14
»Ben ist noch nicht aufgewacht.«
Ich wusste nicht genau, wie lange wir bereits hier saßen, vollkommen schweigend. Doch langsam hatte ich einfach das Bedürfnis verspürt, zu reden, die Stille schien viel zu erdrückend.
Alec hob seinen Kopf von der Wand, gegen die er ihn gelehnt hatte und musterte mich kurz, als müsste er einschätzen, wie mein Gemütszustand bezüglich meiner Aussage stand.
Und ganz ehrlich, ich wusste es selber nicht.
Einmal war da diese unglaubliche Frustration, weil ich so sehr auf den Moment hingefiebert hatte, an dem Ben seine Augen öffnen würde. Und in dem Moment, in dem ich glaubte, es würde geschehen, war es dann doch nicht passiert.
Andrerseits hatte ich Angst. Angst, dass er nie wieder aufwachen würde und dass der Vampir gelogen hatte, dass er einfach wieder eines seiner perversen Spielchen mit mir gespielt hatte, wie er es die ganze Zeit über getan hatte.
Und dann war da Hoffnung. Hoffnung, dass es einfach ein wenig brauchen würde, Hoffnung, dass ich ihn schon bald in die Arme schließen konnte.
Und ich wüsste nicht, was ich ohne diese Hoffnung tun würde. Vermutlich in meiner eigenen Hoffnungslosigkeit ertrinken. Aber das würde ich nicht zulassen. Ich durfte die Hoffnung nicht verlieren.
»Er bedeutet dir viel oder?«, murmelte Alec dann plötzlich nachdenklich.
Langsam wandt ich meinen Blick zu ihm, zuvor hatte ich stur auf die Weiten des Waldes, der sich mein Zuhause nannte, hinaus gestarrt.
Ich nickte und als ich ihn ansah, konnte ich diese tröstende Wärme in seinem Gesicht erkennen, die mir augenblicklich einen Schauer bereitete.
»Ich habe das Gefühl ohne ihn einen Teil von mir selbst verloren zu haben«, murmelte ich und fühlte mich in diesem Moment seltsam angreifbar, als wäre ich das ohne Ben geworden.
Und dann hoben sich Alecs Mundwinkel plötzlich, ein kleines Stückchen, fast aufmunternd.
»Du kannst froh sein, dass ich weiß, dass du mich liebst, sonst könnte ich ja glatt eifersüchtig werden.«
Er feixte mich an und natürlich merkte ich, dass er versuchte, mich abzulenken, aber es war eine willkommene Aktion.
Etwas, was ich jetzt gebrauchen könnte.
Ich hob eine Braue, verschränkte die Arme vor meiner Brust und musterte den Idioten vor mir mahnend.
»Ich warne dich Alec, wenn du mit dummer, unbegründeter Eifersucht anfängst, wie diese hirnverbrannten Kerle, die meinen irgendeinen besonderen Besitzanspruch auf ihre Freundin zu haben, dann bin ich schneller weg, als du Eifersucht auch nur denken kannst.«
Und da hoben sich Alecs Mundwinkel nur noch weiter, bis er geradezu grinste.
»Sag ich ja«, meinte er und klopfte mir plötzlich fast kumpelhaft auf die Schulter.
»Gut, dass ich weiß, dass du mich wirklich liebst. Deshalb bin ich ja auch nicht eifersüchtig.«
Ich verdrehte die Augen und schnaubte, auch wenn es dieser Idiot auf seltsame Weise einmal wieder geschafft hatte, mich aufzumuntern.
»Du warst aber schon mal eifersüchtig«, entgegnete ich und schielte provozierend zu ihm rüber, unschuldig grinsend.
Nun tat Alec es mir gleich, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte mich ebenfalls unschuldig an, hob fragend die Brauen.
»Achja Nervensäge? Auf wen?«
Dieser Spitzname war übrigens immer noch bescheuert. Und ich brauchte definitiv noch einen für ihn. Idiot war blöd. Denn so nannte ich irgendwie alles und jeden.
Aber zurück zum Thema.
Ich drehte mich etwas zu ihm und reckte mein Kinn vor wie ein kleines Kind, dass gerade über die Mittagsschlafzeiten diskutierte.
