21

Einen Moment blieben wir noch vor der Sporthalle stehen, wussten beide nicht recht, was wir sagen sollten.

Dann räusperte sich Ben.

»Wir sollten los gehen.«

Ich nickte und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Davon würde ich mir jetzt mit Sicherheit nicht die Laune verderben lassen. Das war zumindest das, was ich mir einredete.

Gemeinsam eilten wir den kleinen Pfad entlang, der von der Sporthalle in den Wald führte und als wir die Gruppe wieder erreicht hatten, hatte ich es tatsächlich geschafft, Ben in ein kleines, lockeres Gespräch zu verwickeln.

Die Brünette mit ihren Freundinnen, die sich äußerst unauffällig in der Nähe der beiden Ven herumdrückte, versuchte ich dabei gekonnt zu ignorieren.

Wir liefen vielleicht eine halbe Stunde, doch zu meinem Glück entfernten wir uns eher von meinem Dorf, als dass wir uns näherten.

Jedenfalls hielt McClair nach besagter halben Stunde an einer kleinen Lichtung an.

»Okay, setzt euch erstmal«, wies sie uns an und deutete auf ein paar Findlinge zu ihrer Rechten.

Sofort stürmten die Ersten los, um einen Platz zu bekommen und als Ben und ich uns schließlich etwas verdutzt in Bewegung setzten war kein Platz mehr.

Die Brünette grinste höhnisch auf uns hinab, sie thronte am oberen Ende eines dieser Steine, ganz zufälligerweise direkt neben Alec.

Ich schnaubte - sie war es nicht wert - und ließ mich dann vor die Steine fallen.

Gott ging mir das alles auf die Nerven...

Der einzige Lichtblick war, dass Alec auch nicht wirklich begeistert von seiner charmanten Sitznachbarin zu sein schien.

Wie schon zuvor klatschte Ms McClair in ihre Hände, alle Augenpaare richteten sich auf sie.

»Wir werden heute in Partnerarbeit zeichnen«, erklärte sie und sofort schielte ich grinsend zu Ben hinüber, der mittlerweile wieder etwas froheren Mutes zu sein schien.

»Ihr könnt euch frei in der Umgebung bewegen. Die Aufgabe des heutigen Tages wird ein Portrait eures Partners sein.«

Leises Getuschel entflammte, Portraits waren nämlich nicht gerade das, was man einfach nennen würde.

Unwillkürlich musste ich an Alecs Zeichnung von letzter Woche denken.

Okay, das konnte er...

»In das Gesicht eures Partners werdet ihr verschiedene Elemente aus der Natur mit einfließen lassen, als Hautbemalung, wenn ihr so wollt.«

Zur Verdeutlichung zog sie eine schwarz-weiß Zeichnung ihres eigenes Gesichtes hervor, in dem sich ein klarer Wasserfall umgeben von großen Tannen widerspiegelte.

Um es kurz zu machen: Es sah verdammt gut aus.

Schließlich zog sie weitere blanko Blätter und Bleistifte, dazu passende Klemmbretter, aus ihrer Tasche.

Die Schüler wollten schon aufstehen, um zu ihrem Partner zu gehen, doch McClair hielt sie auf.

»Moment noch.«

Sofort wurde es wieder still.

Jetzt mal ehrlich, wie machte diese Frau das? Manche Lehrer hätten alles dafür gegeben, ihre Klasse so unter Kontrolle zu bekommen und sie schaffte es einfach, als wäre es nichts.

»Ich habe mir eure Zeichnungen von letzter Woche angesehen und dementsprechend die Paare gebildet.«

Ich schluckte und sah erneut zu Ben. Hoffentlich hatte sie uns in eine Gruppe gepackt.

Erneut zog die junge Frau ein paar Blätter - unsere Zeichnungen - aus ihrer Tasche.

»Zwei haben mir besonders gut gefallen«, erklärte sie weiter und blätterte den Stapel durch.

Dann zog sie besagte zwei heraus und hielt das Erste hoch.

Mr Callahan grinste mich an, ich spürte geradezu, wie sich Alec hinter mir auf dem Stein anspannte.

Leises Getuschel kam auf (»Das ist doch Mr. Callahan, oder? Der neue Lehrer?...Ja!«), sie warfen dem schwarzhaarigen Ven rasche Blicke zu und als ich es wagte, mich ein wenig umzudrehen, erblickte ich einen nicht gerade begeisterten Alec, der stumm geradeaus starrte um ja niemanden anzusehen.

Laut seinem Blick war es ihm nicht unbedingt Recht, dass sie sein Bild zeigte.

Von der schmachtenden Brünette an seiner Seite, die ihn anhimmelnd ansah, als wäre er der nächste Picasso wollte ich gar nicht erst anfangen.

