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Es fühlte sich an, als würde ich mich aus den Tiefen eines düsteren Sees hinaufstoßen, mich vom sandigen Boden abstoßen, um dann durch das eisig kalte Wasser zu gleiten, in der Hoffnung, es rechtzeitig an die Oberfläche zu schaffen, die hell über mir glänzte, während unter mir die absolute Dunkelheit herrschte.

Mein Atem wurde immer knapper, das Wasser schien mich hinabziehen zu wollen, fühlte sich so unendlich schwer an, doch trotzdem gab ich nicht auf, trotzdem machte ich weiter und weiter kräftige Züge, auch wenn das Licht so unendlich weit weg sein zu schien.

Wie ich mich gefühlt hätte, hätte ich schon zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass ich in eben jenem Moment einen Kampf mit dem Tod führte? Dass ich den Kampf einmal bereits verloren hatte, mich nun allerdings mit all meiner Willensstärke wieder hinauf hievte?

Ich wusste es nicht. Vielleicht war es gut, dass ich nicht wusste, dass die Dunkelheit unter mir den Tod bedeutete.

Vielleicht wäre ich sonst so sehr in Panik geraten, dass ich vergessen hätte, wie man schwimmt.

Und dann hörte ich es plötzlich. Eine Stimme.

Ich runzelte die Stirn, während ich mich immer weiter hinauf kämpfte. Die Stimme war leise, wurde allerdings mit jedem meiner Züge lauter und ich war mir ziemlich sicher, dass sie zitterte.

Weinte da etwa jemand? Sprach die Person mit mir? Ich konnte die Stimme nicht einordnen und trotzdem schien sie irgendwie bekannt.

Sollte ich sie kennen? Ich wusste nicht.

Doch trotzdem versetzte mir ihre Trauer auf seltsame Weise ein Stich im Herzen.

Konzentrier dich Aruna! Du musst nach oben!

Meine Luft wurde immer knapper und knapper, ich presste meine Augen zusammen, das Wasser schien schwerer und schwerer zu werden, die Oberfläche kam näher, die Stimme wurde lauter und nun konnte ich klar und deutlich hören, wie sie mir immer und immer wieder flehende Worte zuflüsterte.

Ich musste auftauchen!

Ich musste dieser Person zeigen, dass es mir gut ging, das wusste ich einfach!

Also machte ich einen weiteren, starken Zug, konzentrierte mich bloß auf die Stimme, die mich geradezu hinaufzuziehen schien.

Und dann war es fast so, als wäre da eine sanfte Berührung an meiner Stirn. Eine warme Hand, die mir ein paar schweißnasse Strähnen von der fiebrigen Stirn strich.

Ich erschauderte unter dieser Berührung und war gleichzeitig doch noch unter Wasser, während ich meinen Körper im echten Leben allerdings langsam immer weiter spüren konnte.

Nur noch ein paar Meter.

Die Stimme wurde lauter und lauter, meine Züge kräftiger, bald hatte ich es geschafft!

Doch gerade, als ich meinen letzten Zug nehmen wollte, packte mich plötzlich etwas an meinem Bein.

Ich keuchte erschrocken auf, mein Herz machte meinen entsetzten Sprung und mein Blick glitt ruckartig nach unten.

Die Dunkelheit war mit hinauf gerückt und es war so, als würde sie allein an meinem Bein ziehen, mich hinabziehen wollen.

Entsetzt gurgelte ich auf, schluckte Wasser und zappelte wie wild mit meinen Armen, um hinauf zu kommen, doch wurde langsam wieder vollkommen gnadenlos hinunter gezogen.

Nein! Nein! Ich musste es schaffen!

Meine Augen weiteten sich entsetzt, ich schrie verzweifelt um Hilfe und doch war es niemandem möglich, mich auch nur ansatzweise zu hören.

Das Licht entfernte sich langsam wieder, ich schluckte immer mehr Wasser, welches meine Lungen flutete und mir jeglichen Atem nahm, schlug verzweifelt um mich, schlug nach der Dunkelheit, die sich nun wieder mehr und mehr um mich herum ausbreitete und spürte plötzlich, wie sich dieser unterschwellige Schmerz in meinem Herz ausbreitete und mich langsam immer benommener Machte.

Was geschah denn hier?

Mir wurde ganz schwindelig...

Meine Finger wurden Taub und ganz langsam, Stück für Stück gab ich meine Gegenwehr auf.

Nur kurz, dachte ich. Ich will nur kurz meine Augen schließen... Mich nur ganz kurz ausruhen...

Und langsam wurden meine Lider schwerer und schwerer, langsam sank mein Kopf weiter und weiter hinab und dann...

»Aruna!«

Erschrocken zuckte ich zusammen, als sich dieser unendlich verzweifelte, unendlich schmerzerfüllte Schrei erreichte.

Ich hörte, wie jemand schrie, weiter und weiter, meinen Namen rief, mich anflehte, da zu bleiben, tobte.

»Aruna! NEIN! Bitte! Bleib bei mir!«

Die Person hörte nicht auf zu flehen und zu schreien und auf einmal bekam ich wieder Gefühl in meinen Fingern.

Ich blinzelte heftig.

Alec!

Oh mein Gott, Alec! Ich musst zu ihm! Er hatte Angst! Vielleicht träumte er wieder schlecht?!

Ich musste ihm helfen! Jetzt konnte ich mich nicht ausruhen! Nicht, wenn er so voller Verzweiflung klang!

Also riss ich mich los, diesmal endgültig, riss meine Augen auf und es schien, als würde das Leben in all meine Glieder zurückkehren.

Auf einmal fühlte ich mich überhaupt nicht mehr taub, fühlte mich hellwach und dann tat ich einen einzigen, einen letzten, kräftigen Zug, stärker als all jene zuvor.

