30
Ich wusste nicht, was mich am nächsten Morgen weckte.
Ich wusste nur, dass ich es niemals mehr vergessen würde. Niemals mehr vergessen konnte.
Es war mehr ein Gefühl, denke ich. Ein Gefühl der Angst, des Kampfes, des Schmerzes.
Ich wusste nicht einmal, warum ich bereits zitternd aufwachte. Und ich wollte nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich nicht aufgewacht wäre.
Ich stemmte mich hoch, es fröstelte mich. Meine Sinne schienen angespannt, ich lauschte.
Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, mein Herz klopfte aus irgendeinem Grund unheimlich schnell und dann hörte ich sie.
Hektische Herzen.
Ich roch es.
Blut. Schwach, aber es war da.
Ohne zu zögern sprang ich von meinem Feldbett - was war da los?! - und stürmte aus dem Zelt.
Es war stockdunkel.
Niemand war zu sehen, doch ich hörte sie. Die Angst packte mich, ich wand mich in die Richtung, aus der die Geräusche kamen und kniff die Augen zusammen, doch ich konnte nichts sehen.
Sie waren zu weit weg.
Ich steuerte es nicht einmal wirklich. Meine Beine handelten einfach ohne zu zögern.
Ich rannte. Ich musste die Inbecs beschützen, das war die Aufgabe meines Rudels, doch trotzdem raste mein Herz und raste und raste.
Und dann hörte ich die Geräusche, ich preschte zwischen den Tannen hindurch, Keuchen und knurren - Kampfgeräusche.
Ich roch einen Wolf. Und dann doch nicht. Kein richtiger Wolf. Nur ähnlich.
Und alles in mir schrie Gefahr.
Also handelte ich einfach.
Noch im Rennen verwandelte ich mich, mein Körper streckte sich, es knackte und kribbelte, dann donnerten meine Pfoten unbeirrt auf den Waldboden, alles in mir schrie, mich zu beeilen, kreischte, dass etwas schreckliches passierte.
Und dann sah ich es. Ein schrecklich verunstaltetes Ungetüm fletschte seine fauligen Zähne, halb Wolf doch da war noch etwas anderes. Etwas schreckliches, was ich nicht einordnen konnte.
Und unter ihm Alec.
Aus irgendeinem Grund setzte mein Herz bei diesem Anblick aus.
Das Biest schnappte nach ihm, kam seiner Kehle gefährlich nah, er versuchte es keuchend von sich zu schleudern, ich sah das Blut an seiner Schläfe, er keuchte angestrengt auf.
Und ich wusste nicht, warum mich dieser Anblick jegliche Vorsicht vergessen ließ. Warum er mich innerlich aufschreien ließ.
Ich knurrte ungehalten auf, meine Muskeln waren bis aufs äußerste gespannt, ich flog über den Boden und dann sprang ich ab.
Mit voller Wucht knallte ich gegen die Flanke des Wesens, riss es knurrend von Alec und kugelte mich mit ihm über den Boden.
Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich blondes Haar erkennen - Mik, der sich über irgendetwas beugte - dann krachte ich mit voller Wucht gegen einen Baum.
Das Biest schnappte nach mir - jetzt war keine Zeit nachzudenken.
Ich lag unter ihm, seine Augen rotierten wahnsinnig, sein Mund schien aus tausend kleinen Zähnen zu bestehen, während sein Körper der eines Mischlings war.
Was war das?
Ein fauliger Geruch stieg mir in die Nase, ich drückte es mit meinen Pfoten von mir und schleuderte es auf den Boden, stürzte mich dann wieder auf das Biest und schnappte nach seiner Kehle.
Wir rollten uns über den Boden, ein einziges, wild knurrendes Kneul, für einen Moment hatte ich die Oberhand, das Adrenalin schoss durch meine Adern, der Kampfgeist trieb mich an, ich stieß gegen etwas Hartes, doch machte einfach weiter.
