13
»Findest du Ms. McClair nicht auch etwas... merkwürdig?«
Ben sah mich fragend an, während wir durch den Korridor liefen. Ich hob eine Braue.
»Merkwürdig?«
Er nickte.
»Ja... komisch? Keine Ahnung...«
Ich schnaubte und schüttelte meinen Kopf.
»Sie ist eine ganz normale Lehrerin, nichts komisches eben. Sie ist nett.«
Ben schien mit dieser Antwort nicht zufrieden. Er runzelte die Stirn und ich konnte geradezu hören, wie es in seinem Gehirn ratterte.
»Nein... ich meine... sie hatte so eine merkwürdige Ausstrahlung. Ich weiß nicht... so wie ihr sie auf einmal alle angestarrt habt.«
Ich stockte. Gut, da hatte er Recht. Es war wirklich beinahe merkwürdig gewesen...
Hastig schüttelte ich den Kopf. Ich machte mir einfach zu viele Gedanken, Ms. McClair war im Moment wohl echt nicht das Problem.
»Du findest ja auch Glastüren merkwürdig«, murmelte ich trocken und ab da war das Thema für mich gegessen.
Während Ben neben mir leicht in sich hinein murrte und erklärte, dass er ein Recht darauf hatte, Glastüren merkwürdig zu finden, überschritten wir den Schulhof zu den Bushaltestellen.
Nur ein paar Schüler, die ebenfalls in AGs und Projekten waren, standen draußen und ich war froh, dass Ms. McClair Alec und Mik noch bei sich dabehalten hatte.
Keine Ahnung warum. War mir auch egal. Gut, vielleicht war es mir nicht egal, aber... ich versuchte es mir zumindest einzureden.
»Wir sehen uns morgen«, verabschiedete ich mich von Ben, den es wurmte, dass mein Bus mal wieder früher kam, als seiner, obwohl der eigentlich der erste Bus sein sollte.
Trotzdem rang er sich zu einem kleinen Lächeln durch, während ich in den, ansonsten vollkommen leeren Bus stieg und mich nach ganz hinten setzte.
Während der Bus abfuhr, konnte ich sehen, wie Ben ihm mit gerunzelter Stirn nachstarrte. Ich wusste, das Ms. McClair ihn den Rest des Tages beschäftigen würden, so, wie er schaute.
Kurz bevor der Bus um die Ecke bog, erblickte ich dann schließlich die zwei großen Gestalten der Ven, die aus dem Gebäude geschlendert kamen. Sofort machte ich mich etwas kleiner auf meinem Sitz. Noch einmal glück gehabt...
Wie immer dauerte die Fahrt nicht lange, doch mehr als sonst war ich über die Stille des Waldes dankbar.
Sie klang beinahe wohltuend in meinen Ohren, die Geräusche des Waldes beruhigten mich. So sehr, dass ich sogar die Augen schloss.
Ich war gut darin, mit geschlossenen Augen zu gehen, wo die Hälfte meiner Welt sowieso erloschen war und aus irgendeinem seltsamen Grund tat ich es gerne.
Es schien viel friedlicher, ohne diese ganzen grellen, hektischen Farben. Nur die Geräusche und Gerüche und... ach einfach alles.
Eine leichte Briese kam auf, ließ meine kleinen Härchen auf dem Arm sich aufstellen und trug seinen Geruch zu mir rüber.
Ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Mundwinkel hoben.
Er hielt einen gewissen Abstand zwischen uns und ich war mir sicher, dass er mich beobachtete.
Spanner...
Trotzdem ließ ich mir nicht anmerken, dass ich ihn bemerkt hatte, lief einfach weiter. Irgendwie war ich neugierig, was er tun würde.
Er war gut, dachte ich, als ich immer weiter lief. Seine Schritte hörte ich nicht, er schlich lautlos wenige Meter neben mir. Der geborene Jäger eben.
Nur sein Geruch verriet ihn. Den hätte ich unter Tausenden wieder erkannt.
Als schließlich weitere zehn Minuten vergangen waren, seufzte ich.
Entweder, er hatte vergessen, warum er hier war, oder er war tatsächlich ein Spanner.
»Wie lange willst du mich noch beobachten, Cole?«, fragte ich in die Stille hinein, lief allerdings einfach weiter.