Mit einem erschöpften Keuchen durchbrach ich die Wasseroberfläche und riss im nächsten Moment schweratmend die Augen auf, spürte diese unendliche schwere in meiner Brust, als wäre sie immernoch vollkommen mit Wasser gefüllt.

Keuchend schoss ich in die Höhe, sah mich hektisch um, um diese Situation zu verstehen und war doch noch so benommen, dass ich nichts sehen konnte. Und dann, ohne Vorwarnung, wurde ich plötzlich an einen warmen, bebenden Körper gedrückt, zwei bekannte Arme schlossen sich um mich und ich hörte, wie er etwas stammelte, während er mit der einen Hand meinen Rücken hinauf fuhr, über meinen Hinterkopf strich und meinen Kopf dann zitternd gegen seine Brust drückte, in der ich sein Herz so schnell schlagen hören konnte, dass ich Angst hatte, es würde gleich versagen.

Ziemlich benommen blinzelte ich, während mich sein bekannter Geruch umgab und er weiter und weiter irgendetwas murmelte, mir über den Rücken strich und somit kleine Schauer über eben jenen jagte.

»A-Alec?«, fragte ich verwirrt und war selber überrascht, wie brüchig und leise und krächzig meine Stimme klang.

Langsam schien alles um mich herum klarer und klarer zu werden.

Ich saß auf einem Bett, Alec an meiner Seite, der mich vollkommen aufgelöst an sich drückte, als hätte er Angst, ich würde einfach wieder verschwinden.

Der Ven schien ziemlich neben sich zu stehen, denn er schüttelte einfach zittrig mit dem Kopf und dachte nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde daran, mich loszulassen.

Dann räusperte sich plötzlich jemand hinter uns, als ich meine Hände irgendwie unbeholfen auf seinen Rücken legte, um ihn wenigstens etwas zu beruhigen.

Überrascht sah ich auf und auch Alec löste sich eher widerwillig, rückte allerdings kein Stück von mir ab.

Ich blinzelte immer noch etwas benommen und da fiel mein Blick auf Mysti, die neben einer dunklen Holztür an der Wand lehnte und uns stirnrunzelnd betrachtete.

Wegen des dumpfen Schmerzes, der meinen Kopf seit meines Erwachens erfüllte verzog ich mein Gesicht und rieb mir die Schläfe.

Was war überhaupt passiert? Irgendwie konnte ich mich an nichts anderes als das ermüdende Gefühl, durch das schwere Wasser zu gleiten, erinnern.

Benommen sah ich mich in dem kleinen Raum um, in dem wir uns nun befanden.

Einfache Holzdielen, en schmales Bett, in dem ich saß, doch die Decke war erstaunlich hoch und gemeinsam mit den hellen Wänden ließ sie den Raum wohl um einiges Größer wirken.

Ein blaues Sofa stand an einer der Wände und ließ den Raum gemeinsam mit dem Bett, dem dunklen Kleiderschrank und dem schmalen Schreibtisch fast überfüllt erscheinen.

Verwirrt rieb ich mir über die Augen, während Alec wohl erst einmal versuchte, sich zu beruhigen.

»Wie geht es dir?«, ertönte dann plötzlich Mystis Stimme, die mich aufmerksam beobachtete, jede Bewegung die ich tat, jede Bewegung die Alec tat.

Wie es mir ging? Keine Ahnung...

Ich fühlte mich müde und ausgelaugt und hatte das Gefühl, das etwas Schrekliches passiert war.

Doch einordnen konnte ich dieses Gefühl nicht, konnte es keinem Ereignis zuordnen.

Also ignorierte ich Mystis Frage geflissentlich, richtete mich noch etwas mehr auf, damit ich nicht gleich einfach wieder nach hinten kippen würde und war für einen Moment wirklich versucht, mich gegen Alecs Schulter zu lehnen, einfach, weil ich mich so fürchterlich ausgelaugt und müde fühlte.

Im letzten Moment besann ich mich allerdings eines besseren und konzentrierte mich stattdessen wieder auf Mysti.

»Was ist passiert?«

»Was weißt du noch?«

Ich spürte Alecs eindringlichen Blick auf mir und auch Mysti wirkte unheimlich forschend.

Okay. Es musste also unheimlich wichtig sein.

Angestrengt runzelte ich meine Stirn und langsam, Stück für Stück löste sich der Nebel in meinem Kopf.

»Wir...«, setzte ich nachdenklich an und vermutlich viel zu leise.

»Wir wollten Informationen haben... Über Ihn... Wir sind hergekommen und dann...«

Ich stockte und als mich die Erkenntnis traf, setzte mein Herz für einen Moment aus. Mit großen Augen sah ich auf, wandt meinen Blick zu Alec, der mit eiserner Miene da saß und gegen die helle Wand starrte.

Er wusste es. Alles.

Ich hatte es ihm gesagt.

Er wusste, dass Aleyna meinetwegen gestorben war, er wusste, was unser gemeinsames Schicksal sein sollte und er wusste, wie es um sein Leben stand, wenn er weiterhin bei mir blieb.

Ich musste schwer schlucken und auf einmal fühlte ich mich seltsam schwer. Er wusste es. Und ich konnte mich noch ganz genau an seinen abwehrenden, enttäuschten Gesichtsausdruck erinnern.

Der Ven schloss seine Augen eine Sekunde länger als normal und als er sie wieder öffnete, blickte er mich geradewegs an.

Doch dieses Mal blitzte weder die Enttäuschung, noch die Abwehr in seinen Augen auf. Es war ein fast... trauriges Lächeln.

»Was weißt du noch?«

Seine Stimme war so leise, dass ich sie fast nicht verstanden hätte, hörte sich unendlich erschöpft an.