Ich biss nach ihm und knurrte und heulte, fletschte meine Zähne, warnte ihn, den anderen ja nichts zu tun. Ich wusste nicht einmal, warum mir das so wichtig war.
Ich behielt die Oberhand, er trat nach mir, und doch war da dieser Geruch.
Blut. So viel Blut.
War Alec verletzt? Mik?
Aber es hatte nicht so ausgesehen! Nicht so viel!
Für einen Moment war ich abgelenkt, mir wurde schlecht und diesen Moment nutzte das Ungetüm.
Es schleuderte mich von sich, mein Rücken krachte gegen einen Baum, ich jaulte gequält auf und noch ehe ich mich wieder aufrichten konnte, war es wieder über mir.
Und biss zu.
Ich winselte, der siedend heiße Schmerz durchströmte meine Schulter, es brannte wie ich es noch nie erlebt hatte, alles schien, sich zu drehen.
Und dann lachte das Wesen.
Ich wusste nicht wie es lachte, mit diesem verunstalteten Mund, doch es lachte.
Und ich kannte diese Lache. Ich hatte sie schon einmal gehört. Damals war ich beinahe gestorben.
»North Carolina, erinnerst du dich!«, kreischte das Wesen dann plötzlich mit furchtbar verzerrter Stimme, ich wollte es von mir runter drücken, es schnappte nach meiner Kehle, ich warf meinen Kopf zur Seite, wollte sein furchtbares Gegacker einfach nicht mehr hören.
»Er ist wieder da!«, kreischte das Tier.
»Daa Bubu! Daaa.«
Der verrückte Singsang erfüllte den Platz, meine Schulter fühlte sich unheimlich schwer an, der Geruch von totem Fleisch stieg mir in die Nase, als es den Mund öffnete, hunderte messerscharfe Zähne blitzen auf und es kreischte immer wieder.
»Daa Bubu! Daaaa.«
Ich wusste nicht warum, aber für einen Moment konnte ich mich nicht mehr regen, das Faulige, das Blutige machte mich schwindelig.
Es schnappte erneut nach mir und dann wurde es mit einem Ruck von mir gerissen, Alec stürzte sich auf das Biest, in der Hand einen Silberdolch, Mik direkt an seiner Seite.
Sie kämpften, wie es nur Ami konnten. Gemeinsam.
Sie drückten es zu Boden, doch es war verdammt stark.
Es trat um sich, kreischte und knurrte und schnappte und erwischte beinahe den blonden Jungen.
Keuchend rappelte ich mich auf, meine Schulter heilte langsamer als sonst.
Alec stach mit dem Dolch zu, doch das schien das Tier nicht einmal zu interessieren. Es war ihm vollkommen egal. Und dann traf es Alec mit der Pranke im Gesicht, sodass er beinahe fiel.
Ich musste helfen!
Mik schien seinen linken Arm nicht bewegen zu wollen und Alec hatte einen heftigen Schlag auf den Kopf abbekommen, sie brauchten Hilfe!
Ich humpelte los, mein Wolf trieb mich an, dann rannte ich, das Biest schubste Mik so heftig nach hinten, dass der auf den Boden krachte, es schrie weiter von ihm und North Carolina und wieder da.
Alec hatte alle Mühe, ihm in Zaum zu halten, es schlug wie wild um sich.
Ich wollte es beenden. Wollte es einfach beenden.
Wollte, dass diese wahnsinnigen Augen aufhörten sich so verrückt zu drehen, wollte sein Gekreische nicht mehr hören, wollte diesen fauligen Geruch einfach nicht weiter ertragen.
Ich schubste Alec bei Seite, der einen erschrockenen Laut von sich gab, doch er würde nur im Weg sein.
Und plötzlich legte sich eine unheimliche Ruhe über meinen Körper. Wie ich es bei den Novizen gelernt hatte. Gnadenlos.
