41. Archie
Müde betrachtete ich die an mir vorbei ziehenden Bäume, sah aus dem Fenster hinaus in die kalte, dunkle Welt. Mein Körper fühlte sich schwer an, genau wie meine Seele und das allein, weil ich wusste, ich hatte meinen einzigen Freund auf der ganzen Welt zurückgelassen. Es fiel mir schwer die Villa Manuels zu verlassen, der Grünäugige hatte mir versichert, dass er mit meiner Entscheidung zufrieden sein würde, egal welche es sein würde und nun wusste ich wirklich nicht ob es das richtige war was ich getan hatte, ob ich nicht doch hätte bei ihm bleiben sollen. Mein Vater hätte mich ohne Beschwerde bleiben lassen, er sah ein, dass es mir bei dem Millionär sowohl physisch als auch psychisch sehr viel besser ging als bei ihm, doch ich entschied mich trotzdem für den Braunäugigen. Er sollte seine Chance bekommen sich wieder mit mir zu versöhnen, ich wollte wissen ob mein Vater doch in der Lage sein würde mich irgendwann wie sein geliebtes Kind zu behandeln oder nicht. Ich hatte das Gefühl meine andere Hälfte zu verlieren als ich Manuel davonlaufen sah, er versprach mir zwar, dass er mich jederzeit abholen würde, aber ich wollte das nicht. So sehr ich es auch vermisste von ihm gehalten zu werden, ich musste ohne ihn klarkommen, ich war schließlich stark.
Vorsichtig sah mich mein Vater neben mir an, versuchte herauszufinden was er sagen sollte. „Also...möchtest du mir ein wenig davon erzählen was du die letzten Wochen über gemacht hast?", fragte mich der Braunäugige sanft, dabei versuchte er sich sogar schon an einem Lächeln und ich sah ihn verwundert an, wusste nicht zu reagieren. Es passte einfach nicht zu dem Älteren, dass er sich mit mir in Ruhe unterhielt und ich fühlte mich unwohler als gedacht, mochte die Stille mehr. Vorhin war ich einfach in das Wohnzimmer gegangen und hatte den alten Mann umarmt, ihm gesagt, dass ich ihn liebte und vermisst hatte, in der Hoffnung ihn etwas zu besänftigen. Zögernd hatte er auch mich festgehalten, er konnte sich nur nicht dazu durchringen mir ebenso zu sagen, dass er mich liebte und ich sah das als ein gutes Zeichen an. „Ich habe ganz viel Zeit mit Manuel und seinen Kindern verbracht! Und mit Manuels Koch auch...Manu hat eine riesige Bücherei und ich durfte alles lesen was ich wollte! Er hat mir sogar ein paar Lernbücher gekauft, damit ich Japanisch lernen kann und er hat mich mit seiner Tochter spielen lassen, die Kleine ist unglaublich süß! Ich habe sogar ein bisschen mit ihr gemalt!"
Etwas unsicher guckte mein Vater weg, aus dem Fenster raus. „Manuel scheint dir wirklich gut getan zu haben...kannst du mir etwas mehr über ihn erzählen?", fragte mich der Braunäugige ruhig, was mich besorgt meine Augenbrauen zusammenziehen ließ. Der Ältere musste wirklich denken, dass ich nun lieber bei Manuel wäre als bei ihm, so wie mein Freund vorhin auf ihn eingeredet hatte und so traurig es auch klang, es stimmte sogar. In den Armen des Millionärs fühlte ich mich unglaublich wohl, ich vermisste das glückliche Lachen Malus und den liebevollen Blick von Maurice, aber das durfte ich meinem alten Herren nicht verraten, er wäre nur traurig darüber, auch wenn das seine eigene Schuld war. „Manu ist ein wunderbarer Kerl! Er hat sich von Anfang an um mich gekümmert und mir geholfen etwas mehr zur Ruhe zu kommen, als ich zu ihm gekommen bin. Ich habe mich Anfangs wirklich gemein ihm gegenüber benommen und er hat mich trotzdem nie weggeschickt, auch wenn ich das verdient hätte. Manuel ist wirklich ein unglaublich liebevoller und netter Typ, wenn man ihn erstmal kennenlernt...du magst ihn bestimmt nicht, aber wenn du ihm erstmal eine Chance gibst, dann wirst du überrascht davon sein wie toll er ist!"