Die Furchen auf meiner Stirn wurden tiefer und tiefer, dann schüttelte ich den Kopf.

»Ich... ich weiß nicht... es ist alles verschwommen...«

Ich erinnerte mich an den Sturm, der um uns herum getobt hatte, erinnerte mich daran, wie wir in die Knie gesunken waren, aber weiter...

»Du hast es gerade noch rechtzeitig in Ordnung gebracht«, ertönte dann plötzlich wieder Mystis Stimme und erst jetzt realisierte ich, wie ausgelaugt auch sie schien.

Ihre helle Haut war zwar immer noch fast makellos und trotzdem konnte ich diese leichten, lilanen Schatten unter ihren Augen erkennen.

Und da hörte ich sie plötzlich wieder, auch wenn Mystis Lippen fest aufeinander gepresst waren.

Die Schreie. Ihre Schreie voller Pein und Flehen.

Beinahe zuckte ich zusammen und musste heftig blinzeln, ein unheimliches Gefühl der Schuld machte sich in mir breit. Ich hatte alles vermasselt...

Nur, weil ich nicht den Mut gehabt hatte, ehrlich zu sein...

Mut? Nein. Ich hatte Alec schützen wollen.

Ich schluckte schwer und warf Alec einen hastigen Seitenblick zu, er allerdings musterte Mysti, beinahe besorgt. Und bei dem erneuten lautwerden ihrer Stimme zuckte ich wieder zusammen.

»Der Zauber hat noch funktioniert und ich konnte eure Erinnerungen gegen Informationen austauschen.«

Erinnerungen...

Mein Herz machte einen kleinen Aussetzer, als plötzlich das Bild des Kusses in mir auftauchte, wie ich dagegen angekämpft hatte, wie ich mit aller Macht versucht hatte, eine andere Erinnerung hinauf zu beschwören.

Und es war mir gelungen. Doch diese andere Erinnerung hatte ich nun für immer verloren. Ein kleiner Stich durchzuckte mein Herz, als würde sie genau an dieser Stelle fehlen, obgleich ich nun wusste, was fehlte oder nicht.

Und dann musste ich schlucken, mein Herz fühlte sich plötzlich unglaublich schwer an. Und Alec? Wusste Alec... ich meine... erinnerte er sich noch an diese eine Nacht im Motel?

Wieder warf ich einen schnellen Blick in seine Richtung, doch er schien über etwas vollkommen anderes nachzudenken, stierte einfach ohne ein Wort zu sagen vor sich her.

»Weißt du, welche Erinnerungen wir verloren haben? Oder hast du sie auch vergessen, weil du sie gegen Informationen eingetauscht hast?«

Müsste ich mir selber zuhören, hätte ich mich vermutlich erst einmal kräftig geschüttelt, weil ich so leise sprach, dass es quasi an ein Ding der Unmöglichkeit grenzte, dass Mysti mich überhaupt verstanden hatte.

Ich wusste nicht einmal, warum ich fragte. Im Endeffekt würde es immerhin sowieso keine Rolle spielen, denn das sie uns die Erinnerung einfach erzählen würde, war doch sehr unwahrscheinlich.

Vielleicht galt das dann als irgendein Betrug gegenüber des Zaubers und Mysti würde in dem Fall sofort tot umfallen oder so...

Doch plötzlich wirkte auch Alec auffällig interessiert, auch wenn er es gut zu verstecken versuchte, indem er die junge Frau einfach aus dem Augenwinkel beobachete.

Und auf einmal stahl sich ein kleines Lächeln auf ihre dunkelroten Lippen.

»Ja«, erwiderte sie und ihre Augen blinzelten mich sanft an.

»Ich weiß, welche Erinnerung ihr verloren habt.«

Und das war der Moment, in dem Alec fast hoffnungsvoll den Blick hob. Doch Mysti zerstörte diese Hoffnungen fast augenblicklich mit einer einzigen, klitzekleinen Geste.

Sie hob ihre linke Braue, die ihm Gegensatz zu ihrem fast weißen Haar ziemlich dunkel war und bedachte ihren alten Freund mit einem Blick, der mehr als tausend Worte sagte.

Seufzend senkte Alec seinen Blick wieder, doch ich wurde langsam unruhig. Da war noch etwas anderes...

Etwas wichtiges...

Etwas, was mir schon jetzt Angst machte, obwohl ich nicht drauf kam, was es war...

Mein Kopf war hinauf gerissen worden, ich hatte die Erinnerung verloren und dann...?

»Da ist noch etwas...«, hauchte ich nachdenklich, während ich auf meine Hände hinab starrte und mich angestrengt zu erinnern versuchte.

Doch es war wie eine Blockade in mir, die alleine so unendlich unüberwindbar schien. Kopfschüttelnd sah ich auf und blickte Mysti fragend an.

»Was ist danach pasiert?«

Doch es war nicht Mysti, die antwortete.

»Mysti hat den Namen einer Stadt gesehen, keine halbe Stunde von hier. Und als sie ihn ausgesprochen hat...«

Seine Stimme stockte, ein fast keuchendes Geräusch verließ seine Lippen, doch es war, als hätte er mir die Starthilfe gegeben, die ich brauchte.

Und langsam löste sich auch dieser Nebel.

»Du bist einfach zur Seite gekippt«, hauchte der Ven und schüttelte beinahe fassungslos den Kopf.

»Du... du hast einfach aufgehört zu atmen... und.... und dein ganzer Körper hat gezuckt... du hast einfach nicht geatmet... Die ganze Nacht lang und... und...«

Seine Stimme brach und ein kalter Schauer überkam mich bei dem, was er mir da gerade offenbarte.

Nicht geatmet? Aber... aber warum?