Es schnappte nach mir, ich drückte meine Pfoten ohne jegliche Emotionen gegen seine Kehle, es röchelte und knurrte, seine Augen weiteten sich.
Ich machte einfach weiter. Es sollte endlich aufhören.
Es sollte niemandem mehr weh tun.
Ich bekam nicht einmal wirklich mit, was um mich herum geschah.
Da war nur dieses Monster, das schrie und schrie. Und ich wollte, dass es aufhörte zu schreien.
Vollkommen kalt sah ich auf es hinab, das Bild von Alec, wie es ihn unter sich gefangen hielt, schoss mir in den Kopf. Und aus irgendeinem Grund drückte ich nur noch fester zu.
Ich wusste nicht, woher ich auf einmal die Grausamkeit nahm.
In dem einen Moment wandte es sich noch unter mir knurrte und schrie, dann knackte es.
Das Monster erschlaffte. Seine Augen starrten ausdruckslos gegen den Himmel, sein Mund stand in seinem letzten Gekreische offen.
Es war vorbei.
Erschöpft klappte ich neben ihm zusammen, atmete schnell und keuchend, meine Schulter pulsierte, für den Moment musste ich erst einmal wieder zu mir kommen.
Und dann erfüllte plötzlich ein panischer Ruf die Lichtung.
»Nein!«
Ich bemerkte es zu spät.
Ein surrendes Geräusch durchschnitt die Luft, ich riss den Kopf hoch und dann war da dieser brennende Schmerz an meiner Flanke.
Ich jaulte auf, das Silber bohrte sich tief in mein Fleisch, für einen Moment drehte sich alles.
Und dann sprang plötzlich eine große Gestalt vor mich, schirmte mich so gut es ging ab.
Ich atmete schwer, doch trotzdem hob ich meinen Blick langsam.
Da stand er.
Alec.
Genau vor mir.
Und er beschützte mich.
»Nein! Hör auf Mik!«
Schwer atmend sah ich an ihm vorbei, mein Blick erfasste Mik, der völlig fassungslos da stand, den Bogen immer noch gespannt, sein Atem ging hektisch, sein Arm schien bereits zu heilen.
»Warum?!«, keuchte er völlig fassungslos und sah seinen Ami an, als wäre er vollkommen durchgeschnappt.
»Das ist ein Werwolf!«, rief er völlig außer sich, Alec rührte sich kein Stück von mir weg, streckte die Arme weit von sich, damit er meinen Körper verdeckte.
In dem Moment war mir viel zu schwindelig, als das ich hätte aufstehen können. Das Silber würde mich nicht töten, doch es tat höllisch weh.
Und dann war da noch dieser brennende Biss.
»Ja«, keuchte Alec seine Brust hob und senkte sich heftig.
»Aber sie hat uns geholfen. Sie tut niemandem etwas«, verteidigte er mich beißend und starrte seinen Freund warnend an, der den Bogen immer noch gespannt hatte.
Warum verteidigte er mich?
»Sie?«, keuchte Mik und sah Alec vollkommen ungläubig an, der immer noch keine Anstalten machte, von mir wegzutreten.
Langsam fühlte ich mich dumm. Ich wollte nicht einfach weiter auf dem Boden liegen, wie ein verwundeter kleiner Hund.
Zittrig setzte ich meine Pfoten auf und stemmte mich hoch, winselte, als ich mein linkes Hinterbein belastete.
Beinahe augenblicklich spannte Mik seinen Bogen wieder vollkommen und richtete ihn genau auf mein Gesicht, als würde ich Alec im nächsten Moment den Kopd abbeißen wollen, ich erstarrte.
»Hör auf Mik!«, fauchte Alec und sah dann kurz über seine Schulter.
»Bist du okay?«, fragte er vorsichtig, musterte mich eingehend, als könne er nicht genau glauben, was er da sah.
