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Das Getrampel von Füßen riss mich wohl oder übel aus meinem traumlosen Schlaf.
Ich grummelte und spürte das kalte Glas des Fensters unter meiner Wange, während sich an meiner Seite ein ziemlich schweres Gewicht breit machte.
Noch etwas schlaftrunken blinzelte ich und erblickte den roten Stoff des Sitzes vor mir. Das Getratsche von den anderen Personen in dem Bus stieg mir in die Ohren und ich blickte gähnend an meiner Seite hinab und musste augenblicklich anfangen zu lächeln, als ich Alec erblickte, wie er sich tief und fest schlummernd an mich gelehnt hatte.
Tja, dachte ich vielleicht ein wenig zu bedauernd, sowas musste jetzt wohl enden.
Zumindest in der Öffentlichkeit.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ein paar ältere Damen tratschend vorbei stolzierten und Alec und mir dabei wirklich unaufällige Blicke zuwarfen.
Ich verdrehte die Augen, doch langsam machte sich die Aufregung in mir breit.
Bald war es so weit. Eine Stunde vielleicht, dann würden wir sie alle wiedersehen.
Der Atem wollte mir wegbleiben, als ich daran dachte und ein unglaubliches Gefühl der Freude machte sich plötzlich in mir breit.
Nach all diesen Wochen... nach all diesem Grauen. Und wenn ich alleine an die süßen, unschuldigen, kleinen Gesichter meiner Geschwister dachte, könnte ich anfangen zu heulen.
Meine Mundwinkel hoben sich wie automatisch und ich holte tief Luft.
Nein, in diesem Moment überwog definitiv die Freude.
Vorsichtig versuchte ich mich etwas aufzurichten, was dem grummelnden Alec allem Anschein nach nicht wirklich gefiel, aber der hatte jetzt definitiv genug geschlafen.
»Hey«, murmelte ich und rüttelte vielleicht etwas zu unsanft an seiner Schulter, aber so war ich nun einmal.
Alecs Stirn legte sich in Falten, er grummelte irgendetwas und dann öffneten er blinzelnd seine Augen, zunächst wohl noch ein bisschen verwirrt.
»Wir sind da«, erklärte ich grinsend und deutete mit dem Kopf nach draußen auf die ziemlich leere Straße, die von Eastraven nach Little Falls führte und ganz langsam mit hauchzartem Pulverschnee bedeckt wurde.
Ja, auch hier schneite es und ich konnte mir absolut nichts besseres vorstellen.
Noch etwas schlaftrunken richtete Alec sich auf, zupfte sein Oberteil zurecht, das ihm etwas hochgerutscht war und rieb sich über die müden Augen, während sein Haar noch wirrer zu allen Seiten abstand, als sowieso schon, ihm wie immer im Gesicht hing.
»Bist du gar nicht nervös?«, murmelte der Ven müde und hob bei meinem breiten Grinsen eine Braue.
Ich zuckte bloß mit den Schultern, weil ich über meine Nervosität nicht einmal nachdenken wollte.
Ich meine, natürlich war ich nervös. Immerhin würden wir gleich zwei ziemlich verfeindeten Stämmen gegenüberstehen, die sich zufälligerweise unsere Familien nannten.
Und dann mussten wir sie auch noch davon überzeugen, ihre Jahrhundertelange Feindschaft niederzulegen. Ich meine, nichts leichter als das, oder?
»Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, deine Haare zu schneiden?«, antwortete ich daher einfach bloß, um ein anderes Thema anzuschneiden und nicht über meine Nervosität nachzudenken.
Alecs Brauen wanderten nur noch höher, während er eine ältere Dame vorbei gehen ließ und sich dann aus dem Sitz erhob, weil es vielleicht ganz schlau wäre, auch mal auszusteigen.
»Wieso sollte ich?«, erwiderte er, während ich hinter ihm in den Gang krakselte und leise fluchte, als ich mir dabei den Fuß an dem Sitz anschlug.
»Scheiß Teil«, murmelte ich und umklammerte meine kleine Tasche vielleicht ein wenig zu fest, als hätte ich Angst, jemand würde sie mir andernfalls auf der Stelle klauen.