Während McClair also besonders gelungene Aspekte hervorhob, war ich damit beschäftigt, mich zu fragen, was in dem Moment in Alecs Kopf hervorging.

Als er seinen Blick jedoch senkte und mich finster anfunkelte, drehte ich mich hastig wieder um und verfluchte mich selbst dafür, ihn so dermaßen angestarrt zu haben.

Das war aber auch wirklich unauffällig gewesen...

»Und schließlich...«, holte mich McClair aus meinen Gedanken heraus.

»Dieses hier. Miss Davis'«

Ich erstarrte, als sie mit einem breiten Grinsen meine Zeichnung hoch hielt.

Cole.

Der Wolf.

Jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht, ich wagte es nicht, mich zu bewegen, als sich alle Blicke auf mich richteten.

Ben warf mir einen beinahe... stolzen Blick zu.

Doch das Schlimmste war sein bohrender Blick, der sich in meinen Rücken brannte wie heiße Kohlen.

Denn er wusste etwas, was die anderen nicht wussten.

Nicht einmal Mik.

»...all diese kleinen Details... lassen ihn so echt wirken... ganz anderes Motiv, als das vorherige Bild... trotzdem scheint es, als würden sie beide Atmen...«

Ich hörte McClair nicht wirklich zu, was eigentlich erstaunlich war.

In dem Moment hatte ich allerdings damit zu kämpfen, mich nicht hier und jetzt zu übergeben - ehrlich.

Der vernichtende Blick, den mir die Brünette dabei zuwarf, half nicht wirklich.

Mal im ernst, was machte sie überhaupt hier? Ich war mir ziemlich sicher, dass sie keinen Deut Kunst verstand.

Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte McClair die Zeichnung einfach aus der Hand gerissen.

Oder mich unter Alecs Blick gegen meinen Rücken hin und her gewunden. Mal ehrlich, der konnte aber auch starren.

»Alles in Ordnung?«, raunte Ben dann plötzlich und beugte sich etwas zu mir.

Ich sah ihn überrascht an, er zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht. Ich glaube, du siehst blass aus.«

Ich rang mich zu einem kleinen Lächeln durch - auch wenn ich im Moment lieber angefangen hätte zu schreien - und machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Alles gut«, versicherte ich ihm bemüht beiläufig und starrte dann an irgendeinen Fleck hinter McClairs Ohr, in der Hoffnung, dass sie endlich aufhören würde, über mein Bild zu reden.

Wie Alec zuvor, fiel mir plötzlich auf. Und im nächsten Moment schüttelte ich mich innerlich bei diesem Gedanken.

»...so wirkt es also so, als würde der Wolf einen geradezu angrinsen«, endete McClair endlich ihren Vortrag und ich ließ meine Schultern erleichtert sinken.

»Gut, jetzt zu der Verteilung. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier. Das erste Paar werden soeben besprochene Zeichnungen bilden.«

Ich hatte mich geirrt.

Jetzt wich jegliche Farbe aus meinem Gesicht.

Wie zuvor spürte ich, wie sie uns alle anstarrten, Verwirrung kam auf.

Alec schien ebenso wie ich erstarrt, ich war mir ziemlich sicher, dass wir mit dem selben, düsteren Blick die Tanne neben McClair anstarrten.

Ich hörte die Brünette irgendetwas zu ihren Freundinnen zischen, was vermutlich meiner Wenigkeit gewidmet war und aus irgendeinem Grund schien Mik diese ganze Situation ungemein zu amüsieren.

Er gluckste doch tatsächlich hinter hervorgehaltener Hand.

»Alec? Aruna?«

Ms McClair sah uns beide auffordernd an und hielt uns die Materialien entgegen.

Er rührte sich als erstes.

Mit geballten Fäusten sprang er von dem Stein - ein Zentimeter übrigens und er wäre mir auf die Hand getreten, so nebenbei - und näherte sich mit steifen Schritten der jungen Lehrerin.

Natürlich begannen die Schüler mittlerweile miteinander zu flüstern.

Ein Junge mit blond-rotem Haar und einer dicken Brille auf der Nase war sich ziemlich sicher, dass einer von uns beiden nicht lebend aus dem Wald hinaus kommen würde.

Ich wusste nicht, ob ich ihm da widersprechen konnte.

Etwas zu heftig riss Alec McClair die Sachen aus der Hand und stapfte dann einfach los, während ich noch immer bewegungslos am Boden saß.

Ms McClair sah ihm ehrlich verwirrt hinterher.

»Beeil dich lieber, sonst ist er weg«, raunte Ben und sah mich beinahe mitleidig an.