Ich zögerte, dann nickte ich, auch wenn meine Beine zitterten.
Alec nickte knapp, mein Kopf schien unheimlich schwer, dann drehte er sich wieder zu Mik, der vollkommen fassungslos da stand.
»Du musst dir den Kopf heftig angeschlagen haben Mann«, murmelte er ungläubig und sah erst Alec, dann mich mit großen Augen an.
Auch wenn er den Hass in seine Augen legte, wenn er mich sah. Nichts von dem netten, lustigen Mik übrig, der er war, wenn ich meine humanoide Gestalt annahm.
»Nein«, seufzte Alec, schien unglaublig erschöpft.
»Wie ich dir bereits sagte, sie ist keine Gefahr. Sie tut niemandem etwas an. Sie beschützt die Inbecs und sie hat uns geholfen.«
Er sah Mik eindringlich an.
»Ich wäre tot, wenn sie nicht gekommen wäre. Das weißt du.«
Und da erzitterten Miks Arme, sie senkten sich langsam.
Ich für meinen Teil allerdings hatte gerade mit etwas anderem zu kämpfen.
Mir wurde unheimlich schwindelig, denn auf einmal roch ich wieder dieses viele Blut.
Was war das?!
Doch noch ehe ich eine Antwort darauf bekommen konnte, gaben meine Beine nach, erzitterten und klappten einfach zusammen. Keuchend krachte ich zu Boden, meine Schulter pochte, meine Flanke ebenso, ich wusste nicht, was schlimmer war.
Für einen Moment schlossen sich meine Augen.
Ich spürte, wie Alec herumwirbelte.
»Aruna«, keuchte er erschrocken - ich bemerkte nicht einmal, dass das das erste Mal war, in dem er mich bei meinem richtigen Namen nannte und unter anderen Umständen hätte ich mich wohl gewundert, wie anders er aus seinen Mund klang - dann ließ er sich zu mir hinabfallen.
Mik kam auf uns zugehechtet.
»Das ist Aruna?!«, keuchte er vollkommen ungläubig, ließ sich neben Alec fallen, während ich angestrengt versuchte nicht hier und jetzt ohnmächtig zu werden.
Alec legte die Hand auf meinen Hals, murmelte irgendetwas von »schon gut« und schien dann zu nicken.
»Ja. Hör zu Mik, ich erzähl dir alles später, jetzt haben wir keine Zeit.«
Und ich wusste nicht wieso - vielleicht war es die Tatsache, dass Mik nun wusste, wer ich war - doch er nickte.
»Ich muss den Pfeil rausziehen«, murmelte Alec während ich immer noch angestrengt versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben, nichts anderes tat, als einfach nur dazuliegen.
Der Schmerz, dieser Geruch, einfach alles...
Ich wimmerte auf, als ein plötzlicher Ruck durch meine Flanke ging, schlagartig öffneten sich meine Augen, ich starrte Alec an, er hielt das silberne Ding in den Händen und warf es unachtsam hinter sich.
»Gleich sollte es besser werden«, murmelte er, ich ließ meinen Kopf seufzend auf den Boden fallen.
Ich spürte Miks brennenden Blick auf mir, meine Augen trafen seine und ich bemühte mich, ihn möglichst unmonsterhaft oder wie auch immer anzusehen.
Aus irgendeinem Grund wollte ich ihn unbedingt davon überzeugen, dass ich nicht der große böse Wolf war.
»Wie lang weißt du von ihr?«, flüsterte Mik dann plötzlich und ich wusste nicht, warum ich deshalb zusammenzuckte.
Alecs Blick traf mich, ich konnte ihn nicht deuten.
Dann schüttelte er plötzlich den Kopf.
»Später«, murmelte er.
Langsam spürte ich, wie sich die Wunde an meiner Flanke schloss, was mich wenigstens etwas besser durchatmen ließ.
»Und was machen wir jetzt mit dem Jungen?«, fragte dann plötzlich Mik.