»Auf Will zum Beispiel Erbsenhirn.«
Ja. Erbsenhirn war definitiv besser als Idiot, ich stimme dir voll und ganz zu Aruna...
Alec versuchte, sein Glucksen zu unterdrücken, während seine Brauen immer weiter gen Haaransatz wanderten.
»Erbsenhirn? Komm schon, du warst aber auch mal kreativer.«
»Sagt der Kerl, der mich Nervensäge nennt.«
Ich schnaubte und Alec grinste.
»Nervensäge ist doch süß, ich weiß gar nicht, was du hast.«
Jaja, süß, ich gebe dem gleich süß....
Und an dem Funkeln seiner Augen wurde immerhin auch ziemlich klar, wie ernst er seine Aussage meinte. Außerdem war mir sehr wohl bewusst, was das Erbsenhirn hier gerade tat.
»Versuch nicht abzulenken Virgil, was ist jetzt also mit deinem ich bin nicht eifersüchtig. Was ist mit Will?«
Alec funkelte mich düster an und ich beschloss, dass ich meinen Spitznamen für ihn gefunden hatte.
»Ich schwör dir, irgendwann bringt ich diesen billigen Abklatsch von einem Freund dafür, dass er dir meinen Zweitnamen verraten hat, um.«
Provozierend lehnte ich mich vor, ein breites Grinsen auf den Lippen. So weit, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten und ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte, seine Wärme.
Überrascht hob der Ven seine Brauen, während ich ihn feixend ansah, ihm genau in die Augen sah.
Für einen Moment verharrte ich in meiner Position, während Alec wohl noch nicht wirklich wusste, was er von dieser Aktion halten sollte.
Und dann wurde mein Grinsen immer breiter.
»Du versuchst abzulenken«, hauchte ich so leise, dass er es sicher nicht gehört hätte, würden sich unsere Nasenspitzen nicht berühren.
»Virgil.«
Hatte Alec zuvor noch unschlüssig gewirkt, so schnaubte er jetzt fast empört, richtete sich wieder vollständig auf und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.
»Du bist wirklich das größte Arschloch von Mädchen, das ich jemals kennengelernt habe«, brummte er und ich nickte bekräftigend.
»Das bin ich. Aber ich fürchte, deshalb liebst du mich ja.«
Alec verdrehte die Augen, auch wenn ich sehen konnte, wie seine Mundwinkel bei meiner Reaktion etwas hinauf zuckten.
»Ich muss ein ziemlicher Dummkopf sein«, seufzte er schließlich und wieder nickte ich bekräftigend, beinahe noch etwas enthusiastischer als zuvor.
»Das bist du. Aber ich fürchte, deshalb liebe ich dich ja.«
Und da wanderten Alecs Mundwinkel doch ganz klar nach oben.
»Sag das nochmal«, grinste er, doch dieses Mal schüttelte ich den Kopf, einfach, um ihn zu ärgern.
»Ich bin vielleicht ein Arschloch, aber ablenken tust du immer noch.«
Alec schnaubte und zuckte dann fast gleichgültig mit den Schultern.
»Schön. Ja, vielleicht war ich ein wenig eifersüchtig auf diesen weichherzigen Idioten, aber immerhin hat der Kerl auch versucht dich zu küssen und damals hab ich absolut nicht durchgeblickt, wie es in deinem Inneren aussieht, was mich betrifft. Ehrlich mal Aruna, du bist echt vollkommen verwirrend, ich wusste echt nicht, wo ich bei dir stehe. Aber jetzt weiß ich es und deshalb gibt es auch keinen Grund für Eifersucht.«
Ich schnaubte, auch wenn ich nicht mit dem Lächeln aufhören konnte.
»Ich bin nicht verwirrend. Außerdem hat uns dieser weichherzige Idiot damals ziehen lassen und wenigstens das solltest du ihm eingestehen, auch wenn er natürlich ein absoluter Dummkopf war.«
Und es war wenig verwunderlich, dass Alec bei »Dummkopf«, ganz besonders breit anfing zu grinsen.
»Außerdem«, begann er dann plötzlich und sah mich feixend an.
