihm Ben bedeutete, er war immerhin sein kleiner Bruder. Nicht auszudenken, was ich tun würde, wenn Phelan einfach so verschwinden würde...
Schließlich schritt er hastig weiter, ich schlüpfte hinter dem Baum hervor, mein Herz pochte heftig, und spähte vorsichtig um die Ecke der Sporthalle.
Gabe blieb hinter ihr stehen, lehnte sich etwas zittrig an die Wand.
Was tat er hier? Wartete er auf jemanden? Aber auf wen?
Und warum zur Hölle kam jeder auf die beschissene Idee, dass der Platz hinter der Sporthalle am sichersten wäre?! Ein gutes Versteck?!
Und vor allem er, ich meine, er ging ja noch nicht einmal mehr auf diese Schule...
Und da knackte es plötzlich.
Ich erstarrte. Meine Augen weiteten sich, für einen Moment hielt ich die Luft an, mein Herz machte einen ungläubigen Sprung.
Fenris.
Fenris?
Was zur Hölle tat Fenris hier?!
Gabe sah auf, Fen kam auf ihn zu und für einen Moment hoben sich Gabes Mundwinkel etwas.
Was zum...?
»Gabriel«, murmelte mein Bruder leise und noch nie hatte ich gehört, wie irgendjemand Gabes Namen so ausgesprochen hatte.
Und ich wusste nicht einmal, was so war.
Was zur Hölle geschah hier? Woher kannten sie sich?! Und wieso trafen sie sich heimlich hinter dieser vermaledeiten Sporthalle?
Das machte doch alles kein Sinn.
Meine Güte.
Nur wenige Zentimeter vor Gabe blieb mein Bruder stehen, seine Augen schienen geradezu aufzustrahlen.
Wieso zum Teufel? Was war mit ihm los?!
»Wie geht es dir?«
Gabe ließ den Kopf sinken.
»Nicht gut. Wie geht es Ben?«
Ich stockte.
Ben?
Verdammte Scheiße Fenris, was hast du getan?!
Du kennst diesen Jungen doch kaum! Wie kannst du ihm einfach so etwas von Ben verraten?!
Vielleicht klang das gemein, immerhin war Ben Gabes Bruder, aber Fenris hatte unser oberstes Gebot gebrochen.
Offenbar dich nie einem Inbec. Niemals.
Naja, aber ich war wohl die letzte, die ihn verurteilen sollte...
Immerhin machte ich auf verquerte, makabere Weise gemeinsame Sache mit einem Ven...
Mein Bruder seufzte, sah Gabe ehrlich bedauernd an.
»Seine Werte haben sich nicht geändert.«
Was tust du denn da Fenris? Was zur Hölle machst du überhaupt hier?!
Gabes Körper schien für einen Moment zu erzittern, er atmete schwer.
»Sag mir die Wahrheit Fenris... wird er wieder... ich meine...?«
Seine Stimme brach und für den Bruchteil einer Sekunde sah ich, wie etwas auf seiner Wange aufglänzte.
Er weinte. Aus irgendeinem Grund fing ich an zu zittern, meine Mundwinkel fühlten sich für einen Moment unglaublich schwer an...
Nicht weinen, dachte ich.
Bitte hör auf zu weinen, ich ertrag das nicht...
Fenris Gesicht verzog sich, es war beinahe so, als würde es ihm Schmerzen bereiten, Gabe so zu sehen.
Warum?
»Hör auf Gabriel«, hauchte er sanft und dann zog er den blonden Jungen plötzlich zu sich, schlang seine Arme schützend um ihn.
Ohne zu zögern klammerte sich Gabe an meinen Bruder und dann weinte er, vergrub sein Gesicht an Fenris Brust und weinte.
Ich stockte.
Moment.
Was geschah da gerade? Seit wann umarmte Fenris jemanden auf diese Art?
Es war als würde sich meine Lunge zuschnüren.
Fenris...?
Beruhigend strich er Gabe über den Rücken, der klammerte sich an seinem Pullover fest, als würde er jeden Moment untergehen.
Ich hörte nicht, was er sagte, doch es schien als würde Fenris ihm irgendwelche beruhigenden Worte zuflüstern und auf einmal fühlte ich mich furchtbar fehl am Platz.
Fenris legte sein Kinn auf Gabes blonden Schopf, flüsterte irgendetwas, nicht gewillt, den Jungen loszulassen.
Ich sollte nicht hier sein...
Ich sollte das nicht sehen...
Doch trotzdem rührte ich mich nicht. Es war beinahe so, als konnte ich mich nicht rühren, in dem Moment schossen tausend Gedanken durch meinen Kopf, meine Haare stellten sich auf.
Was geschah hier? Ich meine Fenris sollte auch nicht hier sein und Gabe...
Und dann hob der blonde Junge plötzlich seinen Kopf, seine Augen waren geschwollen, er atmete schwer.
Fenris ließ ihn nicht los, lächelte sanft auf ihn hinab.
Mein Herz machte einen Aussetzer.
Was...?
Und dann beugte sich Fenris plötzlich hinab.
Mein Mund öffnete sich, meine Augen weiteten sich, ich erstarrte.
Es war, als würde alles wie in Zeitlupe geschehen, ich hörte auf zu atmen, mein Herz pochte hektisch gegen meine Brust.
Und dann berührten sich ihre Lippen.
Fenris schloss die Augen, strich sanft über Gabes Wange und küsste ihn.
Ich keuchte auf, meine Knie zitterten, ich vergaß zu atmen, konnte nicht fassen, was ich da sah, konnte nicht fassen, wie mein Bruder Gabe an sich drückte, wie Gabe keinen Schritt zurückwich.
Ach du heilige Scheiße. Ach du heilige Scheiße. Ach du heilige Scheiße.
Fenris hatte sich auf Gabe geprägt. Fenris liebte einen Inbec.
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