Und da wurde ich hellwach.
Junge? Welcher Junge?!
Alec witterte Gefahr. Offensichtlich.
»Aruna, warte...«, versuchte er mich zu beruhigen - wieder bemerkte ich nicht, dass er mich zum zweiten Mal bei meinem richtigen Namen nannte.
Doch es war zu spät.
Ich sah auf, reckte meinen Kopf in die Höhe und da erblickte ich es.
Braunes Haar. Ein Batman Schlafanzug.
Ben.
Nein.
Ich gab ein merkwürdiges Geräusch von mir - eine Mischung aus Knurren und Jaulen und Winseln.
Dann schoss ich hoch. Alec konnte mich nicht aufhalten.
Ohne zu zögern stürmte ich zu meinem besten Freund, mein Herz blieb stehen, das kalte Entsetzen packte mich.
Blut. Überall Blut.
Nein. In mir schrie es.
Nicht Ben! Nicht mein Ben!
Ich sackte beinahe neben ihm zusammen, die braunen Augen waren geschlossen.
Blass... so blass.
Ein unmenschliches Geräusch entkam meiner Kehle.
Er durfte nicht... nein... nicht tot... er... Ben... nicht mein Ben.
Die Tränen vernebelten meine Sicht, es war als würde mein Herz explodieren, sein Arm stand in einem merkwürdigen Winkel ab, seine Klamotten waren teilweise zerfetzt und... und dann dieser Biss. Genau in die Brust.
Nein.
Ben. Mein Ben. Nicht er. Nicht mein Ben.
Ich erzitterte, schmiegte meinen Kopf gegen seinen, rief nach ihm.
»Bitte Ben, Benny wach auf... bitte«
Doch er hörte nicht. Er wachte nicht auf.
Verzweifelt schmiegte ich mich an ihn.
Kalt. Er war so kalt... so unglaublich kalt.
Ben...
Sein Blut verfing sich in meinem Fell, ich atmete keuchend versuchte angestrengt ein Lebenszeichen zu entdecken doch... da war keins.
Nein!
Mein Ben...Mein Ben... Ben...
»Aruna...«
Ich wirbelte herum, stellte mich schützend über Ben.
Niemand würde ihn anrühren! Niemand würde ihm zu nahe kommen! Niemand sollte es wagen! Ich würde ihn beschützen! Ich musste doch... ich musste doch meinen Ben beschützen...
Völlig außer mir funkelte ich Alec und Mik an, die nun vor mir standen und mich ansahen, als wäre ich vollkommen verrückt. Als wäre ich irgendein kleines Kind, das man beruhigen musste.
»Er wurde angegriffen. Wir haben es gehört und sind so schnell gekommen, wie wir konnten, aber...«
Alec sah mich entschuldigend an, er wusste, wie viel Ben mir bedeutete und er wusste, wozu ich in der Lage war, wenn ich ausrastete.
Oh Ben... Was machst du nur so früh ganz alleine im Wald? Oh mein Ben...
Ich senkte den Blick und ich war mir sicher, dass Mik und Alec noch nie einen Wolf hatten weinen sehen.
Jetzt taten sie es.
Die Tränen verfingen sich in meinem Fell, perlten kristallklar von meiner Schnauze ab.
Ich schüttelte den Kopf.
Nein.
Nein.
Das konnte nicht wahr sein...
Er war nicht tot... nicht mein Ben. Er war doch Ben, ihm konnte nichts etwas anhaben... er war doch...
»Er lebt noch«, ertönte dann plötzlich Miks Stimme, der regungslos auf den blassen Jungen hinab sah.
Mein Kopf schoss in die Höhe ich starrte den blonden Jungen an.
Er lebt noch! Ben lebt noch!
»Aber nicht mehr lange.«
Alles in mir schrie auf.
Alec sah Mik warnend an, der redete allerdings einfach weiter.