Ich hörte, wie jemand stolperte und dann fluchte. Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen und als sich Cole schließlich zu mir gesellte, öffnete ich die Augen und sah zu ihm auf.
Hastig zupfte er sich Blätter aus seinem Haar.
»Wie lange?«, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Zehn Minuten, vielleicht mehr«, mutmaßte ich.
Coles Blick wurde immer düsterer, bis er schmollte.
»Verdammt«, fluchte er.
»Was hat mich verraten?«
»Der Geruch.«
Er hob eine Augenbraue.
»Eza hat mich nicht gerochen«, murrte er.
Überrascht sah ich ihn an, wäre beinahe über meine eigenen Füße gestolpert.
»Du bespannerst Eza?«
Er schnaubte und schüttelte augenverdrehend den Kopf.
»Nein, natürlich nicht du Idiot!«
Er sah mich an, als wäre das das abwegigste der Welt.
Hey, ich war nicht diejenige, die ihm seit zehn Minuten gefolgt war!
»Sie hat mir angeboten, zu trainieren. Für die Jäger.«
Okay, das klang plausible.
»Und warum genau folgst du mir jetzt schon seit zehn Minuten?«
Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte man beinahe meinen können, dass Coles Ohren etwas rot anliefen. Aber auch nur beinahe.
Er zuckte mit den Schultern, sah mich dabei allerdings nicht an.
»Du sahst glücklich aus.«
Das überraschte mich jetzt allerdings tatsächlich. Verdattert sah ich ihn an. Glücklich?
Dann stockte Cole plötzlich, seine Augen weiteten sich.
»Verdammt!«, fluchte er so laut, dass ich zusammenzuckte.
Mit weit aufgerissenen Augen sah er mich an. Was hatte ich denn jetzt getan?
Und ehe ich mich versah, hatte er mein Handgelenk (zum Glück das ohne die Verätzung) gepackt und rannte los.
»He!«, beschwerte ich mich lautstark, während ich im eher hinterher stolperte, als dass ich rannte.
Ich versuchte mich seinem Griff zu entwinden.
Vergeblich. Natürlich.
Er hielt mich eisern gefangen.
»Was soll denn das?«, schrie ich über das Tosen des Windes hinweg, während das Dorf in rasender Geschwindigkeit näher kam.
Cole starrte unbeirrt nach vorne, ich schaffte es langsam, meine Füße vernünftig zu ordnen.
»Ich sollte...«, Cole stockte, wich einem dicken Baum aus und sprang dann über eine kleine Kluft, sodass ich für einen Moment schwerelos war.
Dann krachte ich mit voller Wucht gegen Coles Rücken, sodass wir keuchend zu Boden gingen.
Mein Atem ging schnell, ich rang nach Luft und versuchte meine Sicht wieder zu klären.
»Runter von mir, Rote«, beschwerte sich Cole.
»Du Pfeife hast doch...«, keuchte ich außer Atem, als ich auf einmal jemanden lachen hörte.
Mein Blick schnellte hoch, ich erblickte Ylva und Fenris.
Während Ylva sich bemühte, ihr Lachen zurückzuhalten (gut, grinsen tat sie trotzdem wie eine Blöde), lachte Fenris einfach ganz ungeniert.
»Du solltest sie herbringen, nicht umbringen Lewis«, prustete Fenris, während Cole puterrot anlief.
Schnaubend richtete ich mich auf, stützte mich dabei mit voller Absicht mit der Hand auf Coles Gesicht ab, sodass er gezwungen war, liegen zu bleiben.
»Könnte mir jetzt endlich mal jemand sagen, was hier los ist?«, schnaubte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, während sich Cole hinter mir aufrappelte. Ich widerstand der Versuchung, ihn einfach wieder hinzuschupsen.
Ylva zupfte behutsam ein paar Klumpen Dreck aus meinem Haar.
»Der Rat möchte mit dir sprechen. Wegen der Sache mit den Ven in eurer Schule. Wollen wissen, ob du noch irgendetwas weißt, was die Anderen vergessen haben zu sagen, oder vielleicht etwas Neues.«
Ich spürte förmlich, wie ich blass wurde und sofort waren da wieder diese vermaledeiten grauen Augen. Verdammt was war mit mir los?! Sonst war ich doch auch nicht so...
Fenris deutete meine Blässe falsch. Brüderlich legte er einen Arm um mich.