Stimmt, ich hatte ihm ja diese Lüge aufgetischt, die erklärt hatte, warum ich nichts mit Alec und seinen Kumpanen zu tun haben wollte.

Ich seufzte schwer und raufte mir durchs Haar.

»Wünsch mir Glück«, murmelte ich und war mir ziemlich sicher, dass McClair mich gehört hatte.

Aus irgendeinem merkwürdigen Grund, den ich lieber nicht wissen wollte, fing sie an zu schmunzeln.

»Viel Glück«, erwiderte Ben, nahm meine Worte mal wieder zu ernst, und schließlich erhob ich mich missmutig.

Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich nicht doch lieber in dem Höllenraum gehockt hätte.

Unter den starrenden Blicken der anderen - Miks Grinsen, Bens unwohle Miene, weil er mit einer fremden Person zusammenarbeiten musste, und vor allem den giftigen Blick der Brünette nicht zu vergessen - und folgte Alec mit schnellen Schritten.

Na toll. Das konnte ja was werden.

Ohne mich zu beachten, rauschte der Ven einfach weiter, die Arme zitterten vor unterdrückter Wut und ich fragte mich, warum er mich so sehr hasste.

Dann fiel mir wieder ein, dass ich ein Lykanthrop war.

Jedenfalls musste ich halb rennen, um bei seinem strammen Tempo mitzuhalten und nach zehn Minuten Kopflosen herumrasen war ich schließlich sauer.

Das er mich aber auch immer so reizen musste...

»Hey!«, schnaubte ich und verlangsamte meinen Schritt.

»Jetzt warte doch mal!«, beschwerte ich mich, er lief einfach weiter.

»Warte!«

Er lief weiter.

»Verdammte scheiße Alec!«

Und da erstarrte er.

Steif drehte er sich zu mir um.

»Was?!«, blaffte er und funkelte mich wütend an.

Ich verschränckte meine Arme vor der Brust.

»Was ist eigentlich dein scheiß Problem?«, fauchte ich ihn an, meine Geduld war heute echt schon genug auf die Probe gestellt worden und dieser Junge hatte mir die letzten Tage eindeutig zu viel Stress gemacht.

Er schnaubte und verschränckte ebenfalls seine Arme.

Dann trat er bedrohlich einen Schritt auf mich zu und ich musste alle Mühe aufbringen, um nicht einfach umzudrehen und den Rest der Stunde auf der Lichtung zu verbringen.

»Was mein Problem ist?«, knurrte er dunkel, seine Augen tobten.

Er machte einen weiteren Schritt.

»Mein Problem?!«

Diesmal schrie er fast.

Okay Wow, was zum Teufel war jetzt mit ihm los?

»Du bist mein verdammtes Problem!«

Auch wenn ich es nicht wollte, auch wenn ich alles darum gab, es nicht zu tun, beinahe unwillkürlich zuckte ich zusammen und war für den Moment viel zu Perplex, um zu antworten.

Klar, er war noch nie der Freundlichste gewesen, aber so rasend hatte ich ihn nicht einmal an jenem Tag hinter der Sporthalle erlebt.

Und das machte mir Angst.

»Und frag jetzt bloß nicht warum!«

Es schien, als würde irgendein Damm in ihm brechen. Als wollten all diese Worte schon seit Tagen aus ihm heraus.

Und nun öffnete er das Ventil.

»Wegen dir belüge ich meinen verdammten Clan und ich weiß absolut nicht warum! Ich weiß einfach nicht, warum ich ihnen nicht über dich bescheid sage, warum ich dich nicht einfach selber töte!«

Er kam näher, ich zwang mich, stehen zu bleiben.

Er würde mich nicht töten. Er würde mich nicht töten. Er würde mich nicht töten.

Nicht hier und jetzt und so. Hoffte ich.

»Ich weiß es echt nicht!«

Er klang verzweifelt. So verzweifelt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.

Und ich konnte nichts anderes tun, als ihm stumm anzustarren, während er sich durch das tiefschwarze Haar raufte.

»Ich sollte es tun, hätte es schon damals tun sollen! Und ich verstehe einfach nicht, warum ich es nicht mache. Immerhin bist du ein verdammter Werwolf. Ein Monster

Da reichte es mir.

Ich hatte mir heute eindeutig zu viele Beleidigungen anhören müssen und ich hatte absolut keinen Bock auf diesen ganzen Mist.

Dieses Mal war ich es, die einen großen Schritt auf ihn zutrat.

Drohend hob ich meinen Finger und funkelte wütend zu ihm hinauf.

»Jetzt hör mir mal gut zu du großer, aufgeblasener Schwachkopf!«, fauchte ich und ignorierte den Hass in seinen Augen.