»Wir sollten es beenden. Hier und jetzt. Wir wissen nicht, was der Biss mit ihm anstellt.«
Und das war der Moment in dem ich so laut und ungehalten aufknurrte, wie ich es noch nie getan hatte.
Nein!
Drohend hob Alec seinen Dolch, doch mein Fell stellte sich auf, ich bleckte die Zähne und sah Mik warnend an.
Niemand, niemand würde Ben anrühren! Niemand!
Alles an mir schrie diesen einen Satz, Mik schien beinahe überrascht.
Tu ihm weh und du wirst es bereuen! Du wirst es bereuen mich jemals gekannt zu haben, das schwöre ich! Ich schwöre es bei allem, was ich habe!
Niemand. Würde. Ben. Wehtun.
»Es wäre das beste für ihn...«, setzte er wieder an, ich legte die Ohren an.
Nein! Nicht mein Ben!
Das würde ich nicht zulassen!
Mein Blick glitt zu Alec, er sah mich warnend an, doch das interessierte mich nicht.
Bitte, sagte mein Blick.
Bitte Alec, lass das nicht zu.
Ich schüttelte den Kopf.
Ich kann ihm helfen! Glaubt mir doch bitte! Ich kann ihm helfen....
Er ist doch mein Ben... ich kann ihm doch helfen...
Alec ließ seinen Dolch sinken, sah auf Ben hinab.
»Sieht übel aus«, murmelte er, ich bleckte meine Zähne.
Nein! Ich würde Ben mit meinem Leben verteidigen!
Ich würde für ihn sterben.
Ich würde für ihn sterben wie ich für Lupa und Phelan sterben würde. Ich würde für ihn sterben, wie ich für Eza und Cole sterben würde, für Ylva und Fenris, für Mum und Dad. Für alle.
Alec sah mich an.
Er musterte mich eindringlich. Musterte alles an mir, als wolle er diesen Anblick für immer in seinem Kopf behalten. Es war ein komischer Moment.
Einer jener Moment, in denen die Welt für einen Moment stehen zu bleiben schien.
Ich stand über Ben gebeugt da, beschützte ihn mit meinem eigenen Körper, wie Alec es vor wenigen Minuten getan hatte, er stand da und schien zu überlegen.
»Wir müssen...«, setzte Mik an, doch Alec unterbrach ihn.
»Halt lieber die Klappe Mik, sonst bringt sie dich um. Und daran kann ich sie dann auch nicht mehr hindern.«
Wie zu Bestätigung knurrte ich, Alec sah mich warnend an.
»Übertreib es nicht, sonst überleg ich es mir noch einmal anders«, murmelte er.
Mik sah ihn fassungslos an.
»Was überlegst du dir?!«, fragte er ungläubig.
Alec ignorierte ihn.
Eindringlich sah er mich an, ich lauschte angespannt.
»Du darfst ihn zu deinem Rudel bringen. Wir werden dich nicht davon abhalten. Aber wenn er sich verwandelt und ihr aus irgendeinem Grund die Kontrolle über ihn verliert, werde ich ihn umbringen.«
Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so erleichtert gewesen war.
Ich hätte hier und jetzt zusammenbrechen können. Tat ich natürlich nicht.
»Was?!«, fragte dann plötzlich Mik entsetzt.
»Rudel?! Verdammte scheiße was ist los mit dir Alec?!«
Alec sah ihn warnend an.
»Ich werde dir alles später erklären, aber jetzt hilfst du mir erstmal«, blaffte er ihn an und ich wusste nicht, wer fassungsloser darüber war, was er da tat.
Mik oder ich?
Alec beugte sich zu Ben hinab und aus irgendeinem Grund hatte ich dabei nicht einmal das Bedürfnis zu knurren.
Erst, als Mik es ihm gleichtat. Warnend knurrte ich ihn an.
Alec sah zu mir auf und schüttelte den Kopf.