Und dann hob Alec plötzlich den Blick. Seine stahlgrauen Augen trafen mich. Und ich konnte sehen, wie sie glänzten, konnte sehen, wie sein Kiefer zuckte, während er so voller Angst wirkte, wie ich es selten gesehen hatte.

»Du warst tot«, hauchte er dann plötzlich.

»Drei verdammte, schreckliche Minuten lang warst du tot. Du hast gekämpft, dann hat dein Herz wieder geschlagen und dann wurde es wieder langsamer. Beinahe wärst du wirklich... Und ich dachte, ich hätte dich für immer verloren...«

Tot?

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sich mein Mund geöffnet hatte, während mich ein kalter Schauer des Entsetzens packte und Alec fast keuchend auf den Boden hinab sah, heftig blinzelte.

Tot? Wirklich tot? Ich?

Und da traf es mich. In diesem Moment, je weiter ich über dieses eine Wort nachdachte.

Tot.

Und es kehrte zurück. Alles. Mit einem Schlag.

Ich keuchte auf, ächzte, als hätte ich einen heftigen Schlag in die Magengrube abbekommen und riss dann meine Augen auf, während mich die Bilder durchzuckten.

Der Wald. Der See. Aleyna. Die Lagerhalle.

Ich keuchte auf.

Eza und Cole und meine Geschwister.

Nein!

Und diese Stimme.

Diese unglaublich grausame Stimme, dieses Lachen...

Nein!

Und ohne, dass ich es steuerte, sprang ich einfach auf, stieß dabei mit meinem Ellbogen gegen Alecs Rippen, welcher erschrocken aufkeuchte.

Doch dafür hatte ich keine Zeit.

Gehetzt wirbelte ich zu Alec herum, dieses Lachen ließ mich einfach nicht los, wurde lauter und lauter und lauter und quälte mich, als würde es mich hetzten wollen, genau zu diesem Ort.

Wir mussten da hin! Wir mussten sie retten!

Erschrocken blickte Alec mich an und rieb sich die Rippen, doch darauf achtete ich gar nicht.

»Wir müssen los!«, keuchte ich vollkommen außer mir, während Mysti mir mit einem erschrockenen Geräusch auswich, als ich nach hinten taumelte und gegen die Wand stolperte.

»Aruna...«, versuchte Alec beruhigend anzusetzen, doch ich schüttelte einfach hektisch mit dem Kopf und stolperte dann nach vorne, um seinen Arm zu packen und ihn hinauf zu ziehen.

»Du verstehst das nicht!«, keuchte ich vollkommen aufgelöst und schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf, während mein Herz schneller und schneller schlug, dieses Lachen ließ mich einfach nicht los und dann waren da diese Bilder...Blut... überall Blut.

Nein!

Es war noch nicht zu spät! Ganz bestimmt nicht! Aleyna hatte mir mit Sicherheit nur zeigen wollen, dass ich mich beeilen musste!

»Du verstehst das nicht«, keuchte ich immer wieder und wollte den Ven zur Tür ziehen, während Mysti mich überrascht beobachtete, doch da stemmte Alec plötzlich die Füße gegen den Boden und packte mit solch einer Plötzlichkeit meine Handgelenke und wirbelte mich zu sich herum, dass ich aufkeuchte und gegen in knallte.

Doch davon ließ er sich gar nicht beirren. Mit vollkommen ernstem Blick, zwang er mich, ihn anzusehen.

»Was ist los?«, fragte er drängend und ich konnte sehen, wie sich die Sorge hinter seinen Augen verbarg.

Meine Lippen fingen an zu beben, während mein Atem nur stoßweise ging und mein Herz raste als wäre ich einen Marathon gelaufen.

»Er hat sie... Alec er hat sie... Eza und Cole und meine Geschwister... Er hat sie... es muss in irgendeiner Lagerhalle in Sherrills Ford sein... ich weiß, dass es da sein muss! Ich weiß es einfach!«

Und da erschlaffte einfach alles in mir. Wimmernd sackte ich zusammen, meine Knie gaben einfach nach und im letzten Moment schlang Alec seine Arme um mich, damit ich nicht fiel.

Schluchzend vergrub ich meinen Kopf in seiner Brust und schüttelte ihn immer und immer wieder.

»Bitte Alec... bitte... Wir müssen gehen! Bitte... Sie brauchen uns... bitte...«

Er musste das doch verstehen! Bitte... wir mussten da doch hin...

Ich spürte, wie sich der Körper des Ven unter meinen Schluchzern vollkommen verkrampfte, doch dann drückte er mich plötzlich bestimmt von sich.

Mit vollkommen ernstem Gesichtsausdruck umfasste er mein Gesicht und sah mich eindringlich an.

»Zeig mir wo es ist!«

Und das waren die Worte auf die ich gewartet hatte.

Ohne zu zögern wirbelte ich einfach herum und ließ mich auch nicht von Mystis besorgter Stimme abhalten, die Alec fragte, ob das eine Gute Idee sei.

Doch diese Zweifel waren mir vollkommen egal. Wir mussten da hin!

Ich hörte noch, wie Alec der jungen Frau befohl, sie solle jemanden losschicken, wenn wir morgen früh nicht wieder hier wären und dann rauschten wir gemeinsam aus der Tür heraus.

Für einen Moment sah ich mich hektisch um, hatte überhaupt keine Orientierung, wo wir waren und war gleichzeitig so unglaublich erleichtert, dass Alec mir ohne zu zögern glaubte und all das ernst nahm.

Heftig blinzelnd sah ich den Flur hinab und wusste nicht, in welche Richtung, doch da packte Alec mein Handgelenk und zog mich ohne zu zögern nach links.

Als wäre der Teufel hinter uns her, jagten wir den Flur entlang, es blieb einfach keine Zeit, das alles hier großartig zu durchdenken, denn in diesem Moment ging es um das Leben dieser vier Leute.