Zumindest war ich mir ziemlich sicher, dass es Hass war.

»Ich hab echt keinen Bock mehr auf diesen ganzen Scheiß, auf deine verdammten Stimmungsschwankungen! Jetzt tu mal nicht so, als wäre ich das einzige Monster hier Vic! Im Gegensatz zu dir habe ich nämlich niemanden umgebracht!«

Ich redete mich eindeutig in Rage.

»Ich kann mich vielleicht in einen Wolf verwandeln, und? Vielleicht bin ich ein Monster, vielleicht haben Leute meiner Art schreckliches getan, aber ihr, du und deine ganze Sippschaft, ihr seid die wahren Monster! Wir bringen uns nämlich nicht gegenseitig um, nur um dann teilweise vollkommen unschuldige Lykanthropen zu töten!«

Am Ende schrie ich.

Und wenn jemand in der Nähe war, hatte er mich mit Sicherheit gehört.

Aber aus irgendeinem Grund war mir das in dem Moment egal. Ich realisierte es nicht einmal wirklich.

Ich wollte nur, dass Alec wenigstens einmal seine vermaledeite Klappe hielt und mich nicht wie einen lästigen Parasit behandelte. Immerhin war es nicht nur er, der Kräfte besaß! Bei Lupas Locken, ich war verdammt noch mal auch stark!

Und dann wurde ich plötzlich mit einem heftigen Ruck gegen einen Baum gedrückt, sodass ich erschrocken aufkeuchte und um Atem rang.

Alec baute sich bedrohlich vor mir auf und dieses Mal war ich mir sicher, dass es Hass war.

Mein Atem ging - ebenso wie seiner - schneller als normal, doch dieses Mal ließ ich mich nicht einschüchtern. Nicht einmal, als er mich an den Schultern packte und festhielt.

Ich war auch stark!

Ebenso hassvoll funkelte ich ihn an.

»Du weißt nichts, rein gar nichts über meinen Clan Wolf!«, spuckte er mir entgegen und als ich ihn von mir weg drücken wollte, hielt er meine Schultern nur noch fester.

»Und erzähl mir nichts von deiner friedlichen kleinen Welt! Ich habe deinen Blick gesehen! Hätte ich dich nicht aufgehalten, hättest du sie zerfetzt! Du hättest deine widerlichen Klauen in sie geschlagen, ihre Haut entzwei geteilt, ihren Kopf abgerissen! Wie das Monster das du bist!«

Ich spürte geradezu, wie sich der Bernstein langsam aus meinen Augen zog, meine Wolfsaugen drängten sich an den Vordergrund. In diesem Moment brannte eine Sicherung in mir durch.

Es geschah schneller, als dass ich es verhindern konnte.

Ächzend stieß ich ihn von mir weg, er allerdings bekam meinen Pullover zu fassen und wir krachten gemeinsam auf den Boden.

Mein Kopf knallte gegen seine Brust, er keuchte auf und schubste mich von sich herunter, nur um mich im nächsten Moment auf dem Boden zu fixieren.

Dieses Mal knurrte ich ihn wirklich an, wild und rasend und ungehalten, wand mich unter seinem Griff, doch er setzte sich einfach mit seinem gesamten Gewicht auf mich, sodass mir die Luft weg blieb.

Mein Tier wollte heraus. Er hatte eine Grenze überschritten. Denn er hatte die Wahrheit gesagt.

Ich trat nach ihm, schlug nach ihm, wir rollten uns keuchend über den Waldboden und als ich seinen Hals berührte, wimmerte ich gepeinigt auf. Diesen Moment nutzte er und fixierte mich endgültig unter sich, sodass ich keine Chance mehr hatte, mich zu bewegen.

»Lass mich los!«, knurrte ich völlig außer mir, wollte nichts lieber als sein hübsches Gesicht zu zerkratzen.

»Guck!«, keuchte er angestrengt und versuchte mich mit aller Macht auf dem Boden zu halten, währendihm  seine verdammten Haare im Gesicht hingen.

»Genau jetzt! Ich sehe es dir an! Du kannst es nicht kontrollieren! Du willst mir wehtun, wie das wilde Tier, dass du nun einmal bist!«

Er packte fester zu, ich kämpfte weiter und fauchte ihn wütend an, mein gesamter Körper kribbelte, mein Zahnfleisch juckte, als würden meine Reißzähne jeden Moment hindurch brechen.

»Und du!?«, keuchte ich wütend und verfluchte ihn für seine Stärke.

»Willst du mir etwa nicht wehtun du verdammter Ven?! Hast du mir nicht bereits weggetan?! Allein deine Berührungen bedeuten den Tod!«

Ich bäumte mich unter ihm auf, versuchte nach ihm zu schlagen, doch er fixierte meine Arme auf dem Boden.