Immerhin hing Bens Aufwachen von diesem kleinen Ding ab und ich hatte ohne Zweifel vor, meinen besten Freund heute noch in die Arme zu schließen, so wie ich alle anderen in die Arme schließen würde.
»Dann würden sie dir vielleicht nicht immer im Gesicht hängen«, meinte ich dann schulterzuckend und sprang hinter Alec die Treppen des Busses hinab.
Meine Füße kamen auf der Straße auf, auf der sich nur ein paar der letzten Fahrgäste befanden, die so wie wir am allerletzten Stopp ausgestiegen waren, darunter ungefähr 80% Senioren, die nun tratschend auf irgendeinen anderen Bus warteten, der sie weiterbringen würde, wohin auch immer.
Ich bekam nur so halb mit, dass Alec mir antwortete, doch darauf konnte ich mich in diesem Moment irgendwie nicht konzentrieren.
Der Schnee malte die Straße langsam aber sicher weiß an und ließ mich frösteln. Ich schlang die Arme um mich und drehte mich einmal um mich selbst um dieses unglaublich bekannte Bild der Bäume links und rechts von mir aufzunehmen.
Ich war bereits ein paar Mal hier gewesen. Das letzte Mal an meinem Geburtstag, als Gabe Ben und mich zur Schule gebracht hatte. Damals, als er Fenris zum ersten Mal gesehen hatte.
Ich seufzte schwer und atmete den bekannten Duft des Falls Forests ein. Gott hatte mir das gefehlt.
»Wir sind Zuhause Alec«, hauchte ich leise und blinzelte ein paar Mal heftig, weil mein dummes Ich wohl fand, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt um loszuheulen, während sich dutzende schneeweiße Flocken in meinem wirren Haar verfingen.
Mein Blick fiel auf Alec, der mit verschränkten Armen dastand, mich allerdings dennoch mit einem leichten Lächeln betrachtete.
»Ein komisches Gefühl, oder?«
Ich nickte stumm, dann wandt sich mein Körper wie automatisch in Richtung Little Falls.
»Irgendwo da stehen sie jetzt und warten auf uns«, murmelte ich und mein Herz fing vor Aufregung an, immer schneller gegen meine Brust zu schlangen, während ich mich fühlte, als würde irgendjemand in eben jener einen Luftballon aufblasen, der mir den Atem nahm.
»Wollen wir?«
Alec sah mich fragend an und ich nickte, ohne auch nur ein einziges Wort heraus zu bringen. Ich versuchte es nicht einmal, da ganz sicher nur komische Laute meinen Mund verlassen würden, die an ein sterbendes Walross erinnerten, so, wie sie immer kamen, wenn ich viel zu aufgeregt war.
Alec grinste und sah mich dann mit hochgezogenen Augenbrauen an, während wir uns in Richtung Little Falls bewegten.
»Eine ziemlich lustige Vorstellung, wenn du mich fragst«, feixte er und ich verdrehte die Augen, war in letzter Zeit vielleicht ein wenig unachtsam geworden, was meine Mauer anging, die ich nun schleunigst wieder aufstellte.
Ich atmete tief durch, damit das Walross nicht doch noch heraus kam und sah Alec dann tadelnd an.
»Nur, weil wir jetzt vielleicht zusammen sind, heißt das nicht, dass du einfach in meinem Kopf rumstöbern kannst.«
Unbekümmert zuckte Alec mit den Schultern.
»Dann denk halt leiser.«
Ich verdrehte die Augen.
»Idiot.«
Und trotz dieser Ablenkung war da nur dieser eine Gedanke, der mich quälte.
Wie würde das Treffen ablaufen?
Was, wenn die beiden Seiten sich nicht mit einem Friedensangebot zufrieden gaben? Was, wenn mein Rudel mich für das Bündnis mit einem Ven hassen würde? Was, wenn es gar eskalierte? Wenn die beiden Seiten aufeinander losgehen würden?
Bei dem Gedanken schauderte es mich und ich räusperte mich hastig, weil die Stille zwischen Alec und mir meine Gedanken nicht gerade förderte.
»Also?«
Alec sah mich fragend an.
»Also?«
»Also wie machen wir es? Ich meine, wenn wir gleich auf unsere Familien treffen?«
Meine Nervosität sah man mir nun wohl deutlich an, allein schon, weil ich anfing, mir auf der Lippe herum zu beißen, was Alec ja bekanntlich über alles hasste.