»Keine Sorge kleine Schwester. Das hast du gut gemacht, heute. Liam hat uns erzählt, wie du sie alle beruhigt hast. Das war genau die richtige Entscheidung. Sie wollen nur genug Informationen haben, um die Schüler ausreichend zu schützen, damit wir unauffällig bleiben und sie weiter unbemerkt zur Schule gehen können.«
»Damit es keine Sicherheitslücken gibt«, fügte Ylva hinzu, während wir das Dorf erreichten und auf unser Haus zusteuerten.
Wenn mich das beruhigen sollte, so hatte es genau den entgegengesetzten Effekt.
Mit voller Mühe versuchte ich den Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken.
Ich war immerhin die verdammte Sicherheitslücke! Aber das konnte ich ja schlecht sagen.
Andrerseits könnte ich jetzt alles geraderücken, ihnen von Alec erzählen und was er wusste und...
Doch als ich unser Haus betrat, wusste ich, dass ich es nicht tun würde.
Er verriet mich nicht. Ich verriet ihn nicht. So einfach war das.
Lumina und Ten sahen besorgt aus und wirkten irgendwie erleichtert, als sie Fen, Ylva und mich sahen.
Außerdem waren noch Lilith und Bane anwesend. Und die Ältesten der Arbeitergruppen.
Ich schluckte. Wie sollte ich das überleben? Gestern hatten sie mein wirres Geschwafel noch auf den Schock geschoben, aber heute?
Nervös friemelte ich an dem Saum meines Pullovers herum, während ich Fenris und Ylva innerlich dankte, dass sie bei mir blieben.
»Alles in Ordnung, Liebling?«, fragte Lumina dann plötzlich besorgt und musterte meine Kleidung.
Erst jetzt bemerkte ich, dass sie voller Schmutz war.
Ich lief rot an. Als wäre das alles nicht schon unangenehm genug.
Ich vertraute meiner Stimme nicht und konnte mich einfach nicht dazu durchringen, etwas zu erwidern.
»Alles gut Mum«, versicherte Ylva dann, was mich erleichtert ausatmen ließ.
Ihr Blick sagte »später«.
Dankbar sah ich sie an, doch vor der Tortur, die mich jetzt erwartete, konnte sie mich nicht schützen.
Ich musste alles erzählen. Von der Sekunde, in der ich aus dem Bus gestiegen war, hin zu der Szene hinter der Sporthalle und während ich mit aller Kraft versuchte, Alec und Mik zu verschweigen, wurde mir übel. Und zwar so richtig übel.
Zum Glück sprach mich niemand weiter auf mein Stottern an und als ich damit endete, dass in dem Kunstprojekt ebenfalls Ven waren (ihre Namen erwähnte ich nicht...), war ich mir sicher, gleich umzukippen.
Allem Anschein nach kam ich aber dieses Mal ebenfalls glimpflig davon.
Als ich geendet hatte, nickte mein Dad.
»Das hast du gut gemacht«, lobte er mich, wohl in dem Versuch, mich zu beruhigen.
Ich fühlte mich nur noch miserabler. Eigentlich hatte ich überhaupt nichts gut gemacht. Eigentlich hatte ich hatte alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte.
Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt. Aber nun war es zu spät...
»Was passiert jetzt?«, fragte ich leise.
»Das geht nur den Rat etwas an.«
Bane bemühte sich, seine Stimme ruhig zu halten, doch ich erkannte das Gift in ihr.
Wütend funkelte ich ihn an.
»Ich habe auch ein Recht darauf, es zu erfahren«, murmelt ich, während Dad seinen Beta warnend ansah.
Dem jedoch schien endgültig der Kragen zu platzen.
Die Wut auf mich trug er nun schon fast siebzehn Jahre mit sich herum. Und jetzt wollte sie aus ihm heraus.
»Welches Recht?!«, fauchte er und dieses mal zuckte ich tatsächlich zusammen.
Ich konnte mir nicht helfen, starrte ihn mit großen Augen an.
»Bane!«, warnte meine Mutter scharf.
Mir allerdings reichte es.
Ich ließ mich doch nicht wie ein Parasit behandeln, nur weil ich dieses beschissene Mal auf dem Rücken trug!
Vergessen war das schlechte Gewissen, vergessen war die Anwesenheit des gesamten Rates. Ich sah nur Bane.