»Mysti kann nicht mitkommen!«, keuchte Alec und zog mich nach rechts, während mein Herz immer schneller und schneller und schneller schlug.

»Sie kann dieses Gebäude nicht verlassen, sonst würde sie ihr wahres Gesicht zeigen. Aber sie wird Hilfe schicken, wenn uns etwas passieren sollte!«

Etwas passieren. Vielleicht. Doch das war mir in diesem Moment so unendlich egal.

Ich konzentrierte mich einfach auf meine donnernden Schritte, die von den hellen Wänden des Flures widerhallten und hatte wirklich absolut keine Ahnung, was hier los war.

»Aleyna hat es mir gezeigt«, keuchte ich und fühlte für den Bruchteil einer Sekunde so etwas wie Erleichterung, als ich die gläserne Tür am Ende des Flures entdeckte, die nach draußen in die aufkommende Morgendämmerung führte.

Und immer und immer wieder fauchte ich mich selber an, fauchte mich an, jetzt nicht wieder komplett die Nerven verlieren, so wie gerade, als meine Knie einfach nachgegeben hatten.

Das einzige, was jetzt zählte, waren die Personen, die ich liebte und die meine Hilfe brauchten.

Nicht mehr.

Keuchend krachte Alec gegen die Tür, die ächzend aufflog und als ich dann den roten Jeep mit der fehlenden Tür aus der kleinen Gasse, in der wir nun standen, heraus erblickte, machte mein Herz einen erleichterten Sprung.

Los! Komm schon! Jetzt seid ihr unterwegs! Alec glaubt dir! Er ist da! Schneller! Beeil dich!

Und ich rannte, rannte so schnell, dass ich beinahe über meine eigenen Füße stolperte, rannte mit meinem Herzen um die Wette und schaltete einfach alles andere aus, all die Sorgen und die Ängste, was mich erwarten würde, was passieren könnte, denn würde ich auch nur eine Sekunde weiter darüber nachdenken, würde mein Herz womöglich explodieren.

Es war vollkommen egal, wie überstürzt wir handelten, es war vollkommen egal, wie schnell das alles ging.

Das einzige, was zählte, war das Ziel. Und wir hatten keine Zeit.

Keuchend schwang ich mich durch die fehlende Tür in den Wagen, blinzelte heftig und atmete schwer, während mein Kopf ratterte.

Ein See... Da war ein See gewesen, an dem ich vorbei gerannt war...

Lake Normann, schoss es mir dann plötzlich in den Kopf, ohne, dass ich den Namen jemals gehört hatte.

Als würde sich in eben jenem Moment jemand anderes in meinen Kopf heften und mir den richtigen Weg weisen.

Alec schlug die Tür hinter sich zu und ließ den Motor aufheulen.

»Lake Normann«, hauchte ich dann einfach und blinzelte heftig, während Bilder des Waldes und des Sees vor meinem inneren Auge auftauchte und für eine Sekunde meinte ich, Aleynas Stimme in meinem Kopf gehört zu haben, die mich zusammenzucken ließ.

Der Nordteil des Sees. Beeil dich Aruna. Ich setze auf dich.

Und ich nahm es einfach hin. Weil sie es auch gewesen war, die mich in diesen Träumen gewarnt und mir alles erklärt hatte.

Also riss ich schwer atmend meine Augen auf.

»Nach Norden.«

Und Alec nickte, ließ ohne zu zögern den Motor aufheulen und raste los. Denn der Ven vertraute mir bedingungslos, wie mir in eben diesem Moment so schrecklich bewusst wurde.

Zitternd hielt ich mich an meinem Sitz fest, war für die ersten Minuten nicht im Stande, mich überhaupt zu bewegen, meine Finger hatten begonnen unkontrolliert zu zucken, bei jeder weiteren Sorge, die mich durchfuhr und ich versuchte sie alle angestrengt zu verdrängen, hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und mein Herz schlagen als wolle es fliegen.

Wir würden rechtzeitig kommen. Wir würde es schaffen. Und es war alles so unfassbar irreal, wie schnell der ganze Mist umgeschlagen war, wie schnell das alles passierte.

Ich presste die Lider aufeinander, bemühte mich mit aller Kraft, mich nur auf den heulenden Motor zu konzentrieren und versuchte angestrengt, diese ganze Situation vollends zu verstehen.

Wir kommen rechtzeitig.

Wir kommen rechtzeitig, verstanden?! Konzentrier dich! Du musst jetzt verdammt noch mal stark sein! Für diese Menschen!

Und als Alecs fast unheimlich ruhige Stimme ertönte, zuckte ich so sehr zusammen, dass ich für einen Moment dachte, ich würde den Halt verlieren und aus der Tür hinaus krachen.

»Du musst dich beruhigen«, wies er mich vollkommen ernst und gefasst an und blickte mir für den Bruchteil einer Sekunde eindringlich in die Augen.

Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass Huntersville um uns herum bereits verschwunden war und nun immer dichter stehenden Bäumen Platz gemacht hatte.

Ich konnte einfach nicht fassen, wie vollkommen ruhig der Ven nun da saß und wie konzentriert er auf die steinerne Straße blickte.

»Wir dürfen nicht überstürzt handeln und wenn wir an dieser Lagerhalle angekommen sind, darfst du auf keinen Fall einfach so hinein stürzen, immerhin könnte das alles genau so gut eine Falle sein.«

Mein Atem ging viel schneller als sonst und ich konnte einfach nicht fassen, wie ruhig er dort saß, während in meinem Inneren alles aufkreischte, tausende Fragen durch meinen Kopf rasten, wie zum Beispiel, woher Alec so genau wusste, wo er langfahren musste, um zur Nordseite des Sees zu kommen.