»Entspann dich, er wird deinem Freund nichts tun«, meinte er scharf, doch anders als er konnte ich Mik nicht einfach so vertrauen.
Angespannt beobachtete ich, wie er Ben bei den Knöcheln packte, Alec griff unter seine Achseln.
»Bück dich«, wies er mich an, ich ließ mich auf meine Knie fallen.
Sie hievten Ben auf meinen Rücken und bei der warmen Flüssigkeit, die mein Fell durchtränkte wurde mir schlecht.
Für einen Moment schloss ich die Augen.
Nein... Mein Ben... Mein Ben... Nicht er...
Er würde es schaffen!
Er war doch Ben...
Ich würde ihn beschützen...
Er würde wieder ok werden. Er würde wieder ok werden... Er würde wieder...
»Er ist stark.«
Alec riss mich aus meinen Gedanken.
Ich öffnete die Augen, blinzelte ihn für einen Moment verwirrt an.
Völlig ausdruckslos blickte er mich an, Mik schien immer noch nicht zu glauben, was hier gerade passierte.
»Er ist stark«, wiederholte Alec.
»Er wird es schaffen.«
Und erst da realisierte ich, was er da tat.
Er tröstete mich.
Zumindest auf verquerte, komische Art. Auf Alec-Art.
Ich senkte den Kopf, schloss meine Augen erneut für einen Moment.
Er ist stark. Er ist stark. Alecs Stimme hallte in meinem Kopf wieder. Mein Ben ist stark... er würde es schaffen.
»Geh jetzt«, murmelte Alec dann, während Mik nun tatsächlich leise vor sich er murmelte, was zur Hölle in ihn gefahren war.
»Wenn du vor Sonnenaufgang nicht wieder da bist, erklären wir McClair, dass du und Ben - ihr beide - verschwunden seid. Spätestens morgen musst du wiederkommen. Du kannst nicht einfach so am Dienstag wieder in der Schule aufkreuzen, ohne wiedergekommen zu sein. Vermutlich werden sie die Polizei einschalten.«
Ich atmete tief durch, dann nickte ich.
Und was ich dann tat, schrieb ich meinem verwirrten Ich zu. In normalem Zustand hätte ich so etwas nie getan. Niemals.
Zitternd erhob ich mich, trat dann einen Schritt auf Alec zu, Mik hob alarmiert seine Waffe, doch aus irgendeinem Grund blieb Alec eisern stehen.
Ich wusste nicht wieso. Er vermutlich auch nicht.
Langsam senkte ich meinen Kopf, er sah mich unbeirrt an.
Dann berührten sich unsere Stirnen. Seine Haut war warm, doch mein Fell schützte mich.
Ich wusste nicht einmal wirklich, was hier geschah, mein Körper handelte einfach.
Er spannte sich an, Mik blickte fassungslos zwischen uns hin und her. Ich schloss meine Augen, konzentrierte meine Gedanken und schickte sie dann zu dem Ven hinüber.
»Danke.«
So konnten wir mit nicht Lykanthropen über Gedanken kommunizieren.
Ich hatte es noch nie getan. Bis jetzt.
Ich öffnete meine Augen wieder, verstand selber nicht, warum ich tat, was ich tat, doch ich hatte einfach das Bedürfnis gehabt.
Das Bedürfnis, mich zu bedanken.
Immer noch starrte mich Alec an, angespannt und doch irgendwie verwirrt. Es war ein komischer Moment.
»Geh jetzt«, hauchte er dann plötzlich, doch sein Blick schien nicht mehr ganz so versteinert wie zuvor. Nur noch ein bisschen.
Ich hatte später noch genug Zeit, vor Peinlichkeit im Boden zu versinken, jetzt konnte ich noch nicht daran denken.
Ich trat einen Schritt zurück, er stand immer noch an der selben Stelle, starrte mich unerbittlich mit geballten Fäusten an.