Doch angesichts der baldigen Ereignisses war er wohl gnädig gestimmt und sagte nichts dazu, blickte mich einfach möglichst beruhigend an.
»Am besten ist es, wir erzählen ihnen einfach alles, oder? Von Anfang an, bis hin zu dem Moment, in dem du den Vampir besiegt hast. Seine Erwähnung sollte sie alle noch einmal wachrütteln und darüber nachdenken lassen, wer der eigentliche Feind ist.«
Fast verzweifelt seufzte ich und raufte mir durch die Haare, während der Bus und die umstehenden Leute langsam immer weiter verschwanden.
»Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich kein Wort heraus bekommen werde und mein Walross will ich ihnen ganz bestimmt nicht vorführen.«
Während ich ehrlich vollkommen verzweifelt war, wagte es der Idiot von Ven doch tatsächlich, leise zu lachen, was mir in diesem Moment aber ehrlich gesagt auch nicht wirklich weiter half.
Und als er bemerkte, dass ich das vollkommen ernst meinte und wirklich verzweifelt war, blickte er sich kurz nach dem Bus um und legte mir dann beschwichtigend den Arm um die Schultern.
»Hey, ganz ruhig, das wird schon. Immerhin bin ich ja auch noch da und wenn sich dein Walross zeigen sollte, spring ich schon ein.«
Am Ende grinste er dämlich und ich schüttelte einfach seufzend den Kopf, auch wenn mich diese Aussage aus irgendeinem seltsamen, seltsamen Grund tatsächlich etwas beruhigte.
»Ich habe Angst«, stellte ich dann einfach nüchtern in die Stille fest.
Doch anstatt zu fragen, warum, nickte Alec einfach bloß, wofür ich ihm unglaublich dankbar war.
»Ich auch«, erwiderte er gedankenverloren.
Und wir beide wären verdammte Dummköpfe, wenn es nicht so wäre.
»Es sind so viele Wochen vergangen...«, murmelte ich kopfschüttelnd.
»Ich habe absolut keine Ahnung, wie sie auf mich reagieren werden.«
Und da schnaubte Alec plötzlich und schüttelte mit dem Kopf, schnalzte dann mit seiner Zunge.
»Deine Familie ist toll Aruna. Ich habe erlebt, wie sie sind, damals kurz nach dem Unfall mit dem Bus, als du im Krankenhaus lagst. Deine Eltern werden vor Dankbarkeit platzen, dass ihre Tochter heimgekehrt ist und Lupa und Phelan werden sich an dich klammern und dich nie wieder loslasse wollen. Aber mein Vater? Mein Vater hat mich enterbt in dem Zeitpunkt, in dem ich mit dir abgehauen bin.«
Seufzend schüttelte ich den Kopf und sah Alec eindringlich von der Seite an, doch er starrte einfach stur nach vorne.
»Dein Vater liebt dich Alec, ganz egal, was passiert ist. Ich weiß, vielleicht war er nie das, was man sich unter dem perfekten Vater vorstellt, aber wie könnte er auch, nachdem sein Ami seine Frau umgebracht hat und seine einzige Tochter getötet wurde?«
Und da, mit einem Ruck, blieb Alec plötzlich stehen, so schnell, dass ich kaum reagieren konnte, noch einen Schritt weiter ging und mich dann erst zu Alec umdrehte, der mich vollkommen ausdruckslos anstarrte.
Und die Kälte, die in seinen Augen aufglomm, versetzte mir einen Stich in die Brust.
»Glaub mir Aruna«, zischte er und ich konnte mehr als deutlich sehen, wie er darum rang, die Beherrschung nicht zu verlieren.
»Er liebt mich nicht. Er hat aufgehört, mich zu lieben in dem Moment, in dem Aleyna in meinen Armen starb. Die einzige Familie, die mir geblieben ist, sind mein Onkel und Lila. Jacob, Missy, Shell, Xav und Siren sind meine Familie, auch wenn unser Blut uns nicht zu verwandten macht. Und Mik. Mik war meine Familie. Aber mein Vater ist es ganz sicher nicht.«
Verständnislos schüttelte ich mit dem Kopf.