Wir kämpften. Und dieses mal kämpften wir richtig.

»Du hast nichts anderes verdient! Du bist ein verdammtes Monster!«, fauchte er rasend vor Wut, ich schaffte es, ihn von mir runter zu drücken und auf den Boden zu schleudern, doch noch ehe ich aufstehen konnte, hielt er mich wieder fest.

Ich schüttelte den Kopf, meine roten Locken schienen überall zu sein.

»Und was habe ich getan, um es verdient zu haben?! Du und dein Clan, ihr tötet Lykanthropen, Unschuldige, ich nicht!«

Seine Augen verdunkelten sich, er gab ein unheimliches Geräusch von sich, packte meine Handgelenke so fest, das es wehtat, seine gefährliche Wärme langsam durch den Stoff sickerte und meine Haut berührte.

Ich biss die Zähne zusammen, unterdrückte den aufkeimenden Schmerz so gut es ging.

Und als er sich schließlich gefährlich nahe zu mir hinab beugte, wand ich den Kopf von ihm ab, um ihm nicht zu nahe zu sein.

»Ihr seid nicht unschuldig«, flüsterte er so leise und kalt, dass ich den Schauer, der mir den Rücken hinab lief, nicht verhindern konnte.

Und da drehte ich meinen Kopf wieder zu ihm, starrte ihm fest in die Augen, unsere Nasen berührten sich beinahe.

»Und ihr auch nicht«, hauchte ich ebenso leise, gab für den Moment meinen Widerstand auf.

Ich spürte, wie seine Schulter hinab sanken und war mir sicher, dass Minuten vergingen, in denen wir einfach schwer atmend auf dem Waldboden lagen - besser gesagt, ich lag - und uns bloß anstarrten.

Ich sah den Zwiespalt in seinem Gesicht und zur gleichen Zeit spürte ich meinen eigenen.

Er hatte Recht. Doch ich ebenso.

»Wir sind beide Monster«, hauchte ich. »Du und ich.«

Er schüttelte den Kopf, doch ich sah, wie die Mauer in ihm zusammenbrach.

Ich wusste, dass ich Recht hatte. Er wusste, dass ich Recht hatte.

Und dann entfernte sich sein Gewicht plötzlich von mir, ich ließ meinen Kopf erleichtert hinab fallen und schloss die Augen, während ich langsam wieder zu Atem kam.

Wow.

Das war... heftig.

»Du blutest«, ertönte dann plötzlich seine Stimme, distanziert und kalt wie eh und je.

»Was?«, fragte ich, durch den harten Aufprall und die Rauferei auf dem Boden war ich vermutlich etwas benommen.

Blinzelnd öffnete ich die Augen, er hatte sich in gebührendem Abstand von mir weg gesetzt und blickte auf mich hinab.

»Du blutest«, wiederholte er und ich richtete mich - zugegeben etwas zittrig - auf.

Alec tippte sich gegen die Schläfe und als ich meine Hand hob, spürte ich das warme Blut, das sich langsam seinen Weg hinab bahnte.

Ohne, dass ich es wirklich wollte, kniff ich die Augen zusammen, mir wurde schlecht.

Oh nein. Nein, verdammt nein. Bitte nicht, bitte nicht jetzt!

Wenn ich jetzt ohnmächtig werden würde...

Ich versuchte mich zu beruhigen.

Es war nur mein Blut. Nichts Schlimmes. Nur mein Blut.

Und trotzdem wurde mir schwindelig, auch wenn sich die Wunde langsam wieder schloss.

Aber das Blut blieb.

»Mach es weg«, flüsterte ich, nicht gerade auf der Höhe meiner Gedanken, aber ich schob hier langsam echt Panik.

»Was?«, erwiderte er verwirrt, beinahe schockiert.

»Mach es weg«, wiederholte ich, lauter diesmal und meinte es vollkommen ernst.

Schlimmer, als seine Nähe wäre wohl in seiner Gegenwart ohnmächtig zu werden.

Und ich für meinen Teil war hier gerade ziemlich Bewegungsunfähig.

»Wieso? Nein! Mach es doch selber weg!«

Das Blut lief meine Schläfe hinab, gleich würde ich mit Sicherheit umkippen.

Dieses eklige Gefühl, wie es auf meiner Haut lastete.

Ich ballte die Hände zu Fäusten, meine Nägel bohrten sich tief in meine Haut.

Ruhig bleiben. Ruhig bleiben Aruna.

»Wenn du McClair nicht erklären willst, warum ich ohnmächtig geworden bin, mach es weg«, fuhr ich ihn an.