»Wie kannst du nur so ruhig bleiben?«, keuchte ich vollkommen fassungslos, das rauschende Blut in meinen Ohren machte mich ganz schwindelig.

Alecs Blick blieb weiterhin vollkommen starr auf die Straße gerichtet, während sich seine Brust langsam und ruhig hob und senkte.

»Ven sind Krieger«, antwortete er schließlich so leise, dass ich es beinahe nicht gehört hätte, doch noch bevor ich etwas erwidern konnte, nahm ich plötzlich eine Bewegung zu meiner linken wahr und im nächsten Moment spürte ich, wie Alec unsere Finger ohne eine Miene zu verziehen miteinander verflocht, mit der anderen Hand das Lenkrad weiterhin fest umklammerte und seinen starren Blick nicht von der Straße nahm, als hätte er nicht gerade einfach so meine Hand genommen.

Überrascht und irgendwie verwirrt blickte ich auf unsere Hände hinab und blinzelte etwas überfordert, während ich spürte, wie Alecs Ruhe langsam zu mir herüber schwappte, während ich spürte, wie diese fast bestärkende Geste mein Herz beinahe augenblicklich ruhiger schlagen ließ.

»Ich weiß, dass du Angst hast. Ich weiß, was du alles für sie geben würdest«, hauchte Alec dann plötzlich und es war so, als würde sein Druck auf meiner Hand nur noch mehr zunehmen, die nun gemeinsam auf meinem Bein ruhten.

Und dann sah er plötzlich von der Straße auf, zum ersten Mal seit wir in diesem Auto saßen, zeigte sich eine Regung in seinem Gesicht.

Er sah mich beinahe... besorgt an.

»Aber bitte Aruna, handle nicht überstürzt und unüberlegt... Wir werden sie gemeinsam da raus holen, okay?«

Ich schluckte schwer und wieder waren da Aleynas Worte von dieser einen verhängnisvollen Nacht.

Mit angehaltener Luft biss ich mir auf meine zitternde Wange und ein kleiner Stich durchfuhr meine Brust.

»Dann musst du mir versprechen, dass du das auch nicht tust«, erwiderte ich einfach, ohne eine vernünftige Antwort zu geben und unternahm rein gar nichts, um seine Hand von meiner zu lösen, wie ich es vielleicht hätte tun sollen.

Mit zitterndem Kiefer wandt Alec seinen Blick wieder der Straße zu und ich konnte geradezu hören, wie es in ihm ratterte.

»Du musst mir eine Sache versprechen«, hauchte ich dann und diesmal war ich es, die den Druck auf seine Hand erhöhte, meine eigenen Hand somit also nicht einfach so hängen ließ.

Tiefe Furchen bildeten sich auf der Stirn des Ven und ich konnte sehen, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpfte, als er schluckte.

»Wenn du dich an dein Verspechen hältst, nichts unüberlegtes zu tun«, erwiderte er leise und bog in einen schmaleren Weg ein, der mir langsam seltsam bekannt vorkam und mein Herz schneller schlagen ließ.

Ohne auf seine Worte einzugehen, blickte ich ihn einfach von der Seite an und kam nicht drumrum, diese gewisse Angst in meinem Inneren zu spüren, bei dem Gedanken, dass jetzt der große, letzte Schritt unserer Reise begann, die uns beide so sehr verändert hatte.

Fast zittrig senkte ich meinen Blick.

»Du lässt nicht wahr werden, was mit den anderen passiert ist«, hauchte ich dann.

»Ich brauche niemanden, der mich beschützt.«

Und Alec antwortete nicht. Mit keinem Wort.

Ein schweres Gefühl erfüllte meine Brust, doch ich schüttelte entschlossen den Kopf.

Das würde ich nicht zulassen. Dieser verdammte Ven würde seinen Arsch ganz und gar unversehrt nach Little Falls befördern!

Das war ein Versprechen.

Mit zitterndem Kiefer sah nun auch ich aus der Frontscheibe und versuchte angestrengt, diese Mauer um mich zu erbauen, die Alec so perfektioniert hatte.

Keine Sorgen. Keine Ängste. Für Lupa und Phelan. Für Eza und Cole. Und für diesen verdammten Jungen neben mir, der meine Hand immer noch hielt, beinahe, als müsste er auch sich selbst Mut machen.

Alles würde gut gehen, versuchte ich mein aufgeregtes Herz zu beruhigen.

Wir befreien sie. Und wir schaffen es alle.

Es wird alles gut gehen.

Keine Schwäche. Nicht jetzt.

Das haben dir die letzten Monate doch beigebracht, oder? Keine Schwäche.

Und deshalb verbrachten wir die nächsten, quälend langen Minuten in vollkommener Stille, auch wenn sie mich schier verrückt machte, während der See neben uns aufblitzte und uns verfolgte.

Und dann tauchte es plötzlich auf.

Mein Atem stockte und fast augenblicklich kehrte wieder diese Übelkeit zurück, die Angst, die ich verspürt hatte, als ich die Halle zum ersten Mal gesehen hatte.

Wir hatten sie tatsächlich gefunden.

Doch genau in diesem Moment durchzuckte mich ein neuer Gedanke, neben der neu aufkeimenden Angst und meinem rasenden Herzen, meinen zitternden Händen und meinem bebenden Körper.

Das ging viel zu leicht.

Mit einem dumpfen Krächzen kam der Jeep zum stehen und ich konnte die dunklen Scheiben des Gebäudes sehen, das riesige Eingangstor.

Das war doch alles so unglaublich irreal. Wie schnell das alles gegangen war, wie unendlich einfach.

Und langsam wurde ich misstrauisch, ein unwohles Gefühl machte sich in mir breit, auch wenn da immer noch diese leise Stimme in meinem Inneren war, die mir sagte, dass ich mich beeilen musste, dass ich unbedingt in diese Halle hinein gehen musste.