»Ylva und Fenris sind auch hier! Aber damit hast du kein Problem!«, fauchte ich, ignorierte die Blicke der anderen.
So auch Bane. Bevor irgendjemand etwas erwidern konnte, ihn daran hindern konnte, dass zu sagen, was er sagen wollte, donnerte seine Stimme durch den Raum.
»Ylva und Fenris sind auch bei den Gardisten!«
Ich schnaubte wütend, verschränkte die Arme vor der Brust.
»Morgen ist mein siebzehnter Geburtstag. Dann komme ich auch zu den Gardisten. Komm damit klar«, knurrte ich.
Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill in der Hütte. Es war, als würden sie alle die Luft anhalten.
Und als ich das gehässige Funkeln in Banes Augen erblickte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.
Mein Blick glitt zu meinen Eltern. Bedauernd sahen sie mich an. Nein...
»Mum? Dad?«, fragte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte.
Was war hier los?
»Liebling...«, setzte Mum an.
»Die Gardisten...«, wollte Dad ihr weiterhelfen, doch brachte die Worte nicht über seine Lippen.
Ich konnte den Kloß, der in meinem Hals aufkam, nicht zurückdrängen.
Und dann war es so, als würde mein Herz stehen bleiben. Mit einem Mal vergessen, wie man schlug.
»Du kommst nicht zu den Gardisten, kapiert?! Du bist eine Rote!«
Banes Stimme hallte in meinem Kopf wieder, drückte gegen meinen Schädel und nahm mir jegliche Luft zum Atmen. Ich erstarrte.
»Bane!«, donnerte mein Vater.
»Schatz«, sprach meine Mutter leise.
»Was?«, hauchte ich, den Tränen nahe.
Mein Blick huschte zu Ylva und Fenris, die Hoffnung ihre bestürzten Gesichter zu sehen, trieb mich an. Nur das schien mir die Kraft zu geben, gerade stehen zu bleiben.
Doch sie beide, alle beide, starrten betreten auf den Boden.
Sie wussten es. Sie alle.
Meine Beine begannen zu zittern.
»Was?«, hauchte ich erneut, konnte die aufkeimenden Tränen nicht verhindern.
Es war, als würde alles in mir zusammenbrechen.
Mein Blick traf den meiner Mutter.
»Liebling... es ist nur so...«
Sie machte einen Schritt auf mich zu, ich taumelte zurück, klammerte mich an den Griff der Tür. Sonst würde ich zusammenklappen. Da war ich mir ganz sicher.
Mit einem verletzten Gesichtsausdruck blieb Lumina Mitten im Raum stehen.
Am liebsten hätte ich sie angeschrien. Was hatte sie bitte erwartet?!
»Sag, dass das nicht wahr ist.«
Ich hasste mich dafür, wie zittrig, wie schwach meine Stimme in diesem Moment klang.
Sie wussten es. Sie wussten es doch verdammt! Das war mein Traum gewesen, seit ich denken konnte. Ich hatte nie etwas anderes gewollt. Es waren immer nur die Gardisten gewesen!
Mein Blick traf Lilith. Sie traute sich nicht, mich anzuschauen.
Ohne, dass ich es verhindern konnte, rann die erste Träne über meine Wange.
Verräter! Eine kleine Stimme in mir schrie. Verdammte Verräter! Alle miteinander!
»Wenn du in der Garde bist, müsstest du mit zu Treffen mit andere Rudeln«, versuchte Lumina es mir zu erklären.
Das einzige, was ich spürte, war das langsame Brechen meines eigenes Herzens. Meines Vertrauens. Meiner kindlichen Loyalität.
»Einige würden vielleicht nicht damit klar kommen, dass du ro... besonders bist.«
Ich starrte meinen Vater an, alles drehte sich.
Der Verrat schien sich tief in mein Hirn zu brennen.
»Das ich rot bin?«, hauchte ich.
Ich brauchte jemanden. Irgendjemanden, der jetzt neben mir stand, mir meine Hand hielt und mich stützte. Zu mir hielt.
Doch da war niemand.
Ich stand auf der einen Seite. Alleine. Sie auf der anderen. Zusammen.
Keiner sagte etwas.
Mein Blick glitt über Ylva und Fenris. Sie trauten sich nicht, mich anzusehen. Verräter. Mum. Verräter.