Unzufrieden verzog mein Nebenmann sein Gesicht. „Und was ist mit seiner Frau? Ist die heute einfach nur nicht da gewesen oder ist er auch Witwer?", wollte der Kunsthändler wissen, was mich zögern ließ. Ich wusste nicht ob der Ältere für oder gegen Homosexualität war, über dieses Thema hatte ich ihn noch nie sprechen hören, aber egal welcher Meinung er war, wenn sie negativ war, dann würde ich auf dem schnellsten Wege wieder zurück zu Manuel gehen, sobald ich die Möglichkeit dazu hatte. Zwar sah ich mich mehr als Bisexuell, aber das würde für mich aufs gleiche hinauslaufen, mochte der Braunäugige Manuel nicht weil dieser sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlte dann mochte er auch mich nicht, er wäre für mich gestorben. „Manuel hatte Mal einen Mann, mit dem er seine zwei Kinder adoptiert hat, aber da redet Manu nicht gerne drüber! Sein Mann wurde vor einigen Jahren entführt und umgebracht. Er bleibt seitdem lieber alleine und widmet sich lieber seinen Firmen und Kindern!", erzählte ich, wobei ich gekonnt ausließ, dass der Grünäugige sich einen Narren an mir gefressen hatte und auch dass ich die Gefühle des Älteren erwiderte verschwieg ich, dafür war ich noch nicht bereit. Ich wollte erst einmal Zeit haben um zu verstehen, dass ein Mann der mich mit ganzem Herzen liebte nicht mit mir zusammen sein konnte, weil sein Ehemann mir ähnlich sah und weil er mich zu jung fand.
„Manuel ist schwul?", fragte mein Vater mit großen Augen, was mich aufhorchen ließ. Offenbar mochte er das nicht und war dagegen, sonst würde der Kurzhaarige nun nicht so ungeniert fragen, das störte mich sehr. Ich wollte ihm wirklich eine Chance geben, er hatte geweint, weil er nicht mehr weiter wusste und nun war er drauf und dran das alles wieder zu zerstören. Niemals würde ich zulassen, dass irgendjemand den Grünäugigen beleidigte oder runtermachte, schließlich war es in Ordnung das eigene Geschlecht attraktiver zu finden als das andere, das sollte jeder so empfinden. „Ja, hast du damit ein Problem?", stellte ich eine Gegenfrage, dabei sah ich den etwas Größeren böse an und er sah mich nun überfordert an, wusste nicht ob das eine fang Frage war oder nicht. So wütend ich auch auf Manuel war, weil er sich seine Gefühle für mich nicht eingestehen wollte, ich würde ihn mit allem verteidigen was ich hatte und das mit meinem Leben. „Nein, das erklärt für mich nur, dass der Typ so auf Gefühle und Liebe fokussiert ist!"
Ich unterdrückte ein Knurren, als ich diese Worte hörte. „Willst du damit sagen, dass jeder der schwul ist auch gleichzeitig verweichlicht ist und viel zu feinfühlig ist? Das ist ein absolut ungerechtfertigtes Vorurteil und nicht wahr! Manuel ist zwar wirklich sehr feinfühlig, aber zumindest zeigt er seine Gefühle und ignoriert seine Kinder nicht, weil diese sich nicht benehmen oder sonst was!", giftete ich den Älteren an, was ihm gar nicht zu passen schien. Am liebsten hätte ich ihm nun gesagt, dass der Grünäugige mir um einiges lieber gewesen wäre als Vater, dass ich dessen liebevollen Erziehungsstil jederzeit dem meines Vaters vorziehen würde, doch wäre das zu gemein, ich hielt mich zurück. Manuel hatte mir beigebracht, dass es manchmal besser war nachzugeben und das tat ich auch, zumindest so lange wie der Künstler nicht meinen Freund schlecht redete. „Patrick, was regst du dich eigentlich so darüber auf? Ich habe doch gesagt, dass ich damit kein Problem habe, was willst du denn noch von mir hören? Du verteidigst diesen Typen ja fast schon mehr als dich selbst, dabei hat er für dich eigentlich nichts anderes getan als dich bei ihm wohnen zu lassen!"
Verärgert musterte ich den Mann neben mir und ballte meine Hände zu Fäusten. „Ohhh, jetzt halt aber Mal die Luft an! Manuel hat mich als erster Mensch in meinem ganzen Leben gut behandelt und mir gezeigt, dass ich es wert bin geliebt zu werden! Er hat versucht mich zu unterstützen und ist immer für mich da gewesen, wie kannst du nur so verdammt herzlos sein? Ach ja, das bist du ja schon mein ganzes Leben lang zu mir und allem gewesen was ich gut fand! Dieser Mann hat sogar versucht dir zu erklären was du all die Jahre lang falsch gemacht hast und du hast ihn nicht Mal richtig angehört...ich weiß wirklich nicht worüber ich enttäuschter bin, darüber, dass ich mich ähnlich wie du verhalte oder darüber, dass ich dumm genug war diesen Mann zurückzulassen, um dir noch einmal eine Chance zu geben deine Fehler aus der Vergangenheit wieder gut zu machen! Er hätte es niemals gewagt so etwas über dich zu sagen, auch wenn er das wahrscheinlich gedacht hat, berechtigter Weise...", sagte ich mit tränenden Augen, dabei sah ich zum Ende hin weg und war deprimiert über den Fakt, dass mich nun niemand mehr liebevoll umarmte, das würde ich niemals überleben. Ich brauchte Manuel mehr als alles andere, es war die falsche Entscheidung gewesen zu gehen, aber es war zu spät, ich war schon längst wieder in Frankreich.