Vielleicht war ich nicht gerade freundlich, aber in dem Moment wollte ich die Ohnmacht um jeden Preis vermeiden.

»Nein, vergiss es!«, fauchte Alec, nicht gewillt sich mir auch nur irgendwie zu nähern.

Und dann tat ich etwas, was ich nie gedacht hätte zu tun.

Ich kratzte meinen gesamten Stolz beisammen und versenkte ihn irgendwo in den Tiefen meiner Selbst.

»Bitte...Alec«, stammelte ich, hasste mich selber dafür, wie verletzlich - wie erbärmlich - meine Stimme klang, doch in diesem Moment konnte ich mir einfach nicht helfen.

Ich kam einfach nicht mit Blut klar und diese Last auf meiner Schläfe schien mich langsam hinab zu drücken.

Ich hörte es rascheln, wagte es nicht meine Augen zu öffnen und dann spürte ich plötzlich, wie er sich vor mich hin kniete.

Ich hörte, wie er leise fluchte und mein innerliches Ich fluchte mit ihm, fassungslos wie ich mich ihm so schwach zeigen konnte.

Ich zuckte zusammen, als plötzlich etwas meine Schläfe berührte, doch wagte es selbst dann nicht, meine Augen zu öffnen.

Und dann begann er langsam, beinahe vorsichtig, das Blut wegzuwischen.

Es musste ein komischer Anblick sein, da war ich mir sicher. Ein Lykanthrop und ein Ven, Seite an Seite. Ein Ven, der einem Lykanthropen half.

Ich wollte gar nicht darüber nachdenken.

Ich verzog das Gesicht, als er sich der Wunde näherte und fragte mich im gleichen Moment, woher er das Tuch überhaupt hatte.

»Schon fast wieder zu«, murmelte er, als würde er mit einem kleinen Kind reden, und dann erhob er sich plötzlich.

Für einen Moment war es still.

»Du kannst die Augen wieder aufmachen«, meinte er, distanziert wie immer und trat einige Schritte von mir weg.

Ich blinzelte, noch immer roch ich das Blut, doch die Wärme, die Schwere auf meiner Haut, war verschwunden.

Ich konnte ein erleichtertes Aufseufzen nicht verhindern und rappelte mich langsam auf. Meinen Stolz hatte ich zwar versenkt, dennoch sträubte ich mich dagegen, mich zu bedanken.

»Ich wusste gar nicht, dass Werwölfe Angst vor Blut haben können«, ertönte plötzlich Alecs Stimme und ich bemühte mich, ihn möglichst gefasst anzusehen.

Sein Haar schien noch unordentlicher als sonst und seine Lederjacke - warum trug er die noch mal immer? - hing etwas schräg, doch ansonsten schien er nichts abbekommen zu haben.

»Ich habe keine Angst«, entgegnete ich - zugegeben etwas kleinlaut.

Er hob bloß eine Braue und wir beide wussten, dass es nicht stimmte.

Trotzdem sagte er nichts mehr und es war komisch, wie unwirklich das hier alles war.

Wir beide waren wohl die Definition von Stimmungsschwankungen und schon wieder waren da diese Fragen: Warum brachte er mich nicht um? Warum brachte ich ihn nicht um? Warum verriet er mich nicht? Warum verriet ich ihn nicht?

Mein Kopf brummte. Das war alles definitiv zu viel für mich, ehrlich.

»Versteh das jetzt aber bloß nicht falsch Wolf«, sagte Alec irgendwann.

Dieser Satz kam mir merkwürdig bekannt vor.

»Ich wollte nur nicht, dass du umkippst.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß.«

Und da war sie wieder, diese stumme Vereinbarung. Egal wie hart die Worte von eben gewesen waren, sie hatten doch wieder zu diesem einen Ergebnis geführt. Er verriet mich nicht. Ich verriet ihn nicht.

Seufzend fuhr ich mir durchs Haar und zupfte mir vereinzelt Äste und Blätter hinaus.

»Wir sollten Anfangen«, murmelte ich und wusste nicht Recht mit dieser neuen Situation umzugehen.

Beinahe wäre es mir lieber, würden wir uns einfach weiterhin anschreien.

Er nickte und ließ sich wieder auf den Boden fallen, reichte mir stumm mein Klemmbrett und den Bleistift, den er bei unserem kleinen Kampf hatte fallen lassen.

Es war unglaublich makaber, dachte ich.

Im einen Moment wollten wir uns umbringen und nun... zeichneten wir.

In gebührendem Abstand ließ ich mich vor ihm nieder und die nächste halbe Stunde war es absolut still.