Dann richtete sich mein Blick wieder auf meinen Vater. Er war der einzige, der es wagte, mich anzusehen. Abgesehen von Bane. Doch auch er hatte mich verraten. Auch er hielt nicht zu mir.
Und in eben diesem Moment brachen sie alle ihre Versprechen. Jeder von ihnen.
»Das ich eine Missgeburt bin?!«
Ich konnte es nicht verhindern, die Tränen rannen unaufhaltsam meine Wange hinab, benetzten meine Wimpern und ließen die kleinen Strähnen meiner Haare, die mir immer im Gesicht hingen, nass an der Haut kleben.
Mum kam noch einen Schritt näher.
»Du bist keine Missgeburt, mein Engel...«
Ich unterbrach sie, funkelte sie voller gebrochenem Vertrauen an.
»Nenn mich nie wieder, nie wieder so! Das ist nicht meine Mutter!«, brüllte ich plötzlich so unglaublich verletzt, das sie alle zusammenzuckten, meine Mutter war den Tränen nahe.
»Aruna!«, donnerte mein Vater.
Für ihn war ich zu weit gegangen. Doch es war mir egal. So verdammt egal. Denn sie waren es auch! Waren zu weit gegangen!
Und dann rannte ich.
Ich hörte, wie sie meinen Namen riefen, doch ich riss einfach die Tür auf und krachte durch den Ausgang, ließ meine Füße über den Boden donnern, ignorierte Eza und Cole, die mich verwirrt ansahen, mir hinterher riefen, oder Fenris und Ylva, die mich beruhigen wollten.
Sie konnten mich alle mal! Sie hatten gesagt, dass ich eine Rote war, würde nichts ändern! Doch sie hatten gelogen.
Es änderte alles.
Und sie hatten mir mein Herz gebrochenl. Ja verdammt, ich wusste, wie albern das klang, doch in diesem beschissenen Moment zerplatzten all meine Träume auf einmal.
Ich würde niemals Gardist werden.
Nun schluchzte ich ungehalten. Das einzige, was ich immer wollte.
Ohne, dass ich es steuerte, fanden meine Füße ihren Weg, rannten immer schneller, immer weiter.
Die Tränen vernebelten meine Sicht, in meinen Ohren rauschte es, mein Herz hämmerte unregelmäßig.
Ich hörte, wie mir jemand folgte.
»Lasst mich in Ruhe!«, kreischte ich völlig außer mir und zwang meine Füße immer schneller zu rennen.
»Aruna!«, rief Ylva.
Sie weinte.
»Verräter«, hauchte ich und dann zog ich davon.
Ich wusste nicht, woher ich auf einmal die Kraft nahm, doch ich hängte sie ab. Oder sie ließen mich ziehen.
Die dumme kleine Aruna würde sich ja sowieso wieder beruhigen.
Ich hasste sie. Sie alle. Ja. In diesem Moment hasste ich mein Rudel. Meine Familie.
Mich kümmerte es nicht, dass die Äste der Bäume gegen meine Arme krachten, die blutigen Kratzer waren mir so scheiß egal. Sie würden heilen.
In dem Moment wollte ich nichts anderes tun, als einfach zu schreien.
Wie damals, als ich blind geworden war. Doch da hatten sie noch zu mir gehalten...
Noch nie hatte ich mich so miserabel gefühlt. Nicht einmal da.
Und dann schrie ich. Ich schrie einfach aus voller Kehle, schrie den Frust, schrie die Wut, schrie den Schmerz hinaus.
Vielleicht hörten sie mich. Vielleicht nicht. Es war mir egal.
Irgendwie wollte ich einfach diesen verdammten Schmerz loswerden. Den Verrat...
Sie hatten einfach alle so dagestanden. Hatten nichts gesagt. Niemand war mir zur Seite gesprungen. Niemand da gewesen. Ich war alleine.
Und diese Erkenntnis brach mir das Genick.
Ich war Aruna, die Rote. Aruna, die Missgeburt. Aruna, die nirgendwo dazu gehörte. Aruna, die vollkommen alleine war.
Die Rocks kamen immer näher, ich war mir sicher, dass ich alle Tiere im Umkreis von zehn Kilometern vertrieb, so laut wie ich war, doch das war mir so egal. So scheiß egal.
Ich wollte einfach, dass der Schmerz ein Ventil fand, wollte, dass diese verdammte Schwere in meiner Brust verschwand, wollte, dass die Tränen endlich versiegten.