»Ich habe gesehen, wie er damals mit dir gesprochen hat, als ihr Mik gefunden habt. Liebe kann doch nicht einfach so verschwinden.«
Alec lachte humorlos auf und schüttelte mit dem Kopf, wich meinem Blick aus und mir gefiel ganz und gar nicht, was für eine Stimmung sich auf einmal zwischen uns ausbreitete.
»Du verstehst das nicht. Wie könntest du auch? Dein Vater hat dich immerhin dein ganzes Leben lang abgöttisch geliebt«, zischte er fast verächtlich und langsam aber sicher machte er mich wütend, so, wie er mit mir sprach, herablassend, als wäre ich dumm, nur, weil ich nicht daran glaubte, dass ein Vater sein Kind jemals wirklich vollständig aufhörte zu lieben.
Ich zog meine Brauen zusammen und funkelte Alec an, stemmte dabei meine Hände in die Hüften.
»Nagut, dann erklär es mir, aber tu nicht so, als wäre ich zu dumm oder naiv, um es zu verstehen!«
Im einen Moment noch war Alecs Gesicht gezeichnet von vollkommener Kälte, doch dann war es so, als würde er jetzt erst wieder realisieren, wer da vor ihm stand.
Beinahe erschrocken ließ er die verschränkten Arme sinken und die Kälte verschwand aus seinen Gesichtszügen.
Auf einmal wirkte er gar nicht mehr höhnisch oder herablassend. Ganz plötzlich erinnerte er mich an einen kleinen Jungen, wie er da stand, mit hängenden Schultern und fast reuevoll auf den Boden hinab blinzelte.
Und meine Wut verpuffte, als wäre sie nie da gewesen.
»Es tut mir leid... ich wollte nicht... ich hätte nicht so mit dir reden dürfen... ich...«, murmelte Alec leise, doch ich unterbrach ihn, indem ich einen Schritt auf ihn zutrat und sein Gesicht behutsam in meine Hände nahm, ihn so zwang, mich anzusehen.
Beinahe meinte ich, etwas wie Scham in seinen Augen auffunkeln zu sehen, doch ich schüttelte einfach nur mit dem Kopf und blickte warm zu ihm hinauf.
»Erklär es mir Alec. Du hast selber gesagt, dass ich es nicht verstehen kann und vielleicht kann ich das auch nicht, weil ich anders aufgewachsen bin, als du, aber ich möchte es gerne, verstehst du? Ich möchte es gerne verstehen.«
Alec schluckte schwer, rang sich dann allerdings zu einem kleinen Lächeln durch.
Er hob seine Hände, um sie für einen Moment auf meinen eigenen verweilen zu lassen, löste meine Finger dann allerdings von seinen Wangen und ließ sie gemeinsam mit seinen eigenen hinab gleiten.
Ich wollte sie gerade schon wieder an meinen Körper ziehen, doch Alec hielt sie fest, ohne weiter darauf einzugehen, genau so wenig wie ich.
Ein leichter Wind kam auf und ließ die immer dicker werdenden Flocken um uns tanzen, während wir am Rande der Straße standen und für einen Moment einfach nur schwiegen.
Dann räusperte sich Alec.
»Hast du... hast du dich nie gefragt, wie ich der Vic geworden bin? Hast du dich nie gefragt, warum Lila, die anderen und ich zusammen in einem Haus außerhalb des Clans leben, obwohl ich der Vic bin?«
Ein leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, vielmehr, um die angespannte Stimmung etwas aufzulockern, als dass ich wirklich den Drang zu lächeln hatte.
»Doch habe ich. Um genau zu sein habe ich dich Zweiteres sogar schon einmal gefragt, erinnerst du dich? Aber ich meine mich zu erinnern etwas wie verdammte Scheiße und Davis und nervigstes Mädchen der Welt als Antwort bekommen zu haben.«
Ein leichtes Lächeln huschte über Alecs Gesicht, als er an den Tag zurück dachte, an dem ich das erste Mal bei ihm gewesen war und ihn den ganzen Weg zu ihm hin mit Fragen gelöchert hatte.
»Dunkel«, erwiderte er leise, auf meine Frage, ob er sich erinnerte.