»Außerdem kannst du dich in dem Bezug mal ganz schön geschlossen halten Nervensäge. Oder willst du mir etwa erzählen, dass du kein einziges Mal eifersüchtig gewesen bist? Damals bei Mysti zum Beispiel, was war das wenn keine Eifersucht?«
Ich schnaubte, doch diesen Punkt musste ich ihm irgendwie lassen.
»Immerhin hat sie dich ja auch genau vor meinen Augen geküsst.«
Alec hob die Brauen.
»Ja, auf den Mundwinkel.«
»Trotzdem.«
»Trotzdem ist genauso bescheuert wie du.«
Ich verdrehte meine Augen und lehnte meinen Kopf dann fast versöhnlich gegen seine Schulter.
»Damals war das alles ziemlich kompliziert«, murmelte ich zugegeben etwas kleinlauter als zuvor und schloss kurz meine Augen, konnte sein Grinsen förmlich spüren.
»Einigen wir uns einfach darauf, dass du keinen bescheuerten Besitzanspruch auf mich hast und ich keinen auf dich, ja? Zu so einem dummen Paar will ich nicht werden... Alles viel zu anstrengend und vollkommen unnötig.«
Ich spürte, wie Alec nickte, seufzte.
»Abgemacht. Und was Ben angeht: Du hast die Hoffnung, dass er aufwachen wird, also wird er das auch, glaub mir.«
Zufrieden lächelte ich und nickte.
»Und wenn er aufwacht verlass ich dich, brenn mit ihm durch, irgendwo nach Europa vielleicht, gründe eine Familie mit ganz vielen bezaubernden kleinen Kindern und du wirst mich nie wieder sehen.«
Und bei Alecs Lachen vibrierte sein gesamter Körper, während ich mein Herz nicht davon abhalten konnte, kleine, verzauberte Sprünge zu machen, meinen Körper nicht davon abhalten konnte, zu erzittern.
Ich konnte mir nicht helfen, denn sein Lachen war einfach viel zu warm und einnehmend, viel zu schön. Und ja, ich gab es zu, ich liebte es, wenn er lachte, das tat er nämlich viel zu selten.
»Na das will ich doch hoffen«, meinte er, halb lachend, halb schnaubend und auf mein überzeugtes Nicken hin, konnte ich geradezu spüren, wie er nur noch breiter grinste.
»Du bist ein verdammtes Arschloch Aruna.«
»Ich liebe dich auch Alec.«
◊♠◊♠◊♠◊
Ich warf einen verräterischen kleinen Blick auf die hölzerne Tür, hinter der sich das Schlafzimmer meiner Eltern verbarg und gab alles darum, um die alte, knarzende Treppe möglichst Geräuschlos hochzulaufen.
Doch wer mich kannte wusste nur zu gut, dass ich in etwa so talentiert und elegant war, wie ein gepunkteter Goldfisch, der an Amnesie litt (nein, ich war gar nicht müde...).
Also gelang mir das Geräuschlose eher so semi gut und vor lauter Konzentration auf jedes einzelne Geräusch zu achten, hob ich meinen Fuß bei der letzten Stufe nicht hoch genug und stieß mit meinem kleinen Zeh voll gegen das dunkle Holz.
Ich zischte auf, stolperte in den Flur, halb auf einem Bein hüpfend und fluchte leise vor mich her, während ich heftig blinzelnd die Tränen zu verjagen versuchte.
»Verdammte scheiße! Au! Du elendiger Mistkerl! Warum gibt es dich überhaupt! Kannst du noch irgendetwas als scheiße wehzutun und hässlich auszusehen?! Du...!«
»Ary?«
Erschrocken hielt ich inne, meinen linken Fuß in den Händen und als ich aufsah wäre ich bei der Aktion beinahe umgekippt, konnte mich im letzten Moment allerdings halten, indem ich auf die äußerst schlaue Idee kam, mein schmerzendes Körperteil einfach loszulassen.
»Phel?«, fragte ich überrascht, während ich den kleinen Jungen mit den wuscheligen, dunkelbraunen Haaren und den fas verwirrend grünen Augen anblinzelte.