Mik stierte mich vollkommen ungläubig an, die Waffe hatte er längst wieder sinken lassen.
Unsicher nickte ich ihm zu, er rührte sich nicht.
Und dann drehte ich mich um, trabte erst langsam los, warf einen letzten Blick über meine Schulter. Alec starrte mir mit einem Gesichtsausdruck hinterher, den ich nicht deuten konnte, Mik sah aus, als würde er jeden Moment einen hysterischen Anfall bekommen.
Und als ich dann anfing zu rennen, hörte ich ihn tatsächlich schreien, ehe ich außer Hörweite war.
»Was zur Hölle war das Alec?! Was hat sie getan?!«
Alec blieb stumm. Oder ich hörte es nicht mehr.
Mein Blick richtete sich starr nach vorne, ich spürte, wie Bens Wärme immer weiter schwand.
Nein. Nein. Nicht er.
Jetzt war keine Zeit mehr, um nachzudenken. Das einzige, was ich vor mir sah, war sein lebloses Gesicht. Das Leben, das immer weiter aus ihm schwand.
Nein!
Das durfte ich nicht zulassen.
Ich heulte auf, in der Hoffnung, dass mich mein Rudel bereits hören konnte, denn das Dorf war, wie bereits erwähnt, kaum eine halbe Stunde von dem Campingplatz entfernt (in Lykanthropengeschwindigkeit.)
Und in diesem Moment rannte ich so schnell, wie ich es noch nie getan hatte.
Ich rannte und rannte, streckte den Kopf vor, meine Pfoten donnerten auf den Boden, meine Augen tränten von der Geschwindigkeit. Zum Teil zumindest.
Denn in diesem Moment rannte ich vor dem Tod davon.
Und er wurde immer schneller. Er holte auf.
Nein! Ich würde es nicht zulassen! Er würde ihn nicht bekommen! Nicht meinen Ben! Diesen lieben, naiven, treuen Jungen, der mich mit seinen Vorträgen zum lachen brachte und all seine Prinzipien fallen ließ, wenn ich in der Klemme steckte.
Nicht ihn! Das war ich Ben schuldig! Nicht er...
Ich flog durch die Luft, Bens schlaffer Körper hing über meinem Rücken, ich bekam keine Luft mehr, ich rannte und rannte, rief nach meinem Rudel, kam an den ersten Feldern vorbei und da sah ich sie plötzlich.
Sie kamen auf mich zu gerannt.
»Was ist los?«, rief Ylva entsetzt, sie sah das Blut, das mein Fell verklebte als Erste.
Ich konnte nicht mehr.
Meine Schulter brannte, das Gift des Biestes war immer noch in mir.
Es machte mich müde. Doch jetzt, wo ich sie sah - mein Rudel - realisierte ich es zum ersten Mal wirklich.
Keine drei Meter vor ihnen brach ich zusammen, irgendjemand schrie auf, Dad kam als erstes bei mir an.
»Aruna...mein Liebling«, murmelte er entsetzt, meine Augen öffneten sich flatternd.
»Ben...helft ihm...bitte«
Ich war mir sicher, dass sie mein Flehen alle hören konnten.
Dann schlossen sich meine Augen wieder.
Alles wurde schwarz, ich war viel zu erschöpft und müde... so unglaublich müde... alles... es war einfach zu viel.
»Der Junge! Der Junge!«, rief irgendjemand - Dad?
Ich spürte nicht mehr, wie ich mich zurück verwandelte, jemand legte seine Hand beruhigend auf meinen Hals.
Wie es Alec getan hatte.
Alec... Ben... Mein Ben...
Und dann entglitt ich einfach. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Ich war schwerelos, bekam nichts mehr mit.
Oh Ben, bitte lass mich nicht alleine... bitte kämpf, ich weiß, dass du das kannst... ich weiß es...
Du bist stark.
Erinnre dich.
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