»Irgendetwas stimmt hier nicht«, murmelte Alec kopfschüttelnd, während auch er die Halle durch die Bäume betrachtete, die beinahe zu still da lag.

Ich blinzelte, betrachtete die Halle angespannt, die irgendwie vollkommen fehl am Platz wirkte, ganz anders als in meinem Traum.

»Und was machen wir jetzt?«, hauchte ich angespannt, hasste, dass wir trotz der Tatsache, dass wir angekommen waren, immer noch untätig im Auto saßen.

Doch noch bevor Alec etwas sagen konnte, passierte es.

Ein Moment, den ich nie wieder vergessen würde, der auch den letzten rational denkenden Teil in mir zerschmetterte wie dünnes Eis.

Ein Schrei.

So laut und gequält und hell, dass er mich vollkommen erstarren ließ.

Lupa.

Nein! Und da handelte ich einfach, ohne nachzudenken.

Ich riss mich von Alec los, der mich mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck festhalten wollte, doch darauf achtete ich nicht einmal.

»Lupa!«, rief ich voller Verzweiflung, immer und immer wieder, ihre Schmerzensschreie schienen den Wald zu erfüllen, laut und so voller Angst, dass es alles in mir entfachen ließ, ich achtete gar nicht mehr auf meine Umgebung, achtete nicht auf Alec, der aus dem Auto hechtete und mir fast verzweifelt hinterher rief, denn da waren nur die Schreie meiner kleinen Prinzessin, die mich vollkommen erfüllten und mir jeglichen Atem raubten.

Ich konnte hören, wie Alec mir mit donnernden Schritten folgte, verzweifelt zog ich meine eigenen noch etwas mehr an, er durfte mich auf keinen Fall aufhalten!

Ich musste zu ihr! Ich musste doch zu ihr!

Wieder und wieder rief ich ihren Namen, während ich durch das Gestrüpp krachte, auf den sandigen Weg, der Staub wirbelte wie schon beim letzten Mal um mich herum auf, doch das war mir so egal.

Da waren nur die verzweifelten Schreie meiner kleinen Schwester, die Bilder von ihrer leblosen Gestalt, wie ihre Kehle aufgeschlitzt worden war, all diese blutigen Striemen auf dem Körper dieses sechsjährigen Engels.

Nein! Nein! Das würde ich nicht zulassen.

»Lupa!«

Ich spürte, wie Tränen der Verzweiflung meine Wangen hinab rannen, hörte Alecs immer lauter werdende Schritte hinter mir, bald hatte er mich eingeholt.

Nein!

Alecs Schritte hinter mir, Lupas Schreie vor mir, das alles umhüllte mich wie ein einziger Sturm aus Angst, ich keuchte, mein Atem ging schneller und schneller, Lupa flehte und wimmerte, ich rief nach ihr, hielt das nicht aus, die Bilder lähmten mich, ich keuchte.

Los! Schneller! Schneller! Sie braucht dich! Los! Komm schon!

Meine Schritte wurden schneller und schneller, das Tor ragte vor mir auf wie eine unheilverkündende Bestie, nur noch ein paar Schritte, die Angst jagte mich, Lupa hörte einfach nicht auf zu schreien, so laut so unendlich laut, noch ein Stück, gleich war ich bei ihr, los, los los!

Aleynas Stimme in mir feuerte mich an, schrie mich an, dass ich unbedingt in diese Halle musste, ließ meine Füße fliegen und fliegen und fliegen.

Noch ein Stück! Gleich hatte ich es geschafft!

Doch genau in dem Moment, in dem ich meine Hände ausstrecken wollte, um das Tor aufzustoßen, wurde ich plötzlich an den Hüften gepackt, ich schrie auf, Alec riss mich mit voller Kraft nach hinten, ächzend landeten wir auf dem Boden, in letzter Sekunde fing der Ven meinen harten Fall mit seinen eigenem Körper ab, doch ich war so außer Sinnen, dass ich mich knurrend wehrte, um mich schlug, nach ihm trat und ihn anschrie, während er versuchte, beruhigend auf mich einzureden, mich erbarmungslos festhielte.

Wir rollten über den sandigen Boden, der Staub um uns herum wirbelte auf, Lupa schrie weiter und weiter, ich brüllte Alec an, brüllte und flehte, erwischte ihm mit meiner Hand im Gesicht, doch er machte erbarmungslos weiter, packte meine Handgelenke, rief meinen Namen, ich sah nichts, hörte nur Lupas Schreien, trat um mich, doch Alec fixierte meine Hände einfach über meinem Kopf und noch ehe ich mich aus diesem Klammergriff entwinden konnte, setzte sich der Ven einfach schwer atmend mit seinem gesamten Gewicht auf meinen Bauch und ließ mir keine Chance auf Flucht.

»Wieso tust du das?«, wimmerte ich, während ich meinen Kopf immer noch hin und her wandt, als könnte ich so auch nur irgendetwas erreichen.

Ich wollte meine Beine heben, wollte Alec, der mir mit seinem Gewicht jegliche Luft raubte, von mir stoßen, doch er blieb einfach sitzen, atmete schwer und blickte fast verzweifelt auf mich hinab, während ihm das schwarze Haar ins Gesicht fiel und er sich weit vorbeugen musste, damit er meine Hände festhalten konnte.

»Hör mir zu!«, keuchte er, während ich unter ihm zappelte und mit aller Macht versuchte, irgendetwas zu erreichen.

Und Lupa schrie einfach weiter und weiter.

Nein! Nein! Bitte!

»Das könnte eine Falle sein, verstehst du das denn nicht Aruna?!«, ächzte der Ven und sah fast gequält auf mich herab, während mir Tränen der Frustration und der Angst und der Wut die Wange hinab liefen.