Ob ich dem Grünäugigen tatsächlich an meinem Geburtstag schreiben konnte? Würde er mich hier abholen kommen?
(...)
Schluchzend versteckte ich meinen Kopf in dem Kissen, welches schon so oft meine Tränen der Verzweiflung in sich aufgenommen hatte. Es war genau wie zuvor auch, nichts hatte sich geändert und das würde es sich auch nie, niemals. Jeden Tag aufs neue stritt ich mit meinem Vater, er hatte mich gezwungen wieder zur Schule zu gehen und zu lernen, all dieses unwichtige Zeug welches niemals mehr jemand brauchen würde und am schlimmsten war, mein Vater hatte mir mein Handy weggenommen, damit ich mich mehr auf den Unterricht konzentrieren konnte. Ich bereute nichts auf der Welt mehr als Manuel verlassen zu haben, ich hätte überlegen sollen was ich da tat und was die Auswirkungen meines Handels sein würden, aber das hatte ich nicht getan. In der Nacht sah ich allein die leere Seite meines Bettes an und wünschte mir Manuel her, ich wollte umarmt und geliebt werden, wieder dieses sanfte paar Augen sehen können, doch das ging noch nicht, leider. Ohne mein Handy konnte ich keine Hilfe rufen, ich kannte die Nummer des Älteren nicht auswendig und hatte kein anderes Gerät um ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, so würde das niemals etwas werden. Am schlimmsten war, dieses Mal konnte ich nicht einfach weglaufen und mir einen Weg in Richtung Manuel suchen, ich war nicht mehr bei ihm, er war in England und ich in Frankreich.
Mit traurigem, trostlosen Blick machte ich mich auf zur Eingangstür, als ich ein Klingeln vernahm. Mein Vater war schon seit gestern nicht da und so musste ich mich nun aufraffen um die Tür zu öffnen, auch wenn ich das nicht wollte. Mit Sicherheit würde das hier einer meiner Lehrer sein, der mir etwas über Kunst beibringen würde. Nichts interessierte mich weniger als das, ich konnte nicht einmal weiter Japanisch lernen, weil ich mein Buch bei Manuel vergessen hatte und das war nicht das einzige was dort geblieben war. Ohne den liebevollen Familienvater an meiner Seite sah ich keinen Sinn darin zu leben, ich wollte einfach nur zu ihm zurück und ihm sagen, dass ich ihn liebte, ich konnte nur nicht. Er hatte mir versprochen, dass er mich immer lieben würde und wüsste ich das nicht, dann hätte ich mich wahrscheinlich schon längst vor ein fahrendes Auto geworfen. Irgendwo auf der großen weiten Welt gab es jemanden der auf mich wartete, der mich in genau diesem Moment vermisste und das war der einzige Grund wieso ich noch atmete, ich hatte ein Ziel. Für Manuel würde ich weiter kämpfen, er durfte nicht noch eine geliebte Person verlieren.
Kraftlos blickte ich zu dem Mann hinauf, welchen ich wohl am aller wenigsten erwartet hatte zu sehen. „Wenn du zu meinem Vater willst, der kommt erst in zwei Tagen wieder!", sprach ich ganz ohne Begrüßung, aber zu meinem Vater schien mein Gast nun nicht zu wollen. Mit monotonem Gesichtsausdruck machte sich der Hüne groß, er hatte kein Lächeln auf den Lippen und doch zeigte ich nun keine Angst oder Unruhe, schwieg still. Eine schmerzvolle Erinnerung kam in mir auf, als ich mich wieder einmal an Manuel erinnerte, welcher sich bei unserer ersten Begegnung schon ruhig vor mich gestellt hatte und mir Liebe gab, den Mann vor mir ohne zu zögern anschnauzte, ihm befahl mich in Ruhe zu lassen. „Ach wie schön, es lebt und kann antworten!", wurde ich begrüßt, was mich etwas irritierte. Natürlich konnte ich antworten und ich lebte auch, aber das sollte dem Engländer auch klar sein. Es war sowieso sehr komisch ihn hier vor der Tür stehen zu sehen, eigentlich hatte mein Vater jeglichen Kontakt zu Archie abgebrochen nachdem dieser mich ohne zu zögern verkauft hatte, aber das schien ihn nicht zu interessieren.