Da stand er, sein Schlafanzug wirkte fast zu groß für ihn und bei dem Anblick, wie er die kleine Plüschspinne an sich drückte, die er liebevoll Jasper getauft hatte, hatte ich gleich das Bedürfnis ihn in meine Arme zu nehmen.
Mein kleiner Bruder war einfach viel zu süß und unschuldig für diese Welt. Ach, und er hatte diesen gewissen Fabel für Insekten.
Ich würde nie vergessen, wie Ylva und ich vor zwei Jahren auf der Couch gesessen hatten und irgendein Kartenspiel gespielt hatten und Phelan ganz begeistert zu uns gerannt kam.
»Guckt mal! Guckt mal was ich gefunden habe!«, hatte er ganz aufgeregt gerufen und die ineinander geschlossenen Hände vorgestreckt.
Und während ich noch beleidigt und ziemlich hitzig nach einer Möglichkeit gesucht hatte, um nicht wieder haushoch gegen meine große Schwester zu verlieren, hatte Ylva unseren Bruder liebevoll angelächelt und ihn auf ihren Schoß gezogen.
»Zeig her«, hatte sie grinsend gemeint und Phelan in die Wange geknufft, weil sie durch ihre ganzen Siege sowieso ziemlich gute Laune hatte.
Damals hatte sie wohl einfach gedacht, er hätte einen besonders schönen Stein gefunden, den er ihr jetzt unbedingt zeigen wollte.
Das hatte ich früher zumindest immer getan. Jeden Tag war ich ganz begeistert mit einer Handvoll Steine nach Hause gekommen und hatte sie allen ganz stolz gezeigt und die ganz besonders schönen hatte ich Ylva geschenkt.
Noch heute lagerte eine ganze Truhe Steine in ihrem Zimmer.
Naja, aber mit einer Faustdicken, ziemlich beharrten Spinne, die fröhlich begann loszukrabbeln, als Phelan die Hände öffnete, hatte sie wohl ganz sicher nicht gerechnet.
Noch heute erinnerte ich mich an ihr Kreischen, wie sie aufgesprungen war und Phelan auf den Boden plumpste.
Naja und dann war sie brüllend durch das ganze Wohnzimmer gerannt und hatte Phelan angefleht das »haarige Monster«, aus dem Haus zu schaffen, welcher wohl nicht ganz verstand, was seine große Schwester denn nun hatte.
Ich glaube ich hatte noch nie gehässiger angefangen zu lachen, während Phelan entrüstet die Hände in die Hüften gestemmt und die Spinne sich irgendwo unter der Couch verkrochen hatte.
»Aber das ist Jasper! Er ist jetzt mein Freund!«, hatte der kleine Junge gemeint und als Fenris fast panisch ins Wohnzimmer gehastet kam, weil er Ylvas Gekreische gehört hatte, hatte ich mich bereits auf der Couch gekugelt und mir weinend den Bauch gehalten.
Das war also das Bild gewesen, was Fenris gesehen hatte.
Eine wild kreischende Ylva, die wie verrückt mit den Armen fuchtelnd immer wieder um die Küchenzeile raste und einen schmollenden Phelan, der der felsenfesten Überzeugung war, dass die Spinne ihn als ihren besten Freund ausgewählt hatte, die eine Allergie auf Waldboden hätte und deshalb nun bei uns leben müsse.
Und dann war da ich gewesen, wie ich fast von der Couch gefallen wäre, vor lachen weinte und so vollkommen verrückt wieherte, dass ich mir sicher war, dass unser ganzes Dorf es gehört haben musste.
Und als dann auch noch meine panische Mum mit der weinenden Lupa auf dem Arm, die es irgendwie geschafft hatte, mit ihrem Hintern in einem geblümten Eimer stecken zu bleiben, hinein gestürzt kam und hysterisch »Gartenzange! Ameisen! Gartenzange! Ameisen! GARTENZANGE!«, rief, war es auch bei meinem Bruder vollkommen vorbei und er schloss sich meinem lauthalsen Gelächter prustend an, während er seinen wild gewordenen Zwilling einfing.