»Bitte«, flehte ich und schüttelte vollkommen neben mir mit dem Kopf, sah ihn an und ertrug Lupas Schreien nicht.

Ich bäumte mich unter ihm auf, doch er stemmte die Knie einfach fest in den Boden, kämpfte für einen Moment mit meinen sich windenden Händen.

»Wir können da jetzt nicht einfach so reinplatzen! Wenn es eine Falle ist, dann helfen wir ihr so nur noch weniger!«, versuchte er mich weiter und weiter zu Vernunft zu bringen, während ich mich wandt und wehrte und mir schwor, dass ich ihm das hier niemals verzeihen würde.

Hörte er das denn nicht?! Hörte er nicht hin?! Hörte er nicht, wie dieses Mädchen, in dessen Adern das gleiche Blut floss, wie in meinen, Höllenqualen litt?!

»Lass mich los!«, flehte ich und wandt meinen Kopf hin und her, konnte ihn nicht ansehen.

Und in diesem Moment hasste ich ihn. Hasste ihn mit allem was ich hatte.

Ich zuckte zusammen, als er meine Handgelenke plötzlich nur noch mit einer Hand umfasste und seine andere bestimmt gegen meine Wange legte, mir die nassen Locken aus dem Gesicht strich.

»Hör mir zu Aruna«, hauchte er und hielt sein gesamtes Körpergewicht nur noch mit seinen Knien, während er mich eindringlich ansah. Vollkommen aufgelöst blinzelte ich zu ihm auf, während mein Herz langsam weiter und weiter und weiter starb.

»Wir müssen einen anderen Weg finden... wir müssen...«

Doch genau in diesem Moment geschah es. Genau in diesem Moment schrie Lupa lauter und gequälter und hoffnungsloser auf, als jemals zuvor.

Sie schrie nach unseren Eltern, schrie nach Lumina, nach Ten, voller Angst und Qualen und unendlichen Schmerzen.

Und sie schrie nach mir. Immer lauter, immer weiter.

Mein Name aus ihrer geschudenen kehle hallte immer und immer wieder in meinem Kopf wieder.

Und das war der Moment, in dem selbst Alec mich nicht mehr aufhalten konnte.

Mit einem wilden aufknurren riss ich meine linke Hand von seiner Umklammerung fort, riss dann meinen Ellbogen hoch und traf ihm voll am Kinn, sodass sich seine Augen nach oben verdrehten und er ächzend von mir herab fiel, dumpf auf dem sandigen Boden aufkam und benommen liegen blieb, obgleich er noch versuchte, meine Hand zu packen.

Doch ich war schneller.

Ich sprang auf und ein Stich durchfuhr mein Herz, bei dem Gedanken, was ich gerade getan hatte.

Mit bebenden Lippen warf ich einen letzten Blick auf Alec, dessen Augen sich flatternd wieder öffneten, doch dann wirbelte ich einfach herum, auch wenn mein Herz in eben jenem Moment entzwei brach.

Lupa schrie.

Und da rannte ich, stolperte, konnte im letzten Moment einen Sturz verhindern, mein Atem ging stoßweise, mein Knöchel schmerzte, weil ich umgeknickt war, genau wie meine Rippen, die bei dem Gerangel mit Alec einiges abbekommen hatten, ich schaffte es nicht einmal mehr zu humpeln, ignorierte den Schmerz einfach, das rauschende Blut in meinen Ohren feuerte mich an, ich hörte, wie Alec verzweifelt und mit brüchiger Stimme meinen Namen keuchte, doch da kam ich bei der Tür an.

Und ich warf mich ohne zu zögern gegen sie, achtete nicht auf Alecs verzweifelten Ruf und dann geschah es.

Mit voller Wucht krachte ich durch die Tür, doch kaum hatte ich die Grenze übertreten, die mich in die Halle hätte führen müssen, verschwamm plötzlich alles, ich wurde nach vorne geschleudert, ein gleißend rotes Licht breitete sich um mich herum aus, ich wurde hin und her geschleudert, als wäre ich inmitten eines Wirbelsturmes gefangen, mein angstvoller Schrei erfüllte für einen Moment alles, ein unglaublicher Schmerz durchzuckte meinen Körper, ich riss meinen Kopf in die Höhe und dann wurde ich plötzlich mit voller Wucht in einen steinernen, düsteren Gang geschleudert, der einen kalten Schauer meinen Rücken hinab laufen ließ, mir jegliche Luft raubte.

Ich wollte mich hektisch umsehen, nach Lupa rufen, nach Alec, begriff nicht, was da gerade geschehen war, wie schnell das alles geschehn war, doch bevor ich meinen Kopf auch nur irgendwie zur Seite bewegen konnte, ertönte plötzlich dieses grausame Knurren, dass ich zu oft hatte hören müssen.

Nein!

Ich wollte panisch herumwirbeln, sah die dunkle Gestalt, diesen schrecklichen Schatten, gerade noch aus dem Augenwinkel, doch im nächsten Moment wurde ich von den Beinen gerissen, knallte ächzend und mit voller Wucht auf den Boden, mein Kopf krachte gegen die Wand und bevor alles schwarz wurde spürte ich noch, wie sich etwas spitzes tief in meinen Hals bohrte und einen brennenden Schmerz durch meinen Körper jagen ließ.

Doch ich hatte nicht einmal mehr die Chance zu schreien.

Und dann blieb da nichts mehr als kalte Angst zurück, die mich gefangen nahm. Dunkelheit.

Gefangen in meiner eigenen, angstvollen Dunkelheit, vollkommen unfähig zu begreifen, was da mit dieser unglaublichen Plötzlichkeit passiert war.

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