Ich nahm mir fest vor, mich einfach auf die Zeichnung konzentriert, was gar nicht mal so leicht war, bei diesen intensiven, musternden Blicken, die er mir zuwarf, während er gekonnt seine Linien zog.

Ich fragte mich, wie jemand wie er gelernt hatte, so gut zu zeichnen.

Aber womöglich vergaß ich erneut den Mensch in ihm. So wie er meinen für einen Moment vergessen hatte.

Vielleicht saß er ja oft in seinem Zimmer und zeichnete.

Hatte er Geschwister? Vielleicht hatte er genau wie ich eine kleine Schwester oder Bruder und vielleicht war er ja der beste große Bruder, den sie sich vorstellen konnten.

Und ein Gedanke folgte dem nächsten, bis sie mich vollkommen einnahmen.

Vielleicht... vielleicht hatte er eine Freundin, mit wunderschönem, blondem Haar und Rehbraunen Augen bei den Ven, die ihn allein mit ihrem Lächeln glücklich machen konnte. Vielleicht liebte er sie so sehr, wie er Lykanthropen hasste.

Vielleicht machte ihm seine Mutter zu seinem Geburtstag ebenfalls jedes Jahr Pancakes zum Frühstück, so wie es meine tat.

Vielleicht liebte er es zu reisen, vielleicht mochte er keine Horrorfilme, so wie ich.

Vielleicht verabscheute er Äpfel genau so wie ich, vielleicht war der Winter ebenfalls seine liebste Jahreszeit.

Oder vielleicht der Sommer.

Vielleicht fuhr er mit seiner Familie jedes Jahr nach Italien, wie Ben, vielleicht las er genau so gerne wie ich.

Vielleicht wanderte er gerne, vielleicht mochte er die Berge lieber als das Meer.

Vielleicht liebte er den Sonnanaufgang, die Morgendämmerung, oder vielleicht den Sonnenuntergang?

Vielleicht wünschte er sich später einmal seine eigene kleine Familie, vielleicht konnte er Pferde genau so wenig leiden wie ich.

Vielleicht faszinierte ihn der Weltall wie mich, vielleicht liebte er die Stille wie ich.

Vielleicht hatte ihm sein Vater das Fahrradfahren beigebracht, wie meiner, vielleicht liebte er Chormusik wie ich.

Vielleicht hasste er große Menschenmengen wie ich, vielleicht fand er Schmetterlinge ebenso eklig wie ich.

Vielleicht war er ein guter Sänger.

Vielleicht konnte er Cola genau so wenig leiden wie ich, vielleicht hasste er Twilight wie ich.

Vielleicht lachte er mit seinen Freunden wie ich, neckte sie wie ich, liebte sie, sorgte sich um sie wie ich.

Vielleicht war er ein Mensch. Wie ich.

Und als ich merkte, was ich da tat überkam mich eine merkwürdige Gänsehaut, ich war mir sicher, dass sich meine Ohren rot verfärbten, als er mich kurz fragend ansah, sich dann aber augenblicklich wieder seinem Bild widmete, konzentriert Striche zog.

Was war denn auf einmal mit mir los?

Ich hatte mit Sicherheit einfach zehn Minuten da gesessen und ihn angestarrt, ohne auch nur irgendetwas zu tun.

Ich konnte nur froh sein, dass er so in seinem Element war, dass er es nicht einmal wirklich bemerkt hatte.

Ich sollte meinen Kopf dringend abschalten. Oder untersuchen lassen. Auf Geisteskrankheit oder so.

Reiß dich zusammen Aruna!

Langsam setzte ich meinen Stift an, betrachtete ihn.

Und es schien, als würde ich ihn zum ersten Mal richtig ansehen.

Er hatte ein - wie sollte ich das am besten ausdrücken? - kantiges Gesicht.

Aber irgendwie auch weich. Zumindest wenn er wenigstens einmal - was in dem Moment der Fall war - nicht böse guckte.

Seine Wangenknochen waren hoch, sein Kiefer scharf geschnitten.

Und ich konnte es nicht leugnen, er hatte ein schönes Gesicht, Ven hin oder her.

Die Brünette hätte vermutlich sogar sehr schön gesagt.

Langsam zog ich meine Linien.

Seine Nase war gerade, seine Lippen schienen irgendwie...weich.

Es war merkwürdig, so zu denken, aber so war es nun einmal.

Erst jetzt entdeckte ich die kleine Narbe an seiner Oberlippe und ich fragte mich beinahe automatisch, was wohl die Gesichte hinter ihr war, während ich auch sie beinahe erpicht auf mein Papier brachte.

Auch die römischen Zahlen an seinem Hals, so wie ein paar andere Praes waren klar zu erkennen.