Naja und nach dem ganzen Chaos hatten meine Eltern sehr lange mit Phelan gesprochen um ihm klar zu machen, dass diese Spinnen nicht in unser Haus gehörten. Und dass es keine gute Idee war, Lupa Ameiseneier ausbrüten zu lassen, die er in dem Eimer gesammelt hatte.
Ich glaube, das war einer meiner absoluten Lieblingstage gewesen. Und damit mein Bruder nicht ganz so enttäuscht war, war Fenris am nächsten Tag mit ihm in die Stadt gefahren und hatte ihm Jasper die Plüschspinne gekauft.
»Was machst du da?«
Phelans müde Stimme katapultierte mich wieder in die Realität zurück, auch wenn ich ein paar Mal blinzeln musste, um mich vollends von meinen Erinnerungen zu lösen.
Und da ich meinem kleinen Bruder kaum verraten konnte, dass ich gerade von einem Stundenlangen Treffen mit einem gewissen Ven kam, spuckte ich einfach die nächstbeste Ausrede aus, die mir einfiel.
»Ich hatte Durst und war kurz in der Küche. Aber was machst du denn hier? Es ist mitten in der Nacht, warum schläfst du denn nicht?«
Mit einem sanften Lächeln blickte ich auf meinen Bruder herab, der seine Unterlippe leicht vorschob, auf den Boden sah und Jaspers Beine ineinander verknotete.
»Ich hatte Angst«, gab er dann leise zu und ich lief seufzend auf ihn zu, kniete mich hinab und zog ihn dann an den Armen zu mir.
»Wieder wegen den insektenfressenden Pflanzen? Glaub mir Phel, da sind keine unter meinem Bett, sie kommen dich schon nicht holen.«
Doch Phelan schüttelte einfach den Kopf, während er mit hängenden Schultern vor mir stand und so traurig aussah, dass es mir das Herz brach.
»Von denen träum ich doch schon lange nicht mehr. Ich bin ja kein kleiner Junge mehr«, murmelte er leise und trat von einem Fuß auf den anderen.
»Ich bin aufgewacht... Und... und du warst nicht da, aber Mummy hat gesagt, dass du bald zu uns kommst und dann... ich dachte du wärst einfach wieder verschwunden und es wäre etwas ganz schlimmes passiert und... und jemanden hätte dir wehgetan und...«
Ich seufzte schwer und zog ihn dann einfach an mich.
»Ach Phel«, murmelte ich, während ich den Jungen an mich drückte, der seine Arme sofort um meinen Hals schlang und mich so fest hielt, als hätte er Angst ich würde sonst wirklich verschwinden.
»Ich geh nicht mehr weg, keine Angst, ich lass dich nicht alleine, nie mehr«, murmelte ich, während er den Kopf in meinem Haar vergrub, beinahe zitterte.
»Versprochen?«, hauchte er und ich nickte voller Überzeugung.
Als würde ich nach all dem Mist je wieder weggehen.
»Großes Indianerehrenwort.«
Mein Bruder schniefte zufrieden.
»Gut«, murmelte und als ich aufstand schlang er die Beine um mich, um nicht hinunter zu fallen.
Mit meinem Bruder auf dem Arm trat ich so leise wie ich konnte in mein Zimmer.
»Und jetzt gehen wir wieder schlafen, okay? Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie müde ich bin Phel.«
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»Nein! Nein! Nein! Das ist nicht richtig! Nein!«
Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, doch lautes Geschrei war es schließlich, das mich weckte.
Noch etwas benommen runzelte ich die Stirn, blinzelte und verstand noch nicht ganz, was hier passierte.
»Es ist mein Recht als amerikanischer Staatsbürger auf die Freiheit meiner Person! Ihr habt kein Recht dazu! Als Bürger der vereinigten Staaten habt ihr euch.... NEIN!«
Moment...
Schlaftrunken richtete ich mich etwas auf, blinzelte heftig und sah, wie meine beiden kleinen Geschwister ihre Köpfe aus meinem Fenster reckten, während sich Eza und Cole auf dem Boden schlaftrunken regten.
War das etwa... war das...?
»NEIN! Ich bestehe auf mein Recht! Fast mich nicht an! ARUNA! ARUNA! HIER SIND VERRÜCKTE! ARUNA!«
Ben.