„Schön ist das sicherlich nicht, ich wäre sehr viel glücklicher, wenn ich es nicht tun würde. Willst du zu mir? Mein Vater lässt ausrichten, dass du gehen sollst und ich will keinen Ärger mit ihm haben, also wenn ich dich bitten dürfte zu gehen...", meinte ich ruhig, während ich nickte und die Tür schon wieder zu machen wollte, aber das ließ der Mann vor mir nicht zu. Ohne zu zögern stellte er seinen rechten Fuß in den Türspalt, sodass es unmöglich für mich war die Tür zu schließen. Erschrocken stolperte ich zurück als Archie mich mit einem leichten Stoß nach vorne stieß. Ohne auf meine Worte zu achten stellte sich der Hüne vor mich, machte sich groß und sah mich mit wütenden Blick an, was mein Herz für eine Sekunde stehen bleiben ließ. „Ohhh nein, so kommst du mir nicht davon mein Lieber! Ist dir eigentlich klar, dass du Manuel sehr damit verletzt, wenn du ihm nicht auf seine Nachrichten antwortest? Er sitzt gerade verdammt noch Mal die ganze Zeit einfach nur in seinem Zimmer und starrt eine leere Wand an, weil er sich Sorgen um dich macht! Schreib ihm doch wenigstens, dass du keinen Kontakt mehr zu ihm haben willst, dann weiß er auch woran er ist und denkt nicht du ignorierst ihn einfach nur! Sowas macht man einfach nicht, Patrick. Findest du etwa, dass Manuel es verdient hat so von dir behandelt zu werden?"
Geschockt sah ich den Blauäugigen an, brauchte einen Moment um zu verstehen. Manuel hatte mir geschrieben? Und er machte sich Sorgen um mich? Körperlich ging es mir gut, ich wurde nicht für meine Fehler geschlagen oder sonst was, aber psychisch könnte es mir nicht schlechter gehen als gerade. Ich empfand es nicht als schlimm nun zu sterben, ich wollte es zwar nicht wirklich, schließlich hatte ich ein Ziel, aber wirkliche Angst davor hatte ich micht, ich würde meinen Tod einfach akzeptieren. Hier war mein Leben nicht lebenswert, ich stand Tag für Tag aufs neue auf, versuchte mich an die Regeln meines Vaters zu halten und nun wurde ich dafür angemekert, das war nicht fair. Verärgert sah ich Archie an. „Ich würde ihm ja gerne auf seine Nachrichten antworten, aber ich kann nicht, weil mein Vater mir gleich an dem Tag wo ich abgereist bin mein Handy weggenommen hat! Wäre das nicht passiert, dann hätte ich Manuel schon längst geschrieben, dass er mich von hier abholen kommen soll und nie wieder zulassen soll, dass ich ihn verlasse, aber das geht halt einfach nicht! Es ist die schlimmste Entscheidung meines Lebens gewesen wieder hier her zu kommen und das habe ich eingesehen...und jetzt lass mich endlich wieder alleine verzweifeln und heulen bis mein Vater wieder kommt, damit ich nicht noch mehr Ärger bekomme, weil ich dich reingelassen habe!"
Mir die Tränen der Trauer unterdrückend lief ich einfach die Treppe hoch, hinauf in mein Zimmer. Archie würde mich sicher verstehen und ohne sich zu beschweren verschwinden, da war ich mir sicher. Selbst wenn ich es nicht wollte schaffte ich es noch Manuel zu verletzen, der Grünäugige machte sich wieder einmal Sorgen um mich und ich würde ihm sehr gerne zeigen, dass es mir gut ging, doch das konnte ich nicht, so sehr ich es auch wollte. Nur noch ein paar Tage und dann würde ich ohne meinem Vater auch nur ein Wort sagen zu müssen gehen, nur wie ich von hier nach England kommen sollte ganz ohne Geld, das wusste ich nicht. Es würde mein größtes Problem sein dort hin zu gelangen, ich hatte schließlich kein Geld und auch keine Möglichkeit an welches ranzukommen, um Flugtickets oder eine Fahrt mit dem Boot zu bezahlen, aber das würde ich dann irgendwie schon hinbekommen. Ich sehnte mich nach den starken Armen Manuels, nach seinen aufmerksamen Blicken und seinen liebevollen Worten, wünschte mir nichts mehr als bei ihm zu sein. Nie mehr würde ich ihn verlassen, sobald ich wieder bei ihm war und das musste ich ihm zu verstehen geben, ganz dringend.
Ich musste wieder zu Manuel, er brauchte mich.
~2740 Worte, geschrieben am 20.12.2021
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