Meine Mundwinkel zuckten noch etwas hinauf, doch als ich merkte, dass das Lächeln Alecs Augen nicht erreichen konnte, seufzte ich schwer und festigte meinen Griff um seine Hände etwas, als könnte ich ihm so ein wenig Stärke spenden.
»Also?«, hauchte ich.
»Was ist passiert?«
Für einen Moment blieb Alec vollkommen still. Dann seufzte er schwer und ich sah, wie sehr er sich bemühte, um meinem Blick nicht auszuweichen.
»Damals war ich vierzehn oder fünfzehn, ich erinnere mich nicht mehr genau... Terry war damals Vic. Sie war die beste Freundin meiner Mutter und übernahm nach ihrem Tod irgendwie die Mutterrolle für Aleyna und mich...«
Seine Stimme stockte und die Woge der Trauer, die von ihm ausging schien mich vollkommen zu überwältigen, mittlerweile schaffte er es auch nicht mehr, mich anzusehen.
»Ich habe sie geliebt Aruna... Manchmal mehr als meinen eigenen Vater, das kannst du mir glauben...«
Und ich glaubte es ihm. Natürlich tat ich das.
Ich spürte geradezu, wie schwer ihm jedes einzelne Wort fiel, das ihm über die Lippen kam. Also seufzte ich schwer und schüttelte den Kopf.
»Du musst es mir nicht erzählen, wenn du noch nicht bereit dazu bist, das weißt du Alec?«
Er nickte langsam, dann seufzte er leise.
»Ich werde es dir nicht erzählen«, meinte er dann nach einer kurzen Stille leise und ich nickte verständnisvoll, auch wenn die Neugierde an mir nagte.
Und vielleicht, nur ganz vielleicht, ein ganz kleines bisschen Enttäuschung, weil er es mir nicht erzählen konnte.
»Nein, klar, das verstehe ich«, murmelte ich etwas aus dem Konzept gebracht, doch bevor ich in meinen Redefluss verfallen konnte, unterbrach mich Alec plötzlich.
Er hob den Kopf, seine Augen trafen geradewegs auf meine und zwar mit solch einer Intensität, dass es mich schauderte.
»Ich werde es dir nicht erzählen«, wiederholte er und ich wollte gerade schon verwirrt die Stirn runzeln, doch da sprach er einfach weiter.
»Ich werde es dir zeigen.«
Und noch ehe ich auch nur irgendetwas erwidern konnte, begann sich die Umgebung um mich herum zu ändernd.
Der Schnee verschwand, genau wie die Straße und langsam verschwand auch Alec, das einzige, was ich noch spüren konnte, war der Druck von seinen Händen auf meinen.
Überrascht sah ich mich um, versuchte einen Punkt zu finden, an dem sich meine Augen festhalten konnten, weil alles für einen Moment bloß aus einem Wirrwarr von Farben zu bestehen schien.
Das erste, was ich wirklich fest zuordnen konnte, war das warme Gefühl der Sonne auf meiner Haut.
Dann war da der Wind, nur eine kleine, lauwarme Sommerböe und trotzdem ließ sie mir einen Schauer den Rücken hinab gleiten.
Das Rauschen von Blättern folgte als nächstes und dann war da dieser steinige Untergrund. Und dann hörte ich es plötzlich.
Einen Ruf.
»Alec!«
Und mit einem Mal schien die Umgebung auf mich einzukrachen, der Weg, der in einen Wald zu führen schien, der Hinterhof und das riesige Haus, die Tannen.
Und Lila.
Lila, vielleicht gerade einmal sechzehn Jahre alt mit kinnlangem, tiefschwarzem Haar und ihrer violetten Strähne, die in diesem Moment wie wild im Wind hin und her peitschte, während sie geradewegs auf mich zurannte.
Und bei dem Anblick ihres panischen Gesichtes, schien mein Herz auszusetzen. Ihre grauen Augen waren weit aufgerissen, ihre Haut schien leichenblass und ihr Atem schien viel zu schnell zu gehen.
Und erst da bemerkte ich den Jungen, der neben mir stand, bemerkte, dass sie nicht auf mich zurannte, sondern auf ihn.
Eine kleinere, schmächtigere Version von dem Alec, den ich kannte, höchstens vierzehn, das Haar damals noch kürzer und nicht ganz so zerzaust.