Ben!
Ich keuchte auf, mein ganzer Körper begann zu zittern, als ich diese Stimme endlich wiedererkannte und da sprang ich schon aus dem Bett, verhedderte mich in meiner eigenen Decke, krachte auf den Boden, halb auf Eza drauf, die sich erschrocken zur Seite rollte, robbte kurz keuchend über den Boden, nur, um mich dann immer noch in meiner Decke gefangen aufzurichten, zum Fenster zu hasten und dabei mit meiner Decke die riesige Stiftebox von meinem Schreibtisch zu fegen, die sich laut krachend auf meinem gesamten Boden verteilte.
»Aruna was...?«, keuchte der verschlafene Cole, doch da schob ich meine Geschwister schon mit sanfter Bestimmtheit vom Fenster weg und spähte dann schwer atmend hinaus.
Und da schien auf einmal alles in mir vollkommen auszurasten.
Denn da standen sie. Da stand er.
Das braune Haar stand wirr zu allen Seiten ab, während er sich wie wild mit den Händen fuchtelnd im Kreis drehte und irgendwelche amerikanischen Gesetze heraus brüllte und warum es vollkommen unakzeptabel war, was hier geschah.
Und um ihn herum standen fünf Ärzte, die beschwichtigend die Hände hoben, auf ihn einreden zu versuchten und ganz offensichtlich probierten, ihn festzuhalten, was der Junge mit den wild funkelnden Augen aber ganz sicher nicht zuließ.
»Ben«, keuchte ich und bei seiner Verzweiflung schien mein Herz für einen Moment auszusetzen.
Und dann zögerte ich nicht mehr.
Ich raste los, spürte, wie Eza mir die Decke von den Schultern zog und mir dann hastig folgte, genau wie Cole.
Doch darauf konnte ich nicht achten.
Ich donnerte die Treppe hinunter, konnte an nichts mehr anderes denken als an Ben und wich dem Arm meines Vaters aus, der versuchte, mich aufzuhalten, irgendetwas zu mir zu sagen.
Ich duckte mich einfach unter ihm weg, achtete nicht auf die Rufe, meiner Mutter, dass ich warten sollte und schmiss mich dann mit solch einer Wucht gegen unsere Haustür, dass sie ein gefährliches Ächzen von sich gab.
Doch das war mir egal! Sowas von egal!
Mein Herz schlug schneller und schneller, Tränen stiegen mir in die Augen und dann stolperte ich schwer atmend auf die Veranda.
Und da stand er. Nur wenige Meter von mir entfernt, bekannt groß und schlaksig.
»Ben«, hauchte ich wieder, vollkommen hypnotisiert von seinem Anblick, ein Schauer nach dem nächsten ließ mich heftig zittern.
Und dann realisierte ich erst wirklich, dass die Ärzte versuchten, Ben festzuhalten, um ihn wieder in die Krankenhütte zu bringen.
Irgendein Schalter legte sich in mir um und ich handelte einfach, nun aus meiner Hypnose voller Glück herausgerissen.
Er hatte sicherlich schrecklich Angst! Alles neu und alles fremd und dann diese Leute, die ihn berühren wollten! Das durften sie nicht!
Und da preschte ich los.
»BEN! Nein! Lasst ihn in Ruhe! Weg von ihm! Verdammt geht weg von ihm!«
Ich bekam kaum noch Luft während die Ärzte erschrocken inne hielten, meine Füße donnerten über den Boden, schneller, immer Schneller.
Mein Herz schlug nun doppelt so schnell wie sonst, ich konnte es nicht fassen, einfach nicht fassen.
Ben wirbelte herum.
Und da sah ich sie. Da sah ich sie zum ersten Mal seit Monaten, während er heftig blinzelte, zitterte wie verrückt und sich selber immer fester ins linke Bein kniff, so, wie er es immer tat, wenn ihn etwas vollkommen überforderte.
Ich sah sie. Diese Augen, diese unendlich bekannten, braunen Augen, die mein Herz zum stoppen brachten und mich fühlen ließen als würde ich schweben.
Er sah mich an. Ben sah mich an. Er war da.
Benvenuto war wieder aufgewacht.
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