Doch nichts geschah. Ich war gefangen in meinem eigenen Schmerz.
Und als ich dann auf einem kleinen Vorsprung der Falls Rocks zusammenbrach, spürte ich zum ersten Mal, wie erdrückend die Stille sein konnte. Wie laut.
Keuchend lag ich da, konnte mich einfach nicht beruhigen, klammerte mich an meinem eigenen Körper fest und trieb doch in meinem Schmerz davon.
Ohne Aussicht auf Flucht.
Ich stammelte irgendetwas vor mich hin, verstand selbst nicht was, wog mich vor und zurück, wie ein kleines Kind und doch half es nichts.
Die Stille war da, der Schmerz war da, der Verrat steckte tief in meinen Knochen.
Ich wollte die Augen zusammenpressen, einfach alles vergessen, doch sobald ich das tat, erschienen da ihre Gesichter vor mir.
Wie einfach niemand etwas getan hatte. Etwas gesagt hatte. Nicht einmal Ylva und Fenris.
Nicht einmal die.
Und dann schaffte ich es nicht einmal mehr, mich vernünftig zu bewegen. Die gesamte Kraft schien aus mir gesaugt zu werden.
Zusammengekrümmt blieb ich sitzen, schluchzte stumm vor mich hin, während die Minuten verstrichen.
In dem Moment hätte ich alles darum gegeben, einen von Bens Vorträgen zu hören, ihn einfach hier bei mir zu haben. Zu wissen, dass wenigstens eine Person da war.
Ich zuckte kaum zusammen, als ich Schritte hörte, die sich langsam den Weg zu meinem Vorsprung hinauf bahnten.
Ich erkannte ihn sofort. Natürlich tat ich das.
Doch in diesem Moment war ich vieles, aber ganz bestimmt nicht zurechnungsfähig.
Mir war es so scheiß egal...
Sollte er mich doch umlegen... In dem Moment wollte ich einfach, dass dieser verdammte Schmerz, der in meinem inneren wie ein loderndes Feuer tobte, aufhörte.
Und dann war er da, stand vielleicht einen Meter von mir weg.
Ich bemühte mich nicht einmal, meine Tränen zu unterdrücken. Es würde ja doch nichts bringen. Er hatte es eh längst gehört.
»Heulst du etwa?«
Ohne, dass ich es verhindern konnte, durchzuckte mich bei seinen Worten ein weiterer, markerschütternder Schluchzer.
»Kannst du nicht einfach verschwinden, Ven?!«
Meine Stimme klang schwach. Zittrig. Verletzt.
In einer anderen Situation hätte ich mich vermutlich dafür gehasst. Doch nicht so jetzt. Ich hatte einfach nicht mehr die Kraft dazu.
Und dann ließ sich Alec plötzlich an dem Felsen hinter mir hinab gleiten.
Er ging nicht.
Die Schluchzer schüttelten mich immer noch, doch ich sah langsam auf. Was tat er hier?
Da saß er mit nachdenklichem Gesichtsausdruck und beobachtete mich. Ich war mir sicher, dass ich schrecklich aussah, mit verquollenen Augen und wirrem Haar.
Doch aus irgendeinem Grund schien ihm das vollkommen egal zu sein. Er rührte sich kein Stück von seinem Platz weg.
»Was willst du?!«, fauchte ich ihn an.
»Warum verschwindest du nicht einfach und lässt mich alleine?! Du hasst mich doch sowieso.«
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme verzweifelt klang und ich wusste selber, wie erbärmlich ich aussah.
Und dann zuckte Alec plötzlich mit den Schultern.
»Möchtest du denn alleine sein?«
Seine Stimme klang nicht freundlich. Doch auch nicht abweisend. Er schien vollkommen neutral.
Und ohne, dass ich es verhindern konnte, tat ich es einfach.
Mein Körper handelte wie von alleine, als wolle er sich wenigstens irgendwo festhalten. Zumindest in diesem Moment. In diesem Moment schien alles egal zu sein.
Ich wusste, dass er ein Ven war, ich wusste, dass es Alec war, doch irgendwie dann auch nicht. Das einzige, was in meinem Kopf umherschwirrte, war der Gedanke, dass er Irgendjemand war.
Also schüttelte ich den Kopf.
»Nein«, hauchte ich.
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