Ob er sich auch so davor fürchtete, dass sie auf einmal auftauchten? Vermutlich nicht.

Trotzdem zog ich sie mit klaren Linien nach und irgendwie schienen sie dadurch langsam ihre... Macht zu verlieren.

Sie schienen mir... beinahe keine Angst mehr zu machen.

Langsam zeichnete ich die kleinen Furchen zwischen seinen Augenbrauen, die entstanden, wenn er nachdachte.

Wie jetzt.

Die - kaum erkennbaren Grübchen - wenn er Gedankenverloren wenigstens ein bisschen lächelte.

Ein ungewohnter Anblick und er schien es nicht einmal wirklich zu realisieren.

Mit klaren Linien zeichnete ich sein Haar, das ihm teilweise im Gesicht hing.

Ein Merkmal, ohne das ich ihn mir kaum mehr vorstellen konnte.

Und während ich den Schwung seiner Augenbrauen nachmalte, wunderte ich mich über meine eigenen Gedanken.

Aber am schwierigsten - am eindrucksvollsten - waren seine Stahlgrauen Augen.

Sie konnten einem geradezu die Luft rauben, wenn er einen so ansah, und ich wollte jeden einzelnen Teil des Sturmes einfangen, der in ihnen tobte.

Ich wusste nicht einmal wieso, aber es erschien so... wichtig.

Ohne ihn war Alec nicht Alec.

Ob Alec wohl eine Kurzform war? Alecsander vielleicht?

Ich zog meine Augenbrauen zusammen, während ich mich bemühte, jeden kleinen, dunkleren Fleck in seinen Augen zu zeichnen und langsam sah der Ven mir tatsächlich entgegen.

Seine dunklen Wimpern waren geschwungen, wenn er nach unten sah, verdeckten sie seine Augen.

Außerdem  hatten sie diese außergewöhnliche Form - seine Augen meine ich - die ich nicht beschreiben konnte. Sie machten sein Gesicht noch... außergewöhnlicher.

Die Brünette hätte vermutlich attraktiver gesagt.

Langsam rundete ich seine Augen ab, feilte lange an ihrer Farbe herum.

Klar, wir hatten nur den Bleistift, doch ich war gewillt jeden einzelnen Grauton in ihnen einzufangen, bis es endgültig er war.

Ich zog meine Linien und Striche und Schattierungen und irgendwann war ich komplett in meiner Zeichnung versunken, blendete alles um mich herum aus.

Da war nur sein Gesicht, nicht mehr. Und es war merkwürdig, denn so wie jetzt hatte ich mich nie zuvor erlebt.

Zu Vorsicht hatte ich bereits die Schatten einiger Tannen in sein Gesicht mit eingearbeitet, als würden sie auf sein Gesicht gebeamt werden.

Dezent genug, damit man all seine Gesichtszüge sehen konnte.

Ich wusste nicht, warum das so wichtig für mich war.

Ich sah auf, wollte wieder seinen Vergleich zu meinem Bild haben, als ich seinen bohrenden Blick einfing.

Er beobachtete mich - wie lange schon? - ich zuckte unwillkürlich zusammen.

»Ist was?«, fragte ich verwirrt.

Ich würde es niemals zugeben, aber er hatte mich ganz schön aus meinem Element gerissen.

Er schüttelte stumm den Kopf und senkte den Blick auf mein Bild.

Ich wusste nicht, was er dachte. Oder fühlte. Aber um ehrlich zu sein, hätte ich es gerne gewusst.

Und im nächsten Moment wusste ich nicht warum.

Dann räusperte er sich plötzlich und als ich versuchte, einen Blick auf sein Bild zu erhaschen, zog er es weg und klemmte es umgedreht auf sein Brett.

Ich runzelte die Stirn.

Warum wollte er nicht, dass ich es sah?

Um ehrlich zu sein, war ich ziemlich neugierig, wie es aussah. Ob ich mich wohl wiedererkennen würde?

Vermutlich ja, dachte ich im nächsten Moment.

Aber warum versteckte er es dann?

»Es ist Zeit«, verkündete er schließlich.

Perplex sah ich ihn an, ein Zeichen dafür, dass ich wirklich tief in meiner Arbeit versunken gewesen war.

»Hm?«, machte ich, er rappelte sich auf.

»Die Stunde ist um, wir müssen zurück«, erklärte er ruhig.

Wow, das Zeichnen schien uns beide ja ziemlich runter zu bringen.

Kaum zu glauben, was Minuten zuvor passiert war.

»Ja?«¸ fragte ich verwirrt und blinzelte ein paar Mal.

Ich hatte das Gefühl, wir saßen gerade einmal zehn Minuten hier.

Er nickte.

»Ja.«

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