Und die tiefschwarze zwei auf seinem Hals fehlte. Doch das war in diesem Moment vollkommen unwichtig.
Verwirrt schüttelte er den Kopf und fing Lila halb auf, als sie stolpernd bei ihm ankam.
»Was ist los?«, fragte er verwirrt und Lila schüttelte panisch den Kopf.
»Was tust du hier?!«
Alec schien immer verwirrter und sah sie vollkommen ratlos an.
»Alles klar bei dir Li? Ich wollte nur in den Wald gehen, Vater will sich mit mir auf der Lichtung treffen, um zu trainieren.«
Bei seinen Worten fingen seine stahlgrauen Augen an zu leuchten, als wäre es in letzter Zeit nicht wirklich oft vorgekommen, dass sein Vater sich Zeit für ihn genommen hatte.
Und schon jetzt schwante mir Übles.
Lila schüttelte fast panisch den Kopf.
»Und das kommt dir gar nicht komisch vor?! Wann hat er das letzte Mal mit dir gesprochen?! Ich habe ihn belauscht Al, bevor Terry mich erwischt hat. Er hat gesagt, dass es langsam Zeit für dich werde und dass er dich viel zu lange verschont hätte. Ich weiß nicht warum, aber seine Berater schienen fast entsetzt und...«
Ihre Stimme ging in einem entsetzten Schnappen nach Luft unter, doch anders als erwartet, hatte sich Alecs Miene versteinert.
Er funkelte seine Cousine wütend an, seine Hände ballten sich zu Fäusten.
»Mein Vater will mit mir trainieren, was sollte mir daran komisch vorkommen?! Kannst du dich nicht einfach für mich freuen, oder bist du so Eifersüchtig, dass der Duc nicht mit dir trainiert, hm!?«
Lila blinzelte ihn ungläubig an, genauso wie ich, auch wenn ich wusste, dass ich in diesem Moment einfach einen Jungen vor mir hatte, der sich nach der Nähe und Zuneigung seines Vaters sehnte und nichts anderes sehen wollte.
Lila schüttelte hastig mit dem Kopf und schnappte dann noch seinem Handgelenk.
»Ich glaube du verstehst nicht Al! Natürlich bin ich nicht eifersüchtig! Ich weiß, dass du willst, dass es zwischen euch wird wie früher, aber du kannst doch nicht so blind sein! Was meinte er denn damit, dich nicht mehr zu verschonen, hm?! Und warum waren seine Berater darüber so entsetzt?«
Und in diesem Moment riss sich Alec mit wütend funkelnden Augen von dem Mädchen los und trat einen Schritt nach hinten.
Doch für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich sehen, wie sehr ihn die Worte seiner Cousine verletzt hatten.
»Ich bin nicht blind!«, knurrte er.
»Und was meint er wohl mit verschonen? Er will mich nicht mehr mit dem Training verschonen, immerhin bin ich der Can! Seine Berater sind verdammte Weicheier, die sind doch wegen jedem Mist entsetzt! Und jetzt verschwinde Lila und geh irgendjemand anderen nerven, ich hab dafür keine Zeit!«
Und mit diesen Worten wirbelte er herum und stapfte mit festen Schritten den Weg zum Wald entlang, während er eine vollkommen entsetzte, verletzte Lila zurück ließ, die ihm ungläubig hinterherblinzelte.
Am liebsten wäre ich bei ihr geblieben, wollte ihr die Hand auf die Schulter legen und sagen, dass er es nicht so meinte, dass er sich nur nach seinem Vater sehnte, doch wie automatisch wurde ich von Alec mitgezogen, der mit geballten, zitternden Fäusten die erste Baumreihe erreichte.
Und ich wollte ihn am liebsten anschreien.
Ich wollte ihm zurufen, nicht in den Wald zu gehen, gefälligst auf seine Cousine zu hören, nicht so verdammt blind zu sein, ihre Worte vollkommen zu ignorieren, das Entsetzen der Berater.
Doch ich konnte nicht. Ich konnte einfach nichts tun.
Und so musste ich vollkommen hilflos mit ansehen, wie er in den Wald hinein lief, in dem Wissen, dass dort drin etwas Schreckliches passieren würde.
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